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Fachdidaktik inklusiv Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Bettina Amrhein, Myrle Dziak-Mahler (Hrsg.) 3 BAND Z f L Zentrum für LehrerInnenbildung LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Hrsg. vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln Band 3 Wie die Schule so ist auch das Feld der (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bewegung und in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess begriffen. Die Einsicht in die Heterogenität der Lernvoraussetzungen und Bildungsbedingungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler ist gestiegen und erfordert eine Organisation der (Aus-)Bildung, die fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Wissensbestandteile stärker aufeinander bezieht und zu einem professionellen Habitus zusammenbinden lässt. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Praxisphasen als roten Faden über die Ausbildungsphasen hinweg zu gestalten und die Kooperation der unterschiedlichen Akteure der grundständigen Bildung, des Vorbereitungsdiensts und der Fortbildung zu stärken. Die seit langem bekannte Forderung nach einer gelingenden Theorie-Praxis-Verzahnung ist in den letzten Jahren in eine neue Dynamik geraten und verlangt nach einem Ausbau wie auch neuen Akzentuierungen in der bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschung, um Unterrichts- und Schulentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Die Reihe LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN setzt an diesem Entwicklungsprozess an und präsentiert Beiträge, die die Herausforderung einer neuen und innovativen (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern aktiv aufgreifen und Impulse für deren weitere Entwicklung setzen.Bettina Amrhein, Myrle Dziak-Mahler (Hrsg.) Fachdidaktik inklusiv Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule Waxmann 2014 Münster New YorkLEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN, Band 3 ISSN 2194-8429 Print-ISBN 978-3-8309-3017-4 E-Book-ISBN 978-3-8309-8017-9 © Waxmann Verlag GmbH, 2014 www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Anne Breitenbach, Tübingen Satz: Stoddart Satz- und Layoutservice, Münster Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.Inhalt Einleitung Hans-Joachim Roth Vorwort.....................................................................................................................................7 Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler Fachdidaktik inklusiv ............................................................................................................11 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Ein Protokoll in Bildern – Expertinnen und Experten auf der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik........................................15 Tony Booth & Bettina Amrhein An interview with Prof. Tony Booth: Developing inclusion – a continuous process....................................................................25 Teil 1: Fächerübergreifende Aspekte einer noch zu entwickelnden Didaktik für heterogene Lerngruppen Bettina Amrhein & Kersten Reich Inklusive Fachdidaktik...........................................................................................................31 Kerstin Ziemen Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik.................................45 Tony Booth Structuring Knowledge for all in the 21st Century.............................................................57 Andreas Köpfer & Ursula Böing Inklusive Schulentwicklungsprozesse unterstützen...........................................................71 Harry Kullmann, Birgit Lütje-Klose & Annette Textor Eine Allgemeine Didaktik für inklusive Lerngruppen – fünf Leitprinzipien als Grundlage eines Bielefelder Ansatzes der inklusiven Didaktik..................................89 Franziska Hermanns Der Inklusionsbegriff: Annäherung aus verschiedenen Blickwinkeln..........................1096 Inhalt Teil 2: Fachspezifische Aspekte einer Didaktik für heterogene Lerngruppen Sebastian Barsch & Myrle Dziak-Mahler Problemorientierung inklusive – Historisches Lernen im inklusiven Unterricht....... 119 Ulrike Meier & Martin Weber Mit Musik(-unterricht) geht alles besser … auch Inklusion?......................................... 133 Hildegard Ameln-Haffke Inklusion und Kunstunterricht........................................................................................... 153 Florian Becker Heterogenität annehmen – inklusiv Sport unterrichten................................................. 169 Sylvia G. Hundenborn Anteilnahme am Anderen................................................................................................... 187 Mathias Hattermann, Kathrin Meckel & Christof Schreiber Inklusion im Mathematikunterricht – das geht!.............................................................. 201 Philipp Krämer, Stefan Nessler, Kirsten Schlüter & Saskia Erbring Lehramtsstudierendenprofessionalisierung für Inklusion und Didaktik im naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe I durch kooperative Seminarstrukturen.......................................................................................... 221 Uwe Küchler & Bianca Roters Embracing Everyone: Inklusiver Fremdsprachenunterricht ........................................... 233 Andre Kagelmann ‚Merizonterweiterungen‘: Inklusive Potentiale für den Deutschunterricht in Andreas Steinhöfels Kinderroman Rico, Oskar und die Tieferschatten..................... 249 Autorinnen und Autoren..................................................................................................... 265 Hans-Joachim Roth Vorwort Das Kölner Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) steht seit Herbst 2011 mit dem Start der neuen Lehramtsausbildung für die Studierenden offen. Seitdem ist das Zentrum gewachsen: an Aufgaben, an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch an Anerkennung. Diese Anerkennung resultiert nicht nur aus der Erledigung der vielfältigen Aufgaben in der Betreuung und Ausbildung der Lehramtsstudierenden und in der Koordination der Lehramtsausbildung, insbesondere hinsichtlich der zentral bedeutsamen Praxisphasen als Rückgrat der LehrerInnenausbildung an der Universität zu Köln. Sie ist eben auch darin zu sehen, dass das Kölner Zentrum von den ersten Überlegungen an immer auch übergeordnete Themen aufgegriffen hat, die für eine moderne LehrerInnenbildung bedeutsam sind und ohne deren Bearbeitung Lehrerinnen und Lehrer aktuell gar nicht mehr arbeiten können. Das Kölner Zentrum sieht auch darin seine Aufgabe, solche Themen aufzugreifen und ein Forum zu schaffen, in dem diese diskutiert, ausgehandelt und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen wie praktischen Perspektiven ausgearbeitet werden können. Dabei besteht eine Leitlinie darin, alle relevanten Akteurinnen und Akteure zusammenzubringen und auf diese Weise LehrerInnenbildung von der Hochschule über den Vorbereitungsdienst bis in die Fortbildung als Kontinuum im Blick zu behalten. Das verlangt ein Forum, in das wissenschaftliche und didaktische Perspektiven eingebunden werden, in dem Forschung, Ausbildung, Schulorganisation und Unterrichtspraxis zusammengebracht werden. Inklusion war von Anfang an ein zentrales Thema. Angesichts des in Köln breit ausgebauten Profils im Bereich der Sonderpädagogik und Rehabilitation lag es immer nahe, das Thema aufzugreifen, dessen Bedeutung in der Zwischenzeit auch bildungspolitisch anerkannt ist. Es lässt sich gut beobachten, dass gerade aus den Reihen derjenigen, die sich mit den zum Teil fein unterschiedenen Formen von Behinderung beschäftigen, das Unbehagen an genau dieser Ausdifferenzierung und ihrer auf schulischer und gesellschaftlicher Ebene segregierenden Wirkung formuliert wurde. Dem begegnete ein ähnlich gelagerter Diskurs z.B. in einigen Fachdidaktiken wie auch in den Teilen der Erziehungswissenschaft, die sich mit Schule und Unterricht intensiv befassen. In Köln entstand aus diesen Bewegungen eine Kooperation mit der Stadt als Schulträger, die für sich schon früh ein Inklusionskonzept entwickelte. Aus den gemeinsamen Ideen entstand die Planung einer inklusiven Universitätsschule (IUS), die Inklusion als Prinzip auf allen Ebenen verankert – bei der Bau- und Raumplanung angefangen, über die Schulorganisation, das Lernen in Clustern, die Einbindung des Fachunterrichts bis hin zur direkten Anbindung an die LehrerInnenbildung in Köln. Der vorliegende Band geht auf eine Fachtagung des ZfL zurück, die im Kontext von Inklusion relevante Akteurinnen und Akteure einlud, sich an einer gemeinsa8 Vorwort men Vermessung des Feldes der Inklusion zu beteiligen und dabei die Beiträge aus den verschiedenen Perspektiven und Arbeitsfeldern heraus zu sortieren, zu bündeln sowie Handlungsfelder für die LehrerInnenbildung abzuleiten; dabei bilden fach-didaktische Perspektiven einen besonderen Schwerpunkt. Dieser Band zeigt sehr schön, dass das gelingen kann. Inklusion ist dabei an ihrer Ursprungsbedeutung an-gekommen: die Einbeziehung unterschiedlicher Positionen in einen gemeinsamen sozialen Bezugsrahmen. Bedeutsam erscheint es, dass Inklusion hier nicht in einem engen Verständnis, sondern in einem weiten Sinne bearbeitet wird, wie es bereits in der Resolution von Salamanca 1994 gefordert und in der UN-Konvention von 2009 verbindlich wurde: als handlungsleitendes Prinzip in allen Bildungskontexten, um ganz generell alle von Ausgrenzung und Diskriminierung bedrohten Menschen ein-zubeziehen und nicht intern auszugrenzen – unabhängig von den Ausschlussgrün-den wie Behinderung, Geschlecht, soziale und kulturelle Zugehörigkeit o.a. Inklusion ist also ein normatives Konzept, eine Programmatik mit dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit. Inklusion ist die Antwort auf die schulische Wirklichkeit ge-stiegener Heterogenität der Lernvoraussetzungen, Lebensbedingungen, Lebensfor-men und auch identitären Entwürfen. Inklusion als Prinzip von Bildung fordert das Bildungssystem heraus: „looking at education through an inclusive lens implies a shift from seeing the child as a problem to seeing the education system as a problem“ (UNESCO, 2006). Es geht also um zum Teil tiefgreifende Änderungen auf schulor-ganisatorischer Ebene, auf der Ebene des Unterrichts und eben auch auf der Ebene der LehrerInnenaus- und -fortbildung. Inklusion fordert auch die handelnden Per-sonen heraus: Es geht eben nicht um „Farbenblindheit“ und das vermeintliche An-gleichen von Unterschieden, sondern es geht um die Anerkennung von Differenzen als Ressourcen, die Menschen mit in den Bildungsprozess bringen. Inklusion braucht nicht nur neue Rahmenbedingungen und Ressourcen auf der systemischen Ebene, sondern auch pädagogische Haltungen auf der individuellen Ebene. Die Herausforderungen, vor denen die Konkretisierung des Programms Inklusion steht, müssen ebenfalls klar gesehen werden. Hier soll auf zwei hingewiesen werden: Heterogenität erzeugende Differenzlinien wie soziale Lage, Behinderung, Kultur usw. sind keine festen Eigenschaften, sondern historische wie soziale dynamische Kon-strukte, mit denen wir in unseren klassifikatorischen Rationalen arbeiten, die aber häufig auch nicht unbedingt die Selbstdefinition der von ihnen Betroffenen treffen. Diese immer wieder in den Prozess einzufädeln, ist eine permanente Aufgabe. In-klusion trifft im Bildungssystem nicht auf ein flächiges Feld, sondern auf einen über Machtverhältnisse strukturierten hierarchischen Raum mit gesellschaftlichen Teilsys-temen, die ihrerseits nach unterschiedlichen Bedingungen gestaltet sind. Inklusion ist also kein fertiges Konzept, sondern es ist ein Diskursfeld, dessen Vermessung und Gestaltung bei weitem nicht abgeschlossen ist. Von daher sind auch die gesellschaftlichen Debatten um Inklusion notwendig: ihre Möglichkeiten, aber auch die auftretenden Schwierigkeiten und Szenarien, wie diesen begegnet werden kann. Wichtig ist es, dabei diese Diskussionen an die verschiedenen fachlichen Ebe-nen rückzubinden und gleichzeitig gemeinsame Linien der unterschiedlichen Insti-tutionen und Akteure im Bildungswesen auszuarbeiten. Es sollte vermieden werden, Vorwort 9 dieses so wichtige bildungspolitische und pädagogische Feld in nach traditionel-len Fachzugehörigkeiten parzellierte Claims abzustecken – die notwendige Vermes-sung benötigt eben auch Inklusion auf allen Ebenen: der fachlichen und fachdidak-tischen Perspektiven, der kreativen Ideen, der Vernetzung, der wissenschaftlichen Forschung, der Schul- und Unterrichtsentwicklung. Der notwendige curriculare Prozess kann wahrscheinlich nur unter Einbeziehung aller Ebenen erfolgreich geführt werden. Vielleicht sollte man sich in diesem auf ein altes Konzept von Curriculum besinnen, wie es Stenhouse vor 40 Jahren schon ge-dacht hatte: als gemeinsamen Entwicklungsprozess im Dialog. Ein solches Curricu-lum wird nur in seinen Leitlinien entworfen – eine Vorlage bietet der Index für In-klusion – und dann vor Ort konkretisiert, ausgearbeitet. Ein solches Curriculum wird somit erst vor Ort konstituiert und bezieht die dort herrschenden Bedingungen ein. Im deutschen Bildungssystem haben wir inzwischen stabile Erfahrungen mit der Autonomisierung von Schule und Hochschule; wir kennen die Vor- und Nachteile – vor allem aber verfügen wir auch über viele Erfahrungen, wie ein solcher Prozess überhaupt geführt werden kann, wie Vernetzung funktioniert, wie Zuständigkeiten definiert sein müssen und welche Strukturen eine gelingende Entwicklung benötigt. Sicherlich ist das immer zusätzliche Arbeit, aber es ist auch ein Freiheitsgewinn für die beteiligten Institutionen. Das gilt es anzupacken und in diesem Sinne heißt es LehrerInnenbildung gestalten. Das stellt der vorliegende Band bereit: Er ist aus solch einem Dialog hervorgegangen und bietet an, dieses Gespräch weiterzuführen. Ich bedanke mich bei allen Beitragenden und ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL, die sich mit dem Thema auf unterschiedlichen Ebenen auseinandersetzen und die Bündelung des Themas in diesem Band möglich gemacht haben. Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler Fachdidaktik inklusiv Eine Aufgabe für die LehrerInnenbildung der Zukunft „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“ (Martin Walser) In jüngerer Zeit haben die Regierungen vieler europäischer Länder Rechtsvorschriften erlassen mit dem Ziel, inklusive Bildung zu befördern. Trotz dieser politischen Reformen zeichnet sich national wie international sehr deutlich ab, dass die entsprechenden notwendigen Entwicklungen auf der Ebene der Unterrichtspraxis nicht so leicht erreicht werden können. Uns scheint eine Verpflichtung zur inklusiven Bildung jedoch nur von begrenztem Wert, wenn sie nicht in praktisches Handeln auf der Ebene des Unterrichts übersetzt werden und somit zukünftig (auch) zum erfolgreichen Lernen aller Schülerinnen und Schüler beitragen kann. Nationale wie internationale Studien zeigen, dass die Mehrheit der Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer die Grundsätze inklusiver Bildung zwar prinzipiell befürwortet, gleichzeitig sind sie jedoch besorgt über die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer, die die Arbeit mit diesen heterogenen Klassen mit sich bringt. Insbesondere glauben Lehrkräfte, dass sie nicht über die notwendige Expertise verfügen, um den Bedürfnissen der unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Wenn man eine inklusive Schule als einen Lern- und Lebensort verstehen möchte, an welchem kein Kind ausgeschlossen und jedes Kind angemessen gefordert und unterstützt wird, dann hat dies bestimmte Folgen für die Entwicklung von Unterricht. So macht etwa Georg Feuser deutlich (Feuser, 2013), dass es die Aufgabe der Schule ist, die besonderen Fähigkeiten und die daraus resultierenden pädagogischen Bedarfe angemessen zu berücksichtigen, damit sich alle Kinder möglichst optimal zu autonomen, selbstsicheren und mündigen Personen entwickeln können, die ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu ihrem Wohle und dem Wohle der Gemeinschaft entsprechend einbringen (Feuser, 2013). Er ist der Ansicht, dass auf allen Ebenen entsprechende Transformationshandlungen gesetzt werden müssen, damit sich Schulen nachhaltig zu inklusiven Schulen entwickeln können. Eine der wichtigsten Transformationshandlungen findet dabei sicherlich auf der Ebene des Unterrichts statt. Der durch die inklusive Bildungsreform gestellte Auftrag an die Schulen besteht darin, den Unterricht didaktisch-methodisch so zu verändern, dass individualisiertes Lernen in der Gemeinschaft mit allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht wird. Die Entwicklung einer solchen Unterrichtspraxis stellt demnach ganz neue Anforderungen an die Professionalisierung von Lehrkräften: Dazu gehört es beispielsweise, neue Formen der multiprofessionellen Zusammenarbeit zu etablieren; Norm- und Wertehaltungen müssen in reflexiven Prozessen neu überdacht werden; 12 Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler pädagogische und fachliche Kenntnisse und Kompetenzen müssen im Hinblick auf die veränderten Anforderungen einer neuen Heterogenität der Schülerschaft entwickelt werden. Unter dieser Perspektive kommt der Ausbildung zukünftiger Leh-rerinnen und Lehrer eine Schlüsselfunktion im Kontext dieser inklusiven Bildungsre-form zu. Nicht unproblematisch erscheint in dieser Situation, dass bisher nur wenige nationale Ergebnisse für den Aufbau einer solchen inklusionsorientierten Lehreraus-bildung vorliegen. Die Wege, die beim Aufbau an einer an den Notwendigkeiten der inklusiven Bildungsreform orientierten Lehrerbildung beschritten werden, müssen erst noch entstehen. Das Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) der Universität zu Köln widmet sich mit zwei Arbeitsbereichen dem an Inklusion und auf Umgang mit Heterogenität aus-gelegten Professionalisierungsprozess angehender (aber auch bereits erfahrener) Leh-rerinnen und Lehrer. Zentrale Bausteine des Arbeitsbereiches bilden Praxis, For-schung und Netzwerkarbeit. In unterschiedlichen Projekten befasst sich das ZfL mit der Ausgestaltung von Konzepten einer an Inklusion orientierten Lehrerbildung für die Zukunft. Allen Aktivitäten rund um Inklusion am ZfL liegt ein auf alle Hetero-genitätsdimensionen bezogener Inklusionsbegriff zugrunde: Inklusion als einen will-kommen heißenden Umgang mit Vielfalt in jeglicher Richtung. Mit der Tagung „Fachdidaktik inklusiv“ im September 2012 gestaltete das ZfL ei-nen Rahmen für den Einstieg in einen Entwicklungsprozess, an dem Akteurinnen und Akteure aus Schulen, Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, Schulauf-sicht, Ministerium und Hochschule teilnahmen. Die Tagung war dem Grundgedan-ken verpflichtet, Diskurs zu ermöglichen, Perspektiven auszutauschen, Fragen zu entwickeln und erste Ideen zu fixieren. Das hier vorliegende Buch ist das Produkt dieser sehr erfolgreich verlaufenen Ta-gung: Die Ideen, die auf der Tagung entstanden sind, die Gedanken, die sich Teil-nehmerinnen und Teilnehmer auf der Tagung gemacht haben, finden sich in diesem Tagungsband. Die Buchbeiträge stammen daher zu einem großen Teil von Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Tagung und lassen sich grob in zwei Bereiche untergliedern: Teil 1: Fächerübergreifende Aspekte einer noch zu entwickelnden Didaktik für inklusive Lerngruppen, Teil 2: Fachdidaktischspezifische Blickwinkel auf den jeweiligen Fachunterricht für inklusive Lerngruppen. Die Auswahl der Fächer ist dem Zufall der Zusammensetzung der Tagung geschul-det und ein Ergebnis der Abfrage unter den Tagungsteilnehmerinnen und -teilneh-mern. Zusätzlich konnten jedoch noch weitere Expertinnen und Experten aus einzel-nen Fachbereichen gewonnen werden. Da wir wissen, dass zurzeit überall im Land und weit darüber hinaus um Kon-zepte für einen inklusiven Unterricht gerungen wird, haben wir großes Interesse da-ran, mit Ihnen als Leserinnen und Lesern unseres Beitrages zu dieser Entwicklung in Kontakt zu treten. Uns erscheint die theoretisch wie praktisch zu lösende Aufga- Fachdidaktik inklusiv 13 be so groß und bedeutend, dass dies wohl nur in einer gemeinschaftlichen Anstren-gung gelingen kann. Wir freuen uns auf Ihr Feedback! Bettina Amrhein und Myrle Dziak-Mahler Köln, im September 2013 Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln bettina.amrhein@uni-koeln.de myrle.dziak-mahler@uni-koeln.de Literatur Feuser, G. (2013). Grundlegende Dimensionen einer LehrerInnen-Bildung für die Re-alisierung einer inklusionskompetenten Allgemeinen Pädagogik. In G. Feuser & T. Maschke (Hrsg.), Lehrerbildung auf dem Prüfstand. Welche Qualifikationen braucht die inklusive Schule? Gießen: Psychosozial-Verlag. Bettina Amrhein & Louisa Kürten Ein Protokoll in Bildern – Expertinnen und Experten auf der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik Einleitung Am 29.09.2012 veranstaltete das Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Pädagogik und Didaktik bei Menschen mit geistiger Behinderung sowie dem Bildungsraumprojekt school is open die Arbeitstagung „Fachdidaktik inklusiv“. Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker aus allen Phasen der Lehrerbildung (Schule, ZfsL, Universität) sowie der Ausbildungsregion Köln und darüber hinaus kamen zusammen, um ihre Reise auf der Suche nach Ideen, Anregungen und Leitlinien einer inklusiven Fachdidaktik zu beginnen. Während zwei Arbeitsphasen konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über bevorstehende Herausforderungen, Wünsche, Ängste etc. in Bezug auf ihr Fach austauschen. Hierbei wurden sie von den Reiseleiterinnen und Reiseleitern des ZfL begleitet. Visuell wurde die Arbeitstagung durch die „Kommunikationslotsen“1 unterstützt, um die Ergebnisse auch im Anschluss an die Tagung allen Interessierten für die Weiterarbeit zugänglich und transparent zu machen. Begrüßung Zur Begrüßung widmete sich Professor Dr. Hans-Joachim Roth von der Universität zu Köln der Diskussion um die bildungspolitische Verkürzung der Inklusionsdebatte auf die eine Differenzlinie der sogenannten „Behinderung“. Er vertritt die Ansicht, 1 http://www.kommunikationslotsen.de. Grafiken in diesem Beitrag von Kirsten Reinhold/Kommunikationslotsen.16 Bettina Amrhein & Louisa Kürten dass das Konzept der Inklusion weit über die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen in das Allgemeinbildende Schulsystem hinausgehe. Zentrale Leitziele einer inklusiven Gesellschaft sind: • das bedingungslose Verbot jeglicher Form von Diskriminierung, • das unbedingte Recht auf Selbstbestimmung, • und das uneingeschränkte Recht auf Teilhabe. Ziel inklusiver Bildung ist somit Vermeidung von Ausgrenzungen, Zuschreibungen sowie Auf- und Abwertungen auf Grund individueller Merkmale wie Fähigkeiten, Geschlechterrollen, ethnische Herkünfte, soziale Milieus, Religionen, körperliche Be-dingungen und anderer Aspekte. Inklusion wendet sich damit der Vielfalt positiv zu mit dem Ziel, eine offene und „barrierefreie“ Gesellschaft zu gestalten. Sie akzeptiert Unterschiede und erkennt diese als Chance. Dieses breite begriffliche Verständnis von Inklusion und die aktuell stattfindenden inklusiven Bildungsreformen im deut-schen Schulsystem stellen insbesondere die Lehrerbildung vor große Herausforde-rungen. Einstimmen auf die Reise Allgemein angenommen wird, dass gute Kooperationsbeziehungen zwischen den Professionen eine zentrale Gelingensbedingung für inklusive Bildung sind. Daher bereitete die Geschäftsführerin des ZfL, Frau Myrle Dziak-Mahler, die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer mit einem Input zum Orientieren und Kennenlernen auf die bevorstehende „Reise“ vor. Unter dem Motto „take care“ gab sie ihnen mit auf den Weg, den verschiedenen aufkommenden Sichtweisen wertschätzend und zukunfts-orientiert zu begegnen. Ein Protokoll in Bildern 17 Erste Beiträge von Professor Kersten Reich und Professorin Kerstin Ziemen von der Universität zu Köln sowie Professor Tony Booth von der University of Cambridge, stimmten die Teilnehmenden zudem auf den bevorstehenden Tag ein. So präsentierte Professor Kersten Reich zunächst seine fünf Standards für Inklusion (Reich, 2012). Professorin Kerstin Ziemen beleuchtete die Frage, welche Herausforderungen Inklu-sion für die (Fach-)Didaktik birgt. Im Hinblick auf diese Fragestellung präsentierte sie drei zentrale Diskursebenen: 1. Schul- und Unterrichtsentwicklung 2. Sozialer Diskurs 3. Umsetzung internationaler Konventionen 18 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Professor Tony Booth beendete die Einstimmungsrunde mit seinem Vortrag „Curri-cula for diversity in Education“. Hier arbeitete er vor allem den Lebensweltbezug eines noch zu entwickelnden in-klusiven Curriculums heraus. Ein Protokoll in Bildern 19 Er betonte abschließend, dass sich ein Zusammenbringen unterschiedlicher kon-zeptueller Traditionen in England und Deutschland sehr produktiv auf das Curricu-lum auswirken kann. 20 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Die Reise beginnt In die erste Arbeitsphase starteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung gegen 11 Uhr mit ihren Reiseleiterinnen und Reiseleitern. In neun verschiedenen, in sich fächerhomogenen Arbeitsgruppen reflektierten sie zunächst über die Wirkung der zuvor gehörten Impulse der Expertinnen und Experten auf ihre eigene Sicht und Praxis von Inklusion. Mit der zweiten Frage widmeten sich die Arbeitsgruppen dann den Chancen und Herausforderungen einer inklusiven Fachdidaktik, um abschlie-ßend Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bezug auf die einzelnen Nennungen zu sammeln. Sehr bewusst fiel die Entscheidung in dieser ersten Arbeitsphase auf das Arbeiten in zunächst nach Fächern getrennten Arbeitsgruppen. Dieser Entscheidung lag die Annahme zugrunde, dass es womöglich zielführender sei, die Akteurinnen und Ak-teure vorerst da abzuholen, „wo sie momentan stehen“. Die Zusammenarbeit in diesen Fächergruppen ergibt, dass die Aspekte Koopera-tion und Vernetzung, Vision vs. Realität sowie die Frage nach einem ressourcenorien-tierten Herangehen an die Thematik zentral diskutiert werden. Auch hier zeigt sich in Bezug auf die eigene Fachdidaktik, dass Haltungs- wie Ressourcenfragen die ent-scheidende Herausforderung sind. Auch die Überarbeitung des eigenen Curriculums stellt eine sehr zentrale, noch zu bewältigende Aufgabe dar. Die Ergebnisse zu den Wünschen und Empfehlungen für die Entwicklung der eigenen Fachdidaktik erga-ben besonders häufige Nennungen für die Bereiche Kooperation sowie Fort- und Wei-terbildung. Ein Protokoll in Bildern 21 Mit dem Ziel, Vernetzung und Austausch auch über die einzelnen Gruppen hinaus zu fördern, stellte die Mittagspause ein wichtiges Etappenziel auf der Reise dar. So kommunizierten und reflektierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander und konnten in direkten Dialog mit den anwesenden Expertinnen und Experten tre-ten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden in ihren Tagungsunterlagen per-sönliche Visitenkarten, die sie in dieser Phase des informellen Gesprächs während der Mittagszeit und darüber hinaus miteinander austauschten. In der zweiten Arbeitsphase (Mix-Max-Gruppen) tauschten sich die Expertinnen und Experten zunächst über ihre individuellen Eindrücke und den Zugewinn für ihr Fach aus der ersten Arbeitsphase aus. Sie gingen der Frage nach, mit welchen Her-ausforderungen sie sich in ihrer Fachdidaktik konfrontiert sehen und äußerten dies-bezüglich ihre Wünsche und Empfehlungen für die Zukunft. Auch in dieser Phase wurden alle Ideen, Überlegungen und Gedanken der Gruppenmitglieder durch die jeweiligen Reiseleiterinnen und Reiseleiter schriftlich festgehalten. Folglich konnten am Ende des Tages alle Teilnehmenden die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen einsehen. 22 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Zentrale Ergebnisse dieser gemischten Arbeitsphase In allen Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass eine inklusive Haltung die Basis al-ler Veränderungen hin zu einem „Miteinander“ bildet und der Weg dorthin als ge-sellschaftlicher Prozess verstanden werden muss. Diese Erkenntnis spiegelt allerdings genauso wider, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als große Herausforderung empfinden: Inklusion als Teil einer werteorientierten Gesellschaft anzuerkennen. Akzeptanz und eine inklusive Haltung im Alltag scheinen in vielen Bereichen noch immer problematisch. Als wünschens- und empfehlenswerte Entwicklungen in den Fachdidaktiken wurden die Förderung eines institutionen- und fächerübergreifen-den Austausches sowie die Förderung von Fort- und Weiterbildungsangeboten bewertet. Was nun – was tun? Ein Ausblick Am Ende der Expertentagung stand die Frage im Raum: Wie geht es nach der Ta-gung weiter? Wie kann ich die Vielzahl an Informationen verarbeiten und für mich nutzen? Wo wird diese Reise hinführen? Auch nach der Tagung möchte das ZfL sei-ne Reiseleiterfunktion wahren und alle Interessierten an den Entwicklungen in der Lehrerbildung teilhaben lassen. Mit einem Ausblick auf die Veranstaltung Fokus Fachdidaktik sowie weiteren Tagungs- und Vortragsankündigungen endete die Rei-se Fachdidaktik inklusiv für diesen Tag. Die Beiträge des in Anlehnung an diese Ta-gung entstandenen Buches, für welches das ZfL verschiedene, an der Lehrerbildung beteiligte Autorinnen und Autoren gewinnen konnte, finden Sie nun in dieser Ver-öffentlichung. Ein Protokoll in Bildern 23 Tony Booth & Bettina Amrhein An interview with Prof. Tony Booth: Developing inclusion – a continuous process B. Amrhein: How would you evaluate actual developments concerning inclusion in the German school system? T. Booth: There is more interest in putting inclusion into practice in Germany, in schools and communities, than any other country that I know. People across the country are being very creative in thinking about making education and other aspects of German society more responsive to, and respectful of, diversity. This book is a good example of such actions. But of course, it is very difficult to discuss inclusion without agreeing what we mean by it. There is a default position that inclusion is about the participation in the mainstream of children with impairments. I have spent some decades arguing that despite its popularity this view makes little sense. Like curriculum subjects it has become institutionalised in universities for example, in the form of courses on ‘special educational needs and inclusive education’ as if they belong together. Yet the special needs view of inclusion is excluding, treating whole people, who may face all sorts of excluding pressures in education as if adjustments should be made to them only with respect to an impairment. It sits alongside other single-issue inclusions around gender, sexual orientation, and ethnicity though the parallels are rarely acknowledged. Advocacy around all single-issue inclusion is important as long as there is a willingness to join forces against all forms of discrimination so that they are not seen as in competition with each other or seen to require separate systems of support. But this is never enough if participation is to be sustained. Inclusion has to be about everyone in education, adults as well as children. Those who work in schools are rarely going to be motivated to support the participation of children if they have no sense of their own active involvement in their working lives. We also have to change systems and settings so that they are responsive to diversity in ways that value people equally. And even further we have to foster the deep beliefs that will drive inclusion. So most importantly inclusion has to be about putting into action a framework of inclusive values. I discuss this in my chapter and in the Index for Inclusion. In this way, inclusion becomes a philosophy for education, not an aspect of it. When we evaluate German education we need to ask about all these matters not just focus on the large number of breaches of the UN Convention on the Rights of Disabled People. Though it should be said that the very great majority of children excluded into special schools in Germany do not have an impairment. On the positive side this investment in one of the largest segregated sectors in Europe can be seen as savings in the bank that could be transferred to support mainstream schools to be responsive to all people within their communities.26 Tony Booth & Bettina Amrhein So inclusion in German education is complex. It involves exploring the reduc-tion of all forms of exclusion, the extent to which schools are responsive to their sur-rounding communities and the values which underpin the system. There is a partic-ular issue in Germany around what has been described to me as ‘the sacred covenant of the Gymnasium’ which means that most secondary schools are selective. But of course Higher Education tends to be relatively exclusive in all countries and those promoting inclusion have to think about that, too. B. Amrhein: Do you see any similarities compared to the situation in England? T. Booth: England has its particular excluding threads in education and society. Attitudes ex-pressed by government and popular newspapers towards new immigrants or those seeking asylum are not good. We have a worse record than Germany in accepting people from the current conflict in Syria. In terms of educational hierarchies, schools are pushed to engage in a populari-ty contest through the testing and inspection systems and this produces selection be-tween schools. There is also an encouragement for schools to divest themselves of the influence of local municipalities by becoming ‘academies’ or setting up as ‘free’ schools. We now have a national curriculum which only applies to the remaining schools, seen by government as 2nd class. So when schools which are not academies or free schools are inspected, through our privatised inspection system it has become more difficult for them to achieve the highest grades. The dominant view of education in England owes much to the global acceptance of ‘neoliberal values’ which are close to the excluding values I depict in my chapter. In Germany people might think very carefully before they go too far down the route of increasing and punitive surveillance of schools, teachers and children. They might reflect on the connection between such moves in education and the global surveil-lance that led to revelations about the tapping of Angela Merkel’s phone by the US. Both arise from an acceptance of particular values to guide action in which no one is to be trusted and means are not separately evaluated from ends. B. Amrhein: What do you think are the greatest problems in Germany in terms of developing an inclusive school system? T. Booth: I think the problems are similar for all our countries. We have to understand how schools are affected by global and national social and economic circumstances. A fi-nancial system which reproduces poverty and undermines the environment is nev-er going to be a friend of inclusion. Inclusive education policy is also about creating living conditions whereby everyone has a home they like in a neighbourhood they want to live in as well as there being good local schools for everyone. I find it en-couraging that a number of cities in Germany are at least considering what it would mean to become an inclusive city. But inclusion is always about trying to do what we Interview with Prof. Tony Booth 27 think is right at the moment in our places of work and for the settings over which we have influence rather than waiting for the global system to right itself. The Amer-ican philosopher Michael Sandel has described the process of putting our values into action as like a muscle that wastes away with disuse. And in exercising our values we need to link together with others who share them, multiplying our efforts and giving up our desires for personal glory or our fears of institutional death when we have to change the cherished titles of our courses. B. Amrhein: Is there any European country or a country around the world that is, in your opinion, on “the right track”? T. Booth: In every country there are people who are pushing and pulling in the direction of greater inclusion with whom to make common cause and with whom we can gain an understanding of what needs to be done. In every country there are people on the right track according to my values. Many of these people live nearby so we do not have to travel far to find people with a wealth of ideas. That’s why I stress the re-sources that exist in all schools and their surrounding communities for developing inclusion. I am not a great fan of league tables, but course, there are countries where human rights abuses are more flagrant than in others and places where years of con-flict have eroded hope for a better future for adults and children. But alongside crit-icising the worst features of other countries it is wise to think what parallels exist in one’s own country. So when I heard that child soldiers in Uganda were made to kill members of their own communities and tried to understand how this could possi-bly happen, I reflected on how we allow the mistreatment of old people in my own country in homes for the elderly and hospitals as revealed in a number of scandals in the last years. This too is a kind of extreme self-harm. B. Amrhein: In terms of an inclusive curriculum: What are the main things to change within the school system? T. Booth: We need to recognise that we learn from the way schools are organised, and the na-ture of relationships within them and with their surrounding communities and envi-ronments as well as the content of more formal teaching and learning activities and the way these are conducted. In the Index for Inclusion I have addressed all these as-pects. I have followed through the implications of inclusive values for all elements of a school. We teach powerful lessons by making schools places that model how we want to live together in our societies. Schools currently teach a curriculum so outmoded that its function in sorting people has become even more emphasised than previously. We pretend that by com-paring levels of attainment between countries in literacy, mathematics and science in OECD’s PISA tables we are saying something about their relative potential for eco-nomic performance. Yet if we really wanted to make accessible to all children the 28 Tony Booth & Bettina Amrhein knowledge and skills needed for them all to be economically innovative in our socie-ties we would start from a curriculum which more closely reflects their lives and fu-tures and gives them greater control over them; something closer to the curriculum that I have set out in my chapter. B. Amrhein: What is an inclusive curriculum in your opinion? T. Booth: What I mainly want to reinforce is that any highly prescriptive curriculum cannot be inclusive because it insufficiently reflects the creativity and interests of children and adults. So I am not trying to replace an old with a more modern prescription. A curriculum is a way of dividing up knowledge, and I am proposing a resource, a framework for exploration, with explicit origins. Some people argue that teaching and learning activities should be built entirely on the interests of children as if the world of knowledge can be rediscovered anew by each generation. But without con-sideration of strongly reasoned alternatives to dominant ways of dividing knowledge a child-centred curriculum in otherwise democratic schools, is likely to reproduce a traditional curriculum eventually. B. Amrhein: What does the implementation of an inclusive curriculum mean for teacher education? T. Booth: If we agree with them, the inclusive principles that we apply to schools need to be applied in teacher education and its institutions. As well as being prepared for pro-moting inclusive cultures, policies and practices in schools and their communities, teacher education students need to learn through approaches and settings that are also moving towards inclusion. We need to break down the separation between fac-ulty and students, so that they share in learning and research opportunities. I am tempted to say that the division between knowledge and experience, theory and practice, is particularly marked in Germany, but it is certainly an issue shared by ed-ucators in England. There is often a high status attached to work in education de-partments that has little relevance or accessibility for working teachers. We need to mount a robust challenge to the idea of evidence-based practice and the gold standard of randomised controlled trials that involve expensive research projects with limited applicability and fragile results dependent on the particular contexts in which they are derived. They mimic hard science yet fail to apply the simplest empirical observation that they do not (and cannot) produce robust find-ings. For me policy and practice are led by values and informed by evidence and ex-perience. Inclusion requires a challenge to the special needs education which reduces the idea of inclusion from a principled approach to the development of education and society to a technology for adjusting schools and children seen as impaired or oth-erwise deficient as I and colleagues such as Susan Hart have long argued. The con- Interview with Prof. Tony Booth 29 tinued separation of special and mainstream teacher education reinforces the role of special needs education in perpetuating segregating practices in the mainstream. B. Amrhein: What does an inclusive curriculum mean for collaboration between profession-als? T. Booth: We need to rethink how we deploy the people who are available to support schools to respond in inclusive ways to the diversity of the children and adults within them and the communities that surround them and of which they are part. Teaching and learning with diversity, inclusive pedagogy draws inspiration from many generations of educators who have shared a common purpose. As teacher education is reconsid-ered so that it better supports the education of all within communities, it needs to build closer connections with health, social and community work. And there should be a stronger recognition of the resources for inclusion that lie outside the profes-sions within children, their families and others in neighbouring communities as well as in other schools. New networks are being formed through the internet and these will also have an impact on the nature of collaboration to improve our schools and curricula. B. Amrhein: In 20 years, how will we know that we now made the right decisions for an inclu-sive school system? T. Booth: Inclusion is a continuous moral process. I know there is some hesitation to describe it as such in Germany. But the antidote to being swept along by hidden values is to make them explicit and take responsibility for what they mean in action. I find chill-ing the idea that the pursuit of efficiency rather than humanity is seen by many as the essential driving force for education. So over the next twenty years we have no choice but to continually struggle to make the right decisions. The more fearful pros-pect is that we will look back and say we did not face up to the challenges present-ed within our societies now, that we tinkered at the margins, and left the solutions to those who would create metaphorically and literally gated and walled communities to protect a narrow range of interests. Cambridge/Cologne, 30. October 2013 Bettina Amrhein & Kersten Reich Inklusive Fachdidaktik Abstract Mit der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland zu einem „inclusive education system at all levels“ verpflichtet (UN 2006, Article 24). Mit dieser rechtlichen Vorgabe stellt sich auf der Ebene der Schul- und Unterrichtsentwicklung die Frage nach pädagogisch-didaktischen Konzeptionen in inklusiven schulischen Settings. Kersten Reich und Bettina Amrhein heben vier Aspekte hervor, die für die Grundlegung einer noch zu entwickelnden inklusiven Didaktik wesentlich sind. (1) Sie beschreiben notwendige Standards einer chancengerechten Didaktik. (2) Sie zeigen auf, weshalb Beziehungen und Haltungen hierbei entscheidend sind. (3) Sie geben Rahmenbedingungen der Inklusion an, die hierbei erforderlich werden und (4) sie nähern sich einer möglichen Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht an. Eine inklusive Didaktik ist in Deutschland erst noch im Entstehen. Eine erste Version legt Reich (2014) mit einem Ansatz vor, der konsequent auf neueren konstruktivistischen Lehr- und Lerntheorien aufbaut. Dieser Ansatz ist stark am englischen Sprachraum und an internationalen Entwicklungen orientiert. Inklusive Didaktik wird hier meist unter den Stichwörtern inclusive teaching oder inclusive education entwickelt, wobei gegenüber der deutschen Situation vier markante Unterschiede in sehr vielen Ländern, die bereits in der Inklusion fortschrittlich im Sinne einer hohen Inklusionsquote arbeiten, auffallen: 1) Inklusive didaktische Ansätze sind in solchen Ländern überwiegend lerntheoretisch begründet und folgen hier neueren Ansätzen der pädagogischen Psychologie, die von der Methodologie her konstruktivistisch ausgerichtet sind (vgl. Ormrod, 2004, 2006; Slavin, 2006; Woolfolk, 2008). Die lerntheoretische Orientierung wird in der Ausbildung aller Erzieherinnen und Erzieher und Lehrkräfte von der KITA bis zur Hochschule breit genutzt und methodologisch in konstruktivistischer Orientierung vertreten.1 Didaktik wird dabei nicht überwiegend inhaltlich aufgefasst, wie es in der deutschen Tradition bis heute vor allem auch in den Fachdidaktiken üblich ist, sondern deutlich breiter in Richtung auf gelingende Beziehungen, Kommunikation und Kooperation in einer partizipativen Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden theoretisch wie praktisch entwickelt. 2) Ein weltweit vorherrschender möglichst langer Schulbesuch aller Lernenden erfolgt nach klaren Standards, die einer Diskriminierung vorbeugen sollen. Solche Standards definieren eine chancengerechte Teilhabe, die unabhängig von ethnokulturellen Unterschieden, Geschlecht, Lebensorientierung, sozio-ökonomi1 Dabei gibt es den Begriff Didaktik weniger, sondern in der Regel Begriffe wie Unterricht, Lernen (in verschiedenen Formen und Ansätzen), Lernumgebung, Erziehung usw. 32 Bettina Amrhein & Kersten Reich schem Status und Behinderung sein sollen (vgl. Reich, 2012b). Vor dem Hinter-grund der Menschenrechte wird der Inklusionsbegriff dabei breit aufgefasst und nicht nur auf die Bedürfnisse von Behinderten bezogen. Aus einer internationa-len Sicht verstößt das deutsche Schulsystem gegen Inklusion bisher insbesonde-re durch kostenpflichtige Kindergärten und nicht hinreichend qualifizierte Erzie-herinnen und Erzieher, eine frühe Selektion bereits nach der Grundschule, ein Sonderschulwesen, das Exklusionspraktiken festschreibt und sich als wenig effek-tiv für höhere Schulabschlüsse und gerechte Chancen erwiesen hat, insbesondere aber dadurch, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg so stark wie in keinem anderen Industrieland wirkt.2 Mit dem Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention hat sich auch Deutschland verpflichtet, Inklusion in Zukunft insbesondere für Menschen mit Behinderung wie auch für die anderen benachteiligten Gruppen – also auch und vor allem aufgrund von Armut, Ge-schlecht (und sexueller Orientierung) sowie Migration – zu ermöglichen und in naher Zukunft gemeinsamen Unterricht für alle Heranwachsenden in heteroge-nen Gruppen anzubieten. Heterogenität im Schulsystem dient dabei dem Ziel, be-nachteiligten und behinderten Menschen besonders zu helfen, ohne dass dabei leistungsstarke Heranwachsende übergangen werden (vgl. z.B. Degener, 2009). 3) Inklusion kann nur in einem ganzheitlich aufgefassten Erziehungs- und Bil-dungssystem hinreichend gelingen, was eine konzeptionelle Orientierung über alle Formen (vom Kindergarten bis in die Hochschulen) und Lebensalter hin-weg in möglichst einer Verantwortlichkeit (international sind hier meist die loka-len Kommunen zuständig) erforderlich macht. Der deutsche Föderalismus, insbe-sondere aber die Zersplitterung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Blick auf Schulen, führt dazu, dass zu wenig die Selbstverantwortung vor Ort, die Freiheit und Flexibilität der lokalen Schulen, die Unabhängigkeit und kritische Evaluation der Erfolge vor Ort im Zentrum stehen, sondern eine Bürokratie des Geht-Nicht bei gleichzeitiger Verknappung von Ressourcen vorherrschen. 4) Die Fachdidaktiken stehen vor der Herausforderung, Inklusion auch in den Schulfächern zu ermöglichen. Dabei stehen sie in einem Spannungsverhältnis, das in Deutschland besonders extrem ausfällt: Einerseits sind sie an den Inhal-ten und Methoden der Fachwissenschaften ausgerichtet, die traditionell in der deutschen Lehramtsausbildung dominieren und deren didaktischer Anteil im Vergleich zum Ausland deutlich geringer ausfällt. Andererseits sollen sie in allen Schulfächern Theorien und Praktiken entwickeln, die auf eine heterogene Schü-lerschaft passen, obwohl die fachbezogene wissenschaftliche Ausbildung sich eher am Nachabiturstoff und den schwierigen wissenschaftlichen Fragen orientiert, so dass die Lehrkräfte in hoher Eigenleistung eine Elementarisierung und Didakti-sierung ihrer Fachkenntnisse persönlich anstreben müssen. Dies überfordert die Lehrkräfte nicht selten schon im herkömmlichen Unterricht, wird jedoch in der Inklusion zu einer besonderen Schwachstelle des Systems. 2 Dies sind wesentliche Kritikpunkte, wie sie im Bericht des UN-Sonderberichterstatters Vernor Muñoz bereits 2006 festgehalten wurden. Eine genaue und umfassende Analyse zu Chancengerechtigkeit findet sich in Reich (2013). Inklusive Fachdidaktik 33 Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung von inklusiven Fachdidaktiken kei-ne einfache Aufgabe. Es verwundert nicht, dass diese bisher besonders gut im eher überschaubaren Inhaltsbereich der Grundschule mit vielen fachübergreifenden As-pekten gelingt. Hier besteht bereits der heterogene Erprobungsraum einer Schule für alle ohne äußere Differenzierungen, wie es die Inklusion für alle Schulstufen er-fordert. Nachfolgend wollen wir insbesondere vier Aspekte hervorheben, die für die Grundlegung einer inklusiven Didaktik und konkrete Umsetzungen wesentlich sind. (1) Wir beginnen mit den notwendigen Standards einer chancengerechten Didaktik. (2) Wir zeigen auf, weshalb Beziehungen und Haltungen hierbei entscheidend sind. (3) Wir geben Rahmenbedingungen der Inklusion an, die hierbei erforderlich wer-den. (4) Wir nähern uns einer möglichen Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht an. 1. Inklusive Standards Eine inklusive Fachdidaktik kann nicht isoliert operieren, sondern macht nur Sinn in einem ganzheitlich orientierten inklusiven Modell. Dieses ist grundsätzlich vom Willen getragen, die Chancengerechtigkeit im Erziehungs- und Bildungssystem zu erhöhen und Diskriminierungen zu vermeiden. Insbesondere die fünf Standards der Inklusion (ethnokulturelle Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Antihomopho-bie, Gerechtigkeit für Menschen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status und mit Behinderung) (vgl. dazu Reich, 2012b, 48ff.) sind dabei umfassend zu beachten. Die inklusive Schule geht auf Verpflichtungen im Blick auf die Standards der Inklusi-on ein, indem sie vor allem ein inklusives Leitbild partizipativ mit allen Beteiligten entwickelt, die Kommune mit einbezieht (vgl. Montag Stiftung, 2011), für die Auf-nahme einer heterogenen Schülerschaft sorgt, die Lehrpläne und Unterrichtsinhal-te entsprechend der unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler/innen aufberei-tet, Wissen über Inklusion und Inklusionsprozesse an alle Beteiligten, insbesondere die Lehrkräfte, vermittelt, Hindernisse gegen die Durchsetzung von Chancengerech-tigkeit in der Schule identifiziert und Pläne erstellt, um diese zu beseitigen. Sie ver-hält sich in der eigenen Personalentwicklung inklusiv, bezieht die Eltern umfassend mit ein, erkämpft möglichst gute Ressourcen und klagt Versäumnisse ein. Die in-klusive Fachdidaktik steht dabei in der besonderen Rolle, sich einerseits mit den Fachwissenschaften und ihrem Hang zu immer größerer Spezialisierung und Ver-wissenschaftlichung, auch des Lehramtsstudiums, kritisch auseinanderzusetzen, an-dererseits hinreichend Lern- und Kommunikationstheorien, Verfahren pädagogisch-psychologischer Diagnostik, Modelle guter Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht, ebenso einzubeziehen wie Methoden der Differenzierung, Beratung und Beurteilung. Aus internationalen Erfahrungen mit effektiv durchgeführter In-klusion wissen wir, dass dies besonders dann gut gelingen kann, wenn die pädagogi-schen und psychologischen Grundlagen an die Seite der fachlichen treten und ihnen nicht durchgehend nachstehen. 34 Bettina Amrhein & Kersten Reich 2. Inklusive Fachdidaktik benötigt Beziehungen und Haltungen als Ausgangspunkt von Inklusion3 Die inklusive Didaktik ist immer auch eine Beziehungsdidaktik (vgl. dazu Reich, 2012a). Sie geht von der Einsicht aus, dass Lehrende in ihren Beziehungen mit den Lernenden, wie auch die Lernenden in ihren Beziehungen untereinander, hauptsäch-lich zum Erfolg einer gelingenden Schule beitragen. Von positiven Beziehungen, die den Selbstwert, die Selbstbestimmung und -verantwortung stärken, hängt es immer wieder entscheidend ab, wie erfolgreich Lernende in der Schule agieren und sich entwickeln. Diese empirisch umfassend erforschte These (vgl. Hattie, 2012, S. 22ff.) sollte auch in einer inklusiven Fachdidaktik fokussiert werden. Der Unterrichtser-folg ist in starkem Maße von den Haltungen und Erwartungen der Lehrkräfte abhän-gig. Besonders wichtig ist es hier, dass sie gezielt auf den Fortschritt aller Lernenden im Unterricht achten, dabei die Effekte ihres Unterrichts stets beobachten und erhe-ben, um Mängel sofort zu beseitigen (vgl. ebd., S. 23). Erfolgreiche Lehrende füh-ren grundsätzlich gute Beziehungen mit den Lernenden und dem Lehrteam. Sie sind engagiert, achten auf die emotionale Qualität von Beziehungen und das Lernklima, haben aber auch ein gutes Verständnis von den Lerngegenständen, die sie anschau-lich und in ihren wichtigen Punkten zielorientiert und strukturiert vermitteln (ebd., S. 24ff.). In der inklusiven Fachdidaktik sind solche Erfordernisse immer idealty-pisch konstruiert, aber sie zeigen ein Leitbild an, an dem sich sowohl Studien- als auch Personalauswahl künftig stärker orientieren müssen. Berühmt ist die deutsche Fachausbildung in den wissenschaftlichen Fächern, die auf die Schulfächer abgebil-det werden. Aber fachwissenschaftliche Kenntnisse, die in den Schulfächern zum Einsatz kommen, werden in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern deut-lich überschätzt. Sie sind von geringerer Bedeutung, als vielfach angenommen wird. „Trotz der scheinbaren Plausibilität der Behauptung gibt es keine breit be-gründeten Beweise, um sie zu verteidigen. Wenn es eine große Anzahl und einen konsistenten Belegbereich von Studien gäbe, die die Kraft der Bedeu-tung des Fachwissens und pädagogischen Wissens im Blick auf die daraus fol-gernden Lernergebnisse der Schüler/innen nachwiese, dann wären diese Bele-ge stets zitiert und nicht schwer zu erreichen.“ (Hattie, 2009, S. 113) Es gibt Untersuchungen, wie die von Ahn und Choi (2004), die z.B. herausfanden, dass es nur einen sehr geringen Zusammenhang zwischen mathematischer Fach-kenntnis und Lernerfolgen von Schülerinnen und Schülern bei Lehrenden in Relati-on zu diesen Kenntnissen gibt. Damit wird deutlich, dass ein bevorzugter Weg über das Fachwissen nicht erfolgreich sein kann, wenn Schule gelingen soll. Dies gilt auch für ein spezialisiertes pädagogisches Fachwissen. Eine inklusive Fachdidaktik benö-tigt hingegen ein wirksames Handlungswissen, für das insbesondere drei Aspekte maßgebend zu sein scheinen: 3 Der nachfolgende Textteil entnimmt Argumentationen aus Reich (2014, Kapitel 4.1). Inklusive Fachdidaktik 35 1) Lehrkräfte müssen in der Inklusion ihre eigenen Erfahrungen mit Schule aus ih-rer Schulzeit ablegen und überwinden, weil sie überwiegend exklusive Praktiken erlebt haben. Sie müssen aktiv an einem neuen, inklusiven Welt- und Menschen-bild arbeiten, das ihnen eine fördernde Haltung ermöglicht, die für alle Lernen-den persönliche Exzellenz anstrebt, und für den gemeinsamen Unterricht ein hinreichendes Bewusstsein für Differenzierungen ermöglicht. 2) Lehrkräfte verlieren ihren autonomen Status als Hauptbezugsperson in der Klasse und werden notwendig zu Teammitgliedern. Sie sind in der Lage, sich in multi-professionellen Teams einzubringen und Unterricht gemeinsam mit anderen vor-zubereiten, differenziert zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Es ist em-pirisch umfangreich nachgewiesen, dass die Lernenden in Teams deutlich bessere Ergebnisse erzielen (vgl. Hattie, 2012, S. 186f.). 3) Lehrkräfte müssen Widersprüche zwischen Fachwissen mit hohem stofflichem Druck im Unterricht und pädagogischer Grundlegung des Handelns positiv be-wältigen. Vom Fachwissen her scheinen alle Schülerinnen und Schüler gleich be-handelt werden zu können, von ihren Voraussetzungen und Bedürfnissen her aber sind sie unterschiedlich. Nur Lehrkräfte, die umfassend gelernt haben, wie sie für eine heterogene Lerngruppe relevanten Stoff differenzierend und für alle Lernenden effektiv vermitteln können, werden in der Lage sein, inklusive Anfor-derungen wirksam und hinreichend gerecht zu bewältigen. 3. Rahmenbedingungen einer inklusiven Didaktik Inklusion benötigt inklusionsförderliche Strukturen, wenn sie gelingen soll. Aus der Sicht der inklusiven Didaktik (vgl. z.B. Peterson & Hittie, 2010; Reich, 2014) gehören dazu z.B. folgende Aspekte: • Eine inklusive Schule ist eine Schule, die Diversität schätzt und Heterogenität bei den Schülerinnen und Schülern erwartet und als Chance zu persönlichen Ent-wicklungen sieht. Die Schule sollte auch versuchen, sich in der Kommune/dem Stadtteil mit der vorhandenen Diversität zu beschäftigen bzw. Brücken in die äu-ßere Lebenswelt zu schlagen. Als chancengerechte Schule sieht sie sich auch als demokratische Schule, in der mittels Klassenrat und parlamentarischen Formen alle an Entscheidungsprozessen partizipativ in einer Demokratie im Kleinen betei-ligt werden. Eine inklusive Schule fordert in einer Gesellschaft, die stark exkludie-rend ist, Ungehorsam heraus, den wir nutzen sollten, eine Schule für alle zu ge-stalten (vgl. Stähling & Wenders, 2011). • Die Schule entwickelt sich als Teamschule in positiven sozial-emotionalen Bezie-hungen und ermöglicht im Ganztag umfassende Erziehungs- und Bildungsprozes-se auch jenseits (ungünstiger) häuslicher Verhältnisse. • Die inklusive Schule versucht die Unterrichtsräume so umzugestalten, dass ein Lernen in sehr unterschiedlichen Sozial- und Aktionsformen möglich wird. Je 36 Bettina Amrhein & Kersten Reich nach Lage der Dinge sollten dazu Raumgrenzen aufgelöst, Räume zusammenge-legt, Zwischenräume genutzt werden (vgl. Beispiele in Montag Stiftung, 2012). • Inklusive Fachdidaktik hat das Ziel, alle Lernenden zu höchster persönlicher Ex-zellenz und zu bestmöglichen Abschlüssen (auch Empfehlungen für weiterführen-de Schulen) zu bringen. • Eine förderliche Lernumgebung wird didaktisch geplant, gestaltet und in ihren Wirkungen kontinuierlich evaluiert. • Der Unterricht wird didaktisch inklusiv aufbereitet, was nur mittels einer inklu-siven Didaktik gelingen kann. Eine solche Didaktik (vgl. Reich, 2014) löst den Gleichschritt und gleiche Ziel- und Rangvorstellungen auf der Basis durchschnitt-licher Vergleiche von Schülerinnen und Schülern auf und individualisiert nach den diagnostisch ermittelten und reflektierten Unterschieden und Interessen der Lernenden. Ausgangspunkt sind Basisqualifikationen für alle in der bestehenden heterogenen Lerngruppe, die individuell erweitert werden. • Die Beurteilung wird auf Zielvereinbarungen umgestellt, in denen die Vorausset-zungen der Lernenden eingehen, individuelle Ziele vereinbart und kontrolliert werden, kontinuierliches Feedback über Lernfortschritte festgehalten und doku-mentiert werden (vgl. Reich, 2012a, S. 297ff.). Ein solches Verfahren kann auch für die Feststellung von Förderbedarf genutzt werden. • Inklusion bedarf der durchgehenden Evaluation und einer Supervision und Bera-tung durch externe Expertinnen und Experten, um das Erreichte zu dokumentie-ren und kontinuierliche Verbesserungsprozesse zu initiieren. 4. Rolle der sonderpädagogischen Förderung Obwohl wir uns bei der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik an einem internationalen begrifflichen Verständnis von Inklusion orientieren, welches nicht auf die eine Heterogenitätsdimension der sogenannten „Behinderung“ fokus-siert ist, nimmt die Frage nach der Rolle der sonderpädagogischen Förderung im in-klusiven Unterricht, nicht zuletzt auch aufgrund der vielfältigen bildungspolitischen Aktivitäten rund um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Land, eine sehr zentrale Rolle ein. Daher soll diese Dimension im Rahmen unseres Textes etwas mehr Raum bekommen. Grundfragen der Ausrichtung sonderpädagogischer Förderung Zahlreiche Autorinnen und Autoren beschäftigen sich aktuell mit der Frage, wie eine zeitgemäße sonderpädagogische Förderung aussehen kann, die sich mit den Stan-dards inklusiver Bildung (Reich, 2012b) in Übereinstimmung bringen ließe. All-gemein kann durch die inklusiven Bildungsreformen im Land von einer starken Verunsicherung im sonderpädagogischen Selbstverständnis gesprochen werden. Christian Lindmeier spricht in einem Aufsatz von zwei widerstreitenden Paradigmen – das der besonderen Lern- und Entwicklungserfordernisse und das der Teilhabe Inklusive Fachdidaktik 37 und Inklusion als Menschenrecht (Lindmeier, 2012). Dabei besteht u.a. das grund-sätzliche Dilemma der Sonderpädagogik in den aktuellen inklusiven Bildungsrefor-men darin, dass Konzepte einer inklusiven Pädagogik eine äußerst kritische Positi-on zu allen administrativen Prozessen von Etikettierung einnehmen, denn sie halten sie für einen Ausdruck von Diskriminierung, der die Teilhabe am öffentlichen Leben mindert. So lehnt eine inklusive Pädagogik neben individuellen Curricula auch Be-griffe wie Lernstörung und geistige Behinderung ab und strebt ein schooling without labels an (Campbell & Trotter, 2007). Unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Lernenden strebt inklusive Pädagogik die Bekämpfung diskriminierender Hal-tungen, die Schaffung wertschätzender Gemeinschaften, die Verwirklichung einer Pädagogik für alle ebenso wie die Verbesserung der Qualität und Effektivität der Pä-dagogik für den Mainstream der Lernenden an (Lindmeier, 2012, S. 38). Andreas Hinz übte in Anlehnung an die deutlich früher geführte Diskussion um inklusive Bildung im angloamerikanischen Sprachraum schon 2002 Kritik an den so-genannten Förderplänen. Da diese in der Praxis häufig exklusiv von Sonderschul-lehrerinnen und Sonderschullehrern geschrieben würden, sei nach seiner Ansicht davon auszugehen, dass diese letztlich doch eher von Defiziten ausgingen, auf ei-ner eher linearen Vorstellung von kleinschrittigem Lernen basierten, die Verteilung von Aktivität und Passivität zwischen Förderern und Geförderten einseitig festlegten und somit den Prozess des gemeinsamen Lernens eher behinderten, indem sie sehr stark personenzentriert seien. Unter diesen Gesichtspunkten seien sie eher kontra-produktiv für Inklusion (Hinz, 2002). Hier wollen wir anfügen, dass sich an vielen Standorten die Arbeit mit den Förderplänen in den letzten 10 Jahren stark weiterent-wickelt hat und oft nicht mehr allein durch die Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung erstellt wird. Die Kritik am Paradigma der besonderen Lern- und Entwicklungsförderung ver-weist auf ein Grundproblem des personenbezogenen bildungspolitischen Legitima-tionsbegriffs „sonderpädagogischer Förderbedarf “, da dieser nicht ausreichend be-rücksichtigt, dass die sogenannte Behinderung in der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO als ein Merk-mal einer Handlungssituation aufgefasst wird und nicht mehr als ein Merkmal ei-ner Person (Lindmeier, 2012). Auch machen Forschungsergebnisse aus dem eng-lischsprachigen Raum deutlich, dass sich das Bilden sogenannter pseudo-homogener Lerngruppen (in unterschiedlichen Schulformen) nachteilig auf die Lernleistung aus-wirken kann. So konnte nachgewiesen werden, dass oft eine als ability labelling be-kannte Praxis die Sicht der Lehrkräfte auf Schülerinnen und Schüler formt und ihre Erwartungen an die Lernleistungen dieser Kinder limitiert. Die Lehrkräfte stimm-ten dann ihren Unterricht auf diese reduzierten Erwartungshaltungen ab und gin-gen unterschiedlich mit Kindern um, die sie als bright, average or less able titulier-ten (Riecke-Baulecke, 2012; Borns, 2012; Dubs, 2012; Klein, 2012). Die Schülerinnen und Schüler lernten dann, sich diesen Erwartungen entsprechend zu verhalten (Fa-ber, 2012; Klein, 2012; Breinl, 2012). Schon 1993 schlug Uditsky den umgekehrten Weg vor. Statt individuelle Curri-cula in individuellen Förderplänen festzulegen, wird ein gemeinsames Curriculum 38 Bettina Amrhein & Kersten Reich für alle entwickelt, das unter verschiedenen Aspekten in Teilbereichen individuali-siert werden muss, damit alle Beteiligten sinnvoll mit und an ihm lernen können – aufgrund von spezifischen Kommunikationswegen, Erstsprachen, kulturellen Hinter-gründen etc. (Uditsky, 1993). Wenn wir dieser Idee eines zunächst für alle gültigen Curriculums folgen, welches dann erst vor dem Hintergrund individueller Entwick-lungslagen von Lehrkräften flexibel und differenziert entwickelt wird, stellt sich die Frage, inwieweit sich eine mögliche neue Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht definieren ließe. Auch hier hat Andreas Hinz bereits vor 10 Jahren auf eine mögliche Richtung sonderpädagogischer Förderung aufmerksam gemacht, wenn er vorschlägt, dass In-klusion nicht den Inklusionspädagogen oder die Inklusionspädagogin braucht, son-dern eher verschiedene pädagogische Professionen (Schul-, Sonder-, Sozialpädago-gik) mit ihren spezifischen – allerdings im Hinblick auf das gemeinsame Lernen in heterogenen Gruppen deutlich veränderten – Blickwinkeln (Hinz, 2002). Hinter die-sem Vorschlag verbirgt sich die Überzeugung, dass erst die vorhandenen Spannungs-felder aus verschiedenen Perspektiven einen weiten Blick auf inter- und intraindi-viduelle Verschiedenheiten und Unterschiede ermöglicht (Largo, 2010). Schon vor zehn Jahren machte er damit den Vorschlag, dass eine veränderte, integrationsunter-stützende Sonderpädagogik auch in einem inklusiven Umfeld gebraucht wird – als gemeinsam beratende und als gemeinsam unterrichtende Berufsrolle, die einen klar zugewiesenen und hinreichenden Zeitrahmen benötigt. In einer kürzlich erschienenen Studie zu Inclusion in Canada (2013) hat An-dreas Köpfer die Berufsrolle des Methods & Resource Teams näher untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Rolle eine vollständige Neudefinition der sonderpädagogischen Rolle erfordert und nicht als bloße Neubesetzung verstanden werden kann (ebd.). Damit sie nicht in den Aufbau bloß „additiver Strukturen“ (Hinz, 2006, S. 156) mündet, ist es notwendig, dass sie sich vom Spektrum allein sonderpädagogischer Zuständigkeiten löst. Sie fungiert besser als Reflexionsfläche für didaktisch-methodische Fragestellungen von Lehrpersonen sowie als koordina-tive und kommunikative Rolle zur Kreation einer Professional Learning Communi-ty im Sinne inklusiver Schulorganisation (Köpfer, 2013, S. 232ff.). Als Fazit hält er fest, dass sich die kanadische inklusive Schulpraxis4 weder durch eine allumfassende inklusive Didaktik auszeichnet, noch ein hohes Maß an offenen Unterrichtsformen aufweist, „sondern letztlich eine Balance aus individuellen und gemeinschaftlichen Lernphasen, sowie offenen und geschlossenen Unterrichtsformen implementiert hat, die auf Basis einer pragmatisch-flexiblen Classroom Practice umgesetzt wird“ (ebd.). Ein Hauptcharakteristikum der dort beobachteten Unterrichtspraxis stellte die perso-nelle Unterstützungsstruktur für die Lehrpersonen dar. Dabei wird ein enger Zusam-menhang gesehen zwischen der Herausforderung der Unterrichtung einer heteroge-nen Schülerschaft und dem Maß an benötigter Unterstützung für die Lehrperson, um dieser Aufgabe gerecht zu werden (Köpfer, 2013, S. 229). 4 Hier bezieht er sich nur auf die drei von ihm untersuchten Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island und Quebec. Inklusive Fachdidaktik 39 Bei dieser Einschätzung ist allerdings zu beachten, dass im angloamerikanischen Sprachraum ohnehin eher die inklusive Haltungsfrage diskutiert wird und anstelle einer Didaktik umfassend Grundlagen der pädagogischen Psychologie genutzt wer-den. Für Deutschland hingegen erscheint im Sinne der bisherigen allgemeinen Di-daktik die Forderung nach einer besonderen inklusiven Didaktik (Reich, 2014) durchaus als sinnvoll. Der Verweis auf das kanadische Schulsystem soll auch nicht mit der Schlussfolgerung verbunden werden, die Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung in einem inklusiven Unterricht zu reinen Unterstützerinnen und Unter-stützern der Regelschullehrkraft zu machen. Ein solcher Vorschlag würde Untersu-chungsergebnisse zur Teacher Assistance ignorieren, die nachweisen konnten, dass durch die Präsenz und das Einwirken eines Teaching Assistants unterdurchschnittli-cher akademischer Fortschritt leicht entstehen könnte (Blatchford et al., 2011). Im Zusammenhang dieses Buches steht die Frage im Raum, wie sich in einer in-klusiven Fachdidaktik das herstellen lässt, was mit Verweis auf Andreas Hinz weiter oben als die Kooperation der Professionen bezeichnet wurde. Ganz allgemein wollen wir hier betonen, dass die sonderpädagogische Expertise für die Umsetzung der in-klusiven Schule zwar ein wichtiger Ausgangspunkt ist, sich aber im Sinne der Stan-dards der Inklusion und vor allem inklusiver positiver Erfahrungen auf internatio-naler Ebene deutlich zu verändern hätte. Die von vielen befürchtete Abschaffung der Sonderpädagogik halten wir für übertrieben, aber eine Neuausrichtung nach erfolg-reichen inklusiven Modellen zugleich für notwendig. Als Herausforderung gibt es vor allem drei Aspekte: 1) Die Sicherung einer inklusiven Lehramtsausbildung für alle Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen. 2) Grundlagenforschung und Beratungsangebote für alle in den inklusiven Stan-dards genannten Bereiche. 3) Vermeidung einer Reduzierung der Sonderpädagogik nur auf Lehrerbildung, weil das Aufgabenfeld über die Schule hinausreicht. Heinrich, Urban & Werning (2013) unterscheiden in ihrer Expertise zwei grundle-gend differente Muster der Implementierung inklusiver Prozesse: Eine erste Grundform basiert auf einer Rekonstruktion der vormals in Sonderin-stitutionen lokalisierten Sonderpädagogik in der allgemeinen Schule. Inklusion defi-niert sich hier primär über eine Zugehörigkeit auch von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu der jeweiligen allgemeinen Schule. In der praktischen Umsetzung dieser Form gemeinsamen Lernens kommt es jedoch häufig nicht zur Auflösung der getrennten Zuständigkeitsbereiche von Regelschullehrkräf-ten und Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung. Die zweite Grundform der Realisierung einer inklusiven Schule basiert hingegen primär auf einer Integration von Prozessen sonderpädagogischer Förderung in ei-nen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler, „der didaktisch so aufgebaut ist, dass er einen effektiven Kompetenzerwerb bei heterogenen Lerngruppen ermög-licht“ (Heinrich et al., 2013, S. 81). Diese zweite Grundform nutzt sonderpädago-gische Ressourcen primär im Kontext von Teamstrukturen und bezogen auf Unter- 40 Bettina Amrhein & Kersten Reich richtsprozesse und pädagogische Interventionen, die sich im Interaktionssetting der Lerngruppe vollziehen. Die Autoren machen auch deutlich, dass der aktuelle Stand der empirischen Forschung zeigt, dass es nicht den einen richtigen Weg bzw. das eine richtige Or-ganisationsmodell der Förderung aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpäda-gogischem Förderbedarf in der inklusiven Schule gibt und merken an, dass dies zu-künftig sehr sorgfältig untersucht werden muss. Die Frage besteht allerdings auch, warum die deutschen Verhältnisse gegenüber denen des erfolgreichen Auslands so konservativ im Blick auf die Möglichkeiten der Inklusion ausgelegt sind. Die Au-toren betonen immerhin auch, dass inklusive Bildung, wenn sie als zentrales Ziel die Partizipation aller in einer demokratischen Gesellschaft verfolgt, das zweite Mo-dell bevorzugen muss. Sie stützen sich dabei u.a. auf John Hattie (2009, 2012), der in seiner Meta-Analyse zeigen konnte, dass ein Mainstreaming-Setting (eine Schule für alle) für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Formen sonderpädago-gischen Förderbedarfs im Hinblick auf unterschiedliche Fächer und Kompetenzbe-reiche und in verschiedenen Klassenstufen jeweils bessere Lernerfolge als das Ver-gleichssetting zeigen kann (Heinrich et al., 2013, S. 81). Ein weiteres Beispiel für diese zweite Grundform der Realisierung einer inklu-siven Schule findet sich bei L. Florian und K. Black-Hawkins (Florian & Black- Hawkins, 2010). Sie machen einen interessanten Vorschlag, den sie „The inclusive pedagogical approach“ nennen und grenzen diesen bewusst von einem „individua-lised approach to inclusion“ ab. Unter ihrem inklusiven Ansatz verstehen Florian und Black-Hawkins eine Praxis der Unterrichtsentwicklung, die sich gegen die stigmati-sierende Einteilung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne zusätzlichen Un-terstützungsbedarf wendet. Diesem Ansatz steht aus Sicht der beiden Wissenschaft-ler der „additional needs approach to inclusive practice“ kontrastiv gegenüber, der in etwa mit dem vergleichbar ist, was Heinrich, Urban & Werning als die erste Grund-form (Rekonstruktion der vormals in Sonderinstitutionen lokalisierten Sonderpäda-gogik in der allgemeinen Schule) bezeichnen. L. Florian und K. Black-Hawkins be-schreiben in ihrer Arbeit, dass diesem „individualised approach to inclusion“ oft ein Denken in Gaußscher Normalverteilung mit der klassischen Glockenkurve zugrun-de liegt. Solche Rangverteilungen in vorgeordneten Rangvergleichen sind mit zahl-reichen Fehlern verbunden, weil sie auf der Basis scheinbarer Gleichheit legitimiert sind und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Betroffenen überhaupt nicht be-rücksichtigen. Im schulischen Kontext sind solche Rangzuweisungen national wie in-ternational noch weit verbreitet (Florian & Black-Hawkins, 2010), weil sie besonders geeignet erscheinen, Aufrückungen und Zulassungen großer Menschengruppen un-abhängig von Fragen der Chancengerechtigkeit zu organisieren (vgl. dazu ausführ-lich Reich, 2013). Inklusive Pädagogik im schulischen Kontext bedeutet jedoch, sich als Team bzw. als ganze Schule bewusst gegen eine solche vereinfachende Rangzu-weisung nach Glockenkurven von wenigen guten und schlechten und vielen Schüle-rinnen und Schülern in der Mitte zu entscheiden, um zu verhindern, dass durch re-duzierte Erwartungshaltungen der Lehrkräfte mögliche Potentiale ungenutzt bleiben (Grüne-Rosenbohm, 2012; Fendler & Muzaffar, 2008; Bos et al., 2010; Hart, 2004). Inklusive Fachdidaktik 41 Wichtige Umsetzungsfragen und Hindernisse Wie lässt sich die Rolle der sonderpädagogischen Förderung im Rahmen der Nut-zung sonderpädagogischer Ressourcen im Kontext von Teamstrukturen und bezogen auf gemeinsame Unterrichtsprozesse konkreter beschreiben? Die Entwicklung multiprofessioneller Teamarbeit in inklusiven Settings scheint auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse eine zentrale Gelingensbedingung für die-sen Transformationsprozess sonderpädagogischer Förderung im Regelschulsystem zu sein. Dabei wissen wir auch, dass es im komplexen Kontext inklusiver Bildungsrefor-men eher nicht ausreicht, wenn Einzelne ihr Können verbessern (Amrhein & Bad-stieber, 2013). Um langfristig der Umsetzung der inklusiven Bildungsreformen eine Richtung geben zu können, wird es ganz entscheidend darauf ankommen, wie der Wissenstransfer ins Kollegium hineinorganisiert wird. Hier geht es vor allem um die Frage, wie beide Professionen von Lehrerinnen und Lehrern und Sonderpädagogin-nen und -pädagogen, denn als solche werden sie zur Zeit noch ausgebildet, zu ei-ner gemeinsamen Unterrichtsverantwortung kommen. Dabei geht es nicht darum, zukünftig zum Allrounder oder wie Andreas Hinz es ausdrückt zu dem Inklusions-pädagogen oder zu der Inklusionspädagogin zu werden, sondern es ist die Aufgabe einer geschickten Steuerung, hier den Aufbau neuer Kooperationsbeziehungen un-terschiedlicher Professionen zu ermöglichen. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele zeigen (Amrhein & Badstieber, 2013), dass dies dann gelingen kann, wenn schulische Unterrichtskonzepte verbindlich mit ei-ner inklusiven Grundhaltung verbunden werden, die sich an der Definition von In-klusion der UNESCO (Mittendrin, 2012) orientiert und nicht Gefahr läuft, inklusi-ve Pädagogik als Kontinuum bisheriger Heil- oder Sonderpädagogik zu konstruieren (UNESCO, 2005). Dies erzwingt allerdings eine umfassend veränderte Schul- und Unterrichtskultur in der Regelschule (UNESCO, 2005; Avenarius, 2012). Eine Schlussfolgerung aus den hier zusammengetragenen Erkenntnissen ist, dass die Rolle der sonderpädagogischen Förderung im inklusiven Unterricht neu zu defi-nieren ist. Dabei könnte die Vorstellung handlungsleitend sein, dass es sich im Rah-men einer notwendigen Reform nicht um das Bilden einer einfachen Schnittmenge zwischen alten integrativen und neuen inklusiven Ansätzen handelt, sondern eher um die Modellierung eines ganz neuen Umgangs mit Vielfalt im Kontext schulischer Förderung sowohl auf einer fachübergreifenden Ebene als auch auf der Ebene des Fachunterrichts. Davis und Florian kommen in ihrem Survey „Teaching Strategies and Approa-ches for Pupils with Special Educational Needs: A Scoping Study“ zu dem Ergebnis, dass es keine spezifische sonderpädagogische Didaktik gibt, sonderpädagogisches Wissen aber als ein zentrales Moment von Didaktik betrachtet werden muss. Folgt man dieser Sicht, stellt sich die Frage wie folgt: Wie lässt sich das sonderpädagogi-sche Wissen in ein didaktisches Konzept für inklusiven Fachunterricht transformie-ren? Umgekehrt gilt aber auch, dass aus der Sicht der bisherigen Didaktik Ansätze zu entwickeln sind, die sich als inklusive Didaktik verstehen. Reich (2014) versucht beide Ansätze zu verbinden und macht in seiner Arbeit deutlich, dass die inklusive 42 Bettina Amrhein & Kersten Reich Didaktik nur gelingen kann, wenn sie in einer inklusiv gestalteten Schule mit ent-sprechenden Verpflichtungen realisiert wird. Hier ist insbesondere zu fordern, dass der Staat hierbei Ressourcen bereitstellt, die international vergleichbar nach Perso-nal- und Sachausstattung gehalten sind. Die zu lösende Aufgabe auf dem Weg zu einer inklusiven Fachdidaktik besteht aber auch darin, aus den einzelnen Fachdidaktiken heraus die Rolle der Sonderpäd-agogik bzw. einer inklusiven Didaktik im jeweiligen Fachunterricht neu zu definie-ren. Hier eröffnet sich ein dringendes Forschungs- und Ausbildungsfeld, denn über die Verknüpfung von fachlichem, fachdidaktischem, inklusiv didaktischem und son-derpädagogischem Wissen für die Umsetzung eines Unterrichts in inklusiven Lern-gruppen liegen für den deutschen Sprachraum noch zu wenige Forschungsergebnis-se oder umfassende und in die Breite entwickelte Praxismodelle vor. Erschwerend kommt in der aktuellen Situation hinzu, dass die Konzepte aktuell von Lehrkräften bei laufendem Betrieb und unter oft sehr schwieriger Versorgungslage entwickelt werden müssen, da die Anforderungen an den Umgang mit Vielfalt im Unterricht ungeachtet der noch zu entwickelnden (fach-)didaktischen Konzepte in den Klassen immer weiter zunimmt, obwohl weder eine hinreichende Qualifikation vor Ort, ein guter Personalschlüssel oder umfassend ausgebildete multiprofessionelle Teams vor-handen sind. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der handelnden Kol-leginnen und Kollegen im traditionellen exkludierenden Paradigma der besonde-ren Lern- und Entwicklungsförderung professionalisiert wurden, erschwert ohnehin die Umsetzung inklusiver Bemühungen. Zudem haben bisher Lehrkräfte noch wenig Gelegenheit, sich mit dem Paradigmenwechsel in der Heil- und Sonderpädagogik in Richtung Inklusion vertraut zu machen. In dieser unsicheren und vielfach auch pa-radoxen Unterrichtsentwicklungssituation liegt es nicht zuletzt an dem geschickten Operieren von Schulleitungen, hier gemeinsam mit dem Kollegium nach richtungs-weisenden Konzepten zu suchen (Amrhein, 2013b). Literatur Ahn, S. & Choi, J. (2004). Teachers’ Subject Matter Knowledge as a Teacher Qualification: A Synthesis of the Quantitative Literature on Students’ Achievement. Paper presented at the American Educational Research Association, San Diego, CA. Amrhein, B. & Badstieber, B. (Hrsg.) (2013a). 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Zu den weitreichendsten Aufgaben der Gegenwart gehört es, die inklusive Idee umzusetzen (vgl. Feuser, 2010). Verschiedene Diskursstränge können derzeit ausgemacht werden: 1. „im erziehungswissenschaftlichen Sinne als das zu erreichende Ziel, ausgehend von einer auf Selektion und Ausgrenzung basierenden Schul- und Unterrichtswirklichkeit; 2. im soziologischen Diskurs, welcher die Exklusions- und Inklusionsverhältnisse, die Ein- und Ausschlussprozesse von Menschen aus und in die unterschiedlichsten funktional differenzierten Bereiche wahrnimmt; 3. im Bereich internationaler Konventionen, wobei es um den Transfer in „nationale Sprachräume“ (geht, d.V.), mit dem dann im Feld der Politik gehandelt werden muss“ (Feuser, 2010, S. 18). Auch wenn Georg Feuser konstatiert, dass diese „Bereiche nicht beliebig ineinander übersetzt werden können und der Begriff (Inklusion, d.V.) eine je eigene Funktion hat“, so kann als das Verbindende eine „auf Anerkennung und Differenz basierende menschliche Gemeinschaft ohne Ausgrenzung“ (vgl. ebd.) herausgestellt werden. Inklusion als gesamtgesellschaftliches Vorhaben und „Fernziel“ (Stein & Lanwer, 2006, S. 88) muss ALLE gesellschaftlichen Mitglieder einbeziehen, tangiert unterschiedliche Lebensphasen und alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen Men1 Vortrag auf der Tagung „Fachdidaktik inklusiv“, 29.9.2012, Universität zu Köln, ZfL.46 Kerstin Ziemen schen leben. Die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren wäre eine notwendige Voraussetzung dafür, Inklusionschancen und Exklusionsrisiken zu erkennen. Mit Blick auf den schulischen Kontext betrifft dies die Analyse des bestehenden Schul-und Bildungssystems. Eine deutliche Kritik am segregierenden und separierenden deutschen Bildungssystem (vgl. Feuser, 1995) liegt längst vor. Eine grundlegende Re-form des Bildungs-, Unterrichts- und Schulsystems und die seit langem geforderte „Synthese von Heil- und Sonderpädagogik und der […] als Regelpädagogik bezeich-neten allgemeinen Pädagogik (und, d.V.) deren Transformation auf ein in der Ge-schichte der Pädagogik neues Qualitätsniveau“ (Feuser, 2008, S. 2) ist bis heute aus-geblieben. Barrieren, die Inklusion verhindern sind folgende: • „politische Barrieren (z.B. widersprüchliche Bestimmungen) • kulturelle Barrieren (z.B. Einstellungen) • didaktische Barrieren“ (Melero, 2011, S. 38). Hier soll der Blick auf didaktische Barrieren bzw. deren Abbau gerichtet werden. Di-daktische Rahmenbedingungen mit Blick auf Inklusion basieren auf der Erkenntnis, dass Entwicklung und Lernen selbstbestimmte, konstruktive, soziale und entwick-lungslogische Prozesse sind und jedes Kind auf Anerkennung, Dialog, Kommunika-tion und Kooperation angewiesen ist. Damit werden die Lehrpersonen zu individuel-len Lernbegleitern der Schülerinnen und Schüler (vgl. Panel „Behinderung“: Tagung „Inklusion und Diversität als Herausforderung an Erziehung, Schule und LehrerIn-nenbildung“, 11./12.10.2011 an der Universität zu Köln, unveröff. Manuskript). Eine übergreifende und fundamentale Herausforderung ist es, Heterogenität als Ressource zu betrachten, Lehr- und Lernprozesse gemeinschaftlich zu organisieren und zu gestalten, dabei jedoch der Individualität jedes Einzelnen Rechnung zu tra-gen. Es geht um die Balance von individualisierten und gemeinschaftlichen Angebo-ten. Das Gehirn ist ein soziales Organ, d.h. die „wichtigsten Erfahrungen, die einen heranwachsenden Menschen prägen sind solche, die in lebendigen Beziehungen mit anderen Menschen gemacht wer-den […]. Dabei macht jedes Kind zwei Grunderfahrungen, die tief in seinem Gehirn verankert werden: Die Erfahrung engster Verbundenheit und die Er-fahrung eigenen Wachstums und des Erwerbs eigener Kompetenzen. Diese beiden Grunderfahrungen bestimmen als Grundbedürfnisse seine zukünfti-gen Erwartungen […]. Wenn eines dieser Grundbedürfnisse nicht gestillt wer-den kann, leidet das entsprechende Kind und später der betreffende Erwach-sene an einem Mangel“ (Hüther, 2011, S. 44ff.). Noch größeren Mangel erleidet ein Mensch unter isolierenden Bedingungen. Isolati-on zeigt sich darin, nicht verbunden zu sein mit anderen. Unter diesen Bedingungen bilden sich Kompetenzen, die auf sich selbst beschränkt bleiben, so z.B. Auto- bzw. Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 47 Fremdaggressionen, Rückzug, Depression u.a.m. Für „Behinderung“ ist dies bereits aufgearbeitet: die Kernkategorie von Behinderung ist Isolation (vgl. Jantzen 1990, 1992). Menschen sind „begeisterte und einander begeisternde Entdecker und Gestalter einer mitein-ander geteilten und miteinander geschaffenen gemeinsamen Lebenswelt. Und wir Menschen haben eben diese Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit gemein-sam auf etwas zu richten, besonders weit entwickelt. So können wir als Ge-meinschaft etwas entdecken und aufklären, wenn einer von uns einen Anfang für eine solche Entdeckung gemacht hat. Ebenso gut können wir gemeinsam etwas gestalten, etwas bauen oder entwickeln, was sich einer von uns ausge-dacht hat. Und wir können uns auch gemeinsam um etwas kümmern, wenn einer von uns bemerkt hat, dass etwas unsere Unterstützung braucht. Des-halb sind wir die einzigen Lebewesen, die in einer individualisierten Gemein-schaft verborgene Potentiale der einzelnen Mitglieder wie auch der gesamten Gemeinschaft zur Entfaltung bringen können. Wir sind wie keine andere Le-bensform in der Lage, in einer Gemeinschaft über uns hinauszuwachsen, un-sere gemeinsam gesammelten Erfahrungen, die von einzelnen Mitgliedern erworbenen Fähigkeiten und Erkenntnisse und die von einer Gemeinschaft entwickelten Vorstellungen und Ideen an nachfolgende Generationen weiter-zugeben“ (Hüther, 2011, S. 49). Schule bzw. Unterricht mit Blick auf Inklusion bietet die große Chance, etwas ge-meinsam zu tun, dabei die Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Einzelnen zu nutzen und zur Wirkung zu bringen. Das gemeinschaftliche Ergebnis ist stets umfassender und facettenreicher als die je individuelle Leistung. Zugleich bietet das gemeinschaft-liche Ergebnis die Möglichkeit, sich zukünftig weiterhin darauf zu beziehen, ggf. da-ran weiterarbeiten zu können. Neben dem Gemeinschaftlichen ist der Einzelne mit seinen Bedürfnissen, Kom-petenzen und Interessen wertzuschätzen. Die Herausforderung besteht darin, Schü-lerinnen und Schüler mit Behinderung nicht als „Opfer der Förderung“ (vgl. auch Zimpel, 2012) zu betrachten, sondern ihnen gleichberechtigt die Möglichkeit zu ge-ben, Unterrichtsthemen und Lerninhalte zu bestimmen, Verantwortung zu überneh-men, als Expertinnen und Experten anerkannt zu werden. Z.B. kann eine Schülerin/ ein Schüler, die/der unterstützt kommuniziert, Expertin oder Experte in alternati-ver oder argumentativer Kommunikation sein. Alle Schülerinnen und Schüler haben nun die Chance, sich mit dieser Art der Kommunikation auseinanderzusetzen. Inklusiv ausgerichtete didaktische Modelle und Ideen Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Vielfalt didaktischer Modelle (vgl. Marko-wetz, 2012, S. 147). Markowetz stellt jedoch heraus, dass „gegenwärtig nur noch we-nige Modelle und Positionen die didaktische Landschaft“ bestimmen (ebd., S. 146). Er trifft eine Auswahl (vgl. ebd., S. 147) von 10 Modellen, denen er „entstigmatisie- 48 Kerstin Ziemen rende Kraft durch Bildung für alle und Teilhabe am Gemeinsamen Unterricht“ bei-misst. Zugleich fordert er mit Blick auf die einschlägige didaktische Literatur die Er-ziehungswissenschaften auf, darüber zu diskutieren, „ob und welche Dimensionen und Aspekte dieser Theorien, Konzepte und Modelle einen Beitrag für die Analyse, Planung, Durchführung und Reflexion des gemeinsamen Unterrichts leisten“ (ebd.). An dieser Stelle sollen didaktische Konzepte und Ideen, die bislang weniger promi-nent die didaktische Landschaft mitbestimmen, aufgenommen werden. 1. Partizipationsmodell für Inklusion (Beukelman & Mirenda; nach Bollmeyer & Hüning-Meier: Handbuch der Unterstützten Kommunikation 2010, S. 08.018.022) Die vier folgenden Komponenten der Inklusion bestimmen dieses Modell: „Teil-habe durch Bildung und Erziehung, soziale Teilhabe, individuelle Unterstützung und (physische) Integration“ (vgl. ebd.). Diese Komponenten dienen der Analyse, aber auch der Planung des Prozesses. Im Sinne des „Universal Design of learning“ (UDL) fokussieren die Ziele auf: • den Erwerb von Sachkenntnissen durch vielfältige Methoden • die Entwicklung von Lernstrategien – vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten zulassen • soziales und emotionales Lernen (vgl. ebd.). Beukelman und Mirenda empfehlen entsprechend der Planungspyramide für den Unterricht eine grobe Differenzierung, so beispielsweise zu bestimmen, was alle Schülerinnen und Schüler lernen sollen (am Bsp. der „Gesteine“: Gesteine unter-scheiden sich), was die meisten Schülerinnen und Schüler lernen sollen (z.B. den Kreislauf der Gesteinsbildung und Erosion zu erkennen), was einige Schülerinnen und Schüler lernen sollen (z.B. den Unterschied zwischen Gesteinen, Kristallen und Mineralien herausarbeiten) (vgl. ebd.). Mit der „Planungspyramide“ kann damit eine erste grobe Differenzierung vorgenommen werden. Innere Differenzierung gilt als Kernkriterium für „inklusiven Unterricht“. Auf fol-gende Differenzierungen bzw. Adaptationen fokussieren Beukelman und Mirenda. Differenzierungen und Adaptationen nach: • Size: Umfang und Anzahl der Aufgaben anpassen • Time: zur Verfügung stehende Zeit anpassen • Level of support: personelle oder technische Unterstützung • Input: Art der Instruktionen anpassen • Output: Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler ihr Wissen präsentieren sollen • Difficulty: Schwierigkeitsgrad anpassen • Participation: Art und Weise, wie die Schülerinnen und Schüler in eine Aktivität einbezogen werden (vgl. ebd.). Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 49 2. „Keimzellmodell“ oder die Arbeit mit der Ausgangsabstraktion Im Kontext „kulturhistorischen“ Denkens sind verschiedene Projekte und Konzep-te erarbeitet worden, die die Gesamtzusammenhänge von Themenfeldern und deren Erarbeitung auf der Basis lebensweltlicher und biographischer Aspekte der Schüle-rinnen und Schüler in das Zentrum der didaktischen Arbeit rücken. Eine Projektstudie wurde beispielsweise in New York/East Harlem von Hedegaard und Chaiklin zum „Radikal-Lokale[n] Lehren und Lernen“ (Bielefeld, 2012, S. 62) durchgeführt. Ziel der Studie mit 15 Grundschulkindern mit puerto-ricani-schen Wurzeln war es, „an die Lebenswelt (der Kinder, d.V.) anzuknüpfen und im besonderen Maße ihren kulturellen sowie historischen Hintergrund (zu, d.V.) be-rücksichtigen“ (Bielefeld, 2012, S. 63). Unterrichtsinhalt war das Thema Puerto Rico und die Migration nach New York sowie das Leben in der puerto-ricanischen Ge-meinde im Stadtteil East Harlem. Mit der theoretischen Fundierung des Unterrichts-konzeptes nach der „Kulturhistorischen Schule“ wird davon ausgegangen, so Vygots-kij, dass der Aufbau wissenschaftlicher Begriffe und Begriffssysteme Aufgabe der Schule ist und somit durch den Aufbau und das Operieren mit wissenschaftlichen Begriffssystemen abstraktes Denken möglich wird. Sogenannte „Keimzellmodelle“ sollen für die Kinder Ordnungsgrundlage sein; diese sollen ein Verständnis für Be-griffsbeziehungen entwickeln. Die „Keimzellmodelle“ sind elementare Relationen ei-nes Gegenstandes und stellen eine Ausgangsabstraktion dar, wobei sich diese Model-le während des Prozesses verändern, ggf. präzisieren können. Ein Beispiel für das erste „Keimzellmodell“ zur Planung und Durchführung der Lerntätigkeit war die Beziehung zwischen „Community – Living Conditions – Fami-ly – Ressources“ (ebd., S. 94) als Basis für die Entwicklung eines Verständnisses der Relationen zwischen diesen. Im Verlauf des Unterrichts entwickelten die Kinder eigene Modelle. Erst hatten die Kinder Schwierigkeiten, den Zusammenhang von Lebensbedingungen und Fami-lie zu erkennen, später ergaben Klassen- und Gruppendiskussionen jedoch wachsen-de Erkenntnis. „Durch das Erarbeiten der begrifflichen Relationen (haben die Kinder, d.V.) zunächst das Wesen des zu untersuchenden Problemgebiets erfasst und sind vom Abstrakten zum Konkreten des Problems übergegangen […]. Radikal-lokales Lehren und Lernen (erfordert, d.V.) von der Lehrperson einerseits ein theoretisches Verständnis von Unterrichtsstoffkonzepten und andererseits ein kulturhistorisches Verständnis von den kindlichen Lebensbedingungen“ (ebd., S. 108). Anzumerken ist, dass sich trianguläre Darstellungen von Ausgangsabstraktionen hervorragend eignen, um Relationen zu untersuchen und sich entwickelnde Prozes-se und ggf. Widersprüche herauszuarbeiten (ebd., S. 404). Am Beispiel eines For- 50 Kerstin Ziemen schungsprojektes zur „Literalisierung indianischer Völker“ (ebd.) zeigt Wolfgang Jantzen (vgl. Jantzen, 2012, S. 404) dieses ausführlich auf. Beispiel: Ökologische Umwelt (Wasser) – Fische (Nahrungsmittel) – Gemeinde/Dorf Abb. 1: Ökologisches Dreieck aus: Jantzen, W. (2012). Kulturhistorische Didaktik. Berlin: Lehmanns Media, S. 405. Anfangs wird eine Idee modellhaft entwickelt, die erst am Ende der Bearbeitung ge-sichert werden kann (vgl. ebd.). „Der Grundgedanke, dass Kulturhistorische Didak-tik sich jeweils auf die soziale Lebenssituation zurück beziehen muss, ist von höchs-ter Bedeutung“ (ebd., S. 411). Die Arbeit mit Ausgangsabstraktionen bietet die Möglichkeit, Beziehungen zu erkennen und Gesamtzusammenhänge zu verstehen. Auch die im Rahmen einer Dissertation (Wünsch, 2008) ausgearbeitete Unter-richtseinheit für den Biologieunterricht der 6. Klasse (für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen) zu „Wechselbeziehungen zwischen den Lebe-wesen in einem Lebensraum“ (Umfang: 18 Unterrichtsstunden) zeigt deutlich, dass über die Arbeit mit Ausgangsabstraktionen „Denken provoziert“ werden kann. Nach der Evaluation des Projektes kann konstatiert werden, dass die Schülerinnen und Schüler deutliche Veränderungen im deklarativen Wissen aufweisen und auch an-wendungsbezogene Schlussfolgerungsaufgaben besser bewältigen können (vgl. ebd.). Die Herausforderung an die Fachdidaktiken besteht darin, relevante Themen-schwerpunkte und Gesamtzusammenhänge im Sinne von Ausgangsabstraktionen zu eruieren und Modelle zu entwickeln, die eine Umsetzung bzw. Überführung in kon-krete Anwendungsbezüge ermöglicht. FISCHE (Nahrungsmittel) ÖKOLOGISCHE UMWELT (Wasser) GEMEINDE/ DORF Gleichgewicht?? Arbeit Arbeit Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 51 3. Reflexive Didaktik Reflectere (lat.) im Sinne von Rückwendung meint, sich „das in die wissenschaftli-chen (hier didaktischen, d.V.) Werkzeuge und Operationen eingegangene soziale und intellektuelle Unbewusste“ (Waquant, 1996, S. 63) bewusst zu machen. Pädagogisches Handeln setzt Reflexion voraus. Für die Didaktik gilt dies in be-sonderem Maße, da sie keine Technik darstellt und auch nicht festgelegten „Rezep-ten“ folgt. In didaktische Modelle und Konzepte gehen bestimmte (auch unterschied-liche) Vorstellungen über Lernen und Entwicklung und über soziale Prozesse ein. Didaktik, die mit Blick auf Inklusion keine Schülerin, keinen Schüler ausschließt, muss in die Analyse und Reflexion stets Teilhabe- und Teilnahmechancen an Bil-dungs- und sozialen Prozessen sowie Exklusionsrisiken für Bildung und soziale Kon-texte aufnehmen. Die reflexive Didaktik (Ziemen, 2008) ist eine allgemeine Didaktik, die mit Blick auf Inklusion keinen Lernenden ausschließt. Dabei bezieht sie sich beispielsweise auch auf das Modell der „entwicklungslogischen Didaktik“ (Feuser, 1995) und de-ren drei Ebenen, die Sachstruktur bzw. die Tätigkeits- und Handlungsstruktur. Sie nimmt darüber hinaus die reflektierenden Lehrpersonen/Teams explizit auf, die die Schülerinnen und Schüler, die den Lerngegenstand, die Institution Schule und die politischen, rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen, sich aber auch im Sinne von Selbstreflexion auf sich selbst rückbeziehen. Die Reflexionsebenen stehen nicht isoliert voneinander, sondern in Beziehung zueinander. Die unterschiedlichen Ebenen stellen sich wie folgt dar: Die Ebene der Schülerinnen und Schüler (Subjektseite) berücksichtigt (1): • Vorwissen, Erfahrungen, Emotionen und Wahrnehmungen („Zone der vergange-nen Entwicklung“, d.V.); • Motive, Interessen, Bedürfnisse; Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungskompe-tenzen („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vygotskij); • Handlungs- und Tätigkeitsmöglichkeiten („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vy-gotskij); • die soziale und persönliche Situation („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vygots-kij); • die Beziehung von Lehrpersonen/Teams zu den Schülerinnen und Schülern und • die Beziehungen der Schülerinnen und Schüler untereinander; • Bewertung und Beurteilung. Explizit werden Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten an konkreten Bildungsange-boten ausgemacht, zugleich Barrieren bzw. Störungen der Teilhabe und Teilnahme. Darüber hinaus werden Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten bzw. Barrieren und Störungen in sozialen Kontexten analysiert und reflektiert. 52 Kerstin Ziemen Auf dieser Basis entstehen Ideen für die Gestaltung des individuellen und ge-meinschaftlichen Möglichkeitsraumes für das Lernen und die Entwicklung ALLER Schülerinnen und Schüler. Die Ebene der Sache/des Lerngegenstandes (Objektseite) berücksichtigt (2): • die Komplexität und das Wesen (Invariante) der Lerninhalte; • die tragenden Begriffe und Zusammenhänge; • die gesellschaftliche, politische, soziale Bedeutung und Aktualität der Lerninhalte; • die Präsenz in verschiedenen Wissenschaften bzw. Fächern; • Relevanz in Curricula; • Zugang, Vorwissen und Bedeutungsgehalt des Gegenstandes aus Sicht der Lehr-personen/ Teams. Mit Blick auf die Teilhabe und Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler an allen Bildungs- und sozialen Angeboten sind Differenzierungen des Lerngegenstandes vorzunehmen und didaktische Konzepte und Modelle auszuwählen, die Lernen und Entwicklung für jede Schülerin und jeden Schüler ermöglicht. Beispiel: Beurteilung und Bewertung: Hier müssen sowohl Ebene 1 als auch 2 reflektiert werden. „Schulnoten sind umstritten, da sie Objektivität nur vortäu-schen [...] über Bildungskarrieren und Zukunftschancen entscheiden“ (Zimpel, 2012, S. 185). Eine „Alternative zu Zensuren sind sogenannte Kompetenzraster“ (ebd., S. 186). In der Regel sind sie als Matrix dargestellt, „mit der in der Senkrechten die (Teil-)Lernbereiche eines Faches und in der Waagerechten in aufsteigender Linie – meist in sechs Stufen – die Kompetenzlevels aufgeführt werden […]. Das tabella-rische Raster steckt Entwicklungsziele ab, die i.d.R. in Form von „Ich kann … Sät-zen“ aufgelistet sind“ (ebd., S. 186): „Ich kann allein …“; „Ich kann mit Hilfe …“ usw. Wenn im inklusiven Kontext alle Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wer-den sollen, sind die Kompetenzbereiche beispielsweise nicht nur an den Curricula auszurichten, sondern haben den Gesamtbereich des Faches zu berücksichtigen, z.B. in Mathematik neben dem numerischen auch den pränumerischen Bereich, beim Schriftspracherwerb den „erweiterten Lesebegriff “ oder die Berücksichtigung der so-genannten „Vorläuferkompetenzen“. Derzeit werden Kompetenzraster von interessierten und engagierten Lehrperso-nen/ Teams an Schulen selbst erstellt. Zukünftig besteht die Herausforderung der Fä-cher darin, entsprechend deren Fachlogik und Systematik Kompetenzbereiche aus-weisen, die neben den abstrakt-logischen ebenso die basalen Kompetenzen ausweist. Die Ebene der Institution Schule und Schulsystem berücksichtigt schulorganisatorische, curriculare und gesetzliche Vorgaben (3): • Rahmenbedingungen (personell, baulich, räumlich, strukturell, zeitlich, sächlich, rechtlich); • kulturelle und sprachliche Rahmenbedingungen; • Schulkonzept; • Curricula; Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 53 • Kooperation mit den Eltern; • Öffentlichkeitsarbeit und Einbindung in Stadt und Gemeinde. Die Analyse und Reflexion bezieht sich auf Teilnahme- und Teilhabechancen und Exklusionsrisiken auf der Basis angeführter Kriterien. Die Ebene der Lehrpersonen/Teams (Subjektseite) berücksichtigt (4) neben der Analy-se der Ebenen 1–3: • Einstellungen und Überzeugungen zu Schülerinnen und Schülern; • Beziehungen im Team; • Kenntnisse bzw. Fähigkeiten; • Theorien, Erklärungen und Zugänge; • Befürchtungen; • ungeklärte Fragen; • Möglichkeiten der Unterstützung. Insgesamt betrachtet ist die reflexive Didaktik ein Raum der Möglichkeiten des Leh-rens und Lernens, des gemeinsamen Tätigseins und gemeinsamen Erlebens unter Berücksichtigung der Potentiale und Ressourcen jedes Einzelnen. „Professionelles (pädagogisches, d.V.) Handeln ist zum einen entwicklungsbeglei-tendes, d.h. längerfristiges Handeln (mit schwer bestimmbaren Grenzen), zum ande-ren Handeln in Organisationen. Damit unterliegt es institutionalisierten Regeln, mit denen die Intentionen und die Praxis des professionellen Pädagogen kollidieren kön-nen“ (Hierdeis, 2009, S. 7f.). 4. Herausforderungen an die Didaktik (einschließlich Fachdidaktiken) Zusammenfassend sind die didaktischen Herausforderungen mit Blick auf Inklusi-on folgende: • individualisierte und gemeinschaftliche Angebote eruieren; • Analyse von Schlüsselthemen, Schlüsselfragen und Zusammenhängen („Keimzel-le“); • Ausgangsabstraktionen und Konkretisierungsbeispiele; • Kompetenzbereiche für Lern- und/oder Fachinhalte entwerfen (Kompetenzraster). Zukünftig werden auch die Curricula in den Fokus rücken bzw. das Verhältnis von „Weltwissen und Curriculum“ (vgl. Boban & Hinz, 2008, S. 85f. mit Verweis auf Yaacov Hecht). Wenn der Individualität der Schülerinnen und Schüler Rechnung ge-tragen werden soll, muss es möglich sein, dass sie sich Lerninhalte auswählen und aneignen können, die außerhalb des Curriculums liegen. 54 Kerstin Ziemen Vielleicht gelingt es uns zukünftig, Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, auf der Basis dessen, was sie wissen, echte Fragen zu formulieren, an denen sie arbeiten, zu denen sie forschen und Neues entdecken. Und dazu sind interessante Themenfelder, die nach Möglichkeit mit dem Leben, der Kultur, der Religion und Weltanschauung, der Sprache, der Biographie der Kinder, mit dem Zugang und den Fähigkeiten, sich diese zu erschließen, Verbindungen haben. Vor allem aber setzt es das Vertrauen in die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten jeder Schülerin und jeden Schülers vor-aus. Literatur Bielefeld, T. (2012). Radikal-Lokales Lehren und Lernen – Die Konzeption von Mariane Hedegaard & Seth Chaiklin. In W. Jantzen (Hrsg.), Kulturhistorische Didaktik (S. 62– 113). Berlin: Lehmanns Media. Boban, I. & Hinz, A. (2008). „The inclusive classroom“ – Didaktik im Spannungsfeld von Lernprozesssteuerung und Freiheitsberaubung. In K. Ziemen (Hrsg.), Reflexive Didaktik (S. 71–98). Oberhausen: Athena. Bollmeyer, H. & Hüning-Meyer, M. (2012). Teilhabe an Erziehung und Bildung in der Schule – Das Partzipationsmodell für Inklusion von Beukelmann und Mirenda. In v. Loeper Literaturverlag/ISAAC_Gesellschaft für VK e.v. (Hrsg.), Handbuch der Unter-stützten Kommunikation, 08.018022-08.18.029. Karlsruhe. Bourdieu, P. (1989). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt. Sonderband 2 (S. 183–198). Göttingen: Schwartz. Bourdieu, P. (1993). Sozialer Sinn. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bourdieu, P. (2001). Wie die Kultur zum Bauern kommt. Hamburg: VSA-Verlag. Bourdieu, P. & Waquant, L.J.D. (1996). Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhr-kamp. Castel, R. (2000). Die Fallstricke des Exklusionsbegriffs. Mittelweg 36, 3/2000, 11–25. Dederich, M. (2006). Exklusion. In M. Dederich, H. Greving, C. Mürner & P. Rödler (Hrsg.), Inklusion statt Integration? Heilpädagogik als Kulturtechnik (S. 11–27). Gie-ßen: Psychosozial-Verlag. Feuser, G. (1995). Behinderte Kinder und Jugendliche – zwischen Integration und Ausson-derung. Darmstadt: WBG. Feuser, G. (2008). Erkennen und Handeln. Integration muss gründlich gedacht und umge-setzt werden. Vortrag im Rahmen der Tagung „Erkennen und Handeln – eine Regi-on stellt sich der Herausforderung: Integration“ am 01.03.2008 in Reutte. Feuser, G. (2010). Integration und Inklusion als Möglichkeitsräume. In A. Stein, S. Krach & I. Niediek (Hrsg.), Integration und Inklusion auf dem Weg ins Gemeinwe-sen, Möglichkeitsräume und Perspektiven (S. 17–31). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Hinz, A. (2009). Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende?? Zeitschrift für Heilpä-dagogik, 5/2009, 171–179. Hierdeis, H. (2009). „Selbstreflexion als Element pädagogischer Professionalität“. Vortrag am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck am 26.10.2009 (unveröffentliches Manuskript). Hüther, G. (2011). Was wir sind und was wir sein könnten. Frankfurt a.M.: Fischer. Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 55 Jantzen, W. (1990, 1992). Allgemeine Behindertenpädagogik. Band 1 und 2. Weinheim: Beltz. Jantzen, W. (2012). Kulturhistorische Didaktik. Berlin: Lehmanns media. Kronauer, M. (2002). Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapi-talismus. Frankfurt a.M./New York: Campus. Lebenshilfe (2009). Ein Positionspapier der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Men-schen mit geistiger Behinderung e.V. Gemeinsames Leben braucht gemeinsames Ler-nen in der Schule. Schulische Bildung im Zeitalter der Inklusion. Marburg: Lebenshil-fe. Markowetz, R. (2012). Inklusive Didaktik (k)eine Neuschöpfung!? In C. Breyer, G. Foh-rer, W. Goschler, M. Heger, C. Kießling & C. Ratz (Hrsg.), Sonderpädagogik und In-klusion (S. 141–160). Oberhausen: Athena. Mängel, A. (2009). Endstation Sonderschule. Verfügbar unter: http://bidok.uibk.ac.at/lib-rary/ maengel-sonderschule.html [25.06.2013]. Melero, M. (2011). Träume einer Gesellschaft der Inklusion. Behinderte Menschen 6/2011, 32–43. Nassehi, A. (2000). „Exklusion“ als soziologischer oder sozialpolitischer Begriff? Mittel-weg 36 (9), 5, 18–25. Stein, A. & Lanwer, W. (2006). Von der Möglichkeit zur Wirklichkeit – Anmerkun-gen zum Studium „Inclusive Education“. In M. Dederich, H. Greving, C. Mürner & P. Rödler (Hrsg.), Inklusion statt Integration? Heilpädagogik als Kulturtechnik (S. 86– 97). Gießen: Psychosozial-Verlag. Wacquant, L. J. D. (1996). Für eine wissenschaftstheoretische Reflexivität. In P. Bourdieu & L. J. D. Wacquant (Hrsg.), Reflexive Anthropologie (S. 62–76). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 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I wanted to set out the implications of adopting inclusive values for all aspects of schools in classrooms, staffrooms, playgrounds, and in relationships between and amongst adults and children and with surrounding communities and environments. I wanted to fill a gap in previous editions that had made claims to being comprehensive but fell short of addressing the sacred garden of school subjects. I recognise that others have challenged traditional curricula over the years. However, I claim that there is a particular degree of coherence and practicality to what I have attempted. The positive reaction of some thousands of people to my scheme, while acknowledging resistance to change, encourages me to continue to refine it in dialogue with those in schools who are beginning to respond to it in practice. I start by commenting on the language I use to frame my efforts and why I see it as important to change how we structure knowledge in education. I then set out the foundations for this restructuring in a framework of values, a set of principles and a series of imperatives, all of which inform the new structure and content of subjects or disciplines. I indicate too how the outline was shaped by a pragmatic examination of what is significant in the knowledge contained within traditional curricula and give due recognition to the role played by conversations with colleagues. I set out the scheme and relate it to the ideas of others. I suggest, in particular, that it can provide a bridge into the heart of education for the ‘capabilities approach’ of Amartya Sen and Martha Nussbaum. I end by suggesting that we need to create a broad alliance for challenging and changing what is taught and learnt in schools. A comment on language In the Index for Inclusion I call the structure and content of formal learning opportunities: ‘Curricula for All’. However, I now think it better to see it as structuring ‘Knowledge for All’ since there should not be a special way of thinking of knowledge, a special epistemology, for schools. Using a distinctive terminology has served to dislocate schools from lives outside them. Further the word ‘curriculum’ does not translate easily for an international audience with different traditions for thinking about the content of teaching and learning in schools. In England the word curriculum has both a narrow and a broad meaning applying to the structuring of learning experiences in classrooms but also to the total of intended and unintended learning that takes place in schools. In my work I have tried to connect the two so that what is learnt through the experience of being in schools is consistent with what is learnt in more formal lessons and is at least partly under the conscious control of adults and children whose lives are shaped by both. I appreciate the German no58 Tony Booth tion of ‘Fachdidaktik’ which links together the chapters in this book and refers to the headings we choose to label areas of knowledge. However it does not carry the im-plication that this is to be made consistent with wider experiences of adults and chil-dren in education. A glaring example of the divergence between formal and informal curricula in England is the way that citizenship lessons encourage children to believe that they are active citizens in a democracy when their schools encourage them and their teachers only minimal participation in their lives at school. Lessons are thus provided in hypocrisy rather than democracy. The adherence to a narrow view of ‘curriculum’, defined in terms of teaching requirements and plans, has also promot-ed a misunderstanding of the differences between teaching and learning. It has been increasingly assumed by governments in the UK that what is learnt is a direct conse-quence of what is set down in regulations as required teaching. This has added to the pressures on many teachers charged with meeting learning targets for children. But it has also encouraged others in the confidence that sustained development of the learning capacity of children will only be achieved by attention to improving condi-tions for teaching and learning. A need for change It is a peculiarity of the education provided in schools in countries around the world that the guidance given to teachers would commonly be recognisable to people at all periods over the last one hundred and forty years. Mass education was derived dur-ing the industrialisation of countries of the North to serve a narrow range of inter-ests; to reproduce elites. It was designed to separate knowledge from experience and thus give success to the few who make this transition with ease and guarantee failure to those who do not wish to do so, or otherwise find it difficult. So without address-ing the nature of what is taught in schools we can only reduce to a very limited ex-tent obstacles to the learning of those who experience educational difficulties. While much is made by governments of the wish for education to feed econom-ic competitiveness it is remarkable how little relationship is evident in learning ac-tivities with the occupations of the families of the majority of children or their own future working lives. In my scheme there is a requirement for all children to acquire financial literacy and to understand the connections between learning and earning. The evident disjunction between the education that the mass of people need and what they are served is revealed most starkly when traditional teaching requirements are applied to rural settings in economically poor circumstances in countries of the South. I have offered a new possibility for sharing an approach to education around the world based on the possibility for identifying common needs and shared values that can be related to local contexts while recognising global inter-connections. I emphasise, then, that knowledge should be restructured for all because there is a need to transform the social function of schools from places which divide people, and prioritise the learning of some over others, to places that bring people togeth-er and value everyone’s contributions. The separation of learning from experience is a malign process for other reasons too. When education is viewed primarily as the cultivation of the life of the mind, it reinforces the delusions of a mind-body distinc- Structuring Knowledge for all in the 21st Century 59 tion. This cuts people off from an understanding of the conditions that sustain their lives and the life of their planet. In this way education has contributed to the Hol-ocene extinction whereby humankind is progressively eroding the habitats of other creatures and ultimately destroying its own. Such an analysis leads to an imperative to involve education in forging a new relationship between people, their bodies and the natural world. Building foundations on values, principles and imperatives I had begun to consider the consequences of deriving subject headings from new principles for education in the early 1980s. I was writing courses, at the time, for the Open University which attempted to answer the questions: ‘How should schools re-spond to the diversity of children within their communities? How can education re-flect the needs and interests of all?’ I started to consider if detailed curriculum pro-posals could be based on people’s fundamental and shared needs for food, clothing, shelter, health and care and engagement with their physical and natural world. Yet this was also a period of increasing rigidity about curriculum planning in schools culminating in the National Curriculum in England in 1988. It seemed impossible to counter the weight of government determination of what should be taught and I did not take the ideas further at that time. Now at the end of my career I am responding to the same questions but it seems to be even more urgent to propose an alternative to traditional curricula. The need for education to connect people locally and global-ly with each other and their environments has been multiplied by environmental de-terioration, global conflict, large-scale migration and continuing preventable inequal-ity, poverty and disease. There is also a feeling for me personally: ‘if not now, when?’ I have built the foundations for a restructuring of teaching and learning activities on a framework of values, pedagogical principles and a sense of imperatives for change. Developing a framework of values Elaborating a framework of values happened gradually. This was a task begun in the late 1970s where I identified two principles as the foundation of inclusion; a princi-ple of equality of value of all; and a comprehensive principle. The latter involved the development of schools for everyone within their communities so that schools and communities contributed to each other’s development. This was the English cultural version of the idea of ‘the School for All’ in Norway and elsewhere. However, I want-ed to further build a framework of values that fulfilled two purposes. Firstly, it had to respond to the question: How should we live together? This is an age-old philo-sophical question which in its earlier form might have asked ‘How should a man live in Athens or Rome?’ In its inclusive form it is about all of us on this earth which un-der the guidance of a value of sustainability is extended to include animals and oth-er life forms. The second purpose was to make a framework of values that would be 60 Tony Booth sufficiently rich in meaning so as to guide action to develop every aspect of educa-tion within and beyond schools. I have carefully pieced together my framework by testing out ideas with count-less people in many countries. This has resulted in a list of headings concerned with equality, rights, participation, community, respect for diversity, sustainability, non-vi-olence, trust, compassion, honesty, courage, joy, love, hope/optimi
Objektbeschreibung
Autor | Amrhein, Bettina [Herausgeber] ; Dziak-Mahler, Myrle [Herausgeber] |
Titel | Fachdidaktik inklusiv |
Untertitel | auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule |
Übergeordneter Titel | LehrerInnenbildung gestalten ; 3 |
Bandangabe | Band 3 |
Ort/Verlag | Münster, New York : Waxmann |
Erscheinungsjahr | 2014 |
Katkey | 8060519 |
HBZ-ID | HT020103775 |
Katkey (Überordnung) | 8030372 |
HBZ-ID (Überordnung) | HT018731161 |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Beschreibung
Titel | |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Volltext | Fachdidaktik inklusiv Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Bettina Amrhein, Myrle Dziak-Mahler (Hrsg.) 3 BAND Z f L Zentrum für LehrerInnenbildung LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Hrsg. vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln Band 3 Wie die Schule so ist auch das Feld der (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bewegung und in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess begriffen. Die Einsicht in die Heterogenität der Lernvoraussetzungen und Bildungsbedingungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler ist gestiegen und erfordert eine Organisation der (Aus-)Bildung, die fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Wissensbestandteile stärker aufeinander bezieht und zu einem professionellen Habitus zusammenbinden lässt. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Praxisphasen als roten Faden über die Ausbildungsphasen hinweg zu gestalten und die Kooperation der unterschiedlichen Akteure der grundständigen Bildung, des Vorbereitungsdiensts und der Fortbildung zu stärken. Die seit langem bekannte Forderung nach einer gelingenden Theorie-Praxis-Verzahnung ist in den letzten Jahren in eine neue Dynamik geraten und verlangt nach einem Ausbau wie auch neuen Akzentuierungen in der bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschung, um Unterrichts- und Schulentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Die Reihe LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN setzt an diesem Entwicklungsprozess an und präsentiert Beiträge, die die Herausforderung einer neuen und innovativen (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern aktiv aufgreifen und Impulse für deren weitere Entwicklung setzen.Bettina Amrhein, Myrle Dziak-Mahler (Hrsg.) Fachdidaktik inklusiv Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule Waxmann 2014 Münster New YorkLEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN, Band 3 ISSN 2194-8429 Print-ISBN 978-3-8309-3017-4 E-Book-ISBN 978-3-8309-8017-9 © Waxmann Verlag GmbH, 2014 www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Anne Breitenbach, Tübingen Satz: Stoddart Satz- und Layoutservice, Münster Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.Inhalt Einleitung Hans-Joachim Roth Vorwort.....................................................................................................................................7 Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler Fachdidaktik inklusiv ............................................................................................................11 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Ein Protokoll in Bildern – Expertinnen und Experten auf der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik........................................15 Tony Booth & Bettina Amrhein An interview with Prof. Tony Booth: Developing inclusion – a continuous process....................................................................25 Teil 1: Fächerübergreifende Aspekte einer noch zu entwickelnden Didaktik für heterogene Lerngruppen Bettina Amrhein & Kersten Reich Inklusive Fachdidaktik...........................................................................................................31 Kerstin Ziemen Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik.................................45 Tony Booth Structuring Knowledge for all in the 21st Century.............................................................57 Andreas Köpfer & Ursula Böing Inklusive Schulentwicklungsprozesse unterstützen...........................................................71 Harry Kullmann, Birgit Lütje-Klose & Annette Textor Eine Allgemeine Didaktik für inklusive Lerngruppen – fünf Leitprinzipien als Grundlage eines Bielefelder Ansatzes der inklusiven Didaktik..................................89 Franziska Hermanns Der Inklusionsbegriff: Annäherung aus verschiedenen Blickwinkeln..........................1096 Inhalt Teil 2: Fachspezifische Aspekte einer Didaktik für heterogene Lerngruppen Sebastian Barsch & Myrle Dziak-Mahler Problemorientierung inklusive – Historisches Lernen im inklusiven Unterricht....... 119 Ulrike Meier & Martin Weber Mit Musik(-unterricht) geht alles besser … auch Inklusion?......................................... 133 Hildegard Ameln-Haffke Inklusion und Kunstunterricht........................................................................................... 153 Florian Becker Heterogenität annehmen – inklusiv Sport unterrichten................................................. 169 Sylvia G. Hundenborn Anteilnahme am Anderen................................................................................................... 187 Mathias Hattermann, Kathrin Meckel & Christof Schreiber Inklusion im Mathematikunterricht – das geht!.............................................................. 201 Philipp Krämer, Stefan Nessler, Kirsten Schlüter & Saskia Erbring Lehramtsstudierendenprofessionalisierung für Inklusion und Didaktik im naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe I durch kooperative Seminarstrukturen.......................................................................................... 221 Uwe Küchler & Bianca Roters Embracing Everyone: Inklusiver Fremdsprachenunterricht ........................................... 233 Andre Kagelmann ‚Merizonterweiterungen‘: Inklusive Potentiale für den Deutschunterricht in Andreas Steinhöfels Kinderroman Rico, Oskar und die Tieferschatten..................... 249 Autorinnen und Autoren..................................................................................................... 265 Hans-Joachim Roth Vorwort Das Kölner Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) steht seit Herbst 2011 mit dem Start der neuen Lehramtsausbildung für die Studierenden offen. Seitdem ist das Zentrum gewachsen: an Aufgaben, an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch an Anerkennung. Diese Anerkennung resultiert nicht nur aus der Erledigung der vielfältigen Aufgaben in der Betreuung und Ausbildung der Lehramtsstudierenden und in der Koordination der Lehramtsausbildung, insbesondere hinsichtlich der zentral bedeutsamen Praxisphasen als Rückgrat der LehrerInnenausbildung an der Universität zu Köln. Sie ist eben auch darin zu sehen, dass das Kölner Zentrum von den ersten Überlegungen an immer auch übergeordnete Themen aufgegriffen hat, die für eine moderne LehrerInnenbildung bedeutsam sind und ohne deren Bearbeitung Lehrerinnen und Lehrer aktuell gar nicht mehr arbeiten können. Das Kölner Zentrum sieht auch darin seine Aufgabe, solche Themen aufzugreifen und ein Forum zu schaffen, in dem diese diskutiert, ausgehandelt und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen wie praktischen Perspektiven ausgearbeitet werden können. Dabei besteht eine Leitlinie darin, alle relevanten Akteurinnen und Akteure zusammenzubringen und auf diese Weise LehrerInnenbildung von der Hochschule über den Vorbereitungsdienst bis in die Fortbildung als Kontinuum im Blick zu behalten. Das verlangt ein Forum, in das wissenschaftliche und didaktische Perspektiven eingebunden werden, in dem Forschung, Ausbildung, Schulorganisation und Unterrichtspraxis zusammengebracht werden. Inklusion war von Anfang an ein zentrales Thema. Angesichts des in Köln breit ausgebauten Profils im Bereich der Sonderpädagogik und Rehabilitation lag es immer nahe, das Thema aufzugreifen, dessen Bedeutung in der Zwischenzeit auch bildungspolitisch anerkannt ist. Es lässt sich gut beobachten, dass gerade aus den Reihen derjenigen, die sich mit den zum Teil fein unterschiedenen Formen von Behinderung beschäftigen, das Unbehagen an genau dieser Ausdifferenzierung und ihrer auf schulischer und gesellschaftlicher Ebene segregierenden Wirkung formuliert wurde. Dem begegnete ein ähnlich gelagerter Diskurs z.B. in einigen Fachdidaktiken wie auch in den Teilen der Erziehungswissenschaft, die sich mit Schule und Unterricht intensiv befassen. In Köln entstand aus diesen Bewegungen eine Kooperation mit der Stadt als Schulträger, die für sich schon früh ein Inklusionskonzept entwickelte. Aus den gemeinsamen Ideen entstand die Planung einer inklusiven Universitätsschule (IUS), die Inklusion als Prinzip auf allen Ebenen verankert – bei der Bau- und Raumplanung angefangen, über die Schulorganisation, das Lernen in Clustern, die Einbindung des Fachunterrichts bis hin zur direkten Anbindung an die LehrerInnenbildung in Köln. Der vorliegende Band geht auf eine Fachtagung des ZfL zurück, die im Kontext von Inklusion relevante Akteurinnen und Akteure einlud, sich an einer gemeinsa8 Vorwort men Vermessung des Feldes der Inklusion zu beteiligen und dabei die Beiträge aus den verschiedenen Perspektiven und Arbeitsfeldern heraus zu sortieren, zu bündeln sowie Handlungsfelder für die LehrerInnenbildung abzuleiten; dabei bilden fach-didaktische Perspektiven einen besonderen Schwerpunkt. Dieser Band zeigt sehr schön, dass das gelingen kann. Inklusion ist dabei an ihrer Ursprungsbedeutung an-gekommen: die Einbeziehung unterschiedlicher Positionen in einen gemeinsamen sozialen Bezugsrahmen. Bedeutsam erscheint es, dass Inklusion hier nicht in einem engen Verständnis, sondern in einem weiten Sinne bearbeitet wird, wie es bereits in der Resolution von Salamanca 1994 gefordert und in der UN-Konvention von 2009 verbindlich wurde: als handlungsleitendes Prinzip in allen Bildungskontexten, um ganz generell alle von Ausgrenzung und Diskriminierung bedrohten Menschen ein-zubeziehen und nicht intern auszugrenzen – unabhängig von den Ausschlussgrün-den wie Behinderung, Geschlecht, soziale und kulturelle Zugehörigkeit o.a. Inklusion ist also ein normatives Konzept, eine Programmatik mit dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit. Inklusion ist die Antwort auf die schulische Wirklichkeit ge-stiegener Heterogenität der Lernvoraussetzungen, Lebensbedingungen, Lebensfor-men und auch identitären Entwürfen. Inklusion als Prinzip von Bildung fordert das Bildungssystem heraus: „looking at education through an inclusive lens implies a shift from seeing the child as a problem to seeing the education system as a problem“ (UNESCO, 2006). Es geht also um zum Teil tiefgreifende Änderungen auf schulor-ganisatorischer Ebene, auf der Ebene des Unterrichts und eben auch auf der Ebene der LehrerInnenaus- und -fortbildung. Inklusion fordert auch die handelnden Per-sonen heraus: Es geht eben nicht um „Farbenblindheit“ und das vermeintliche An-gleichen von Unterschieden, sondern es geht um die Anerkennung von Differenzen als Ressourcen, die Menschen mit in den Bildungsprozess bringen. Inklusion braucht nicht nur neue Rahmenbedingungen und Ressourcen auf der systemischen Ebene, sondern auch pädagogische Haltungen auf der individuellen Ebene. Die Herausforderungen, vor denen die Konkretisierung des Programms Inklusion steht, müssen ebenfalls klar gesehen werden. Hier soll auf zwei hingewiesen werden: Heterogenität erzeugende Differenzlinien wie soziale Lage, Behinderung, Kultur usw. sind keine festen Eigenschaften, sondern historische wie soziale dynamische Kon-strukte, mit denen wir in unseren klassifikatorischen Rationalen arbeiten, die aber häufig auch nicht unbedingt die Selbstdefinition der von ihnen Betroffenen treffen. Diese immer wieder in den Prozess einzufädeln, ist eine permanente Aufgabe. In-klusion trifft im Bildungssystem nicht auf ein flächiges Feld, sondern auf einen über Machtverhältnisse strukturierten hierarchischen Raum mit gesellschaftlichen Teilsys-temen, die ihrerseits nach unterschiedlichen Bedingungen gestaltet sind. Inklusion ist also kein fertiges Konzept, sondern es ist ein Diskursfeld, dessen Vermessung und Gestaltung bei weitem nicht abgeschlossen ist. Von daher sind auch die gesellschaftlichen Debatten um Inklusion notwendig: ihre Möglichkeiten, aber auch die auftretenden Schwierigkeiten und Szenarien, wie diesen begegnet werden kann. Wichtig ist es, dabei diese Diskussionen an die verschiedenen fachlichen Ebe-nen rückzubinden und gleichzeitig gemeinsame Linien der unterschiedlichen Insti-tutionen und Akteure im Bildungswesen auszuarbeiten. Es sollte vermieden werden, Vorwort 9 dieses so wichtige bildungspolitische und pädagogische Feld in nach traditionel-len Fachzugehörigkeiten parzellierte Claims abzustecken – die notwendige Vermes-sung benötigt eben auch Inklusion auf allen Ebenen: der fachlichen und fachdidak-tischen Perspektiven, der kreativen Ideen, der Vernetzung, der wissenschaftlichen Forschung, der Schul- und Unterrichtsentwicklung. Der notwendige curriculare Prozess kann wahrscheinlich nur unter Einbeziehung aller Ebenen erfolgreich geführt werden. Vielleicht sollte man sich in diesem auf ein altes Konzept von Curriculum besinnen, wie es Stenhouse vor 40 Jahren schon ge-dacht hatte: als gemeinsamen Entwicklungsprozess im Dialog. Ein solches Curricu-lum wird nur in seinen Leitlinien entworfen – eine Vorlage bietet der Index für In-klusion – und dann vor Ort konkretisiert, ausgearbeitet. Ein solches Curriculum wird somit erst vor Ort konstituiert und bezieht die dort herrschenden Bedingungen ein. Im deutschen Bildungssystem haben wir inzwischen stabile Erfahrungen mit der Autonomisierung von Schule und Hochschule; wir kennen die Vor- und Nachteile – vor allem aber verfügen wir auch über viele Erfahrungen, wie ein solcher Prozess überhaupt geführt werden kann, wie Vernetzung funktioniert, wie Zuständigkeiten definiert sein müssen und welche Strukturen eine gelingende Entwicklung benötigt. Sicherlich ist das immer zusätzliche Arbeit, aber es ist auch ein Freiheitsgewinn für die beteiligten Institutionen. Das gilt es anzupacken und in diesem Sinne heißt es LehrerInnenbildung gestalten. Das stellt der vorliegende Band bereit: Er ist aus solch einem Dialog hervorgegangen und bietet an, dieses Gespräch weiterzuführen. Ich bedanke mich bei allen Beitragenden und ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL, die sich mit dem Thema auf unterschiedlichen Ebenen auseinandersetzen und die Bündelung des Themas in diesem Band möglich gemacht haben. Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler Fachdidaktik inklusiv Eine Aufgabe für die LehrerInnenbildung der Zukunft „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“ (Martin Walser) In jüngerer Zeit haben die Regierungen vieler europäischer Länder Rechtsvorschriften erlassen mit dem Ziel, inklusive Bildung zu befördern. Trotz dieser politischen Reformen zeichnet sich national wie international sehr deutlich ab, dass die entsprechenden notwendigen Entwicklungen auf der Ebene der Unterrichtspraxis nicht so leicht erreicht werden können. Uns scheint eine Verpflichtung zur inklusiven Bildung jedoch nur von begrenztem Wert, wenn sie nicht in praktisches Handeln auf der Ebene des Unterrichts übersetzt werden und somit zukünftig (auch) zum erfolgreichen Lernen aller Schülerinnen und Schüler beitragen kann. Nationale wie internationale Studien zeigen, dass die Mehrheit der Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer die Grundsätze inklusiver Bildung zwar prinzipiell befürwortet, gleichzeitig sind sie jedoch besorgt über die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer, die die Arbeit mit diesen heterogenen Klassen mit sich bringt. Insbesondere glauben Lehrkräfte, dass sie nicht über die notwendige Expertise verfügen, um den Bedürfnissen der unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Wenn man eine inklusive Schule als einen Lern- und Lebensort verstehen möchte, an welchem kein Kind ausgeschlossen und jedes Kind angemessen gefordert und unterstützt wird, dann hat dies bestimmte Folgen für die Entwicklung von Unterricht. So macht etwa Georg Feuser deutlich (Feuser, 2013), dass es die Aufgabe der Schule ist, die besonderen Fähigkeiten und die daraus resultierenden pädagogischen Bedarfe angemessen zu berücksichtigen, damit sich alle Kinder möglichst optimal zu autonomen, selbstsicheren und mündigen Personen entwickeln können, die ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu ihrem Wohle und dem Wohle der Gemeinschaft entsprechend einbringen (Feuser, 2013). Er ist der Ansicht, dass auf allen Ebenen entsprechende Transformationshandlungen gesetzt werden müssen, damit sich Schulen nachhaltig zu inklusiven Schulen entwickeln können. Eine der wichtigsten Transformationshandlungen findet dabei sicherlich auf der Ebene des Unterrichts statt. Der durch die inklusive Bildungsreform gestellte Auftrag an die Schulen besteht darin, den Unterricht didaktisch-methodisch so zu verändern, dass individualisiertes Lernen in der Gemeinschaft mit allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht wird. Die Entwicklung einer solchen Unterrichtspraxis stellt demnach ganz neue Anforderungen an die Professionalisierung von Lehrkräften: Dazu gehört es beispielsweise, neue Formen der multiprofessionellen Zusammenarbeit zu etablieren; Norm- und Wertehaltungen müssen in reflexiven Prozessen neu überdacht werden; 12 Bettina Amrhein & Myrle Dziak-Mahler pädagogische und fachliche Kenntnisse und Kompetenzen müssen im Hinblick auf die veränderten Anforderungen einer neuen Heterogenität der Schülerschaft entwickelt werden. Unter dieser Perspektive kommt der Ausbildung zukünftiger Leh-rerinnen und Lehrer eine Schlüsselfunktion im Kontext dieser inklusiven Bildungsre-form zu. Nicht unproblematisch erscheint in dieser Situation, dass bisher nur wenige nationale Ergebnisse für den Aufbau einer solchen inklusionsorientierten Lehreraus-bildung vorliegen. Die Wege, die beim Aufbau an einer an den Notwendigkeiten der inklusiven Bildungsreform orientierten Lehrerbildung beschritten werden, müssen erst noch entstehen. Das Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) der Universität zu Köln widmet sich mit zwei Arbeitsbereichen dem an Inklusion und auf Umgang mit Heterogenität aus-gelegten Professionalisierungsprozess angehender (aber auch bereits erfahrener) Leh-rerinnen und Lehrer. Zentrale Bausteine des Arbeitsbereiches bilden Praxis, For-schung und Netzwerkarbeit. In unterschiedlichen Projekten befasst sich das ZfL mit der Ausgestaltung von Konzepten einer an Inklusion orientierten Lehrerbildung für die Zukunft. Allen Aktivitäten rund um Inklusion am ZfL liegt ein auf alle Hetero-genitätsdimensionen bezogener Inklusionsbegriff zugrunde: Inklusion als einen will-kommen heißenden Umgang mit Vielfalt in jeglicher Richtung. Mit der Tagung „Fachdidaktik inklusiv“ im September 2012 gestaltete das ZfL ei-nen Rahmen für den Einstieg in einen Entwicklungsprozess, an dem Akteurinnen und Akteure aus Schulen, Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, Schulauf-sicht, Ministerium und Hochschule teilnahmen. Die Tagung war dem Grundgedan-ken verpflichtet, Diskurs zu ermöglichen, Perspektiven auszutauschen, Fragen zu entwickeln und erste Ideen zu fixieren. Das hier vorliegende Buch ist das Produkt dieser sehr erfolgreich verlaufenen Ta-gung: Die Ideen, die auf der Tagung entstanden sind, die Gedanken, die sich Teil-nehmerinnen und Teilnehmer auf der Tagung gemacht haben, finden sich in diesem Tagungsband. Die Buchbeiträge stammen daher zu einem großen Teil von Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Tagung und lassen sich grob in zwei Bereiche untergliedern: Teil 1: Fächerübergreifende Aspekte einer noch zu entwickelnden Didaktik für inklusive Lerngruppen, Teil 2: Fachdidaktischspezifische Blickwinkel auf den jeweiligen Fachunterricht für inklusive Lerngruppen. Die Auswahl der Fächer ist dem Zufall der Zusammensetzung der Tagung geschul-det und ein Ergebnis der Abfrage unter den Tagungsteilnehmerinnen und -teilneh-mern. Zusätzlich konnten jedoch noch weitere Expertinnen und Experten aus einzel-nen Fachbereichen gewonnen werden. Da wir wissen, dass zurzeit überall im Land und weit darüber hinaus um Kon-zepte für einen inklusiven Unterricht gerungen wird, haben wir großes Interesse da-ran, mit Ihnen als Leserinnen und Lesern unseres Beitrages zu dieser Entwicklung in Kontakt zu treten. Uns erscheint die theoretisch wie praktisch zu lösende Aufga- Fachdidaktik inklusiv 13 be so groß und bedeutend, dass dies wohl nur in einer gemeinschaftlichen Anstren-gung gelingen kann. Wir freuen uns auf Ihr Feedback! Bettina Amrhein und Myrle Dziak-Mahler Köln, im September 2013 Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln bettina.amrhein@uni-koeln.de myrle.dziak-mahler@uni-koeln.de Literatur Feuser, G. (2013). Grundlegende Dimensionen einer LehrerInnen-Bildung für die Re-alisierung einer inklusionskompetenten Allgemeinen Pädagogik. In G. Feuser & T. Maschke (Hrsg.), Lehrerbildung auf dem Prüfstand. Welche Qualifikationen braucht die inklusive Schule? Gießen: Psychosozial-Verlag. Bettina Amrhein & Louisa Kürten Ein Protokoll in Bildern – Expertinnen und Experten auf der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik Einleitung Am 29.09.2012 veranstaltete das Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Pädagogik und Didaktik bei Menschen mit geistiger Behinderung sowie dem Bildungsraumprojekt school is open die Arbeitstagung „Fachdidaktik inklusiv“. Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker aus allen Phasen der Lehrerbildung (Schule, ZfsL, Universität) sowie der Ausbildungsregion Köln und darüber hinaus kamen zusammen, um ihre Reise auf der Suche nach Ideen, Anregungen und Leitlinien einer inklusiven Fachdidaktik zu beginnen. Während zwei Arbeitsphasen konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über bevorstehende Herausforderungen, Wünsche, Ängste etc. in Bezug auf ihr Fach austauschen. Hierbei wurden sie von den Reiseleiterinnen und Reiseleitern des ZfL begleitet. Visuell wurde die Arbeitstagung durch die „Kommunikationslotsen“1 unterstützt, um die Ergebnisse auch im Anschluss an die Tagung allen Interessierten für die Weiterarbeit zugänglich und transparent zu machen. Begrüßung Zur Begrüßung widmete sich Professor Dr. Hans-Joachim Roth von der Universität zu Köln der Diskussion um die bildungspolitische Verkürzung der Inklusionsdebatte auf die eine Differenzlinie der sogenannten „Behinderung“. Er vertritt die Ansicht, 1 http://www.kommunikationslotsen.de. Grafiken in diesem Beitrag von Kirsten Reinhold/Kommunikationslotsen.16 Bettina Amrhein & Louisa Kürten dass das Konzept der Inklusion weit über die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen in das Allgemeinbildende Schulsystem hinausgehe. Zentrale Leitziele einer inklusiven Gesellschaft sind: • das bedingungslose Verbot jeglicher Form von Diskriminierung, • das unbedingte Recht auf Selbstbestimmung, • und das uneingeschränkte Recht auf Teilhabe. Ziel inklusiver Bildung ist somit Vermeidung von Ausgrenzungen, Zuschreibungen sowie Auf- und Abwertungen auf Grund individueller Merkmale wie Fähigkeiten, Geschlechterrollen, ethnische Herkünfte, soziale Milieus, Religionen, körperliche Be-dingungen und anderer Aspekte. Inklusion wendet sich damit der Vielfalt positiv zu mit dem Ziel, eine offene und „barrierefreie“ Gesellschaft zu gestalten. Sie akzeptiert Unterschiede und erkennt diese als Chance. Dieses breite begriffliche Verständnis von Inklusion und die aktuell stattfindenden inklusiven Bildungsreformen im deut-schen Schulsystem stellen insbesondere die Lehrerbildung vor große Herausforde-rungen. Einstimmen auf die Reise Allgemein angenommen wird, dass gute Kooperationsbeziehungen zwischen den Professionen eine zentrale Gelingensbedingung für inklusive Bildung sind. Daher bereitete die Geschäftsführerin des ZfL, Frau Myrle Dziak-Mahler, die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer mit einem Input zum Orientieren und Kennenlernen auf die bevorstehende „Reise“ vor. Unter dem Motto „take care“ gab sie ihnen mit auf den Weg, den verschiedenen aufkommenden Sichtweisen wertschätzend und zukunfts-orientiert zu begegnen. Ein Protokoll in Bildern 17 Erste Beiträge von Professor Kersten Reich und Professorin Kerstin Ziemen von der Universität zu Köln sowie Professor Tony Booth von der University of Cambridge, stimmten die Teilnehmenden zudem auf den bevorstehenden Tag ein. So präsentierte Professor Kersten Reich zunächst seine fünf Standards für Inklusion (Reich, 2012). Professorin Kerstin Ziemen beleuchtete die Frage, welche Herausforderungen Inklu-sion für die (Fach-)Didaktik birgt. Im Hinblick auf diese Fragestellung präsentierte sie drei zentrale Diskursebenen: 1. Schul- und Unterrichtsentwicklung 2. Sozialer Diskurs 3. Umsetzung internationaler Konventionen 18 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Professor Tony Booth beendete die Einstimmungsrunde mit seinem Vortrag „Curri-cula for diversity in Education“. Hier arbeitete er vor allem den Lebensweltbezug eines noch zu entwickelnden in-klusiven Curriculums heraus. Ein Protokoll in Bildern 19 Er betonte abschließend, dass sich ein Zusammenbringen unterschiedlicher kon-zeptueller Traditionen in England und Deutschland sehr produktiv auf das Curricu-lum auswirken kann. 20 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Die Reise beginnt In die erste Arbeitsphase starteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung gegen 11 Uhr mit ihren Reiseleiterinnen und Reiseleitern. In neun verschiedenen, in sich fächerhomogenen Arbeitsgruppen reflektierten sie zunächst über die Wirkung der zuvor gehörten Impulse der Expertinnen und Experten auf ihre eigene Sicht und Praxis von Inklusion. Mit der zweiten Frage widmeten sich die Arbeitsgruppen dann den Chancen und Herausforderungen einer inklusiven Fachdidaktik, um abschlie-ßend Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bezug auf die einzelnen Nennungen zu sammeln. Sehr bewusst fiel die Entscheidung in dieser ersten Arbeitsphase auf das Arbeiten in zunächst nach Fächern getrennten Arbeitsgruppen. Dieser Entscheidung lag die Annahme zugrunde, dass es womöglich zielführender sei, die Akteurinnen und Ak-teure vorerst da abzuholen, „wo sie momentan stehen“. Die Zusammenarbeit in diesen Fächergruppen ergibt, dass die Aspekte Koopera-tion und Vernetzung, Vision vs. Realität sowie die Frage nach einem ressourcenorien-tierten Herangehen an die Thematik zentral diskutiert werden. Auch hier zeigt sich in Bezug auf die eigene Fachdidaktik, dass Haltungs- wie Ressourcenfragen die ent-scheidende Herausforderung sind. Auch die Überarbeitung des eigenen Curriculums stellt eine sehr zentrale, noch zu bewältigende Aufgabe dar. Die Ergebnisse zu den Wünschen und Empfehlungen für die Entwicklung der eigenen Fachdidaktik erga-ben besonders häufige Nennungen für die Bereiche Kooperation sowie Fort- und Wei-terbildung. Ein Protokoll in Bildern 21 Mit dem Ziel, Vernetzung und Austausch auch über die einzelnen Gruppen hinaus zu fördern, stellte die Mittagspause ein wichtiges Etappenziel auf der Reise dar. So kommunizierten und reflektierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander und konnten in direkten Dialog mit den anwesenden Expertinnen und Experten tre-ten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden in ihren Tagungsunterlagen per-sönliche Visitenkarten, die sie in dieser Phase des informellen Gesprächs während der Mittagszeit und darüber hinaus miteinander austauschten. In der zweiten Arbeitsphase (Mix-Max-Gruppen) tauschten sich die Expertinnen und Experten zunächst über ihre individuellen Eindrücke und den Zugewinn für ihr Fach aus der ersten Arbeitsphase aus. Sie gingen der Frage nach, mit welchen Her-ausforderungen sie sich in ihrer Fachdidaktik konfrontiert sehen und äußerten dies-bezüglich ihre Wünsche und Empfehlungen für die Zukunft. Auch in dieser Phase wurden alle Ideen, Überlegungen und Gedanken der Gruppenmitglieder durch die jeweiligen Reiseleiterinnen und Reiseleiter schriftlich festgehalten. Folglich konnten am Ende des Tages alle Teilnehmenden die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen einsehen. 22 Bettina Amrhein & Louisa Kürten Zentrale Ergebnisse dieser gemischten Arbeitsphase In allen Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass eine inklusive Haltung die Basis al-ler Veränderungen hin zu einem „Miteinander“ bildet und der Weg dorthin als ge-sellschaftlicher Prozess verstanden werden muss. Diese Erkenntnis spiegelt allerdings genauso wider, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als große Herausforderung empfinden: Inklusion als Teil einer werteorientierten Gesellschaft anzuerkennen. Akzeptanz und eine inklusive Haltung im Alltag scheinen in vielen Bereichen noch immer problematisch. Als wünschens- und empfehlenswerte Entwicklungen in den Fachdidaktiken wurden die Förderung eines institutionen- und fächerübergreifen-den Austausches sowie die Förderung von Fort- und Weiterbildungsangeboten bewertet. Was nun – was tun? Ein Ausblick Am Ende der Expertentagung stand die Frage im Raum: Wie geht es nach der Ta-gung weiter? Wie kann ich die Vielzahl an Informationen verarbeiten und für mich nutzen? Wo wird diese Reise hinführen? Auch nach der Tagung möchte das ZfL sei-ne Reiseleiterfunktion wahren und alle Interessierten an den Entwicklungen in der Lehrerbildung teilhaben lassen. Mit einem Ausblick auf die Veranstaltung Fokus Fachdidaktik sowie weiteren Tagungs- und Vortragsankündigungen endete die Rei-se Fachdidaktik inklusiv für diesen Tag. Die Beiträge des in Anlehnung an diese Ta-gung entstandenen Buches, für welches das ZfL verschiedene, an der Lehrerbildung beteiligte Autorinnen und Autoren gewinnen konnte, finden Sie nun in dieser Ver-öffentlichung. Ein Protokoll in Bildern 23 Tony Booth & Bettina Amrhein An interview with Prof. Tony Booth: Developing inclusion – a continuous process B. Amrhein: How would you evaluate actual developments concerning inclusion in the German school system? T. Booth: There is more interest in putting inclusion into practice in Germany, in schools and communities, than any other country that I know. People across the country are being very creative in thinking about making education and other aspects of German society more responsive to, and respectful of, diversity. This book is a good example of such actions. But of course, it is very difficult to discuss inclusion without agreeing what we mean by it. There is a default position that inclusion is about the participation in the mainstream of children with impairments. I have spent some decades arguing that despite its popularity this view makes little sense. Like curriculum subjects it has become institutionalised in universities for example, in the form of courses on ‘special educational needs and inclusive education’ as if they belong together. Yet the special needs view of inclusion is excluding, treating whole people, who may face all sorts of excluding pressures in education as if adjustments should be made to them only with respect to an impairment. It sits alongside other single-issue inclusions around gender, sexual orientation, and ethnicity though the parallels are rarely acknowledged. Advocacy around all single-issue inclusion is important as long as there is a willingness to join forces against all forms of discrimination so that they are not seen as in competition with each other or seen to require separate systems of support. But this is never enough if participation is to be sustained. Inclusion has to be about everyone in education, adults as well as children. Those who work in schools are rarely going to be motivated to support the participation of children if they have no sense of their own active involvement in their working lives. We also have to change systems and settings so that they are responsive to diversity in ways that value people equally. And even further we have to foster the deep beliefs that will drive inclusion. So most importantly inclusion has to be about putting into action a framework of inclusive values. I discuss this in my chapter and in the Index for Inclusion. In this way, inclusion becomes a philosophy for education, not an aspect of it. When we evaluate German education we need to ask about all these matters not just focus on the large number of breaches of the UN Convention on the Rights of Disabled People. Though it should be said that the very great majority of children excluded into special schools in Germany do not have an impairment. On the positive side this investment in one of the largest segregated sectors in Europe can be seen as savings in the bank that could be transferred to support mainstream schools to be responsive to all people within their communities.26 Tony Booth & Bettina Amrhein So inclusion in German education is complex. It involves exploring the reduc-tion of all forms of exclusion, the extent to which schools are responsive to their sur-rounding communities and the values which underpin the system. There is a partic-ular issue in Germany around what has been described to me as ‘the sacred covenant of the Gymnasium’ which means that most secondary schools are selective. But of course Higher Education tends to be relatively exclusive in all countries and those promoting inclusion have to think about that, too. B. Amrhein: Do you see any similarities compared to the situation in England? T. Booth: England has its particular excluding threads in education and society. Attitudes ex-pressed by government and popular newspapers towards new immigrants or those seeking asylum are not good. We have a worse record than Germany in accepting people from the current conflict in Syria. In terms of educational hierarchies, schools are pushed to engage in a populari-ty contest through the testing and inspection systems and this produces selection be-tween schools. There is also an encouragement for schools to divest themselves of the influence of local municipalities by becoming ‘academies’ or setting up as ‘free’ schools. We now have a national curriculum which only applies to the remaining schools, seen by government as 2nd class. So when schools which are not academies or free schools are inspected, through our privatised inspection system it has become more difficult for them to achieve the highest grades. The dominant view of education in England owes much to the global acceptance of ‘neoliberal values’ which are close to the excluding values I depict in my chapter. In Germany people might think very carefully before they go too far down the route of increasing and punitive surveillance of schools, teachers and children. They might reflect on the connection between such moves in education and the global surveil-lance that led to revelations about the tapping of Angela Merkel’s phone by the US. Both arise from an acceptance of particular values to guide action in which no one is to be trusted and means are not separately evaluated from ends. B. Amrhein: What do you think are the greatest problems in Germany in terms of developing an inclusive school system? T. Booth: I think the problems are similar for all our countries. We have to understand how schools are affected by global and national social and economic circumstances. A fi-nancial system which reproduces poverty and undermines the environment is nev-er going to be a friend of inclusion. Inclusive education policy is also about creating living conditions whereby everyone has a home they like in a neighbourhood they want to live in as well as there being good local schools for everyone. I find it en-couraging that a number of cities in Germany are at least considering what it would mean to become an inclusive city. But inclusion is always about trying to do what we Interview with Prof. Tony Booth 27 think is right at the moment in our places of work and for the settings over which we have influence rather than waiting for the global system to right itself. The Amer-ican philosopher Michael Sandel has described the process of putting our values into action as like a muscle that wastes away with disuse. And in exercising our values we need to link together with others who share them, multiplying our efforts and giving up our desires for personal glory or our fears of institutional death when we have to change the cherished titles of our courses. B. Amrhein: Is there any European country or a country around the world that is, in your opinion, on “the right track”? T. Booth: In every country there are people who are pushing and pulling in the direction of greater inclusion with whom to make common cause and with whom we can gain an understanding of what needs to be done. In every country there are people on the right track according to my values. Many of these people live nearby so we do not have to travel far to find people with a wealth of ideas. That’s why I stress the re-sources that exist in all schools and their surrounding communities for developing inclusion. I am not a great fan of league tables, but course, there are countries where human rights abuses are more flagrant than in others and places where years of con-flict have eroded hope for a better future for adults and children. But alongside crit-icising the worst features of other countries it is wise to think what parallels exist in one’s own country. So when I heard that child soldiers in Uganda were made to kill members of their own communities and tried to understand how this could possi-bly happen, I reflected on how we allow the mistreatment of old people in my own country in homes for the elderly and hospitals as revealed in a number of scandals in the last years. This too is a kind of extreme self-harm. B. Amrhein: In terms of an inclusive curriculum: What are the main things to change within the school system? T. Booth: We need to recognise that we learn from the way schools are organised, and the na-ture of relationships within them and with their surrounding communities and envi-ronments as well as the content of more formal teaching and learning activities and the way these are conducted. In the Index for Inclusion I have addressed all these as-pects. I have followed through the implications of inclusive values for all elements of a school. We teach powerful lessons by making schools places that model how we want to live together in our societies. Schools currently teach a curriculum so outmoded that its function in sorting people has become even more emphasised than previously. We pretend that by com-paring levels of attainment between countries in literacy, mathematics and science in OECD’s PISA tables we are saying something about their relative potential for eco-nomic performance. Yet if we really wanted to make accessible to all children the 28 Tony Booth & Bettina Amrhein knowledge and skills needed for them all to be economically innovative in our socie-ties we would start from a curriculum which more closely reflects their lives and fu-tures and gives them greater control over them; something closer to the curriculum that I have set out in my chapter. B. Amrhein: What is an inclusive curriculum in your opinion? T. Booth: What I mainly want to reinforce is that any highly prescriptive curriculum cannot be inclusive because it insufficiently reflects the creativity and interests of children and adults. So I am not trying to replace an old with a more modern prescription. A curriculum is a way of dividing up knowledge, and I am proposing a resource, a framework for exploration, with explicit origins. Some people argue that teaching and learning activities should be built entirely on the interests of children as if the world of knowledge can be rediscovered anew by each generation. But without con-sideration of strongly reasoned alternatives to dominant ways of dividing knowledge a child-centred curriculum in otherwise democratic schools, is likely to reproduce a traditional curriculum eventually. B. Amrhein: What does the implementation of an inclusive curriculum mean for teacher education? T. Booth: If we agree with them, the inclusive principles that we apply to schools need to be applied in teacher education and its institutions. As well as being prepared for pro-moting inclusive cultures, policies and practices in schools and their communities, teacher education students need to learn through approaches and settings that are also moving towards inclusion. We need to break down the separation between fac-ulty and students, so that they share in learning and research opportunities. I am tempted to say that the division between knowledge and experience, theory and practice, is particularly marked in Germany, but it is certainly an issue shared by ed-ucators in England. There is often a high status attached to work in education de-partments that has little relevance or accessibility for working teachers. We need to mount a robust challenge to the idea of evidence-based practice and the gold standard of randomised controlled trials that involve expensive research projects with limited applicability and fragile results dependent on the particular contexts in which they are derived. They mimic hard science yet fail to apply the simplest empirical observation that they do not (and cannot) produce robust find-ings. For me policy and practice are led by values and informed by evidence and ex-perience. Inclusion requires a challenge to the special needs education which reduces the idea of inclusion from a principled approach to the development of education and society to a technology for adjusting schools and children seen as impaired or oth-erwise deficient as I and colleagues such as Susan Hart have long argued. The con- Interview with Prof. Tony Booth 29 tinued separation of special and mainstream teacher education reinforces the role of special needs education in perpetuating segregating practices in the mainstream. B. Amrhein: What does an inclusive curriculum mean for collaboration between profession-als? T. Booth: We need to rethink how we deploy the people who are available to support schools to respond in inclusive ways to the diversity of the children and adults within them and the communities that surround them and of which they are part. Teaching and learning with diversity, inclusive pedagogy draws inspiration from many generations of educators who have shared a common purpose. As teacher education is reconsid-ered so that it better supports the education of all within communities, it needs to build closer connections with health, social and community work. And there should be a stronger recognition of the resources for inclusion that lie outside the profes-sions within children, their families and others in neighbouring communities as well as in other schools. New networks are being formed through the internet and these will also have an impact on the nature of collaboration to improve our schools and curricula. B. Amrhein: In 20 years, how will we know that we now made the right decisions for an inclu-sive school system? T. Booth: Inclusion is a continuous moral process. I know there is some hesitation to describe it as such in Germany. But the antidote to being swept along by hidden values is to make them explicit and take responsibility for what they mean in action. I find chill-ing the idea that the pursuit of efficiency rather than humanity is seen by many as the essential driving force for education. So over the next twenty years we have no choice but to continually struggle to make the right decisions. The more fearful pros-pect is that we will look back and say we did not face up to the challenges present-ed within our societies now, that we tinkered at the margins, and left the solutions to those who would create metaphorically and literally gated and walled communities to protect a narrow range of interests. Cambridge/Cologne, 30. October 2013 Bettina Amrhein & Kersten Reich Inklusive Fachdidaktik Abstract Mit der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland zu einem „inclusive education system at all levels“ verpflichtet (UN 2006, Article 24). Mit dieser rechtlichen Vorgabe stellt sich auf der Ebene der Schul- und Unterrichtsentwicklung die Frage nach pädagogisch-didaktischen Konzeptionen in inklusiven schulischen Settings. Kersten Reich und Bettina Amrhein heben vier Aspekte hervor, die für die Grundlegung einer noch zu entwickelnden inklusiven Didaktik wesentlich sind. (1) Sie beschreiben notwendige Standards einer chancengerechten Didaktik. (2) Sie zeigen auf, weshalb Beziehungen und Haltungen hierbei entscheidend sind. (3) Sie geben Rahmenbedingungen der Inklusion an, die hierbei erforderlich werden und (4) sie nähern sich einer möglichen Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht an. Eine inklusive Didaktik ist in Deutschland erst noch im Entstehen. Eine erste Version legt Reich (2014) mit einem Ansatz vor, der konsequent auf neueren konstruktivistischen Lehr- und Lerntheorien aufbaut. Dieser Ansatz ist stark am englischen Sprachraum und an internationalen Entwicklungen orientiert. Inklusive Didaktik wird hier meist unter den Stichwörtern inclusive teaching oder inclusive education entwickelt, wobei gegenüber der deutschen Situation vier markante Unterschiede in sehr vielen Ländern, die bereits in der Inklusion fortschrittlich im Sinne einer hohen Inklusionsquote arbeiten, auffallen: 1) Inklusive didaktische Ansätze sind in solchen Ländern überwiegend lerntheoretisch begründet und folgen hier neueren Ansätzen der pädagogischen Psychologie, die von der Methodologie her konstruktivistisch ausgerichtet sind (vgl. Ormrod, 2004, 2006; Slavin, 2006; Woolfolk, 2008). Die lerntheoretische Orientierung wird in der Ausbildung aller Erzieherinnen und Erzieher und Lehrkräfte von der KITA bis zur Hochschule breit genutzt und methodologisch in konstruktivistischer Orientierung vertreten.1 Didaktik wird dabei nicht überwiegend inhaltlich aufgefasst, wie es in der deutschen Tradition bis heute vor allem auch in den Fachdidaktiken üblich ist, sondern deutlich breiter in Richtung auf gelingende Beziehungen, Kommunikation und Kooperation in einer partizipativen Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden theoretisch wie praktisch entwickelt. 2) Ein weltweit vorherrschender möglichst langer Schulbesuch aller Lernenden erfolgt nach klaren Standards, die einer Diskriminierung vorbeugen sollen. Solche Standards definieren eine chancengerechte Teilhabe, die unabhängig von ethnokulturellen Unterschieden, Geschlecht, Lebensorientierung, sozio-ökonomi1 Dabei gibt es den Begriff Didaktik weniger, sondern in der Regel Begriffe wie Unterricht, Lernen (in verschiedenen Formen und Ansätzen), Lernumgebung, Erziehung usw. 32 Bettina Amrhein & Kersten Reich schem Status und Behinderung sein sollen (vgl. Reich, 2012b). Vor dem Hinter-grund der Menschenrechte wird der Inklusionsbegriff dabei breit aufgefasst und nicht nur auf die Bedürfnisse von Behinderten bezogen. Aus einer internationa-len Sicht verstößt das deutsche Schulsystem gegen Inklusion bisher insbesonde-re durch kostenpflichtige Kindergärten und nicht hinreichend qualifizierte Erzie-herinnen und Erzieher, eine frühe Selektion bereits nach der Grundschule, ein Sonderschulwesen, das Exklusionspraktiken festschreibt und sich als wenig effek-tiv für höhere Schulabschlüsse und gerechte Chancen erwiesen hat, insbesondere aber dadurch, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg so stark wie in keinem anderen Industrieland wirkt.2 Mit dem Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention hat sich auch Deutschland verpflichtet, Inklusion in Zukunft insbesondere für Menschen mit Behinderung wie auch für die anderen benachteiligten Gruppen – also auch und vor allem aufgrund von Armut, Ge-schlecht (und sexueller Orientierung) sowie Migration – zu ermöglichen und in naher Zukunft gemeinsamen Unterricht für alle Heranwachsenden in heteroge-nen Gruppen anzubieten. Heterogenität im Schulsystem dient dabei dem Ziel, be-nachteiligten und behinderten Menschen besonders zu helfen, ohne dass dabei leistungsstarke Heranwachsende übergangen werden (vgl. z.B. Degener, 2009). 3) Inklusion kann nur in einem ganzheitlich aufgefassten Erziehungs- und Bil-dungssystem hinreichend gelingen, was eine konzeptionelle Orientierung über alle Formen (vom Kindergarten bis in die Hochschulen) und Lebensalter hin-weg in möglichst einer Verantwortlichkeit (international sind hier meist die loka-len Kommunen zuständig) erforderlich macht. Der deutsche Föderalismus, insbe-sondere aber die Zersplitterung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Blick auf Schulen, führt dazu, dass zu wenig die Selbstverantwortung vor Ort, die Freiheit und Flexibilität der lokalen Schulen, die Unabhängigkeit und kritische Evaluation der Erfolge vor Ort im Zentrum stehen, sondern eine Bürokratie des Geht-Nicht bei gleichzeitiger Verknappung von Ressourcen vorherrschen. 4) Die Fachdidaktiken stehen vor der Herausforderung, Inklusion auch in den Schulfächern zu ermöglichen. Dabei stehen sie in einem Spannungsverhältnis, das in Deutschland besonders extrem ausfällt: Einerseits sind sie an den Inhal-ten und Methoden der Fachwissenschaften ausgerichtet, die traditionell in der deutschen Lehramtsausbildung dominieren und deren didaktischer Anteil im Vergleich zum Ausland deutlich geringer ausfällt. Andererseits sollen sie in allen Schulfächern Theorien und Praktiken entwickeln, die auf eine heterogene Schü-lerschaft passen, obwohl die fachbezogene wissenschaftliche Ausbildung sich eher am Nachabiturstoff und den schwierigen wissenschaftlichen Fragen orientiert, so dass die Lehrkräfte in hoher Eigenleistung eine Elementarisierung und Didakti-sierung ihrer Fachkenntnisse persönlich anstreben müssen. Dies überfordert die Lehrkräfte nicht selten schon im herkömmlichen Unterricht, wird jedoch in der Inklusion zu einer besonderen Schwachstelle des Systems. 2 Dies sind wesentliche Kritikpunkte, wie sie im Bericht des UN-Sonderberichterstatters Vernor Muñoz bereits 2006 festgehalten wurden. Eine genaue und umfassende Analyse zu Chancengerechtigkeit findet sich in Reich (2013). Inklusive Fachdidaktik 33 Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung von inklusiven Fachdidaktiken kei-ne einfache Aufgabe. Es verwundert nicht, dass diese bisher besonders gut im eher überschaubaren Inhaltsbereich der Grundschule mit vielen fachübergreifenden As-pekten gelingt. Hier besteht bereits der heterogene Erprobungsraum einer Schule für alle ohne äußere Differenzierungen, wie es die Inklusion für alle Schulstufen er-fordert. Nachfolgend wollen wir insbesondere vier Aspekte hervorheben, die für die Grundlegung einer inklusiven Didaktik und konkrete Umsetzungen wesentlich sind. (1) Wir beginnen mit den notwendigen Standards einer chancengerechten Didaktik. (2) Wir zeigen auf, weshalb Beziehungen und Haltungen hierbei entscheidend sind. (3) Wir geben Rahmenbedingungen der Inklusion an, die hierbei erforderlich wer-den. (4) Wir nähern uns einer möglichen Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht an. 1. Inklusive Standards Eine inklusive Fachdidaktik kann nicht isoliert operieren, sondern macht nur Sinn in einem ganzheitlich orientierten inklusiven Modell. Dieses ist grundsätzlich vom Willen getragen, die Chancengerechtigkeit im Erziehungs- und Bildungssystem zu erhöhen und Diskriminierungen zu vermeiden. Insbesondere die fünf Standards der Inklusion (ethnokulturelle Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Antihomopho-bie, Gerechtigkeit für Menschen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status und mit Behinderung) (vgl. dazu Reich, 2012b, 48ff.) sind dabei umfassend zu beachten. Die inklusive Schule geht auf Verpflichtungen im Blick auf die Standards der Inklusi-on ein, indem sie vor allem ein inklusives Leitbild partizipativ mit allen Beteiligten entwickelt, die Kommune mit einbezieht (vgl. Montag Stiftung, 2011), für die Auf-nahme einer heterogenen Schülerschaft sorgt, die Lehrpläne und Unterrichtsinhal-te entsprechend der unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler/innen aufberei-tet, Wissen über Inklusion und Inklusionsprozesse an alle Beteiligten, insbesondere die Lehrkräfte, vermittelt, Hindernisse gegen die Durchsetzung von Chancengerech-tigkeit in der Schule identifiziert und Pläne erstellt, um diese zu beseitigen. Sie ver-hält sich in der eigenen Personalentwicklung inklusiv, bezieht die Eltern umfassend mit ein, erkämpft möglichst gute Ressourcen und klagt Versäumnisse ein. Die in-klusive Fachdidaktik steht dabei in der besonderen Rolle, sich einerseits mit den Fachwissenschaften und ihrem Hang zu immer größerer Spezialisierung und Ver-wissenschaftlichung, auch des Lehramtsstudiums, kritisch auseinanderzusetzen, an-dererseits hinreichend Lern- und Kommunikationstheorien, Verfahren pädagogisch-psychologischer Diagnostik, Modelle guter Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht, ebenso einzubeziehen wie Methoden der Differenzierung, Beratung und Beurteilung. Aus internationalen Erfahrungen mit effektiv durchgeführter In-klusion wissen wir, dass dies besonders dann gut gelingen kann, wenn die pädagogi-schen und psychologischen Grundlagen an die Seite der fachlichen treten und ihnen nicht durchgehend nachstehen. 34 Bettina Amrhein & Kersten Reich 2. Inklusive Fachdidaktik benötigt Beziehungen und Haltungen als Ausgangspunkt von Inklusion3 Die inklusive Didaktik ist immer auch eine Beziehungsdidaktik (vgl. dazu Reich, 2012a). Sie geht von der Einsicht aus, dass Lehrende in ihren Beziehungen mit den Lernenden, wie auch die Lernenden in ihren Beziehungen untereinander, hauptsäch-lich zum Erfolg einer gelingenden Schule beitragen. Von positiven Beziehungen, die den Selbstwert, die Selbstbestimmung und -verantwortung stärken, hängt es immer wieder entscheidend ab, wie erfolgreich Lernende in der Schule agieren und sich entwickeln. Diese empirisch umfassend erforschte These (vgl. Hattie, 2012, S. 22ff.) sollte auch in einer inklusiven Fachdidaktik fokussiert werden. Der Unterrichtser-folg ist in starkem Maße von den Haltungen und Erwartungen der Lehrkräfte abhän-gig. Besonders wichtig ist es hier, dass sie gezielt auf den Fortschritt aller Lernenden im Unterricht achten, dabei die Effekte ihres Unterrichts stets beobachten und erhe-ben, um Mängel sofort zu beseitigen (vgl. ebd., S. 23). Erfolgreiche Lehrende füh-ren grundsätzlich gute Beziehungen mit den Lernenden und dem Lehrteam. Sie sind engagiert, achten auf die emotionale Qualität von Beziehungen und das Lernklima, haben aber auch ein gutes Verständnis von den Lerngegenständen, die sie anschau-lich und in ihren wichtigen Punkten zielorientiert und strukturiert vermitteln (ebd., S. 24ff.). In der inklusiven Fachdidaktik sind solche Erfordernisse immer idealty-pisch konstruiert, aber sie zeigen ein Leitbild an, an dem sich sowohl Studien- als auch Personalauswahl künftig stärker orientieren müssen. Berühmt ist die deutsche Fachausbildung in den wissenschaftlichen Fächern, die auf die Schulfächer abgebil-det werden. Aber fachwissenschaftliche Kenntnisse, die in den Schulfächern zum Einsatz kommen, werden in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern deut-lich überschätzt. Sie sind von geringerer Bedeutung, als vielfach angenommen wird. „Trotz der scheinbaren Plausibilität der Behauptung gibt es keine breit be-gründeten Beweise, um sie zu verteidigen. Wenn es eine große Anzahl und einen konsistenten Belegbereich von Studien gäbe, die die Kraft der Bedeu-tung des Fachwissens und pädagogischen Wissens im Blick auf die daraus fol-gernden Lernergebnisse der Schüler/innen nachwiese, dann wären diese Bele-ge stets zitiert und nicht schwer zu erreichen.“ (Hattie, 2009, S. 113) Es gibt Untersuchungen, wie die von Ahn und Choi (2004), die z.B. herausfanden, dass es nur einen sehr geringen Zusammenhang zwischen mathematischer Fach-kenntnis und Lernerfolgen von Schülerinnen und Schülern bei Lehrenden in Relati-on zu diesen Kenntnissen gibt. Damit wird deutlich, dass ein bevorzugter Weg über das Fachwissen nicht erfolgreich sein kann, wenn Schule gelingen soll. Dies gilt auch für ein spezialisiertes pädagogisches Fachwissen. Eine inklusive Fachdidaktik benö-tigt hingegen ein wirksames Handlungswissen, für das insbesondere drei Aspekte maßgebend zu sein scheinen: 3 Der nachfolgende Textteil entnimmt Argumentationen aus Reich (2014, Kapitel 4.1). Inklusive Fachdidaktik 35 1) Lehrkräfte müssen in der Inklusion ihre eigenen Erfahrungen mit Schule aus ih-rer Schulzeit ablegen und überwinden, weil sie überwiegend exklusive Praktiken erlebt haben. Sie müssen aktiv an einem neuen, inklusiven Welt- und Menschen-bild arbeiten, das ihnen eine fördernde Haltung ermöglicht, die für alle Lernen-den persönliche Exzellenz anstrebt, und für den gemeinsamen Unterricht ein hinreichendes Bewusstsein für Differenzierungen ermöglicht. 2) Lehrkräfte verlieren ihren autonomen Status als Hauptbezugsperson in der Klasse und werden notwendig zu Teammitgliedern. Sie sind in der Lage, sich in multi-professionellen Teams einzubringen und Unterricht gemeinsam mit anderen vor-zubereiten, differenziert zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Es ist em-pirisch umfangreich nachgewiesen, dass die Lernenden in Teams deutlich bessere Ergebnisse erzielen (vgl. Hattie, 2012, S. 186f.). 3) Lehrkräfte müssen Widersprüche zwischen Fachwissen mit hohem stofflichem Druck im Unterricht und pädagogischer Grundlegung des Handelns positiv be-wältigen. Vom Fachwissen her scheinen alle Schülerinnen und Schüler gleich be-handelt werden zu können, von ihren Voraussetzungen und Bedürfnissen her aber sind sie unterschiedlich. Nur Lehrkräfte, die umfassend gelernt haben, wie sie für eine heterogene Lerngruppe relevanten Stoff differenzierend und für alle Lernenden effektiv vermitteln können, werden in der Lage sein, inklusive Anfor-derungen wirksam und hinreichend gerecht zu bewältigen. 3. Rahmenbedingungen einer inklusiven Didaktik Inklusion benötigt inklusionsförderliche Strukturen, wenn sie gelingen soll. Aus der Sicht der inklusiven Didaktik (vgl. z.B. Peterson & Hittie, 2010; Reich, 2014) gehören dazu z.B. folgende Aspekte: • Eine inklusive Schule ist eine Schule, die Diversität schätzt und Heterogenität bei den Schülerinnen und Schülern erwartet und als Chance zu persönlichen Ent-wicklungen sieht. Die Schule sollte auch versuchen, sich in der Kommune/dem Stadtteil mit der vorhandenen Diversität zu beschäftigen bzw. Brücken in die äu-ßere Lebenswelt zu schlagen. Als chancengerechte Schule sieht sie sich auch als demokratische Schule, in der mittels Klassenrat und parlamentarischen Formen alle an Entscheidungsprozessen partizipativ in einer Demokratie im Kleinen betei-ligt werden. Eine inklusive Schule fordert in einer Gesellschaft, die stark exkludie-rend ist, Ungehorsam heraus, den wir nutzen sollten, eine Schule für alle zu ge-stalten (vgl. Stähling & Wenders, 2011). • Die Schule entwickelt sich als Teamschule in positiven sozial-emotionalen Bezie-hungen und ermöglicht im Ganztag umfassende Erziehungs- und Bildungsprozes-se auch jenseits (ungünstiger) häuslicher Verhältnisse. • Die inklusive Schule versucht die Unterrichtsräume so umzugestalten, dass ein Lernen in sehr unterschiedlichen Sozial- und Aktionsformen möglich wird. Je 36 Bettina Amrhein & Kersten Reich nach Lage der Dinge sollten dazu Raumgrenzen aufgelöst, Räume zusammenge-legt, Zwischenräume genutzt werden (vgl. Beispiele in Montag Stiftung, 2012). • Inklusive Fachdidaktik hat das Ziel, alle Lernenden zu höchster persönlicher Ex-zellenz und zu bestmöglichen Abschlüssen (auch Empfehlungen für weiterführen-de Schulen) zu bringen. • Eine förderliche Lernumgebung wird didaktisch geplant, gestaltet und in ihren Wirkungen kontinuierlich evaluiert. • Der Unterricht wird didaktisch inklusiv aufbereitet, was nur mittels einer inklu-siven Didaktik gelingen kann. Eine solche Didaktik (vgl. Reich, 2014) löst den Gleichschritt und gleiche Ziel- und Rangvorstellungen auf der Basis durchschnitt-licher Vergleiche von Schülerinnen und Schülern auf und individualisiert nach den diagnostisch ermittelten und reflektierten Unterschieden und Interessen der Lernenden. Ausgangspunkt sind Basisqualifikationen für alle in der bestehenden heterogenen Lerngruppe, die individuell erweitert werden. • Die Beurteilung wird auf Zielvereinbarungen umgestellt, in denen die Vorausset-zungen der Lernenden eingehen, individuelle Ziele vereinbart und kontrolliert werden, kontinuierliches Feedback über Lernfortschritte festgehalten und doku-mentiert werden (vgl. Reich, 2012a, S. 297ff.). Ein solches Verfahren kann auch für die Feststellung von Förderbedarf genutzt werden. • Inklusion bedarf der durchgehenden Evaluation und einer Supervision und Bera-tung durch externe Expertinnen und Experten, um das Erreichte zu dokumentie-ren und kontinuierliche Verbesserungsprozesse zu initiieren. 4. Rolle der sonderpädagogischen Förderung Obwohl wir uns bei der Suche nach Leitlinien für eine inklusive Fachdidaktik an einem internationalen begrifflichen Verständnis von Inklusion orientieren, welches nicht auf die eine Heterogenitätsdimension der sogenannten „Behinderung“ fokus-siert ist, nimmt die Frage nach der Rolle der sonderpädagogischen Förderung im in-klusiven Unterricht, nicht zuletzt auch aufgrund der vielfältigen bildungspolitischen Aktivitäten rund um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Land, eine sehr zentrale Rolle ein. Daher soll diese Dimension im Rahmen unseres Textes etwas mehr Raum bekommen. Grundfragen der Ausrichtung sonderpädagogischer Förderung Zahlreiche Autorinnen und Autoren beschäftigen sich aktuell mit der Frage, wie eine zeitgemäße sonderpädagogische Förderung aussehen kann, die sich mit den Stan-dards inklusiver Bildung (Reich, 2012b) in Übereinstimmung bringen ließe. All-gemein kann durch die inklusiven Bildungsreformen im Land von einer starken Verunsicherung im sonderpädagogischen Selbstverständnis gesprochen werden. Christian Lindmeier spricht in einem Aufsatz von zwei widerstreitenden Paradigmen – das der besonderen Lern- und Entwicklungserfordernisse und das der Teilhabe Inklusive Fachdidaktik 37 und Inklusion als Menschenrecht (Lindmeier, 2012). Dabei besteht u.a. das grund-sätzliche Dilemma der Sonderpädagogik in den aktuellen inklusiven Bildungsrefor-men darin, dass Konzepte einer inklusiven Pädagogik eine äußerst kritische Positi-on zu allen administrativen Prozessen von Etikettierung einnehmen, denn sie halten sie für einen Ausdruck von Diskriminierung, der die Teilhabe am öffentlichen Leben mindert. So lehnt eine inklusive Pädagogik neben individuellen Curricula auch Be-griffe wie Lernstörung und geistige Behinderung ab und strebt ein schooling without labels an (Campbell & Trotter, 2007). Unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Lernenden strebt inklusive Pädagogik die Bekämpfung diskriminierender Hal-tungen, die Schaffung wertschätzender Gemeinschaften, die Verwirklichung einer Pädagogik für alle ebenso wie die Verbesserung der Qualität und Effektivität der Pä-dagogik für den Mainstream der Lernenden an (Lindmeier, 2012, S. 38). Andreas Hinz übte in Anlehnung an die deutlich früher geführte Diskussion um inklusive Bildung im angloamerikanischen Sprachraum schon 2002 Kritik an den so-genannten Förderplänen. Da diese in der Praxis häufig exklusiv von Sonderschul-lehrerinnen und Sonderschullehrern geschrieben würden, sei nach seiner Ansicht davon auszugehen, dass diese letztlich doch eher von Defiziten ausgingen, auf ei-ner eher linearen Vorstellung von kleinschrittigem Lernen basierten, die Verteilung von Aktivität und Passivität zwischen Förderern und Geförderten einseitig festlegten und somit den Prozess des gemeinsamen Lernens eher behinderten, indem sie sehr stark personenzentriert seien. Unter diesen Gesichtspunkten seien sie eher kontra-produktiv für Inklusion (Hinz, 2002). Hier wollen wir anfügen, dass sich an vielen Standorten die Arbeit mit den Förderplänen in den letzten 10 Jahren stark weiterent-wickelt hat und oft nicht mehr allein durch die Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung erstellt wird. Die Kritik am Paradigma der besonderen Lern- und Entwicklungsförderung ver-weist auf ein Grundproblem des personenbezogenen bildungspolitischen Legitima-tionsbegriffs „sonderpädagogischer Förderbedarf “, da dieser nicht ausreichend be-rücksichtigt, dass die sogenannte Behinderung in der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO als ein Merk-mal einer Handlungssituation aufgefasst wird und nicht mehr als ein Merkmal ei-ner Person (Lindmeier, 2012). Auch machen Forschungsergebnisse aus dem eng-lischsprachigen Raum deutlich, dass sich das Bilden sogenannter pseudo-homogener Lerngruppen (in unterschiedlichen Schulformen) nachteilig auf die Lernleistung aus-wirken kann. So konnte nachgewiesen werden, dass oft eine als ability labelling be-kannte Praxis die Sicht der Lehrkräfte auf Schülerinnen und Schüler formt und ihre Erwartungen an die Lernleistungen dieser Kinder limitiert. Die Lehrkräfte stimm-ten dann ihren Unterricht auf diese reduzierten Erwartungshaltungen ab und gin-gen unterschiedlich mit Kindern um, die sie als bright, average or less able titulier-ten (Riecke-Baulecke, 2012; Borns, 2012; Dubs, 2012; Klein, 2012). Die Schülerinnen und Schüler lernten dann, sich diesen Erwartungen entsprechend zu verhalten (Fa-ber, 2012; Klein, 2012; Breinl, 2012). Schon 1993 schlug Uditsky den umgekehrten Weg vor. Statt individuelle Curri-cula in individuellen Förderplänen festzulegen, wird ein gemeinsames Curriculum 38 Bettina Amrhein & Kersten Reich für alle entwickelt, das unter verschiedenen Aspekten in Teilbereichen individuali-siert werden muss, damit alle Beteiligten sinnvoll mit und an ihm lernen können – aufgrund von spezifischen Kommunikationswegen, Erstsprachen, kulturellen Hinter-gründen etc. (Uditsky, 1993). Wenn wir dieser Idee eines zunächst für alle gültigen Curriculums folgen, welches dann erst vor dem Hintergrund individueller Entwick-lungslagen von Lehrkräften flexibel und differenziert entwickelt wird, stellt sich die Frage, inwieweit sich eine mögliche neue Rolle sonderpädagogischer Förderung im inklusiven Unterricht definieren ließe. Auch hier hat Andreas Hinz bereits vor 10 Jahren auf eine mögliche Richtung sonderpädagogischer Förderung aufmerksam gemacht, wenn er vorschlägt, dass In-klusion nicht den Inklusionspädagogen oder die Inklusionspädagogin braucht, son-dern eher verschiedene pädagogische Professionen (Schul-, Sonder-, Sozialpädago-gik) mit ihren spezifischen – allerdings im Hinblick auf das gemeinsame Lernen in heterogenen Gruppen deutlich veränderten – Blickwinkeln (Hinz, 2002). Hinter die-sem Vorschlag verbirgt sich die Überzeugung, dass erst die vorhandenen Spannungs-felder aus verschiedenen Perspektiven einen weiten Blick auf inter- und intraindi-viduelle Verschiedenheiten und Unterschiede ermöglicht (Largo, 2010). Schon vor zehn Jahren machte er damit den Vorschlag, dass eine veränderte, integrationsunter-stützende Sonderpädagogik auch in einem inklusiven Umfeld gebraucht wird – als gemeinsam beratende und als gemeinsam unterrichtende Berufsrolle, die einen klar zugewiesenen und hinreichenden Zeitrahmen benötigt. In einer kürzlich erschienenen Studie zu Inclusion in Canada (2013) hat An-dreas Köpfer die Berufsrolle des Methods & Resource Teams näher untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Rolle eine vollständige Neudefinition der sonderpädagogischen Rolle erfordert und nicht als bloße Neubesetzung verstanden werden kann (ebd.). Damit sie nicht in den Aufbau bloß „additiver Strukturen“ (Hinz, 2006, S. 156) mündet, ist es notwendig, dass sie sich vom Spektrum allein sonderpädagogischer Zuständigkeiten löst. Sie fungiert besser als Reflexionsfläche für didaktisch-methodische Fragestellungen von Lehrpersonen sowie als koordina-tive und kommunikative Rolle zur Kreation einer Professional Learning Communi-ty im Sinne inklusiver Schulorganisation (Köpfer, 2013, S. 232ff.). Als Fazit hält er fest, dass sich die kanadische inklusive Schulpraxis4 weder durch eine allumfassende inklusive Didaktik auszeichnet, noch ein hohes Maß an offenen Unterrichtsformen aufweist, „sondern letztlich eine Balance aus individuellen und gemeinschaftlichen Lernphasen, sowie offenen und geschlossenen Unterrichtsformen implementiert hat, die auf Basis einer pragmatisch-flexiblen Classroom Practice umgesetzt wird“ (ebd.). Ein Hauptcharakteristikum der dort beobachteten Unterrichtspraxis stellte die perso-nelle Unterstützungsstruktur für die Lehrpersonen dar. Dabei wird ein enger Zusam-menhang gesehen zwischen der Herausforderung der Unterrichtung einer heteroge-nen Schülerschaft und dem Maß an benötigter Unterstützung für die Lehrperson, um dieser Aufgabe gerecht zu werden (Köpfer, 2013, S. 229). 4 Hier bezieht er sich nur auf die drei von ihm untersuchten Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island und Quebec. Inklusive Fachdidaktik 39 Bei dieser Einschätzung ist allerdings zu beachten, dass im angloamerikanischen Sprachraum ohnehin eher die inklusive Haltungsfrage diskutiert wird und anstelle einer Didaktik umfassend Grundlagen der pädagogischen Psychologie genutzt wer-den. Für Deutschland hingegen erscheint im Sinne der bisherigen allgemeinen Di-daktik die Forderung nach einer besonderen inklusiven Didaktik (Reich, 2014) durchaus als sinnvoll. Der Verweis auf das kanadische Schulsystem soll auch nicht mit der Schlussfolgerung verbunden werden, die Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung in einem inklusiven Unterricht zu reinen Unterstützerinnen und Unter-stützern der Regelschullehrkraft zu machen. Ein solcher Vorschlag würde Untersu-chungsergebnisse zur Teacher Assistance ignorieren, die nachweisen konnten, dass durch die Präsenz und das Einwirken eines Teaching Assistants unterdurchschnittli-cher akademischer Fortschritt leicht entstehen könnte (Blatchford et al., 2011). Im Zusammenhang dieses Buches steht die Frage im Raum, wie sich in einer in-klusiven Fachdidaktik das herstellen lässt, was mit Verweis auf Andreas Hinz weiter oben als die Kooperation der Professionen bezeichnet wurde. Ganz allgemein wollen wir hier betonen, dass die sonderpädagogische Expertise für die Umsetzung der in-klusiven Schule zwar ein wichtiger Ausgangspunkt ist, sich aber im Sinne der Stan-dards der Inklusion und vor allem inklusiver positiver Erfahrungen auf internatio-naler Ebene deutlich zu verändern hätte. Die von vielen befürchtete Abschaffung der Sonderpädagogik halten wir für übertrieben, aber eine Neuausrichtung nach erfolg-reichen inklusiven Modellen zugleich für notwendig. Als Herausforderung gibt es vor allem drei Aspekte: 1) Die Sicherung einer inklusiven Lehramtsausbildung für alle Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen. 2) Grundlagenforschung und Beratungsangebote für alle in den inklusiven Stan-dards genannten Bereiche. 3) Vermeidung einer Reduzierung der Sonderpädagogik nur auf Lehrerbildung, weil das Aufgabenfeld über die Schule hinausreicht. Heinrich, Urban & Werning (2013) unterscheiden in ihrer Expertise zwei grundle-gend differente Muster der Implementierung inklusiver Prozesse: Eine erste Grundform basiert auf einer Rekonstruktion der vormals in Sonderin-stitutionen lokalisierten Sonderpädagogik in der allgemeinen Schule. Inklusion defi-niert sich hier primär über eine Zugehörigkeit auch von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu der jeweiligen allgemeinen Schule. In der praktischen Umsetzung dieser Form gemeinsamen Lernens kommt es jedoch häufig nicht zur Auflösung der getrennten Zuständigkeitsbereiche von Regelschullehrkräf-ten und Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung. Die zweite Grundform der Realisierung einer inklusiven Schule basiert hingegen primär auf einer Integration von Prozessen sonderpädagogischer Förderung in ei-nen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler, „der didaktisch so aufgebaut ist, dass er einen effektiven Kompetenzerwerb bei heterogenen Lerngruppen ermög-licht“ (Heinrich et al., 2013, S. 81). Diese zweite Grundform nutzt sonderpädago-gische Ressourcen primär im Kontext von Teamstrukturen und bezogen auf Unter- 40 Bettina Amrhein & Kersten Reich richtsprozesse und pädagogische Interventionen, die sich im Interaktionssetting der Lerngruppe vollziehen. Die Autoren machen auch deutlich, dass der aktuelle Stand der empirischen Forschung zeigt, dass es nicht den einen richtigen Weg bzw. das eine richtige Or-ganisationsmodell der Förderung aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpäda-gogischem Förderbedarf in der inklusiven Schule gibt und merken an, dass dies zu-künftig sehr sorgfältig untersucht werden muss. Die Frage besteht allerdings auch, warum die deutschen Verhältnisse gegenüber denen des erfolgreichen Auslands so konservativ im Blick auf die Möglichkeiten der Inklusion ausgelegt sind. Die Au-toren betonen immerhin auch, dass inklusive Bildung, wenn sie als zentrales Ziel die Partizipation aller in einer demokratischen Gesellschaft verfolgt, das zweite Mo-dell bevorzugen muss. Sie stützen sich dabei u.a. auf John Hattie (2009, 2012), der in seiner Meta-Analyse zeigen konnte, dass ein Mainstreaming-Setting (eine Schule für alle) für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Formen sonderpädago-gischen Förderbedarfs im Hinblick auf unterschiedliche Fächer und Kompetenzbe-reiche und in verschiedenen Klassenstufen jeweils bessere Lernerfolge als das Ver-gleichssetting zeigen kann (Heinrich et al., 2013, S. 81). Ein weiteres Beispiel für diese zweite Grundform der Realisierung einer inklu-siven Schule findet sich bei L. Florian und K. Black-Hawkins (Florian & Black- Hawkins, 2010). Sie machen einen interessanten Vorschlag, den sie „The inclusive pedagogical approach“ nennen und grenzen diesen bewusst von einem „individua-lised approach to inclusion“ ab. Unter ihrem inklusiven Ansatz verstehen Florian und Black-Hawkins eine Praxis der Unterrichtsentwicklung, die sich gegen die stigmati-sierende Einteilung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne zusätzlichen Un-terstützungsbedarf wendet. Diesem Ansatz steht aus Sicht der beiden Wissenschaft-ler der „additional needs approach to inclusive practice“ kontrastiv gegenüber, der in etwa mit dem vergleichbar ist, was Heinrich, Urban & Werning als die erste Grund-form (Rekonstruktion der vormals in Sonderinstitutionen lokalisierten Sonderpäda-gogik in der allgemeinen Schule) bezeichnen. L. Florian und K. Black-Hawkins be-schreiben in ihrer Arbeit, dass diesem „individualised approach to inclusion“ oft ein Denken in Gaußscher Normalverteilung mit der klassischen Glockenkurve zugrun-de liegt. Solche Rangverteilungen in vorgeordneten Rangvergleichen sind mit zahl-reichen Fehlern verbunden, weil sie auf der Basis scheinbarer Gleichheit legitimiert sind und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Betroffenen überhaupt nicht be-rücksichtigen. Im schulischen Kontext sind solche Rangzuweisungen national wie in-ternational noch weit verbreitet (Florian & Black-Hawkins, 2010), weil sie besonders geeignet erscheinen, Aufrückungen und Zulassungen großer Menschengruppen un-abhängig von Fragen der Chancengerechtigkeit zu organisieren (vgl. dazu ausführ-lich Reich, 2013). Inklusive Pädagogik im schulischen Kontext bedeutet jedoch, sich als Team bzw. als ganze Schule bewusst gegen eine solche vereinfachende Rangzu-weisung nach Glockenkurven von wenigen guten und schlechten und vielen Schüle-rinnen und Schülern in der Mitte zu entscheiden, um zu verhindern, dass durch re-duzierte Erwartungshaltungen der Lehrkräfte mögliche Potentiale ungenutzt bleiben (Grüne-Rosenbohm, 2012; Fendler & Muzaffar, 2008; Bos et al., 2010; Hart, 2004). Inklusive Fachdidaktik 41 Wichtige Umsetzungsfragen und Hindernisse Wie lässt sich die Rolle der sonderpädagogischen Förderung im Rahmen der Nut-zung sonderpädagogischer Ressourcen im Kontext von Teamstrukturen und bezogen auf gemeinsame Unterrichtsprozesse konkreter beschreiben? Die Entwicklung multiprofessioneller Teamarbeit in inklusiven Settings scheint auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse eine zentrale Gelingensbedingung für die-sen Transformationsprozess sonderpädagogischer Förderung im Regelschulsystem zu sein. Dabei wissen wir auch, dass es im komplexen Kontext inklusiver Bildungsrefor-men eher nicht ausreicht, wenn Einzelne ihr Können verbessern (Amrhein & Bad-stieber, 2013). Um langfristig der Umsetzung der inklusiven Bildungsreformen eine Richtung geben zu können, wird es ganz entscheidend darauf ankommen, wie der Wissenstransfer ins Kollegium hineinorganisiert wird. Hier geht es vor allem um die Frage, wie beide Professionen von Lehrerinnen und Lehrern und Sonderpädagogin-nen und -pädagogen, denn als solche werden sie zur Zeit noch ausgebildet, zu ei-ner gemeinsamen Unterrichtsverantwortung kommen. Dabei geht es nicht darum, zukünftig zum Allrounder oder wie Andreas Hinz es ausdrückt zu dem Inklusions-pädagogen oder zu der Inklusionspädagogin zu werden, sondern es ist die Aufgabe einer geschickten Steuerung, hier den Aufbau neuer Kooperationsbeziehungen un-terschiedlicher Professionen zu ermöglichen. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele zeigen (Amrhein & Badstieber, 2013), dass dies dann gelingen kann, wenn schulische Unterrichtskonzepte verbindlich mit ei-ner inklusiven Grundhaltung verbunden werden, die sich an der Definition von In-klusion der UNESCO (Mittendrin, 2012) orientiert und nicht Gefahr läuft, inklusi-ve Pädagogik als Kontinuum bisheriger Heil- oder Sonderpädagogik zu konstruieren (UNESCO, 2005). Dies erzwingt allerdings eine umfassend veränderte Schul- und Unterrichtskultur in der Regelschule (UNESCO, 2005; Avenarius, 2012). Eine Schlussfolgerung aus den hier zusammengetragenen Erkenntnissen ist, dass die Rolle der sonderpädagogischen Förderung im inklusiven Unterricht neu zu defi-nieren ist. Dabei könnte die Vorstellung handlungsleitend sein, dass es sich im Rah-men einer notwendigen Reform nicht um das Bilden einer einfachen Schnittmenge zwischen alten integrativen und neuen inklusiven Ansätzen handelt, sondern eher um die Modellierung eines ganz neuen Umgangs mit Vielfalt im Kontext schulischer Förderung sowohl auf einer fachübergreifenden Ebene als auch auf der Ebene des Fachunterrichts. Davis und Florian kommen in ihrem Survey „Teaching Strategies and Approa-ches for Pupils with Special Educational Needs: A Scoping Study“ zu dem Ergebnis, dass es keine spezifische sonderpädagogische Didaktik gibt, sonderpädagogisches Wissen aber als ein zentrales Moment von Didaktik betrachtet werden muss. Folgt man dieser Sicht, stellt sich die Frage wie folgt: Wie lässt sich das sonderpädagogi-sche Wissen in ein didaktisches Konzept für inklusiven Fachunterricht transformie-ren? Umgekehrt gilt aber auch, dass aus der Sicht der bisherigen Didaktik Ansätze zu entwickeln sind, die sich als inklusive Didaktik verstehen. Reich (2014) versucht beide Ansätze zu verbinden und macht in seiner Arbeit deutlich, dass die inklusive 42 Bettina Amrhein & Kersten Reich Didaktik nur gelingen kann, wenn sie in einer inklusiv gestalteten Schule mit ent-sprechenden Verpflichtungen realisiert wird. Hier ist insbesondere zu fordern, dass der Staat hierbei Ressourcen bereitstellt, die international vergleichbar nach Perso-nal- und Sachausstattung gehalten sind. Die zu lösende Aufgabe auf dem Weg zu einer inklusiven Fachdidaktik besteht aber auch darin, aus den einzelnen Fachdidaktiken heraus die Rolle der Sonderpäd-agogik bzw. einer inklusiven Didaktik im jeweiligen Fachunterricht neu zu definie-ren. Hier eröffnet sich ein dringendes Forschungs- und Ausbildungsfeld, denn über die Verknüpfung von fachlichem, fachdidaktischem, inklusiv didaktischem und son-derpädagogischem Wissen für die Umsetzung eines Unterrichts in inklusiven Lern-gruppen liegen für den deutschen Sprachraum noch zu wenige Forschungsergebnis-se oder umfassende und in die Breite entwickelte Praxismodelle vor. Erschwerend kommt in der aktuellen Situation hinzu, dass die Konzepte aktuell von Lehrkräften bei laufendem Betrieb und unter oft sehr schwieriger Versorgungslage entwickelt werden müssen, da die Anforderungen an den Umgang mit Vielfalt im Unterricht ungeachtet der noch zu entwickelnden (fach-)didaktischen Konzepte in den Klassen immer weiter zunimmt, obwohl weder eine hinreichende Qualifikation vor Ort, ein guter Personalschlüssel oder umfassend ausgebildete multiprofessionelle Teams vor-handen sind. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der handelnden Kol-leginnen und Kollegen im traditionellen exkludierenden Paradigma der besonde-ren Lern- und Entwicklungsförderung professionalisiert wurden, erschwert ohnehin die Umsetzung inklusiver Bemühungen. Zudem haben bisher Lehrkräfte noch wenig Gelegenheit, sich mit dem Paradigmenwechsel in der Heil- und Sonderpädagogik in Richtung Inklusion vertraut zu machen. In dieser unsicheren und vielfach auch pa-radoxen Unterrichtsentwicklungssituation liegt es nicht zuletzt an dem geschickten Operieren von Schulleitungen, hier gemeinsam mit dem Kollegium nach richtungs-weisenden Konzepten zu suchen (Amrhein, 2013b). Literatur Ahn, S. & Choi, J. (2004). Teachers’ Subject Matter Knowledge as a Teacher Qualification: A Synthesis of the Quantitative Literature on Students’ Achievement. Paper presented at the American Educational Research Association, San Diego, CA. Amrhein, B. & Badstieber, B. (Hrsg.) (2013a). 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Zu den weitreichendsten Aufgaben der Gegenwart gehört es, die inklusive Idee umzusetzen (vgl. Feuser, 2010). Verschiedene Diskursstränge können derzeit ausgemacht werden: 1. „im erziehungswissenschaftlichen Sinne als das zu erreichende Ziel, ausgehend von einer auf Selektion und Ausgrenzung basierenden Schul- und Unterrichtswirklichkeit; 2. im soziologischen Diskurs, welcher die Exklusions- und Inklusionsverhältnisse, die Ein- und Ausschlussprozesse von Menschen aus und in die unterschiedlichsten funktional differenzierten Bereiche wahrnimmt; 3. im Bereich internationaler Konventionen, wobei es um den Transfer in „nationale Sprachräume“ (geht, d.V.), mit dem dann im Feld der Politik gehandelt werden muss“ (Feuser, 2010, S. 18). Auch wenn Georg Feuser konstatiert, dass diese „Bereiche nicht beliebig ineinander übersetzt werden können und der Begriff (Inklusion, d.V.) eine je eigene Funktion hat“, so kann als das Verbindende eine „auf Anerkennung und Differenz basierende menschliche Gemeinschaft ohne Ausgrenzung“ (vgl. ebd.) herausgestellt werden. Inklusion als gesamtgesellschaftliches Vorhaben und „Fernziel“ (Stein & Lanwer, 2006, S. 88) muss ALLE gesellschaftlichen Mitglieder einbeziehen, tangiert unterschiedliche Lebensphasen und alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen Men1 Vortrag auf der Tagung „Fachdidaktik inklusiv“, 29.9.2012, Universität zu Köln, ZfL.46 Kerstin Ziemen schen leben. Die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren wäre eine notwendige Voraussetzung dafür, Inklusionschancen und Exklusionsrisiken zu erkennen. Mit Blick auf den schulischen Kontext betrifft dies die Analyse des bestehenden Schul-und Bildungssystems. Eine deutliche Kritik am segregierenden und separierenden deutschen Bildungssystem (vgl. Feuser, 1995) liegt längst vor. Eine grundlegende Re-form des Bildungs-, Unterrichts- und Schulsystems und die seit langem geforderte „Synthese von Heil- und Sonderpädagogik und der […] als Regelpädagogik bezeich-neten allgemeinen Pädagogik (und, d.V.) deren Transformation auf ein in der Ge-schichte der Pädagogik neues Qualitätsniveau“ (Feuser, 2008, S. 2) ist bis heute aus-geblieben. Barrieren, die Inklusion verhindern sind folgende: • „politische Barrieren (z.B. widersprüchliche Bestimmungen) • kulturelle Barrieren (z.B. Einstellungen) • didaktische Barrieren“ (Melero, 2011, S. 38). Hier soll der Blick auf didaktische Barrieren bzw. deren Abbau gerichtet werden. Di-daktische Rahmenbedingungen mit Blick auf Inklusion basieren auf der Erkenntnis, dass Entwicklung und Lernen selbstbestimmte, konstruktive, soziale und entwick-lungslogische Prozesse sind und jedes Kind auf Anerkennung, Dialog, Kommunika-tion und Kooperation angewiesen ist. Damit werden die Lehrpersonen zu individuel-len Lernbegleitern der Schülerinnen und Schüler (vgl. Panel „Behinderung“: Tagung „Inklusion und Diversität als Herausforderung an Erziehung, Schule und LehrerIn-nenbildung“, 11./12.10.2011 an der Universität zu Köln, unveröff. Manuskript). Eine übergreifende und fundamentale Herausforderung ist es, Heterogenität als Ressource zu betrachten, Lehr- und Lernprozesse gemeinschaftlich zu organisieren und zu gestalten, dabei jedoch der Individualität jedes Einzelnen Rechnung zu tra-gen. Es geht um die Balance von individualisierten und gemeinschaftlichen Angebo-ten. Das Gehirn ist ein soziales Organ, d.h. die „wichtigsten Erfahrungen, die einen heranwachsenden Menschen prägen sind solche, die in lebendigen Beziehungen mit anderen Menschen gemacht wer-den […]. Dabei macht jedes Kind zwei Grunderfahrungen, die tief in seinem Gehirn verankert werden: Die Erfahrung engster Verbundenheit und die Er-fahrung eigenen Wachstums und des Erwerbs eigener Kompetenzen. Diese beiden Grunderfahrungen bestimmen als Grundbedürfnisse seine zukünfti-gen Erwartungen […]. Wenn eines dieser Grundbedürfnisse nicht gestillt wer-den kann, leidet das entsprechende Kind und später der betreffende Erwach-sene an einem Mangel“ (Hüther, 2011, S. 44ff.). Noch größeren Mangel erleidet ein Mensch unter isolierenden Bedingungen. Isolati-on zeigt sich darin, nicht verbunden zu sein mit anderen. Unter diesen Bedingungen bilden sich Kompetenzen, die auf sich selbst beschränkt bleiben, so z.B. Auto- bzw. Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 47 Fremdaggressionen, Rückzug, Depression u.a.m. Für „Behinderung“ ist dies bereits aufgearbeitet: die Kernkategorie von Behinderung ist Isolation (vgl. Jantzen 1990, 1992). Menschen sind „begeisterte und einander begeisternde Entdecker und Gestalter einer mitein-ander geteilten und miteinander geschaffenen gemeinsamen Lebenswelt. Und wir Menschen haben eben diese Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit gemein-sam auf etwas zu richten, besonders weit entwickelt. So können wir als Ge-meinschaft etwas entdecken und aufklären, wenn einer von uns einen Anfang für eine solche Entdeckung gemacht hat. Ebenso gut können wir gemeinsam etwas gestalten, etwas bauen oder entwickeln, was sich einer von uns ausge-dacht hat. Und wir können uns auch gemeinsam um etwas kümmern, wenn einer von uns bemerkt hat, dass etwas unsere Unterstützung braucht. Des-halb sind wir die einzigen Lebewesen, die in einer individualisierten Gemein-schaft verborgene Potentiale der einzelnen Mitglieder wie auch der gesamten Gemeinschaft zur Entfaltung bringen können. Wir sind wie keine andere Le-bensform in der Lage, in einer Gemeinschaft über uns hinauszuwachsen, un-sere gemeinsam gesammelten Erfahrungen, die von einzelnen Mitgliedern erworbenen Fähigkeiten und Erkenntnisse und die von einer Gemeinschaft entwickelten Vorstellungen und Ideen an nachfolgende Generationen weiter-zugeben“ (Hüther, 2011, S. 49). Schule bzw. Unterricht mit Blick auf Inklusion bietet die große Chance, etwas ge-meinsam zu tun, dabei die Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Einzelnen zu nutzen und zur Wirkung zu bringen. Das gemeinschaftliche Ergebnis ist stets umfassender und facettenreicher als die je individuelle Leistung. Zugleich bietet das gemeinschaft-liche Ergebnis die Möglichkeit, sich zukünftig weiterhin darauf zu beziehen, ggf. da-ran weiterarbeiten zu können. Neben dem Gemeinschaftlichen ist der Einzelne mit seinen Bedürfnissen, Kom-petenzen und Interessen wertzuschätzen. Die Herausforderung besteht darin, Schü-lerinnen und Schüler mit Behinderung nicht als „Opfer der Förderung“ (vgl. auch Zimpel, 2012) zu betrachten, sondern ihnen gleichberechtigt die Möglichkeit zu ge-ben, Unterrichtsthemen und Lerninhalte zu bestimmen, Verantwortung zu überneh-men, als Expertinnen und Experten anerkannt zu werden. Z.B. kann eine Schülerin/ ein Schüler, die/der unterstützt kommuniziert, Expertin oder Experte in alternati-ver oder argumentativer Kommunikation sein. Alle Schülerinnen und Schüler haben nun die Chance, sich mit dieser Art der Kommunikation auseinanderzusetzen. Inklusiv ausgerichtete didaktische Modelle und Ideen Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Vielfalt didaktischer Modelle (vgl. Marko-wetz, 2012, S. 147). Markowetz stellt jedoch heraus, dass „gegenwärtig nur noch we-nige Modelle und Positionen die didaktische Landschaft“ bestimmen (ebd., S. 146). Er trifft eine Auswahl (vgl. ebd., S. 147) von 10 Modellen, denen er „entstigmatisie- 48 Kerstin Ziemen rende Kraft durch Bildung für alle und Teilhabe am Gemeinsamen Unterricht“ bei-misst. Zugleich fordert er mit Blick auf die einschlägige didaktische Literatur die Er-ziehungswissenschaften auf, darüber zu diskutieren, „ob und welche Dimensionen und Aspekte dieser Theorien, Konzepte und Modelle einen Beitrag für die Analyse, Planung, Durchführung und Reflexion des gemeinsamen Unterrichts leisten“ (ebd.). An dieser Stelle sollen didaktische Konzepte und Ideen, die bislang weniger promi-nent die didaktische Landschaft mitbestimmen, aufgenommen werden. 1. Partizipationsmodell für Inklusion (Beukelman & Mirenda; nach Bollmeyer & Hüning-Meier: Handbuch der Unterstützten Kommunikation 2010, S. 08.018.022) Die vier folgenden Komponenten der Inklusion bestimmen dieses Modell: „Teil-habe durch Bildung und Erziehung, soziale Teilhabe, individuelle Unterstützung und (physische) Integration“ (vgl. ebd.). Diese Komponenten dienen der Analyse, aber auch der Planung des Prozesses. Im Sinne des „Universal Design of learning“ (UDL) fokussieren die Ziele auf: • den Erwerb von Sachkenntnissen durch vielfältige Methoden • die Entwicklung von Lernstrategien – vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten zulassen • soziales und emotionales Lernen (vgl. ebd.). Beukelman und Mirenda empfehlen entsprechend der Planungspyramide für den Unterricht eine grobe Differenzierung, so beispielsweise zu bestimmen, was alle Schülerinnen und Schüler lernen sollen (am Bsp. der „Gesteine“: Gesteine unter-scheiden sich), was die meisten Schülerinnen und Schüler lernen sollen (z.B. den Kreislauf der Gesteinsbildung und Erosion zu erkennen), was einige Schülerinnen und Schüler lernen sollen (z.B. den Unterschied zwischen Gesteinen, Kristallen und Mineralien herausarbeiten) (vgl. ebd.). Mit der „Planungspyramide“ kann damit eine erste grobe Differenzierung vorgenommen werden. Innere Differenzierung gilt als Kernkriterium für „inklusiven Unterricht“. Auf fol-gende Differenzierungen bzw. Adaptationen fokussieren Beukelman und Mirenda. Differenzierungen und Adaptationen nach: • Size: Umfang und Anzahl der Aufgaben anpassen • Time: zur Verfügung stehende Zeit anpassen • Level of support: personelle oder technische Unterstützung • Input: Art der Instruktionen anpassen • Output: Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler ihr Wissen präsentieren sollen • Difficulty: Schwierigkeitsgrad anpassen • Participation: Art und Weise, wie die Schülerinnen und Schüler in eine Aktivität einbezogen werden (vgl. ebd.). Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 49 2. „Keimzellmodell“ oder die Arbeit mit der Ausgangsabstraktion Im Kontext „kulturhistorischen“ Denkens sind verschiedene Projekte und Konzep-te erarbeitet worden, die die Gesamtzusammenhänge von Themenfeldern und deren Erarbeitung auf der Basis lebensweltlicher und biographischer Aspekte der Schüle-rinnen und Schüler in das Zentrum der didaktischen Arbeit rücken. Eine Projektstudie wurde beispielsweise in New York/East Harlem von Hedegaard und Chaiklin zum „Radikal-Lokale[n] Lehren und Lernen“ (Bielefeld, 2012, S. 62) durchgeführt. Ziel der Studie mit 15 Grundschulkindern mit puerto-ricani-schen Wurzeln war es, „an die Lebenswelt (der Kinder, d.V.) anzuknüpfen und im besonderen Maße ihren kulturellen sowie historischen Hintergrund (zu, d.V.) be-rücksichtigen“ (Bielefeld, 2012, S. 63). Unterrichtsinhalt war das Thema Puerto Rico und die Migration nach New York sowie das Leben in der puerto-ricanischen Ge-meinde im Stadtteil East Harlem. Mit der theoretischen Fundierung des Unterrichts-konzeptes nach der „Kulturhistorischen Schule“ wird davon ausgegangen, so Vygots-kij, dass der Aufbau wissenschaftlicher Begriffe und Begriffssysteme Aufgabe der Schule ist und somit durch den Aufbau und das Operieren mit wissenschaftlichen Begriffssystemen abstraktes Denken möglich wird. Sogenannte „Keimzellmodelle“ sollen für die Kinder Ordnungsgrundlage sein; diese sollen ein Verständnis für Be-griffsbeziehungen entwickeln. Die „Keimzellmodelle“ sind elementare Relationen ei-nes Gegenstandes und stellen eine Ausgangsabstraktion dar, wobei sich diese Model-le während des Prozesses verändern, ggf. präzisieren können. Ein Beispiel für das erste „Keimzellmodell“ zur Planung und Durchführung der Lerntätigkeit war die Beziehung zwischen „Community – Living Conditions – Fami-ly – Ressources“ (ebd., S. 94) als Basis für die Entwicklung eines Verständnisses der Relationen zwischen diesen. Im Verlauf des Unterrichts entwickelten die Kinder eigene Modelle. Erst hatten die Kinder Schwierigkeiten, den Zusammenhang von Lebensbedingungen und Fami-lie zu erkennen, später ergaben Klassen- und Gruppendiskussionen jedoch wachsen-de Erkenntnis. „Durch das Erarbeiten der begrifflichen Relationen (haben die Kinder, d.V.) zunächst das Wesen des zu untersuchenden Problemgebiets erfasst und sind vom Abstrakten zum Konkreten des Problems übergegangen […]. Radikal-lokales Lehren und Lernen (erfordert, d.V.) von der Lehrperson einerseits ein theoretisches Verständnis von Unterrichtsstoffkonzepten und andererseits ein kulturhistorisches Verständnis von den kindlichen Lebensbedingungen“ (ebd., S. 108). Anzumerken ist, dass sich trianguläre Darstellungen von Ausgangsabstraktionen hervorragend eignen, um Relationen zu untersuchen und sich entwickelnde Prozes-se und ggf. Widersprüche herauszuarbeiten (ebd., S. 404). Am Beispiel eines For- 50 Kerstin Ziemen schungsprojektes zur „Literalisierung indianischer Völker“ (ebd.) zeigt Wolfgang Jantzen (vgl. Jantzen, 2012, S. 404) dieses ausführlich auf. Beispiel: Ökologische Umwelt (Wasser) – Fische (Nahrungsmittel) – Gemeinde/Dorf Abb. 1: Ökologisches Dreieck aus: Jantzen, W. (2012). Kulturhistorische Didaktik. Berlin: Lehmanns Media, S. 405. Anfangs wird eine Idee modellhaft entwickelt, die erst am Ende der Bearbeitung ge-sichert werden kann (vgl. ebd.). „Der Grundgedanke, dass Kulturhistorische Didak-tik sich jeweils auf die soziale Lebenssituation zurück beziehen muss, ist von höchs-ter Bedeutung“ (ebd., S. 411). Die Arbeit mit Ausgangsabstraktionen bietet die Möglichkeit, Beziehungen zu erkennen und Gesamtzusammenhänge zu verstehen. Auch die im Rahmen einer Dissertation (Wünsch, 2008) ausgearbeitete Unter-richtseinheit für den Biologieunterricht der 6. Klasse (für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen) zu „Wechselbeziehungen zwischen den Lebe-wesen in einem Lebensraum“ (Umfang: 18 Unterrichtsstunden) zeigt deutlich, dass über die Arbeit mit Ausgangsabstraktionen „Denken provoziert“ werden kann. Nach der Evaluation des Projektes kann konstatiert werden, dass die Schülerinnen und Schüler deutliche Veränderungen im deklarativen Wissen aufweisen und auch an-wendungsbezogene Schlussfolgerungsaufgaben besser bewältigen können (vgl. ebd.). Die Herausforderung an die Fachdidaktiken besteht darin, relevante Themen-schwerpunkte und Gesamtzusammenhänge im Sinne von Ausgangsabstraktionen zu eruieren und Modelle zu entwickeln, die eine Umsetzung bzw. Überführung in kon-krete Anwendungsbezüge ermöglicht. FISCHE (Nahrungsmittel) ÖKOLOGISCHE UMWELT (Wasser) GEMEINDE/ DORF Gleichgewicht?? Arbeit Arbeit Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 51 3. Reflexive Didaktik Reflectere (lat.) im Sinne von Rückwendung meint, sich „das in die wissenschaftli-chen (hier didaktischen, d.V.) Werkzeuge und Operationen eingegangene soziale und intellektuelle Unbewusste“ (Waquant, 1996, S. 63) bewusst zu machen. Pädagogisches Handeln setzt Reflexion voraus. Für die Didaktik gilt dies in be-sonderem Maße, da sie keine Technik darstellt und auch nicht festgelegten „Rezep-ten“ folgt. In didaktische Modelle und Konzepte gehen bestimmte (auch unterschied-liche) Vorstellungen über Lernen und Entwicklung und über soziale Prozesse ein. Didaktik, die mit Blick auf Inklusion keine Schülerin, keinen Schüler ausschließt, muss in die Analyse und Reflexion stets Teilhabe- und Teilnahmechancen an Bil-dungs- und sozialen Prozessen sowie Exklusionsrisiken für Bildung und soziale Kon-texte aufnehmen. Die reflexive Didaktik (Ziemen, 2008) ist eine allgemeine Didaktik, die mit Blick auf Inklusion keinen Lernenden ausschließt. Dabei bezieht sie sich beispielsweise auch auf das Modell der „entwicklungslogischen Didaktik“ (Feuser, 1995) und de-ren drei Ebenen, die Sachstruktur bzw. die Tätigkeits- und Handlungsstruktur. Sie nimmt darüber hinaus die reflektierenden Lehrpersonen/Teams explizit auf, die die Schülerinnen und Schüler, die den Lerngegenstand, die Institution Schule und die politischen, rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen, sich aber auch im Sinne von Selbstreflexion auf sich selbst rückbeziehen. Die Reflexionsebenen stehen nicht isoliert voneinander, sondern in Beziehung zueinander. Die unterschiedlichen Ebenen stellen sich wie folgt dar: Die Ebene der Schülerinnen und Schüler (Subjektseite) berücksichtigt (1): • Vorwissen, Erfahrungen, Emotionen und Wahrnehmungen („Zone der vergange-nen Entwicklung“, d.V.); • Motive, Interessen, Bedürfnisse; Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungskompe-tenzen („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vygotskij); • Handlungs- und Tätigkeitsmöglichkeiten („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vy-gotskij); • die soziale und persönliche Situation („Zone der aktuellen Entwicklung“, Vygots-kij); • die Beziehung von Lehrpersonen/Teams zu den Schülerinnen und Schülern und • die Beziehungen der Schülerinnen und Schüler untereinander; • Bewertung und Beurteilung. Explizit werden Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten an konkreten Bildungsange-boten ausgemacht, zugleich Barrieren bzw. Störungen der Teilhabe und Teilnahme. Darüber hinaus werden Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten bzw. Barrieren und Störungen in sozialen Kontexten analysiert und reflektiert. 52 Kerstin Ziemen Auf dieser Basis entstehen Ideen für die Gestaltung des individuellen und ge-meinschaftlichen Möglichkeitsraumes für das Lernen und die Entwicklung ALLER Schülerinnen und Schüler. Die Ebene der Sache/des Lerngegenstandes (Objektseite) berücksichtigt (2): • die Komplexität und das Wesen (Invariante) der Lerninhalte; • die tragenden Begriffe und Zusammenhänge; • die gesellschaftliche, politische, soziale Bedeutung und Aktualität der Lerninhalte; • die Präsenz in verschiedenen Wissenschaften bzw. Fächern; • Relevanz in Curricula; • Zugang, Vorwissen und Bedeutungsgehalt des Gegenstandes aus Sicht der Lehr-personen/ Teams. Mit Blick auf die Teilhabe und Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler an allen Bildungs- und sozialen Angeboten sind Differenzierungen des Lerngegenstandes vorzunehmen und didaktische Konzepte und Modelle auszuwählen, die Lernen und Entwicklung für jede Schülerin und jeden Schüler ermöglicht. Beispiel: Beurteilung und Bewertung: Hier müssen sowohl Ebene 1 als auch 2 reflektiert werden. „Schulnoten sind umstritten, da sie Objektivität nur vortäu-schen [...] über Bildungskarrieren und Zukunftschancen entscheiden“ (Zimpel, 2012, S. 185). Eine „Alternative zu Zensuren sind sogenannte Kompetenzraster“ (ebd., S. 186). In der Regel sind sie als Matrix dargestellt, „mit der in der Senkrechten die (Teil-)Lernbereiche eines Faches und in der Waagerechten in aufsteigender Linie – meist in sechs Stufen – die Kompetenzlevels aufgeführt werden […]. Das tabella-rische Raster steckt Entwicklungsziele ab, die i.d.R. in Form von „Ich kann … Sät-zen“ aufgelistet sind“ (ebd., S. 186): „Ich kann allein …“; „Ich kann mit Hilfe …“ usw. Wenn im inklusiven Kontext alle Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wer-den sollen, sind die Kompetenzbereiche beispielsweise nicht nur an den Curricula auszurichten, sondern haben den Gesamtbereich des Faches zu berücksichtigen, z.B. in Mathematik neben dem numerischen auch den pränumerischen Bereich, beim Schriftspracherwerb den „erweiterten Lesebegriff “ oder die Berücksichtigung der so-genannten „Vorläuferkompetenzen“. Derzeit werden Kompetenzraster von interessierten und engagierten Lehrperso-nen/ Teams an Schulen selbst erstellt. Zukünftig besteht die Herausforderung der Fä-cher darin, entsprechend deren Fachlogik und Systematik Kompetenzbereiche aus-weisen, die neben den abstrakt-logischen ebenso die basalen Kompetenzen ausweist. Die Ebene der Institution Schule und Schulsystem berücksichtigt schulorganisatorische, curriculare und gesetzliche Vorgaben (3): • Rahmenbedingungen (personell, baulich, räumlich, strukturell, zeitlich, sächlich, rechtlich); • kulturelle und sprachliche Rahmenbedingungen; • Schulkonzept; • Curricula; Inklusion und deren Herausforderungen für die (Fach-)Didaktik 53 • Kooperation mit den Eltern; • Öffentlichkeitsarbeit und Einbindung in Stadt und Gemeinde. Die Analyse und Reflexion bezieht sich auf Teilnahme- und Teilhabechancen und Exklusionsrisiken auf der Basis angeführter Kriterien. Die Ebene der Lehrpersonen/Teams (Subjektseite) berücksichtigt (4) neben der Analy-se der Ebenen 1–3: • Einstellungen und Überzeugungen zu Schülerinnen und Schülern; • Beziehungen im Team; • Kenntnisse bzw. Fähigkeiten; • Theorien, Erklärungen und Zugänge; • Befürchtungen; • ungeklärte Fragen; • Möglichkeiten der Unterstützung. Insgesamt betrachtet ist die reflexive Didaktik ein Raum der Möglichkeiten des Leh-rens und Lernens, des gemeinsamen Tätigseins und gemeinsamen Erlebens unter Berücksichtigung der Potentiale und Ressourcen jedes Einzelnen. „Professionelles (pädagogisches, d.V.) Handeln ist zum einen entwicklungsbeglei-tendes, d.h. längerfristiges Handeln (mit schwer bestimmbaren Grenzen), zum ande-ren Handeln in Organisationen. Damit unterliegt es institutionalisierten Regeln, mit denen die Intentionen und die Praxis des professionellen Pädagogen kollidieren kön-nen“ (Hierdeis, 2009, S. 7f.). 4. Herausforderungen an die Didaktik (einschließlich Fachdidaktiken) Zusammenfassend sind die didaktischen Herausforderungen mit Blick auf Inklusi-on folgende: • individualisierte und gemeinschaftliche Angebote eruieren; • Analyse von Schlüsselthemen, Schlüsselfragen und Zusammenhängen („Keimzel-le“); • Ausgangsabstraktionen und Konkretisierungsbeispiele; • Kompetenzbereiche für Lern- und/oder Fachinhalte entwerfen (Kompetenzraster). Zukünftig werden auch die Curricula in den Fokus rücken bzw. das Verhältnis von „Weltwissen und Curriculum“ (vgl. Boban & Hinz, 2008, S. 85f. mit Verweis auf Yaacov Hecht). Wenn der Individualität der Schülerinnen und Schüler Rechnung ge-tragen werden soll, muss es möglich sein, dass sie sich Lerninhalte auswählen und aneignen können, die außerhalb des Curriculums liegen. 54 Kerstin Ziemen Vielleicht gelingt es uns zukünftig, Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, auf der Basis dessen, was sie wissen, echte Fragen zu formulieren, an denen sie arbeiten, zu denen sie forschen und Neues entdecken. Und dazu sind interessante Themenfelder, die nach Möglichkeit mit dem Leben, der Kultur, der Religion und Weltanschauung, der Sprache, der Biographie der Kinder, mit dem Zugang und den Fähigkeiten, sich diese zu erschließen, Verbindungen haben. Vor allem aber setzt es das Vertrauen in die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten jeder Schülerin und jeden Schülers vor-aus. Literatur Bielefeld, T. (2012). Radikal-Lokales Lehren und Lernen – Die Konzeption von Mariane Hedegaard & Seth Chaiklin. In W. Jantzen (Hrsg.), Kulturhistorische Didaktik (S. 62– 113). 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I wanted to set out the implications of adopting inclusive values for all aspects of schools in classrooms, staffrooms, playgrounds, and in relationships between and amongst adults and children and with surrounding communities and environments. I wanted to fill a gap in previous editions that had made claims to being comprehensive but fell short of addressing the sacred garden of school subjects. I recognise that others have challenged traditional curricula over the years. However, I claim that there is a particular degree of coherence and practicality to what I have attempted. The positive reaction of some thousands of people to my scheme, while acknowledging resistance to change, encourages me to continue to refine it in dialogue with those in schools who are beginning to respond to it in practice. I start by commenting on the language I use to frame my efforts and why I see it as important to change how we structure knowledge in education. I then set out the foundations for this restructuring in a framework of values, a set of principles and a series of imperatives, all of which inform the new structure and content of subjects or disciplines. I indicate too how the outline was shaped by a pragmatic examination of what is significant in the knowledge contained within traditional curricula and give due recognition to the role played by conversations with colleagues. I set out the scheme and relate it to the ideas of others. I suggest, in particular, that it can provide a bridge into the heart of education for the ‘capabilities approach’ of Amartya Sen and Martha Nussbaum. I end by suggesting that we need to create a broad alliance for challenging and changing what is taught and learnt in schools. A comment on language In the Index for Inclusion I call the structure and content of formal learning opportunities: ‘Curricula for All’. However, I now think it better to see it as structuring ‘Knowledge for All’ since there should not be a special way of thinking of knowledge, a special epistemology, for schools. Using a distinctive terminology has served to dislocate schools from lives outside them. Further the word ‘curriculum’ does not translate easily for an international audience with different traditions for thinking about the content of teaching and learning in schools. In England the word curriculum has both a narrow and a broad meaning applying to the structuring of learning experiences in classrooms but also to the total of intended and unintended learning that takes place in schools. In my work I have tried to connect the two so that what is learnt through the experience of being in schools is consistent with what is learnt in more formal lessons and is at least partly under the conscious control of adults and children whose lives are shaped by both. I appreciate the German no58 Tony Booth tion of ‘Fachdidaktik’ which links together the chapters in this book and refers to the headings we choose to label areas of knowledge. However it does not carry the im-plication that this is to be made consistent with wider experiences of adults and chil-dren in education. A glaring example of the divergence between formal and informal curricula in England is the way that citizenship lessons encourage children to believe that they are active citizens in a democracy when their schools encourage them and their teachers only minimal participation in their lives at school. Lessons are thus provided in hypocrisy rather than democracy. The adherence to a narrow view of ‘curriculum’, defined in terms of teaching requirements and plans, has also promot-ed a misunderstanding of the differences between teaching and learning. It has been increasingly assumed by governments in the UK that what is learnt is a direct conse-quence of what is set down in regulations as required teaching. This has added to the pressures on many teachers charged with meeting learning targets for children. But it has also encouraged others in the confidence that sustained development of the learning capacity of children will only be achieved by attention to improving condi-tions for teaching and learning. A need for change It is a peculiarity of the education provided in schools in countries around the world that the guidance given to teachers would commonly be recognisable to people at all periods over the last one hundred and forty years. Mass education was derived dur-ing the industrialisation of countries of the North to serve a narrow range of inter-ests; to reproduce elites. It was designed to separate knowledge from experience and thus give success to the few who make this transition with ease and guarantee failure to those who do not wish to do so, or otherwise find it difficult. So without address-ing the nature of what is taught in schools we can only reduce to a very limited ex-tent obstacles to the learning of those who experience educational difficulties. While much is made by governments of the wish for education to feed econom-ic competitiveness it is remarkable how little relationship is evident in learning ac-tivities with the occupations of the families of the majority of children or their own future working lives. In my scheme there is a requirement for all children to acquire financial literacy and to understand the connections between learning and earning. The evident disjunction between the education that the mass of people need and what they are served is revealed most starkly when traditional teaching requirements are applied to rural settings in economically poor circumstances in countries of the South. I have offered a new possibility for sharing an approach to education around the world based on the possibility for identifying common needs and shared values that can be related to local contexts while recognising global inter-connections. I emphasise, then, that knowledge should be restructured for all because there is a need to transform the social function of schools from places which divide people, and prioritise the learning of some over others, to places that bring people togeth-er and value everyone’s contributions. The separation of learning from experience is a malign process for other reasons too. When education is viewed primarily as the cultivation of the life of the mind, it reinforces the delusions of a mind-body distinc- Structuring Knowledge for all in the 21st Century 59 tion. This cuts people off from an understanding of the conditions that sustain their lives and the life of their planet. In this way education has contributed to the Hol-ocene extinction whereby humankind is progressively eroding the habitats of other creatures and ultimately destroying its own. Such an analysis leads to an imperative to involve education in forging a new relationship between people, their bodies and the natural world. Building foundations on values, principles and imperatives I had begun to consider the consequences of deriving subject headings from new principles for education in the early 1980s. I was writing courses, at the time, for the Open University which attempted to answer the questions: ‘How should schools re-spond to the diversity of children within their communities? How can education re-flect the needs and interests of all?’ I started to consider if detailed curriculum pro-posals could be based on people’s fundamental and shared needs for food, clothing, shelter, health and care and engagement with their physical and natural world. Yet this was also a period of increasing rigidity about curriculum planning in schools culminating in the National Curriculum in England in 1988. It seemed impossible to counter the weight of government determination of what should be taught and I did not take the ideas further at that time. Now at the end of my career I am responding to the same questions but it seems to be even more urgent to propose an alternative to traditional curricula. The need for education to connect people locally and global-ly with each other and their environments has been multiplied by environmental de-terioration, global conflict, large-scale migration and continuing preventable inequal-ity, poverty and disease. There is also a feeling for me personally: ‘if not now, when?’ I have built the foundations for a restructuring of teaching and learning activities on a framework of values, pedagogical principles and a sense of imperatives for change. Developing a framework of values Elaborating a framework of values happened gradually. This was a task begun in the late 1970s where I identified two principles as the foundation of inclusion; a princi-ple of equality of value of all; and a comprehensive principle. The latter involved the development of schools for everyone within their communities so that schools and communities contributed to each other’s development. This was the English cultural version of the idea of ‘the School for All’ in Norway and elsewhere. However, I want-ed to further build a framework of values that fulfilled two purposes. Firstly, it had to respond to the question: How should we live together? This is an age-old philo-sophical question which in its earlier form might have asked ‘How should a man live in Athens or Rome?’ In its inclusive form it is about all of us on this earth which un-der the guidance of a value of sustainability is extended to include animals and oth-er life forms. The second purpose was to make a framework of values that would be 60 Tony Booth sufficiently rich in meaning so as to guide action to develop every aspect of educa-tion within and beyond schools. I have carefully pieced together my framework by testing out ideas with count-less people in many countries. This has resulted in a list of headings concerned with equality, rights, participation, community, respect for diversity, sustainability, non-vi-olence, trust, compassion, honesty, courage, joy, love, hope/optimi |