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Refl exionsmethoden in der Praktikumsbegleitung LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Hrsg. vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln Band 2 Wie die Schule so ist auch das Feld der (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bewegung und in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess begriff en. Die Einsicht in die Heterogenität der Lernvoraussetzungen und Bildungsbedingungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler ist gestiegen und erfordert eine Organisation der (Aus-)Bil-dung, die fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaft liche Wissensbestandtei-le stärker aufeinander bezieht und zu einem professionellen Habitus zusammenbinden lässt. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Praxisphasen als roten Faden über die Ausbildungsphasen hinweg zu gestalten und die Kooperation der unterschiedlichen Akteure der grundständigen Bildung, des Vorbereitungsdiensts und der Fortbildung zu stärken. Die seit langem bekannte Forderung nach einer gelingenden Th eorie-Praxis- Verzahnung ist in den letzten Jahren in eine neue Dynamik geraten und verlangt nach einem Ausbau wie auch neuen Akzentuierungen in der bildungswissenschaft lichen und fachdidaktischen Forschung, um Unterrichts- und Schulentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Die Reihe LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN setzt an diesem Entwicklungspro-zess an und präsentiert Beiträge, die die Herausforderung einer neuen und innovativen (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern aktiv aufgreifen und Impulse für deren weitere Entwicklung setzen. Dirk Rohr, Annette Hummelsheim, Meike Kricke, Bettina Amrhein (Hrsg.) Refl exionsmethoden in der Praktikumsbegleitung Am Beispiel der Lehramtsausbildung an der Universität zu Köln Waxmann 2013 Münster / New York / München / Berlin LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN, Band 2 ISSN 2194-8429 ISBN 978-3-8309-2779-2 © Waxmann Verlag GmbH, 2013 Postfach 8603, 48046 Münster Waxmann Publishing Co. P.O. Box 1318, New York, NY 10028, USA www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Anne Breitenbach, Tübingen Satz: Stoddart Satz- und Layoutservice, Münster Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schrift liche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Bibliografi sche Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. 5 Inhalt Einleitung ................................................................................................................................ 7 Teil 1 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen in die Begleitung des Kölner Orientierungspraktikums ................................................. 11 Meike Kricke & Kersten Reich Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument – Mehrperspektivität fördern durch Lernteamarbeit ......................................................... 17 Annette Hummelsheim Einführung von Dimensionen der Refl exion im Kontext der neuen Lehrer/innen/bildung .......................................................................... 25 Bettina Amrhein & Meike Kricke Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule: Chancen portfoliogestützter Refl exionsarbeit in der Begleitung von (Orientierungs-)Praktika .............................................................................................. 37 Teil 2 Alois Finke „Erste allgemeine Verunsicherung“ – Gedanken zur Begleitung von Studierenden beim Start in ihre Berufsidentität als Lehrer/innen im Rahmen des Orientierungspraktikums ........................................................................ 49 Birgitt Aldermann & Elke Barausch-Hummes Empowerment durch Feedback – Praxiserfahrungen im Integrierten Orientierungspraktikum an der Universität zu Köln ....................................................... 57 Ruth von Lillienskiold TZI in der Begleitung des Orientierungspraktikums ....................................................... 63 Helga Daniels „Als ich vor der Tür stand, war ich noch gar nicht aufgeregt.“ – Unterstützung der körpersprachlichen Wirkung im Auft reten vor einer Klasse ......... 69 6 Saskia Erbring Gesundheitscoaching in der Praktikumsbegleitung – eine methodische Anregung zur Arbeit mit Studierenden ............................................. 77 Teil 3 Paul Köppler & Dirk Rohr Achtsamkeitstraining als Refl exionsmethode ................................................................... 83 Kathrin Meiners & Christian Hawellek Von den eigenen Stärken lernen: Marte Meo in der Praktikumsbegleitung ................. 91 Ingmar Schindler, Dirk Rohr & Meike Kricke Nach der Praxis Mehr-Sehen: Die Methode des Refl ecting Teams ................................ 99 Literatur ............................................................................................................................... 111 Autorinnen und Autoren .................................................................................................... 117 Inhalt Einleitung Nicht selten werden Praxisphasen als das Kernstück der Lehrer/innen/bildung be-zeichnet. Konsens herrscht mittlerweile auch darüber, dass sich die Qualität schul-praktischer Studien mit der Ausgestaltung refl exiver Elemente in Begleitveranstal-tungen deutlich steigern lässt. Damit haben refl exive Prozesse gerade in den letzten Jahren eine entscheidende Bedeutung für den Professionalisierungsprozess angehen-der Lehrer/innen erlangt. Aus professionstheoretischer Perspektive gelten antinomische Widersprüche als strukturelle Merkmale von Unterricht, die nicht einfach aufzulösen sind. Dabei soll-te berufspraktisches Wissen nicht nur über die Vermittlung von Praxiserfahrung weitergegeben werden, da dies bei Studierenden häufi g zur Erwartung führen kann, dass man es nur genau so machen muss, wie der erfahrene Praktiker / die erfahrene Praktikerin. Pädagogische Situationen zeichnen sich jedoch gerade nicht durch sta-bile, technologisch gestaltbare Verhältnisse aus. Als Lösungsansatz bot uns Donald Schön schon 1983 die Vision eines „refl ective practitioner“ an, der refl exiv auf Über-raschungen reagieren kann. Dabei spielt die biografi sche Selbstrefl exion gerade im Professionalisierungspro-zess angehender Lehrkräft e eine sehr entscheidende Rolle, denn sie dient der Be-wusstwerdung von vergangenen Erfahrungen und daraus resultierenden subjekti-ven Deutungen und Konstruktionen von Zusammenhängen und Erklärungsmustern. Hier bringen Studierende langjährige und emotional hoch aufgeladene Erfahrungen mit, die unrefl ektiert als subjektive Th eorien das pädagogische Handeln mitsteuern. Es ist ebenfalls unstrittig, dass diese Vertrautheit mit pädagogischen Situationen ein großes Hemmnis beim Aufb au von professionellen Handlungspraktiken sein kann. Daher ist die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Deutungsmustern, wel-che Entscheidungen beim Lehrer/innen/handeln unbemerkt beeinfl ussen können, ein zentrales Element refl exiver Praxisphasen-Begleitung. Diese Publikation widmet sich daher der Frage, wie die Forderung nach Refl e-xivität in der Begleitung von schulischen Praxisphasen konkret umgesetzt werden kann. Das hier zusammengetragene Textmaterial ist im Rahmen der refl exiven Be-gleitung von Orientierungspraktika an der Universität zu Köln entstanden. Dabei zeichnen sich die Beiträge durch eine große Vielfalt in den Zugängen aus. Ebenfalls bringen die Autor/inn/en selbst sehr unterschiedliche berufl iche Erfahrungshinter-gründe mit. Gemeinsam ist allen Textbeiträgen, dass sie anschaulich und sehr kon-kret aufzeigen, wie Refl exivität im Rahmen der Begleitung von Praxisphasen im Lehramtsstudium befördert werden kann. Die Beiträge lassen sich in drei Teile mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung bündeln: 8 Einleitung Teil 1 Den ersten Teil des Buches bilden Texte zu Implementationserfahrungen mit refl e-xiven Elementen in der neuen Lehrer/innen/bildung. Die hier geschilderten Erfah-rungen beschreiben, wie am Standort Köln versucht wird, mit Konzepten refl exiver Beratung im Rahmen der Praxisphasenbegleitung von Lehramtsstudierenden einen professionellen Habitus bereits in einer sehr frühen Phasen der Ausbildung anzubah-nen. Annette Hummelsheim und Dirk Rohr beschreiben die Rahmenbedingungen, die an der Universität zu Köln geschaff en wurden, um Refl exions- und Supervisionsele-mente in der ersten Phase der Lehrer/innen/ausbildung zu implementieren. Sie re-konstruieren den Prozess chronologisch und skizzieren exemplarisch, wie Verände-rung stattgefunden hat. Meike Kricke und Kersten Reich stellen das Kölner Portfoliokonzept innerhalb der reformierten BA/MA-Lehramtsausbildung in Kombination mit Lernteamarbeit in der Praktikumsbegleitung vor und gehen auf Refl exionselemente und Gelingens-bedingungen ein. Zudem werden in diesem Artikel erste Erfahrungen mit der Port-folioarbeit in Form einer Erfolgs- und Wachstumsseite refl ektiert. Annette Hummelsheim zeigt verschiedene Dimensionen der Refl exion im Kon-text der neuen Lehrer/innen/bildung auf. Sie entwirft einen idealtypischen Se-minarverlauf zum Orientierungspraktikum. Th ematisiert werden Übungen zur Selbst einschätzung und Selbsterkundung, die Anbahnung von Selbstkompetenz, Sozial kompetenz, Systemkompetenz und Handlungskompetenz wird im Rahmen des Gesamtkonzepts entfaltet. Bettina Amrhein und Meike Kricke stellen in ihrem Beitrag die Arbeit in ei-nem lehramtsheterogenen Pilotseminar mit Blick auf Inklusion vor. Studierende al-ler Lehrämter absolvierten im Rahmen einer Begleitveranstaltung ein Praktikum im Gemeinsamen Unterricht (GU). Es wird konkret aufgezeigt, wie durch die eigene re-fl exive und portfoliogestützte Auseinandersetzung mit dem Th ema der schulischen Inklusion schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Ausbildung ein Professionali-sierungsprozess in Bezug auf den Umgang mit Vielfalt in der Schule in Gang gesetzt werden kann. Teil 2 Der zweite Teil des Buches beinhaltet „Werkstatteinblicke“ in konkrete Umsetzungs-szenarien verschiedener Refl exionsmethoden im Rahmen der Praxisphasenbeglei-tung im Orientierungspraktikum. Alois Finke ist als Supervisor tätig und stellt in seinem Artikel „Erste allgemei-ne Verunsicherung“ seine Erfahrungen innerhalb der Begleittätigkeit Lehramtsstu-dierender während des Orientierungspraktikums dar. Einleitung 9 Birgitt Aldermann und Elke Barausch-Hummes stellen die Bedeutsamkeit von Feedbackmethoden innerhalb der Seminararbeit – auch für den Gedanken des Em-powerments auf Studierendenseite – vor und beschreiben in ihrem Beitrag verschie-dene Formen des Feedbacks anhand konkreter Umsetzungsmaterialien. Ruth von Lillienskiold stellt an anschaulichen Beispielen dar, wie sie ihre Semi-nararbeit nach dem Modell von Th emenzentrierter Interaktion (TZI) gestaltet. Die Bedeutsamkeit der Methode bzw. Haltung für die Lehrer/innen/bildung wird be-gründet, die Förderung der Kommunikationsfähigkeit anhand von Feedbacks der Studierenden nachgezeichnet. Helga Daniels zeigt in ihrem Beitrag konkrete Übungen, die sie mit Studierenden durchführt, um ihnen ein Bewusstsein der eigenen körpersprachlichen Wirkung zu vermitteln. Die Erfahrungen der Teilnehmer/innen werden im Kontext einer kompe-tenzorientierten Lehrer/innen/bildung refl ektiert. Saskia Erbring beschreibt in ihrem Text, wie Gesundheit zu einem Th ema für Studierende gemacht werden kann. Sie zeigt auf, wie Methoden aus dem systemi-schen Gesundheitscoaching für Studierende im Praktikum zum Einsatz kommen können. Teil 3 Im dritten Teil werden Refl exionsmethoden beschrieben, die sowohl im Rahmen der Praxisphasenbegleitung im Orientierungspraktikum als auch in anderen Kontexten erprobt wurden. Paul Köppler und Dirk Rohr beschreiben aus ihren un terschiedlichen Perspekti-ven die Bedeutung von „Achtsamkeit“. Sie benennen konkrete Methoden und Bei-spiele, an Hand derer deutlich wird, wie sich die Perspektiven verbinden oder „auf-heben“. Die Refl exion von Praxisphasen wird unterteilt in spezifi sche und indirekte Methoden des Achtsamkeitstrainings. Kathrin Meiners und Christian Hawellek beschreiben die Refl exions- und Be-ratungsmethode Marte Meo. Anhand von kurzen Videosequenzen wird den Stu-dierenden Feedback zum eigenen Verhalten gegeben. Dieses Feedback ist radikal wertschätzend und orientiert sich an so einfachen wie konkreten Prinzipien von Ent-wicklung und Kommunikation: Wahrnehmen und Benennen der „positiven“ Initiati-ven bzw. Verhaltensweisen der Schüler/innen – sowie der eigenen Verhaltensweisen. Der Artikel von Ingmar Schindler, Dirk Rohr und Meike Kricke beschreibt, wie die ursprünglich in der Familientherapie angewandte Methode des Refl ecting Teams in verschiedenen Varianten Studierende in Mehrperspektivität und Dialogfähigkeit fördern kann. Trotz der großen Unterschiedlichkeit in den Zugängen zu Refl exionsarbeit in der pä-dagogischen Ausbildung verstehen sich die Texte gemeinschaft lich auch als Werk-stattberichte, die eine permanente Weiterentwicklung verfolgen. Ob die Autorinnen 10 Einleitung und Autoren der Vision der Herausbildung eines „refl ective practitioner“, mit ihrer Arbeit ein Stück näher gekommen sind, werden daher auch weitere Erfahrungen mit den entwickelten Konzepten zeigen. Wünschenswert ist auch, dass sich die Leser/innen in ihren Systemen und ange-regt durch das Textmaterial an dieser refl exiven „Werkstattarbeit“ beteiligen. Der sich so entwickelnde Dialog zwischen Ausbildner/inne/n könnte entscheidend zur Wei-terentwicklung einer subjektorientierten Lehrer/innen/bildung beitragen. Eine umfangreiche Sammlung an Praxismaterialien ist auf einer Materialplatt-form hinterlegt und kann über folgenden Link heruntergeladen werden: www.wax-mann. com/buch2779 Wir freuen uns auf Ihr Feedback! Köln, Dezember 2012 Dirk Rohr, Annette Hummelsheim, Meike Kricke und Bettina Amrhein Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 11 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen in die Begleitung des Kölner Orientierungspraktikums In diesem Beitrag geht es um die Rahmenbedingungen, die an der Universität zu Köln geschaff en wurden, um Refl exions- und Supervisionselemente in der ersten Phase der Lehrer/innen/ausbildung in den Fokus zu nehmen und anzuwenden. Viele der nachfolgenden Artikel handeln von konkreten Refl exionsmethoden, die angewendet wurden im „Rahmen“ des Orientierungspraktikums. So wie die Me-thoden übertragen und adaptiert werden können für andere Veranstaltungskontex-te (z. B. Praktikumsbegleitungen anderer Studiengänge, anderer Hochschulen, andere Kontexte von Erwachsenenbildung etc.) – so könnte der Prozess der Implementie-rung übertragen werden auf andere Hochschulen, andere Institutionen. Wir möchten exemplarisch nachzeichnen, wie zentral der Kontext Hochschul-struktur beitragen kann zum Erfolg dieses Konzepts, ja, wir möchten Mut machen, Veränderungen strukturell zu verankern, da sie damit über individuelle Einzelinitia-tiven hinausgehen und Kraft gewinnen können. Berufsbiografi sche Refl exion, Th eorie-Praxis-Verzahnung, Förderung der psycho-sozialen Basiskompetenzen, dies sind wichtige Elemente einer neuen Lehrer/innen/ bildung, die neben der Ausrichtung auf die fachwissenschaft lichen Inhalte die Person des Lehrers/der Lehrerin in den Blick nimmt. Wir sprechen in unserem Beitrag von „Refl exions- und Supervisionselementen“, wobei wir Refl exion als den allgemeineren Oberbegriff verstehen; Supervision verstehen wir als ein professionelles Beratungs-format, in dem die Schnittmenge von Organisation, Person und Profession thema-tisiert wird. Wenn die Studierenden in die Praxis gehen, haben sie genau mit dieser Schnittmenge zu tun.1 Die Bearbeitung der Th emen, die sich in diesem Fokus zeigen, kann die Studierenden in der Anbahnung ihrer berufl ichen Professionalität nach-haltig unterstützen. In der Lehrer/innen/bildung der zweiten Phase sind inzwischen auch erfolgreich Coachingelemente implementiert worden,2 die auf der Tagung „Zur Humanisierung des Schullebens. Supervision in der Lehrer(aus)bildung“ vorgestellt wurden. In einem Positionspapier, das auf dieser Tagung formuliert wurde, heißt es: „Supervision und Coaching unterstützen selbstverantwortliches Lernen, indem Stu-dierende und Referendarinnen und Referendare die Ausgestaltung ihrer Lehrerrol-le im System Schule refl ektieren. Erfolgreiche Supervision ist daher am Individuum orientiert, versteht Ausbildung als Begleitung, schafft transparente Kommunikati- 1 Für die Studierenden ist es sogar noch komplizierter, sie gehören hinsichtlich der Organisa-tion erneut zu einer Schnittmenge, zur Universität und zur Schule, was zusätzliche Th emen-felder schafft . 2 Vgl. http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL/ (Stand 03.07.2012) 12 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr onsstrukturen, lässt Gestaltungsräume zu und versteht Rückmeldung als Dialog und Prozess.“3 Im Folgenden stellen wir in unserer Funktion als Verantwortliche für das Konzept und die Ausgestaltung chronologisch dar, wie diese Entwicklung in Köln verlaufen ist und gehen dabei in diesen Schritten vor: 1. Konzeptionsphase 2. Akkreditierungsphase 3. Implementierungsphase 4. Umsetzungsphase 5. Ausblick 1. Konzeptionsphase • Im März 2009 bekamen wir im Rahmen der Akkreditierung den Auft rag, die uni-versitären Begleitveranstaltungen aller Praxisphasen des Neuen Bachelor- und Master-Lehramtsstudiums zu konzipieren.4 Hier etablierten wir als leitende zen-trale Fokussierung die Refl exionskompetenz, insbesondere die Refl exion der eige-nen Berufsbiografi e und die Fallsupervision. • Zum Wintersemester 2009/2010 haben wir erstmalig „integrierte Veranstaltungen“ als Pilotprojekte in der Begleitung der Orientierungspraktika geplant. Neben den Vor- und Nachbereitungsphasen fanden nun während des vierwöchigen Schul-praktikums wöchentliche dreistündige Begleitveranstaltungen in der Universität statt; in diesen erlebten die Studierenden Kollegiale Beratung und Fallsupervision. Zeitgleich entstand eine Zusammenarbeit von DGSv5 und Universität zu Köln, die den folgenden Prozess unterstützt hat. • Parallel hierzu wurde an der Humanwissenschaft lichen Fakultät ab Oktober 2009 ein Modellprojekt durchgeführt, das für eine kleine Gruppe von 60 Studierenden alle bildungswissenschaft lichen Anteile (und so auch die Th eorie-Praxis-Verzah-nung) im Zeitraff er von 4 Semestern simulierte, sodass dann, zeitlich passend zur Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge ab Oktober 2011, die entspre-chenden Erfahrungen vorlagen. Bereits hier ist Supervision für Studierende und für Lehrende integriert worden und einige der Erkenntnisse konnten für die spä-tere Umsetzung genutzt werden (vgl. Rohr/Roth 2012) 3 Positionspapier der Tagung „Zur Humanisierung des Schullebens. Supervision in der Lehrer(aus)bildung“, 2011: http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/10/positionspapier_ zur_tagung_humanisierung_d_schullebens.pdf (Stand 03.07.2012). 4 Unsere Arbeitsgruppe setzte sich zusammen aus Mitgliedern des Lehrerbildungszentrums (LBZ), einer Einrichtung des Rektorats und des Praktikumszentrums (PZ) der Humanwis-senschaft lichen Fakultät (HF); die HF hatte die Federführung für den Anteil der Bildungswis-senschaft en übernommen, diese ersetzen jetzt das frühere „erziehungswissenschaft liche Stu-dium“. 5 Die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) mit Sitz in Köln thematisiert seit 2003 kontinuierlich in Veröff entlichungen, auf Tagungen und in weiteren Initiativen das Th ema „Supervision und Schule/Lehrerbildung“, vgl. Homepage der DGSv. Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 13 • Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelten wir ein Konzept für die Begleitung des Praxissemesters, in dem Refl exions- und Supervisionselemente als ein obligatorischer Baustein der universitären Begleitung eingeplant wurden. Dies wurde im Januar 2010 dann den Entscheidungsträger/inne/n in der Universität präsentiert. Hier werden die Empfehlungen der DGSv für die Implementierung von Supervision in der ersten Phase der Lehrer/innen/bildung vorgestellt.6 Grund-sätzlich wurde bei diesem Treff en Supervision als Bestandteil einer kompetenzo-rientierten Lehrer/innen/ausbildung begrüßt. Herausforderungen wurden gesehen in der Frage der Finanzierung und der Kommunizierbarkeit einer solchen Ent-scheidung hin zu den anderen beteiligten lehrer/innen/bildenden Fakultäten, bei denen der Fokus auf der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik liegt. 2. Akkreditierungsphase Im März 2010 erscheint der „Modellbericht zum Antrag auf Akkreditierung der lehramtsausbildenden Studiengänge“7. In ihm wird ein „Kölner Modell“ der Lehrer/ innen/ausbildung konzipiert und es handelt sich auch hier wieder um den Anteil der Bildungswissenschaft en. Schon auf den ersten Seiten wird das besondere Profi l deut-lich; so heißt es: „Die Universität zu Köln orientiert sich in der Lehrerbildung am Leitbild eines berufsbiografi schen Aufb aus professioneller Kompetenz, zu der sowohl konzep-tuell- formales Wissen als auch prozedurales Handlungswissen gehört. (…) Das Curriculum muss am aktuellen Stand der Schulforschung sowie der di-daktischen und bildungswissenschaft lichen Forschung orientiert sein und päd-agogische und didaktische Innovationselemente wie Schul- und Unterrichtsent-wicklung, Standards, Supervision u. a. aufgreifen.“ (Modellbericht 2010, 8) Für das Praxissemester, das im achten Semester stattfi ndet, fordert der Antrag eine besondere Berufsfeldorientierung; hier werden Coaching und Supervision als wichti-ge neue Lernformen genannt: „Der Herausforderung, die seit langem angemahnte Verstärkung der Th eorie- Praxis-Verschränkung im Studium zu realisieren, begegnet die Universität zu Köln mit einem Konzept, das die neuen Möglichkeiten eff ektiv und innovativ umsetzt. Voraussetzung dafür ist die Implementierung neuer Lehr-/Lernformen, die eigenverantwortliches, kooperatives und forschendes Lernen in Verbindung mit Coaching und Supervision auf der Basis der Idee des Empowerment ermög-lichen.“ (Modellbericht 2010, 79) 6 Diese Empfehlungen wurden später von der DGSv herausgegeben und sie können kosten-los heruntergeladen werden unter: http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/08/reihe_5_ empfehlungen-2010.pdf (Stand 03.07.2012). 7 Auf der Homepage der Universität zu Köln veröff entlicht: http://hf.uni-koeln.de/data/lebama/ File/Studiengangskommission/modellbericht.pdf, (Stand 03.07.2012) 14 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Für das Orientierungspraktikum wird im Antrag die als Pilotprojekt oben er-läuterte sehr positiv evaluierte integrierte Konzeption übernommen. Ein Ziel die-ser Konzeption ist, dass die Studierenden sich anhand von Schlüsselsituationen ihrer subjektiven Th eorien über Schule aus einer professions- und systemorientierten Per-spektive bewusst werden. Auch ein Refl exionsgespräch am Ende der Veranstaltung hinsichtlich der angebahnten Kompetenzen wird verbindlich. Da die Dozent/inn/en über einen längeren Zeitraum (4 SWS) eine konstante Stu-dierendengruppe begleiten, ist eine Fokussierung auf Beziehungsgestaltung, Feed-backkultur und berufsbiografi sch bedeutsame Refl exionsprozesse möglich. Gerade die Zweiteilung in Vorbereitung (während der wöchentlich stattfi ndenden Sitzun-gen im Semester 2 SWS) und der sich daran anschließenden Praxisphase und der Begleit- und Nachbereitungstermine in der vorlesungsfreien Zeit (ebenfalls 2 SWS) zeigt sich als gewinnbringend. 3. Implementierungsphase • Mit der Akkreditierung des Modellberichts planen wir ab Januar 2011 die kon-krete Organisation der Seminare zum Orientierungspraktikum für alle Lehramts-studierenden ab Wintersemester 2011/12.8 Hierzu benötigten wir 25 zusätzliche Lehrbeauft ragte, die – dem neuen Schwerpunkt entsprechend – sowohl im Leh-rer/ innen/bildungskontext als auch in der Supervision erfahren sind.9 Auf unse-re Ausschreibung melden sich viele hoch qualifi zierte Bewerber/innen, die hoch motiviert sind, einen neuen Weg in der Lehrer/innen/ausbildung mit zu gestalten. • Mai 2011: Um für die neue Entwicklung Standards zu setzen, trifft sich der ge-samte Pool der neuen und „alten“ Lehrbeauft ragten zu einer Fortbildung, in der das gemeinsame Konzept erläutert wird. Es ist das erste Mal, dass alle Seminare zum Orientierungspraktikum einen gemeinsamen Fokus haben. „Empowerment“ sowohl für die Lehrenden als auch für die Studierenden gilt als das handlungslei-tende Prinzip (vgl. Arnold et al. 2011). Empowerment heißt für uns, den Schüler/ inne/n genauso wie den Studierenden – in den gegebenen Rahmenbedingungen – die Möglichkeit der Mitbestimmung für Inhalt und Prozess des Lernens zu ge-ben sowie sich als aktiv und selbstwirksam zu erleben. Außerdem werden die In-halte des Portfoliokonzepts, deren Umsetzung das neu gegründete Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) an der Universität zu Köln übernommen hat, vermit-telt und diskutiert. Die Portfolioarbeit soll die (Selbst-)Refl exion der Studieren-den nachhaltig unterstützen und sie soll im Kontext des Seminars sinnvoll vertieft werden.10 8 Das Lehramt Sonderpädagogik ist zunächst in Pilotprojekten vertreten, hier sollen Modelle von Inklusion entwickelt und erprobt werden. 9 Die Universität zu Köln ist eine der größten lehrer/innen/bildenden Hochschulen Europas; insgesamt planen wir im Bereich Orientierungspraktikum 50 Veranstaltungen für 1250 Stu-dierende pro Semester, d. h. pro Seminar gibt es eine Höchstteilnehmerzahl von 25 Studie-renden. 10 Siehe auch Beitrag Kricke/Reich in diesem Band. Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 15 • Im September 2011 arbeiten wir weiter am Modulhandbuch, das Teil des Akkre-ditierungsantrags ist. Als Ziel und zentrales Th ema für den universitären Anteil des Moduls „Orientierungspraktikum“ werden hier formuliert: „ Sich orientieren in der Berufsrolle und im System Schule bedeutet, die eigene Lern- und Schulgeschichte refl ektiert zu haben und sich der eigenen Konstruk-tionen als Muster für eigenes Erleben und Agieren bewusst zu werden. Zentra-les Th ema im Orientierungspraktikum ist deshalb der Prozess der Wahrneh-mung und (Selbst-)Refl exion. Dazu tragen auch Th eorieansätze bei, die jeweils bezogen werden auf die subjektiven Überzeugungen und die Beobachtungen in der Praxis.“11 Die supervisorischen Aspekte sind in allen Punkten erkennbar und wir betonen hier besonders sechs Lernergebnisse und Kompetenzen: Die Studierenden • vollziehen und refl ektieren anhand von konkreten pädagogischen Situationen den Perspektivwechsel aus der in der eigenen Schullaufb ahn lange eingeübten Schüler/ innen/rolle in die Rolle einer Lehrperson; • entwickeln einen professionellen Habitus, eigene Fähigkeiten und Ressourcen zu nutzen sowie Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und ihnen aktiv und konstruktiv-wertschätzend zu begegnen; • lernen Feedback zu geben und anzunehmen, • werden sich ihrer subjektiven Th eorien von Schule, Lernen und Lehren bewusst, hinterfragen diese und entwickeln sie weiter; • lernen Heterogenität für die Bildungs- und Entwicklungsbegleitung zu nutzen und • erarbeiten Schwerpunkte ihres eigenen, weiteren Bildungs- und Entwicklungspro-zesses. Dazu bringen die Studierenden Fälle aus dem Schulalltag ihres Orientierungsprak-tikums mit in die Seminarsituation. Sie lernen verschiedene Formen von Refl exion und Supervision kennen und wenden diese an. 4. Umsetzungsphase seit Oktober 2011 Es hat eine Zwischenauswertung stattgefunden, auf der fünf Punkte besonders her-vorgehoben wurden: • Für die Studierenden ist es irritierend und bereichernd an „eigenen Th emen“ zu arbeiten. • Die Eigenverantwortung und Aktivität/Partizipation wird von den Studierenden sehr positiv bewertet. • Für die Studierenden ist es eine Herausforderung, immer wieder auf ihre Selbst-kompetenz verwiesen zu werden. Auch die neuen Lernformen (fallorientiert, kei-ne Referate) sind ungewohnt und fördern die Kommunikation untereinander. 11 http://www.hf.uni-koeln.de/34812 (Stand: 03.07.2012) 16 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr • Durch verschiedene Formen der Zusammenarbeit entsteht gegenseitige Inspirati-on von „neuen“ Supervisor/inn/en und „alten“ Lehrbeauft ragten. • Hohe Transparenz zwischen den Lehrbeauft ragten und dem PZ/ZfL als Koordi-nationsstellen werden positiv konnotiert, die ersten Seminare werden von unserer Seite intensiv begleitet. Zusätzlich werden Fortbildungen z. B. zur videogestützten Refl exion (Marte Meo) und zur Entwicklung psychosozialer Basiskompetenzen mit guter Resonanz wahrgenommen. Seit dem Sommersemester 2012 werden auch die 10 Begleitveranstaltungen des Lehramtes Sonderpädagogik in der hier dargestellten Struktur durchgeführt. 5. Ausblick Nach der Durchführung der ersten Kohorte (im ersten Semester) ging die Zustän-digkeit vom Praktikumszentrum der Humanwissenschaft lichen Fakultät, verantwort-lich für den bildungswissenschaft lichen Anteil der lehramtsbezogenen Studiengänge, über an das überfakultäre Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL; Meike Kricke, Bet-tina Amrhein). Die Tatsache, dass wir von Anfang an eng zusammen gearbeitet haben, erleich-tert diesen Übergang enorm. Als Beispiel der Weiterführung kann die mehrtägige Marte-Meo-Weiterbildung angesehen werden12, die im WS 11/12 begann, sowie die-ses Buch, das wir gemeinsam herausgeben. Da wir selbst einen Arbeitsbereich für Beratungsforschung an der Universität zu Köln aufb auen, werden wir von dort aus weiterhin mit dem ZfL kooperieren, das nun die Federführung für alle Praxisphasen übernommen hat. Der nächste große Schritt wird die curriculare Ausgestaltung des Praxissemesters sein, das erstmalig im Frühjahr 2015 stattfi nden wird. In diesem Sinne hoff en wir, dass die angehenden Lehrer/innen durch die frühzei-tige Erfahrung mit Supervisionselementen in ihrer Refl exion und Selbstrefl exion ge-stärkt werden und ein nachhaltiges Interesse an berufsbiografi schen Lernprozessen entwickeln. Langfristig, so sind wir überzeugt, wird sich damit die Qualität von Aus-bildung und Arbeitsfeld verbessern lassen. 12 Siehe auch Beitrag Meiners/Hawellek in diesem Band. Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 17 Meike Kricke & Kersten Reich Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument – Mehrperspektivität fördern durch Lernteamarbeit Portfolio?! Unter „Portfolio“ (lat. portare: tragen; folium: Blatt) ist zunächst eine Art Sammel-mappe zu verstehen, in der verschiedene Materialien für unterschiedliche Zwecke „gesammelt“ werden. Spricht man von der „Portfolio-Methode“ geht es über das Sammeln hinaus: Die Mappen werden „für Refl exionen über das Gesammelte und dabei gemachte Lernerfahrungen“ (Reich 2008a) genutzt. Es lassen sich eine Rei-he von Einsatzmöglichkeiten dieser Methode fi nden, die sich in unterschiedlichen Portfolioarten widerspiegeln – beispielsweise in Bewerbungs-, Sprachen-, Entwick-lungsportfolios etc. (vgl. Häcker 2009, 33). Dysthe (2003 in Granberg 2010, 310) vergleicht Portfolios auch mit „Chamäleons“, die je nach „purpose and pedagogical design“ ihre Farbe ändern würden. Nachfolgend sollen wesentlich erscheinende As-pekte zu einer vielfältigen Nutzung von Portfolios am Beispiel der Lehrer/innen/bil-dung in einer einführenden Übersicht beschrieben und erste Erfahrungen präsen-tiert werden. Das Portfolio als Refl exionsinstrument nutzen: Grundmerkmale Ein Portfolio wird häufi g in einen öff entlichen und einen privaten Teil gegliedert (vgl. Reich 2009, 90f.). Der öff entliche Bereich ist strukturiert und besteht aus Materia-lien, die für bestimmte Personen „transparent“ gemacht werden, wie z. B. obligato-rische Aufgabenbearbeitungen. In dem privaten Teil werden ganz individuell Mate-rialien gesammelt. Der Portfoliomethode sind dabei keine Grenzen gesetzt: Neben schrift lichen Bearbeitungen können Bilder, Fotos, Videos, Podcasts etc. eingeordnet werden (vgl. Kricke/Reich 2011). Portfolios sind zudem „produkt- und prozessori-entiert“ (vgl. Häcker 2009, 35) – neben Produkten werden auch eigene Lernprozesse dokumentiert und refl ektiert (Reich 2009, 90). Sassi (2001) beschreibt die Portfolioarbeit als einen dreischrittigen Prozess: „Sam-meln, Auswählen, Refl ektieren“:1 Sammeln: Die Lernenden sammeln in diesem (persönlichen) Teil ungeordnet und in verschiedenen Formen (Mitschrift en, Fotos, Zitate, etc.) Materialien innerhalb des jeweiligen Portfoliokontextes. 1 Vgl. auch das Portfolio im Projekt Modellkolleg Bildungswissenschaft en: Bachtesvanidis et al. (2012). 18 Meike Kricke & Kersten Reich Auswählen: Um die Kompetenzerwartungen/Ziele des jeweiligen Portfolioeinsatzes zu erbringen, wählen die Lernenden dann aus ihren Sammlungen das für sie Zen-trale zur Refl exion – inwieweit oder wodurch die Ziele/Kompetenzerwartungen er-reicht wurden – aus. Wichtig ist hier, dass den Lernenden Sinn und Zielsetzung des Lernprozesses von Anfang an transparent ist. Kriterien sollten bestenfalls partizipativ mit den Lernen-den entwickelt werden. Refl ektieren: Auf Grundlage des ausgewählten Materials refl ektieren die Lernenden ihren Lernzuwachs. Versteht man den Portfolioprozess als zirkulär, lässt sich dieser Dreischritt erweitern: Bilanzieren: Erfolge erkennen und Ziele setzen: Auf Grundlage der Refl exion werden eigene Erfolge erkannt und weitere Ziele – bezogen auf den jeweiligen Portfolio-Ge-genstand – zur Weiterarbeit formuliert (vgl. Kricke/Reich 2011). Portfolios in der Lehrer/innen/bildung: Einordnung Im Folgenden geht es um die Umsetzungsdarstellung der Portfolioarbeit am Beispiel der Universität zu Köln im Rahmen des Orientierungspraktikums. In dieser Praxis wird betont, dass das Portfolio nicht nur zur „Dokumentation“ (LABG 2009) über die Praxisphasen dient, sondern dass es auch als Refl exions- und darüber hinaus als Dialoginstrument einer mehrperspektivischen Lehrer/innen/bildung in Verbindung mit Lernteamarbeit herangezogen werden kann. Mit einem veränderten Lehr-Lernverständnis (vgl. Arnold/Schüßler 1998; Reich 2009, 15) zielt die internationale Entwicklung in der Lehrer/innen/bildung darauf ab, (E-)Portfolios einzusetzen „to ensure quality standards and/or support student teachers in lifelong learning“ (Granberg 2010, 311). Im Zuge der reformierten BA/ MA-Lehramtsausbildung ist die Portfolioarbeit in Nordrhein-Westfalen gesetzlich verankert (vgl. LABG 2009 § 12 (1)) und dient als Refl exionsinstrument der berufs-biografi schen Entwicklung: In einem Portfolio Praxiselemente dokumentieren die Studierenden alle Praxis-phasen ihrer Ausbildung (vgl. LZV § 13): Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 19 Abbildung 1: Praxisphasen im Überblick (D. Kramp, ZfL). Praktische Umsetzung in Köln: Das Kölner E-Portfolio als Entwicklungsportfolio „Great teachers are neither born nor made but they may develop“ Das Kölner E-Portfolio ist als Entwicklungsportfolio konzipiert, das auf diesem Grundgedanken Th eo Bergens (Universität Nijmwegen) beruht. Es verfolgt das Ziel, dass die Studierenden in ihrer Refl exionsfähigkeit gefördert werden, die nach Combe/Kolbe (2004, 835 in Häcker 2012, 77) „als Schlüsselkompetenz von päda-gogischer Professionalität betrachtet“ wird. Dieser „sich je individuell vollziehende berufsbiografi sche Entwicklungs- und Lernprozess“ (vgl. Reh & Schelle in Herzog 2011) wird in dem Praxisphasenportfolio dokumentiert und kann als Grundlage der Entwicklung einer Refl exionsfähigkeit sowohl auf das „Lehrer werden“ als auch auf das „Lehrer bleiben“ bezogen werden (vgl. Terhart 1994, 21). Insgesamt wird dieser Entwicklungsgedanke hin zu einer professionellen Lehrer/innen/rolle unter dem As-pekt des „lifelong learning“-Gedankens durch verschiedene Elemente gefördert:2 Für jede Praxisphase hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung Kom-petenzerwartungen (LZV-Standards) vorgegeben. Im Mittelpunkt der Portfolioarbeit steht die Refl exion der eigenen Entwicklung hinsichtlich dieser Standards, die durch Situationsbeschreibungen konkretisiert werden. Zu jedem Standard wählen die Stu-dierenden jeweils eine Aufgabe aus, die sie auf Grundlage ihrer Beobachtungen, In-terviews etc. im Praktikum bearbeiten.3 Die Aufgabenvorschläge basieren auf dem Grundgedanken des forschenden Lernens „im Rahmen der Refl exion eigener prak- 2 Das E-Portfoliokonzept basiert an der Universität zu Köln auf Portfolio-Readern nach Kri-cke/ Reich 2011. Diese sind unter im Internet unter: http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/ reich_works/aufsatze/index.html unter 2011 abrufb ar. Zudem sind alle Informationen zum Kölner E-Portfoliokonzept auf der Website des Zentrums für LehrerInnenbildung einsehbar: www.zfl .uni-koeln.de. 3 Alternativ können sich die Studierenden eigene Aufgaben bearbeiten. Eignungspraktikum 4 Wochen möglichst vor Studienbeginn Orientierungspraktikum mindestens ein Monat im Bachelor Berufsfeldpraktikum 4 Wochen im Bachelor Praxissemester ein Schulhalbjahr im Master Vorbereitungsdienst 18 Monate Portfolio kontinuierliche Dokumentation aller Praxisphasen Schule als Arbeitsplatz? Hilfe zur Berufswahl Reflektierte Auseinandersetzung Perspektiven für Studium Alternative Schulformen und Berufsfelder Anwendung, Erprobung und Reflektion erworbener Kenntnisse in der Praxis Zweite Ausbildungsphase Ziel: Staatsexamen 20 Meike Kricke & Kersten Reich tischer Erfahrungen inner- oder außerhalb von Unterricht“ (vgl. Koch-Priewe/Th iele 2009, 278). In der Bearbeitung dokumentieren die Studierenden „Fälle“ aus den Pra-xisphasen und betten diese in bildungswissenschaft liche Th eorien ein bzw. analysie-ren sie auf dieser Grundlage. Wichtig ist, dass alle Aufgabenbearbeitungen begrün-det ausgewählt oder formuliert sind und „immer auch eine Selbstrefl exion enthalten [sollten], in der darauf eingegangen wird, welche Lernschwierigkeiten bestanden und wie sie gelöst wurden“ (Reich 2009, 90). Grundlegend ist zudem die kontinuierli-che Refl exion der Studierenden über ihre „wachsende“ Lehrer/innen/rolle. Zentra-le Elemente stellen dazu die „Arbeitstheorie“4 und eine „Erfolgs- und Wachstumsseite“ (vgl. Kricke/Reich 2011) dar. Bei der Arbeitstheorie handelt es sich um „subjektive“ Th eorien (vgl. Groeben/Wahl/Schlee/Schelle 1998, 19ff . in Arnold et al. 2011, 86), die Studierende über ihre Tätigkeit als Lehrer/in haben. Diese verfassen sie anhand von Leitfragen zu Beginn der Begleitveranstaltung und refl ektieren sie kontinuierlich nach jeder Praxisphase. Zudem formulieren die Studierenden persönliche Ziele zu je-der Praxisphase, die sie nach der Praxis refl ektieren und die Bilanz ihrer „Erfolgs-“ und „Wachstumsseite“ als Grundlage weiterer Zielsetzungen im Zusammenhang mit dem individuellen Kompetenzerwerb nutzen. In der Bearbeitung ihrer Portfolioauf-gaben agieren die Studierenden resümierend als wissenschaft lich Forschende und in Anlehnung an Schön (1983) als refl ektierende Praktiker/innen, indem sie forschend und lernend ihr theoretisches Wissen mit ihren praktischen (außer-)schulischen Er-fahrungen refl ektieren. Um eine professionelle Refl exionsfähigkeit anzubahnen ist über die Selbstrefl exi-on hinaus ein weiterer Schritt entscheidend: „Der Austausch über die Selbstrefl exion – gewissermaßen als kommunikative Validierung: Um den Lernenden auch die Ge-danken und Refl exionen bzw. Wahrnehmungen weiterer Personen zu eröff nen, steht der Dialog im Vordergrund einer wechselseitigen Refl exion. Er eröff net noch wei-tere Perspektiven und Deutungsmuster des (eigenen) pädagogischen Handelns und Analysierens“ (Kricke et al. 2012, 1f.). Um die Refl exionsfähigkeit als „Schlüsselkompetenz“ von Beginn der Ausbildung an im Dialog anzubahnen, bietet sich aus unserer Perspektive, neben berufsbezoge-nen Methoden (wie kollegiale Fallberatung/Supervision), besonders das Arbeiten in Lernteams an. 4 Vgl. Bildungsserver Hessen [a] (o.J.): Arbeitshilfen zum Portfolio für LiV: A_1.4.1_Erste_ Arbeitstheorie, URL: http://lakk.bildung.hessen.de/afl /fortbildung/portfolio/ah/index.html (Stand 04.11.2011). Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 21 Lernteamarbeit in Verbindung mit der Portfolio-Methode: Förderung von pädagogischer Professionalität Das Orientierungspraktikum ist an der Universität zu Köln in ein integriertes Semi-narkonzept eingebettet, das sich über das Semester und die vorlesungsfreie Zeit er-streckt. 5 In dieser Veranstaltung spielt die Anbahnung der eigenen Refl exionsfähig-keit und somit die Portfoliomethode eine zentrale Rolle. Im Seminar kann zudem die kommunikative Verarbeitung der Praxiserfahrung fokussiert werden, um einen „living learning“-Fokus, wie ihn Ruth Cohn (1993, 12 in Arnold/Schüßler 1998, VII) formulierte, umzusetzen. Ilse Brunner (2009, 94) betont, dass die Portfolioarbeit nur so gut sei, „wie die Gespräche, die darüber geführt werden“. Diesen Gedanken unter-streichen Ehlers et al. (2009, 19), indem sie als Gelingensbedingung für einen erfolg-reichen Refl exionsprozess betonen, wie wichtig „regelmäßiges und positives Feed-back“ ist. Neben einer Rückmeldekultur von Seiten der Dozierenden bietet sich hier besonders eine Refl exion im Dialog aller an: die Arbeit in Lernteams. Die Studierenden bilden im Seminar Lernteams von 3-5 Studierenden (ungera-de Anzahl von Lernern bilden nicht so leicht Koalitionen; vgl. „Lernpatenschaft en“ in Reich 2009, 98). In der Zusammensetzung bietet es sich an, im Sinne einer Markt-platzübung „Ich suche, ich biete“ heterogene Lernteams unterschiedlicher Schulfor-men/ Semester zu bilden (Reich 2009, 98). Gerade im Hinblick auf die Entwicklungen hin zu einem inklusiven Schulsystem kann dies eine Vorbereitung auf das Arbeiten in multiprofessionellen Teams sein. Huber und Hader-Popp (2008) betonen zudem die Bedeutsamkeit „professioneller Lerngemeinschaft en“ für Unterrichts- und Schul-entwicklungsprozesse. So können die Studierenden die Fähigkeit entwickeln, sich als „Teamplayer“ zu vernetzen und Kooperationsfähigkeit zu stärken. Ein Vorteil konti-nuierlicher Lernteams – innerhalb der Portfolioarbeit – bietet eine sich entwickelnde „Gesprächskultur (…), die von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnet ist und ein Klima des Vertrauens schafft “ (Brunner 2009, 73). Gerade zu Beginn des Studi-ums kann dieser Aspekt eine Entlastung für Studierende darstellen (z. B. in Bezug auf Studienorganisation). Vor dem Hintergrund eines polyvalent angelegten BA-Stu-diums eignet sich der Austausch in heterogenen Lernteams auch dazu, zu überden-ken, ob die von den Studierenden gewählte Schulform die passende ist. Lernteamarbeit und Portfolio: konkret Innerhalb des Lernteams werden eigene „Fälle“ aus dem Praktikum herangezogen und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. In der Refl exion darüber können die Studierenden erfahren, wie heterogen sich das Berufsfeld „Schule“ hinsichtlich der Organisation, pädagogischer Konzepte, Unterrichtsmethoden, Diff erenzierungsmög-lichkeiten, Förderungen etc. zusammensetzt. Zudem stellt die Arbeit an einem (E-) Portfolio für einen Großteil der Studierenden die erste Erfahrung in der Portfolio- 5 Vgl. Hummelsheim/Rohr in diesem Band. 22 Meike Kricke & Kersten Reich arbeit dar – kollegiale Unterstützung und Beratung können hier weiterhelfen. Für Refl exionsanlässe steht jedem Lernteam ein Lernteam-Reader mit konkreten Umset-zungsideen und Leitfragen zur Verfügung (Kricke/Wulfert: im Anhang unter www. waxmann.com/buch2779). Beispiel: Stellt ein Mitglied des Lernteams die Bearbeitungen zu einem LZV-Standard vor, hat das Team im Anschluss die Möglichkeit, Rückfragen an den Vorstellenden/die Vor-stellende zu richten und ein Feedback zu geben. Mögliche Fragen und Ansatzpunk-te sind: 1. Warum hast Du gerade diese Aufgabe ausgewählt? 2. Was glaubst Du, mit dieser Aufgabe verdeutlichen zu können? 3. Mir ist nicht ganz klar geworden … 4. Verdeutliche und begründe Deine Vorgehensweise bei dieser Aufgabe näher. 5. Interessant wäre auch noch der Aspekt xy bei der Bearbeitung dieser Aufgabe. 6. Gab es etwas, was Dich irritiert/gewundert/erschrocken/… hat während Deiner Beobachtungen/Deines Interviews? 7. Bei Deiner Darstellung kommen mir noch folgende Fragen auf: … 8. Aus meiner Schulerfahrung habe ich etwas ganz anderes/ähnliches wahrgenom-men … Refl exion: Erfolgs- und Wachstumsseiten6 Nach einem ersten Semester obligatorischer Portfolioarbeit und Lernteamarbeit möchten wir abschließend kurz die bisherigen „Erfolgs- und Wachstumsseiten“ bei-der Konzepte erläutern. Diese basieren auf Rückmeldungen der Lehrbeauft ragten, ei-genen Erfahrungen und zu großen Teilen aus einer Online-Umfrage auf Seiten der Studierenden, die Grundlage einer konsequenten Konzeptweiterentwicklung bieten: Erfolgsseiten Erfolgreich stellte sich die breit angelegte Informationskultur heraus, mit der die Portfolioarbeit eingeführt wurde. Barrett und Carney (2005 in Granberg 2010, 311) betonen, dass es essenziell zur Einführung der Portfolioarbeit gehört, zu Beginn zu defi nieren, welche Funktion das Portfolio erfüllen sollte. Zudem beschreibt Butler (2006 in Granberg 2010, 311) als Erfolgskriterium, dass den Studierenden zur Vor-bereitung völlige Transparenz gegeben werden soll über: „what, why and how“. Das obligatorische Feedback im Rahmen der Begleitveranstaltung auf Grundlage der Refl exionselemente zeichnete sich zudem als positiv heraus, da die Studierenden hier eine direkte Rückmeldung erhielten. 6 Vgl. auch das Portfoliokonzept des Projektes Modellkolleg Bildungswissenschaft en der Hu-manwissenschaft lichen Fakultät der Universität zu Köln unter Portfolio: http://www.hf.uni-koeln. de/33814. Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 23 Die Möglichkeit von Teilnahmen an Lernteam-Workshops und das Bereitstellen eines Lernteamraumes war besonders förderlich für die Lernteamarbeit. So haben die Studierenden auch an der Universität einen festen Ort des Rückzugs zum indi-viduellen Austausch. Lernpsychologisch war es wichtig, dass die Studierenden ihre eigenen Erfolge kritisch refl ektierten, dokumentierten und gespiegelt bekamen. Ge-machte Fehler können, wenn sie refl ektiert werden und bessere Lösungen antizipie-ren lassen, auf der Erfolgsseite verbucht werden. Erfolge sind lernpsychologisch ge-sehen Voraussetzungen für noch besseren Erfolg in der Zukunft . Zudem können die Studierenden ihre „Wachstumsseiten“ z. B. durch Workshop-Angebote des ZfL wei-terentwickeln. Wachstumsseiten Trotz obligatorischen Einführungsveranstaltungen gab es dennoch viele Rückfragen auf Seiten der Studierenden im ersten Semester. Wie oben dargestellt ist ein gelungener Refl exionsprozess nur so gut, wie die Ge-spräche darüber verlaufen: Dies zeigen auch die Erfahrungen und Feedbacks des ers-ten BA-Durchganges auf Seiten der Studierenden und Dozierenden ganz deutlich: Refl exionen und Gespräche müssen in die Begleitveranstaltungen des Orientierungs-praktikums (zeitlich) eingebettet sein. Gerade zu Beginn war eine große Verunsicherung auf Seiten vieler Studierender in Bezug auf ihre Bearbeitungen zu spüren: „Was ist richtig, was ist falsch? Wie vie-le Seiten muss ich abgeben?“ Der Eindruck entstand, dass zunächst eine Art „Akzep-tanz“ dieses off enen Arbeitens entwickelt werden musste – das Portfolio als ein Me-dium einer veränderten Lernkultur. Margrit Meissner drückt dies so aus: Wichtig ist die „Förderung einer Grundhaltung des selbstverantworteten Lernens“ (2009, 242). Das Arbeiten in Lernteams ist den Studierenden bisher als Angebot freigestellt. In einer Umfrage des ersten BA-Durchganges arbeiteten von der befragten Gruppe der Studierenden unterschiedlicher Schulformen (N= 229) 11% in einem Lernteam. Eine feste Implementation innerhalb der Seminararbeit erscheint daher zentral. Als schwierig stellte sich zudem für Studierende im ersten/zweiten Semester die Ver-knüpfung von theoretischen Konzepten und ihren praktischen Erfahrungen heraus. Hier sollte noch mehr Unterstützungsarbeit in der Begleitung erfolgen, was insbe-sondere durch die Bildung heterogener Lernteams verschiedener Semester erfolgen könnte. Häcker verdeutlicht zudem (2011, 1), dass die erfolgreiche Implementation von Portfolioarbeit in ein „didaktisches Gesamtkonzept“ eingebettet sein muss. Dies würde neben den obligatorischen Portfolioelementen auch die Refl exionen über In-halte aus der Seminararbeit einschließen. Weiterzuentwickeln wäre hier ein Konzept, das nicht nur über die Praxisphase, sondern auch über die gesamte Begleitung ange-legt wäre. Studierende könnten im Dialog z. B. an Fragen wie: „Welche Wirkung ha-ben diese Inhalte für mich als zukünft ige Lehrkraft ?“ oder „Welche theoretischen Ele-mente konnte ich schon erfolgreich in die Praxis umsetzen?“ arbeiten. Dazu könnten vorab z. B. feste „Portfoliozeiten“ in die Seminararbeit integriert werden. Sofern die Praktika in Lernteams absolviert werden können, wäre dies ein ziel-führendes Angebot, um Methoden wie kollegiale Hospitation zu erproben oder an- 24 Meike Kricke & Kersten Reich hand der gemeinsamen Hospitationen und Dokumentationen ganz konkret „um-setzbare und erfolgreiche Wirklichkeitskonstruktionen“ zu erleben (vgl. dazu das Beispiel von Schindler/Rohr/Kricke in diesem Band). Der Dialog zwischen allen Beteiligten ist für eine gute Umsetzung der Portfolio-arbeit ausschlaggebend. Tony Booth (2011 in European Agency for Development in Special Needs Education 2012, 35) sagt zur Bedeutsamkeit des Dialogs: „Th e pow-er we have as educators is to engage others in dialogue – that is all.“ Portfolioarbeit in Verbindung mit Lernteamarbeit stellen aus unserer Sicht zwei entscheidende Ent-wicklungsinstrumente für die professionellen „educators“ von morgen dar, um mit allen Akteur/inn/en in der praktischen und theoretischen Ausbildung im Dialog die Qualität der Lehrer/innen/bildung zu erhöhen. Die im Folgenden beschriebenen Methoden können die Studierenden für ihre Dokumentation innerhalb der Seminararbeit in ihr (persönliches) Portfolio aufneh-men und für ihre Refl exionsprozesse nutzen. Einführung von Dimensionen der Refl exion 25 Annette Hummelsheim Einführung von Dimensionen der Refl exion im Kontext der neuen Lehrer/innen/bildung „Kurz, wer unterrichten will, muss ein klares Bild von seiner eigenen Schulzeit gewinnen. Er muss den Zustand der Unwissenheit ansatzweise fühlen, wenn er irgendeine Chance haben will, uns aus dem Schlamassel zu holen.“ Daniel Pennac (2009, 274) Einblicke Dieses Zitat ist dem autobiografi sch geprägten Roman „Schulkummer“ entnommen. Der Autor Daniel Pennac ist nach einer katastrophalen Schülerlaufl aufb ahn selbst Lehrer geworden und lässt uns in seinem Buch Zeuge werden von Gesprächen, die er mit seinem Alter Ego, dem Schüler, der er einmal war, führt. Er lässt sein päda-gogisches Verhalten von dieser Kindfi gur radikal in Frage stellen und nutzt die Kon-frontation mit seiner Erinnerung für eine Profi lierung seiner Lehrerrolle. Das Buch erschien in Deutschland, als ich begonnen habe, an der Universität zu Köln Seminare zum Orientierungspraktikum zu konzipieren und durchzuführen. Von meiner Lehrtätigkeit in einer Fachschule für Sozialpädagogik war ich schon mit biografi schen Lernformen und Refl exionselementen vertraut. In der Lehrer/innen/ bildung der ersten Phase wollte ich nun ein Konzept entwickeln, das über persön-lich bedeutsames Lernen Orientierung und Irritation bewirkt; es soll ein Prozess an-gestoßen und begleitet werden, in dem die Studierenden bereit sind, die eigenen Er-fahrungen, Fragen und Ziele zu formulieren; sie sollen die Gruppe als einen Ort des gemeinsamen Suchens und Forschens nutzen. Immer wieder wollen gerade Lehr-amtsstudierende die Pädagogik funktionalisieren, um Rezeptwissen zu bekommen. Es geht um das Ausschalten der eigenen Verunsicherung, das Bedürfnis, „eine Klas-se in den Griff zu kriegen“. Das Bedürfnis verstehe ich als ein wichtiges Signal, das Beachtung verdient, doch der Weg dahin kann nur über Auseinandersetzung mit praktischen Erfahrungen, Th eorieansätzen und der eigenen Person verlaufen; hier zu enttäuschen, das Bedürfnis nicht auf einer trivialen Ebene zu bedienen, vielmehr einzuladen zu einem „Abenteuer Pädagogik“, das auch einer Anstrengung bedarf, darin sehe ich meine Rolle in der Leitung dieses Seminartyps. In meinem Beitrag werde ich auf Seminarmethoden eingehen, die die Seminar-teilnehmer/ innen und ich als hilfreich für den Refl exionsprozess im Orientierungs-praktikum erlebt haben. Ich werde dazu einen idealtypischen Seminarverlauf von dreizehn Sitzungen während des Semesters skizzieren. Wichtig ist mir, dass ein roter 26 Annette Hummelsheim Faden deutlich wird, und ich eventuell einen Anreiz schaff en kann, die eine oder an-dere Methode selbst auszuprobieren. Der besseren Lesbarkeit halber erzähle ich wie von einer Expedition, die wir im Seminar gemeinsam unternehmen. Eine schemati-sierte Übersicht zu den einzelnen Sitzungen, Formulierungen zu den Impulsen, Vi-sualisierungen zur Vermittlung bestimmter Methoden und Arbeitsblätter zu weiter-führenden Hausaufgaben fi nden sich unter dem Link zum Buch.1 Es geht darum, im Seminar zwei Ebenen zu unterscheiden: Auf der einen Ebene sind die Studierenden Seminarteilnehmer/innen, die sich auf meine Leitung verlas-sen können. Auf einer zweiten Ebene sollen sie „meine Leitung verlassen“, sie sollen in einen Prozess der Selbstleitung kommen, in dem sie Beobachter/innen des Prozes-ses werden, zu dem der kritische Umgang mit der Leitung, die Entwicklung der eige-nen Kompetenzen und die der anderen Teilnehmer/innen zählen.2 Diese Ebene der Beobachtung wird im Seminarverlauf immer wieder eingeblendet und genutzt. Es entsteht ein Werkstattcharakter und wir reden nicht nur über Situationen und Th e-orien, vielmehr nutzen wir das, von dem wir alle gerade gemeinsam Zeugen gewor-den sind. Das unterscheidet die Veranstaltung von einer Unterrichtsveranstaltung, wie Studierende sie üblicherweise in der Schule oder in der Hochschule erleben. 1. Sitzung: Wie nehmen wir uns wahr? Um die Wahrnehmungsqualität zu fördern und den interaktiven Charakter des Se-minars schon am Anfang deutlich zu machen, arbeite ich bereits in der Vorstellungs-runde mit einem Feedbackverfahren. In der ersten Runde nennen die Teilnehmer/ innen nur ihren Namen und die anderen vermuten, welche Fächer und welches Lehramt diese Person studiert. Es ist letztlich dabei nicht wichtig, ob die „richtigen“ Fächer erraten werden, wichtig ist vielmehr, dass jede/r Teilnehmer/in seine Auf-merksamkeit in aktiver Weise auf die anderen Teilnehmer/innen richtet. Natürlich ist es auch spannend für die Person im Fokus, welche Projektionen sie bei den ande-ren auslöst. Vorausgesetzt wird dabei, dass alle Fächer und alle Lehrämter eine glei-che Wertigkeit haben. Die Aufl ösung, die jeweils nach fünf bis acht Vermutungen ge-schieht, wird von allen mit Spannung verfolgt. Die Teilnehmer/innen melden nach dieser Art der Vorstellungsrunde zurück, dass sie wach sind und die Gesichter al-ler Teilnehmer/innen kennen; diese Übung rauscht nicht wie eine übliche Vorstel-lungsrunde an den Teilnehmer/inne/n vorbei, vielmehr schafft sie Präsenz. Außer-dem wird hier schon eine zentrale Lehrer/innen/kompetenz deutlich: Wir arbeiten mit unseren Projektionen, sie können zu einer guten Intuition werden und haben viel mit unseren eigenen Erfahrungen zu tun. Das kann uns helfen, um uns in neu-en Gruppen schnell orientieren zu können. Gleichzeitig können wir uns mit unseren Intuitionen auch irren und es ist sinnvoll, sich seiner Vor-Urteile bewusst zu werden, 1 Materialsammlung unter www.waxmann.com/buch2779. 2 Als Lehrer/in in der Schule praktizieren sie auch eine Form von Multitasking, sie müssen Fachinhalte vermitteln, gleichzeitig sollen sie z. B. Entwicklungen beobachten, fördern, beur-teilen, Gruppenprozesse begleiten … Einführung von Dimensionen der Refl exion 27 um Personen nicht in Schubladen zu stecken. Als Hausaufgabe schreiben die Teil-nehmer/ innen ihre subjektiven Th eorien zum Lehrberuf auf.3 2. Sitzung: Unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten In der zweiten Sitzung arbeite ich mit soziometrischen Methoden, d. h. die Studieren-den nehmen einen Platz im Raum je nach vorgegebenem Th ema ein. Ziel hierbei ist die Lernerfahrung, dass ich je nach Th ema ganz unterschiedliche Zugehörigkei-ten habe und dass ich mich in einer Gruppe nicht fi xieren muss auf eine eher zufäl-lig entstandene Nähe. Stattdessen stellt die gesamte Gruppe ein Angebot bereit, mich je nach Facette nah und distanziert zu fühlen. Deutlich wird auch, wie reich eine Gruppe gerade in ihrer Verschiedenheit ist. Ich beginne immer mit der Orientierung im Raum: Mit Bambusstäben werden die Himmelsrichtungen im Raum gefunden und markiert, in diesen Koordinaten bestimmen die Studierenden den Platz ihres Geburtsortes. Weitere Fragestellungen, die ich gerne nutze, lauten: „Wessen Eltern oder Großeltern sind schon Lehrer/in oder in pädagogischen Berufen tätig?“ „Ord-nen Sie sich nach Fächern und Schulformen zu!“ „Wer hat schon eine Berufsausbil-dung?“, „Wie ist Ihre Position in der Geschwisterreihe?“, auch Fragestellungen der Studierenden werden umgesetzt. Zum Abschluss der Soziometrie stelle ich die Fra-ge: „Stellen Sie sich vor, die Schulen würden abgeschafft und es gäbe auch keine Leh-rer/ innen mehr. Was wäre Ihr zweiter Berufswunsch? Sie dürfen nach den Sternen greifen, müssen sich nicht von NC oder Verdienstmöglichkeiten beeinfl ussen lassen. Vielleicht ist dies sogar Ihr eigentlicher Traumberuf!“4 In dieser Runde entsteht oft eine lebendige Atmosphäre, die eventuell von den Eltern ausgeredeten Lebensent-würfe kommen zum Vorschein, viele Ressourcen werden sichtbar, die Studierenden sollen auch ihre Zweifel bezüglich des Lehrberufs äußern können und andere Ent-würfe aufzeigen. Als Hausaufgabe führen sie ein Selbsteinschätzungsverfahren „Fit für den Lehrerberuf “5 durch. Außerdem besprechen wir, wie sie sich frühzeitig um einen Praktikumsplatz an einer Schule ihres Lehramts bewerben. 3. Sitzung: Kompetenzen und Herausforderungen entdecken In der dritten Sitzung besprechen wir zunächst die Ergebnisse des Selbsteinschät-zungsverfahrens, gehen kritisch auf die Items ein und refl ektieren, welche Fragen die Studierenden sinnvoll fanden und welche sie anders gestellt hätten. Dann sollen die Studierenden zwei Kompetenzen, über die sie schon für den Lehrberuf verfügen, auf je eine gelbe Karte schreiben und zwei Kompetenzen, die sie noch entwickeln möch- 3 Hierzu mehr im Artikel Kricke/Reich. 4 Diese Idee habe ich bei Heinrich Dauber kennengelernt, als ich 2010 an der Fortbildung „Psychosoziale Basiskompetenzen“ in Fuldatal teilgenommen habe. 5 http://www.dbb.de/fi leadmin/pdfs/projekte/lehrerstudie_fragebogen_fi t.pdf (Stand 03.07.2012). 28 Annette Hummelsheim ten, auf je eine grüne Karte. Die Kursleitung legt einen „Lehrkörper“6 in Form ei-nes Strichmenschen aus Bambusstäben in die Raummitte und die Studierenden le-gen nacheinander ihre Karten mit kurzen Kommentaren in die Körperregionen, wo sie diese Kompetenz lokalisieren. Ich beobachte immer wieder, dass sehr viele Kar-ten im Kopfb ereich liegen, viele grüne Karten im Herzbereich, ganz wenige Karten in der Bein- und Fußregion, auch der Arm- und Handbereich ist noch unterreprä-sentiert. Wie viel der Lehrberuf mit Standfestigkeit, Bodenkontakt, Flexibilität zu tun hat, ist den Studierenden noch nicht bewusst; auch die „Handlungsfähigkeit“ kommt wenig in den Blick. Am Anfang spielen sich für viele Studierende die wesentlichen Kompetenzen im Kopf ab. Über das Bodenbild wird dies für die Beobachtung zu-gänglich und kann miteinander refl ektiert werden. Für den Gruppenprozess entsteht hier ein wichtiger neuer Schritt: Das Erleben von Gemeinsamkeiten in dem, was sie sich noch nicht zutrauen, und in dem, was ihnen schon zur Verfügung steht. So wird deutlich, dass es einigen noch schwer fällt, sich abzugrenzen, einige haben Sorgen, dass ihre Stimme nicht trägt, und bei vielen das noch wenig entwickelte Selbstver-trauen vor einer Gruppe bestehen zu können; zur Verfügung steht den meisten, dass sie Kinder mögen, einfühlsam sind, mit dem Herzen dabei sind, Interesse an ihren Fächern haben! Ein wichtiger Nebeneff ekt dieser Übung ist, dass jede Person sich von ihrer Wachstumsseite und von ihrer Erfolgsseite7 in der Gruppe gezeigt hat. Dies ist für das Gruppenklima wichtig: Ich kann mich stark und schwach zeigen, meine Schwächen isolieren mich nicht, vielmehr lassen sie mich dazu gehören; es gibt Ähn-lichkeiten, ich bin nicht alleine mit meinen Th emen, jede/r hat seine Baustellen.8 Von der Selbsteinschätzung zur Selbsterkundung Ab der vierten Sitzung geht es dann um Selbsterkundung. Der Unterschied zur Selbsteinschätzung besteht darin, dass die Studierenden Übungen durchführen, in denen sie miteinander agieren. Vor dem Hintergrund des Erlebten geben sie sich ge-genseitig Feedback und steuern ihren Selbstbildungsprozess. Bezüglich der Übungen habe ich mich in meiner Seminarplanung von dem an der Hochschule Kassel entwi-ckelten Modell der psychosozialen Basiskompetenzen anregen lassen.9 In Kassel han- 6 Vgl. in diesem Buch den Artikel zum Th ema Körperkompetenzen von Daniels. 7 Zu diesen Schlüsselwörtern aus der Portfolioarbeit vgl. Artikel von Kricke und Reich in die-sem Band. 8 Mit dieser Art Übungen entsteht eine Haltung der Authentizität. Ich muss den anderen nichts vormachen, wir können so miteinander lernen, wie wir sind. Das mag in besonderer Weise dazu beitragen, dass die Studierenden in den Rückmeldungen das Seminar als „famili-är“, „entspannt“ und „harmonisch“ beschreiben, obwohl die Übungen sie persönlich fordern. Ein Student drückte es so aus: „Es ist anstrengend, aber es lohnt sich“. 9 Für dieses Studienmodul ist die Universität Kassel 2008 mit dem „1. Projektpreis für Exzel-lenz in der Lehre“ vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der ge-meinnützigen Hertie-Stift ung ausgezeichnet worden. Quelle: Zentrum für Lehrerbildung. Universität Kassel. Manual zur Durchführung eines zweitägigen Seminars „Psychosoziale Ba-siskompetenzen für den Lehrerberuf. Oktober 2008“. Inzwischen ist die Arbeit mit dem Mo-dul auch als Buch erschienen: Bosse/Dauber/Döring-Seipel/Nolle 2012. Einführung von Dimensionen der Refl exion 29 delt es sich um ein verbindliches Wochenende, an dem jeweils zwölf Lehramtsstudie-rende zu Beginn ihres Studiums unter der Leitung von zwei professionellen Teamer/ inne/n verbindlich teilnehmen, um möglichst frühzeitig ihre Berufsentscheidung zu refl ektieren und auf Stärken und Schwächen aufmerksam zu werden. Es gibt ein Feedbackgespräch, in dem die Studierenden über für sie individuell passende wei-terführende Unterstützungsangebote informiert werden. Dieses Modell ist auf Salu-togenese10 gerichtet. Es geht von einer Studie aus, die besagt, dass die Gründe für ein Scheitern im späteren Beruf in der Regel nicht in einer mangelnden Fachlich-keit, sondern vielmehr in einem nur eingeschränkt ausgebildeten Bereich der psy-chosozialen Kompetenzen zu fi nden sind. Die Forschungsgruppe um Heinrich Dau-ber in Kassel unterscheidet hier vier Basiskompetenzen: die Selbstkompetenz, die Handlungskompetenz, die Systemkompetenz und die Sozialkompetenz. Zu jeder die-ser Kompetenzen hat sie ein Übungssetting entworfen, das ich teils übernommen, teils auch verändert und für das Konzept „Orientierungspraktikum“ weiterentwickelt habe. 4. Sitzung: Teamfähigkeit Die erste Übung, die die Studierenden in der vierten Sitzung durchführen, setzt den Fokus auf die Systemkompetenz. Es geht darum, in einem Team von jeweils ca. fünf Mitgliedern „innerhalb vorgegebener systemischer Bedingungen einen eigenen ak-tiven Beitrag zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu leisten“ (Zentrum für Lehrerbil-dung der Universität Kassel 2008, 9). Die Aufgabe besteht darin, aus drei DIN-A3- Blättern einen Turm zu bauen, der möglichst hoch, möglichst stabil und möglichst kreativ ausfallen soll; dazu haben die Teams 20 Minuten Zeit, sie stehen miteinan-der in Konkurrenz. Diese Kooperationsübung ist eigentlich ein Klassiker, und eini-ge wenige Studierende kennen diese Übung aus dem Schulunterricht, der Jugendar-beit oder auch einer Bewerbungssituation. Trotzdem lohnt es sich, die Übung unter den veränderten Rahmenbedingungen erneut durchzuführen, da es weniger um den spielerischen Charakter als vielmehr um die Bewusstwerdung der eigenen Muster und der Zusammenarbeit in der konkreten Gruppe geht. Genau dies refl ektieren die Studierenden im Anschluss miteinander. Sie teilen sich gegenseitig mit, wie das En-gagement verteilt war, wie sie sich einbringen konnten, durch welche Handlungswei-sen der anderen sie sich unterstützt oder verhindert fühlten. In dieser Phase des Se-minars wird meist deutlich, dass die Tendenz noch dahin geht, zu harmonisieren. Es ist eine große Herausforderung, das eigene Verhalten und das der anderen diff eren-ziert wahrzunehmen und aufmerksam mitzuteilen. Vertiefend sollen die Studieren-den in einer Hausaufgabe Aspekte von Teamfähigkeit benennen und aufgrund der Erfahrung in der Übung, das Feedback der anderen einbauend, refl ektieren, wo sie stehen und wie sie in dem Bereich ihre Entwicklung weiter steuern wollen. Für viele Studierende ist die Kooperation mit dem Blick für das Ganze ein überraschender As- 10 Vgl. Beitrag von Erbring in diesem Buch. 30 Annette Hummelsheim pekt des Lehrberufs, denn viele haben Lehrer/innen als Einzelkämpfer wahrgenom-men. In der nächsten Sitzung besprechen wir die Hausaufgabe und erweitern das Th ema zum Praktikum hin, nämlich als Aufgabe zu beobachten, wie Schüler/innen miteinander in Gruppenarbeiten kooperieren und wie Lehrer/innen sie darin unter-stützen. Aus den Teams dieser Übung bilden sich ab der vierten Sitzung Lernteams, die auch außerhalb des Seminars für gegenseitige Rückfragen zuständig sind, Th emen miteinander vorbereiten und auch im Seminarrahmen zwischendurch als Kerngrup-pen zusammen arbeiten.11 5. bis 7. Sitzung: Biografi sche Schlüsselsituationen – von der Erfahrung zur Theorie In der zweiten Übung geht es dann weiterführend um „Selbstkompetenz“, es geht um die Fähigkeit zur Selbstrefl exion anhand einer biografi schen Schlüsselsituation aus der eigenen Schulzeit. In einer einführenden Visualisierungsübung lade ich ein, die eigene Schulzeit noch einmal in den Blick zu nehmen und aufmerksam zu sein für Situationen, die bei diesen Bildern auft auchen. Falls mehrere Situationen erin-nert werden, sollen die Studierenden schauen, welche Situation gerade lebendiger ist, stärker in den Vordergrund kommt. Dann stelle ich eine große Kiste Bauklöt-ze in der Mitte des Raumes zur Verfügung und rege die Studierenden an, mit die-sen Klötzen die damals erlebte Situation nachzubauen, wichtig ist, dass sie auch für sich selbst symbolisch ein Klötzchen in diesem Bauwerk platzieren. Dann schreiben sie noch einen Titel auf. Zunächst schauen wir in einem Galerierundgang alle Ins-tallationen an, dann erzählen sich in einer Partnerarbeit jeweils zwei Personen ge-genseitig ihre Situation. Dies ist von Bedeutung, denn es können in dieser Sitzung im Plenum nur wenige Bauwerke vorgestellt werden und jede Person sollte in der Sitzung schon einer anderen Person die eigene Geschichte mitgeteilt haben. Es ent-steht hier eine Form von narrativer Pädagogik. Wir werden eine Erzählgemeinschaft , in der die Freuden und Nöte der eigenen Schulzeit gezeigt werden. Die Erfahrung ist, dass die negativen Situationen etwas überwiegen, sie scheinen einen prägende-ren Eindruck zu hinterlassen; hier besteht eine große Chance darin, kränkende Situ-ationen zu „heilen“ im Sinne von: Wir rekonstruieren alte Erfahrungen, wir können sie auch wieder dekonstruieren, indem wir die Bauklötze verändern, einen Lehrer z. B. von seinem Sockel herunterholen. Spannend, wie das dann geschieht, mache ich mich dafür größer, oder den/die Lehrer/in kleiner? Der/die Protagonist/in konstru-iert eine Situation, die ihr/ihm aus der heutigen Sicht gut getan hätte, fi ndet eine Lö-sung aus dem erwachsenen Bewusstsein. Die Hausaufgabe besteht dann darin, auch eine jeweils andere Situation zu fi nden, also, wenn eine negative Situation dargestellt wurde, auch eine positive aufzuschreiben, damit eine Auseinandersetzung mit beiden Qualitäten stattfi ndet. 11 Vgl. Lernteams im Artikel von Kricke/Reich. Einführung von Dimensionen der Refl exion 31 Spannend ist in dieser Phase des Seminars, dass bei fast jeder Situation ein Inte-resse entsteht, über die damit verbundenen pädagogischen Th emen zu sprechen. Als Hausaufgabe rege ich an, Schlagwörter zu benennen für die vorgestellten Situatio-nen, unter denen man nachschauen könnte, um weiterführende Literatur zu fi nden; allerdings würde es den Rahmen des Seminars sprengen, in diese Diskussionen ein-zusteigen, hier geht es um die Kompetenz, eigene biografi sche Erfahrungen für sich selbst und andere darstellen zu können; darüber hinaus um die Kompetenz, beim Zuhören Empathie zu erleben, sich identifi zieren zu können und in einem „Sharing“ mit dem Protagonisten/der Protagonistin, der/die gerade eine biografi sche Schlüssel-situation erzählt hat, das Gefühl zu teilen, ihm/ihr zu verstehen zu geben, dass er/ sie nicht alleine ist mit dieser Erfahrung. Und schließlich geht es für den Protagonis-ten/ die Protagonistin darum zu erleben, als erwachsene Person diesen Erfahrungen nicht mehr hilfl os ausgeliefert sein zu müssen, sondern konstruktiv damit umgehen zu können. Im Sinne der Resilienzforschung kann geschaut werden, wie diese Erfah-rung für die weitere Entwicklung genutzt werden konnte. Im Sinne eines Reframings kann eine neue Perspektive auf diese Erfahrung hin eingenommen werden. Die dar-gestellte Erfahrung hat auch den Zweck, dass die meisten Anwesenden etwas ver-standen haben von der Not dieses Kindes, und das könnte einen wichtigen Beitrag leisten zur Sensibilisierung und auch Professionalisierung der angehenden Lehrkräf-te. Die positiven Erfahrungen sind ermutigend. Schulgeschichten zu hören, in de-nen etwas gut gelungen ist, machen Lust auf den Beruf und zeigen modellhaft Leh-rer/ innen/verhalten, das als Geschichte erzählt, inspiriert zu eigenem konstruktiven Verhalten! Meine Erfahrung sagt, dass es kostbare Zeit ist, auch drei Sitzungen mit diesen Geschichten zu verbringen, da hier intensives biografi sches Lernen stattfi n-det. Die Teilnehmer/innen lernen sich in einer Weise kennen, die sehr viel Verständ-nis öff net für jede/n einzelne/n. Außerdem werden es im Moment der Identifi kation mit den Protagonist/inn/en immer mehr oder weniger die eigenen Geschichten, wo-durch die Empathie- und Selbstrefl exionsfähigkeit geübt wird. Es wird auch in der Schule nicht ein Leben ohne Verletzungen geben, aber die schlimmen Geschichten bergen das Potenzial, die angehenden Lehrer/innen in gewisser Weise zu „impräg-nieren“ gegen eigene kränkende Verhaltensweisen, da sie Geschichten gehört haben, wie dieses Verhalten Kindern und Jugendlichen „unter die Haut geht“. Ich schreibe hier so ausführlich über diesen Teil des Seminars, da er derjenige ist, den mir die Studierenden im Nachhinein als den beschreiben, der sie am meis-ten beeindruckt hat. Ich habe erlebt, dass Studierende in dieser Phase von Erfahrun-gen erzählt haben, die sie bisher noch keinem erzählt haben. In den Geschichten wird unter anderem spürbar, wie einsam und ausgeliefert Kinder in der Schule sein können, und es besteht die berechtigte Sorge, dass Lehrer/innen zur Wiederholung von erlittenem Unrecht neigen, wenn sie diese Erfahrungen nicht bearbeitet haben. Es berührt mich sehr, wenn Studierende nach diesen Sitzungen zeigen, dass sich für sie ein Knoten gelöst hat, dass sie freier und selbstbewusster sind. Dauber spricht bei dieser Kompetenz auch von der Fähigkeit zur Selbstwertschätzung (Zentrum für Lehrerbildung der Universität Kassel 2008, 8). Wenn wir möchten, dass Schüler/in- 32 Annette Hummelsheim nen in einer Atmosphäre von Wertschätzung12 lernen, ist die Selbstwertschätzung der Lehrer/innen ein wichtiger Schlüssel dazu! Zum Abschluss dieser Einheit geht es auch hier wieder um das anstehende Prak-tikum: Welche Beobachtungen will ich im OP machen, wie kann ich diese aktiv un-terstützen, welche Fragen stelle ich mir, wenn ich jetzt nicht mehr als Schüler/in dorthin gehe sondern als jemand, der/die die Seite wechselt. Wenn die Gruppe groß ist, können nicht alle Installationen im Plenum besprochen werden, dann werden die Geschichten nach einer vorgegebenen Struktur in den Lernteams erzählt. Ich habe in dieser Einheit angedeutet, wie aus Erfahrungen und Selbstrefl exionen ein Weg zur Th eorie gebahnt werden kann. Eine Situation als „fragwürdig“ erleben, schauen, welche pädagogischen Th emen darin stecken, formulieren von Oberbegrif-fen und Schlagwörtern, zu diesen wiederum dann Literatur recherchieren z. B. in der pädagogischen Datenbank FIS13, dies ist die Hausaufgabe für die nächste Sitzung. So lernen die Studierenden einen Ansatz kennen, mit dem sie in der Praxis durch Th eo-rie neue Perspektiven erhalten können. 8. und 9. Sitzung: Antinomien des pädagogischen Handelns – von der Theorie zur (Selbst-)Refl exion Im folgenden Abschnitt möchte ich kurz skizzieren, wie dieser Weg auch umgekehrt erfolgen kann, wie also Th eorie einmünden kann in Selbstrefl exion. Einer der beiden obligatorischen Th eorietexte stammt von Werner Helsper (2007), er stellt die Antino-mien des pädagogischen Handelns dar. Die Studierenden lesen den Aufsatz arbeitsteilig nach Lernteamzugehörigkeit und bringen in die nächste Sitzung eine Visualisierung „ihrer“ Antinomie mit. Diese stel-len sie sich gegenseitig in ihren Lernteams vor. Sie erarbeiten und diskutieren die Antinomie, dann fi nden sie Beispiele aus dem pädagogischen Alltag dazu. Schließ-lich erarbeiten sie eine Form, in der sie „ihre“ Antinomie den anderen Lernteams vorstellen. Dazu gehört auch, dass sie die Implikationen entfalten, die diese Wider-spruchskonstellation für die eigene Lehrer/innen/persönlichkeit mit sich bringt. Als Beispiel nenne ich hier die „Antinomie von Nähe und Distanz“. Viele entscheiden sich für ein Lehramtsstudium, weil sie Kinder mögen und viel Nähe mit Kindern und Jugendlichen anstreben. Dass diese Nähe nicht immer günstig die eigene Pro-fessionalität unterstützt, ist für viele ein Aha-Erlebnis; in den beiden letzten Semes-tern stand bei diesem Th ema unvermeidlich der Missbrauchsskandal im Raum, aber auch die Frage nach Gerechtigkeit (Kann ich allen Schüler/inne/n gleich nah sein?) und Gefährdung durch Burnout (Wie viel Nähe zu den Schüler/inne/n halte ich aus, wie kann ich mich abgrenzen?) sind wichtige Aspekte dieser Antinomie. Dabei geht 12 Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt in vielen seiner Publikationen, dass Lernen in einem Angstkontext nicht gelingen kann, denn wenn das Gehirn mit der Bewältigung der Angst be-schäft igt ist, kann es in dem Moment nicht frei für neue Inhalte sein. 13 Fachportal Pädagogik, FIS Fachinformationssystem Bildung: http://www.fachportal-paedago-gik. de/fi s_bildung/fi s_form.html (Stand 03.07.2012) Einführung von Dimensionen der Refl exion 33 es nicht darum, das „richtige“ Verhalten zu fi nden, vielmehr kann diese Entschei-dung immer nur als individuelle Passung geschehen, die kommunizierbar und Ar-gumenten zugänglich sein sollte.14 Auch aus der Beschäft igung mit den Antinomien lassen sich individuelle Beobachtungsschwerpunkte für das Praktikum ableiten, was die Hausaufgabe für die nächste Sitzung ist. Wenn die Studierenden die Grundstruktur pädagogischen Handelns refl ektieren als eine, die immer schon geprägt ist durch eine nicht aufh ebbare Widersprüchlich-keit, dann beginnt in dieser Refl exion eine neue Etappe der „Expedition Orientie-rungspraktikum“. Für die angehenden Lehrer/innen hat dies etwas vom „Sündenfall“ der Pädagogik; wenn sie von den „Früchten der Widersprüchlichkeit“ gekostet ha-ben, werden sie vertrieben aus dem „Paradies der eindeutigen Wertungen“. Die Fol-gen können mit „Bauchgrummeln“ des Nicht-mehr-Wissens, was richtig ist, einher-gehen; sie sollten dann aber zu einer neuen Freiheit und Verantwortlichkeit führen, in der die angehenden Lehrer/innen die Widersprüche als Herausforderungen ver-stehen, die sie gestalten können und sollen. Helsper schreibt: „An die Stelle einer Le-gitimation des pädagogischen Handelns durch die Rückendeckung des Allgemeinen und die Gratiskraft des normativ Selbstverständlichen wird die Person des Pädago-gen gerückt, der stellvertretend dafür bürgt, wie mit der Unsicherheit, der kulturel-len Vielfalt und den Orientierungsauff orderungen umgegangen werden kann“ (Hel-sper 2007, 23). 10. und 11. Sitzung: Die Wirkung der eigenen Person in Rahmen der Rolle wahrnehmen Die „Person des Pädagogen/der Pädagogin“ ist das Stichwort, um in der nächsten Phase des Seminars die dritte pädagogische Basiskompetenz, die Handlungskompe-tenz, zu erkunden.15 Hier geht es um die Refl exion der Wirkung, die eine Person durch ihr Handeln erreicht; dazu wird ein Übungssetting geschaff en, in dem ein/e Studierende/r sich zwei Minuten vor einer neuen Klasse präsentiert. Er/sie stellt sich als Praktikant/in vor und nimmt Kontakt auf zu der neuen Lerngruppe. Die Seminargruppe „spielt“ die Klasse, es sollen keine herausfordernden pädagogischen Szenen inszeniert werden, vielmehr soll die Klasse auf der Metaebene genau beob-achten, wie der Kollege/die Kollegin agiert und welche Wirkungen durch diese Ak-tionen entstehen. Die Kunst besteht im Feedbackgeben, das immer am beobachtba- 14 Helsper (2007, 26) ermutigt hier zum Experimentieren, es geht bei allen Antinomien um ein situatives Ausbalancieren. Im Kontext dieser Antinomie erwähnt Helsper das Th ema Super-vision im Sinne eines hilfreichen Refl exionselements für Lehrer/innen in der Beziehungsar-beit mit Schüler/inne/n: „Von dieser Grenzziehung aus sind aber experimentelle Handlungen erforderlich, was auch zu krisenhaft en Erfahrungen und emotionalen Verstrickungen führen kann, (…). Dazu aber bedarf es der systematischen Refl exion des eigenen Handelns. In Form von teambezogener Fallarbeit oder Supervision können Verstrickungen in die Spannungen pädagogischen Handelns zugänglich gemacht und auch die biographischen Anteile an dieser Verstrickung refl ektiert werden (vgl. Bernfeld 1973).“ 15 Vgl. Beitrag von Daniels in diesem Band. 34 Annette Hummelsheim ren Verhalten und ressourcenorientiert ansetzen soll. Spannend an dieser Übung ist die Diskrepanz von Vorstellung und Realisation; Studierende nehmen sich vor, in ei-ner bestimmten Weise zu wirken, diese Projektion kommt aber nicht immer in der gewünschten Weise beim Gegenüber an. Der Gewinn der Übung besteht im Aufh el-len der blinden Flecken. Da sie in einer wertschätzenden Atmosphäre durchgeführt wird, sind die Studierenden sehr interessiert, etwas über ihre Wirkung zu erfahren. Es geht hier nicht um einen rhetorisch und körpersprachlich perfekten Auft ritt, viel-mehr das Sichtbarmachen der eigenen Person im Rahmen der Rolle. Jeder Auft ritt liefert neuen Anlass, um dieses Verhältnis zu refl ektieren. Die Refl exion wird präsent und lebendig durch das aktuell gemeinsam Erlebte. Ein besonderer Lerneff ekt be-steht darin, dass dieselbe Verhaltensweise sehr verschieden wahrgenommen und ge-deutet wird, eine wichtige Lektion hinsichtlich eines konstruktivistischen Kommuni-kationsverständnisses und der Wirkweise von Interventionen.16 12. Sitzung: Die Rolle als Praktikant/inn/en in der Schule Diese Sitzung ist für die Studierenden handlungsrelevant, da es im Sinne des Ex-peditionsgedankens um die Vorbereitung der Landung am Zielort Schule geht. Wir erkunden „Landkarten“ und refl ektieren die Rolle als Praktikanten/Praktikantin als Gäste auf Zeit mit einer Aufgabe.17 Wichtige Fragen, zu denen wir uns austauschen: Wie könnten Lehrer/innen auf Praktikanten/Praktikantinnen reagieren? Was haben die Lehrer/innen von mir als Praktikant/Praktikantin? Wie nehme ich Kontakt auf? Damit für die Zeit des Praktikums eine tragfähige Idee entsteht, bearbeiten die Studierenden neben den verbindlichen Portfolioaufgaben die folgende „zirkuläre Frage“ als Hausaufgabe: „Stellen Sie sich vor, das Praktikum liegt eine Woche hinter Ihnen, und Sie sind höchst zufrieden! Was ist passiert, und vor allem, was haben Sie selbst dazu beigetragen?“ Durch die in die Zukunft verlagerte abgeschlossene Vergan-genheit soll im Sinne einer Bahnung die aktive Gestaltung und Beeinfl ussbarkeit der Situation angeregt werden. 13. Sitzung: Refl exion des bisherigen Prozesses Ein Austausch zu den Hausaufgaben inspiriert die Studierenden zu Eigeninitiative und Selbstverantwortung am Lernort Schule. Wir refl ektieren dann miteinander die zurückliegenden Sitzungen und vieles be-kommt im Nachhinein erst seine Sinnhaft igkeit. Ich erlebe Studierende, die jetzt 16 Auf einem systemisch-konstruktivistischen Hintergrund werden Menschen als „autopoe-tische Wesen“ verstanden, die nicht einfach verändert werden können, und Helsper zitiert Luhmann/Schorr, wenn er vom „Technologiedefi zit pädagogischen Handelns“ spricht. (Hel-sper 2007, 18) 17 Diese sind durch das Portfolio und die Standards des Ministeriums vorstrukturiert, vgl. Bei-trag von Kricke/Reich in diesem Band. Einführung von Dimensionen der Refl exion 35 nicht mehr danach fragen, wie etwas „richtig“ ist. Stattdessen haben sie einen Blick für Zusammenhänge entwickelt und sie sind bereit, in Kontakt zu gehen, sie stellen ihre eigenen Fragen, sie haben Ideen für Beobachtungsschwerpunkte. So lasse ich sie gerne „von Bord“ gehen, und ich bin gespannt, mit welchen Er-fahrungen und Fragen sie zu den Begleitveranstaltungen zurückkommen. Ausblick Die Phase der Begleitveranstaltungen und der Nachbereitung müsste in einem eige-nen Beitrag vorgestellt werden. Hier nur so viel: In den Begleitveranstaltungen wird mit der Methode der Kollegialen Fallberatung die vierte Basiskompetenz vorgestellt und eingeübt, die Sozialkompetenz. Es entstehen vielfältige Situationen, um Th eorie- Praxis-Verknüpfungen herzustellen. In der Nachbereitung bekommen verschiedene Formen des Feedbacks einen zentralen Stellenwert.18 Im Sinne der Expeditionsmetapher möchte ich mit einem Aphorismus schließen, der die Aufb ruchstimmung zum Ausdruck bringt, zu der Dimensionen der Refl exion im Sinne des Empowerments einladen wollen: Auch der richtige Wind bringt mein Boot nicht an sein Ziel, wenn ich es nicht losbinde. (Karin Jahnke)19 18 S. Beitrag in diesem Buch von Aldermann/Barausch-Hummes. 19 FAZ, 03.11.2006, S. 9. Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 37 Bettina Amrhein & Meike Kricke Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule: Chancen portfoliogestützter Refl exionsarbeit in der Begleitung von (Orientierungs-)Praktika Wenn Tina Hascher (2011) vom „Mythos Praktikum“ spricht, dann bezieht sie sich auch auf neuere Untersuchungen, die die berufspraktische Ausbildung im Rahmen des Lehramtsstudiums hinterfragen. Dabei geht dieser Mythos von der ungeprüft en Überzeugung aus, dass Praktika eine zentrale Bedeutung für die Professionalisierung hätten (Teml/Teml 2012, 10). Folgt man Arnold et al., so sind Praktika als „Herz-stück der Lehrerbildung“ jedoch heft ig umstritten (2011, 73). Als Chance werden da-her in der theoretischen Diskussion „Refl exive Praktika“ gefordert (Herzog 1995). Ihr Ziel ist es, die Studierenden zur Refl exion ihrer berufspraktischen Erfahrungen auf ihrem Professionalisierungsweg anzuregen und sie dabei beratend zu begleiten. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie das in NRW obligatorisch eingeführte Portfolio Praxiselemente als Refl exionsinstrument sinnvoll für die Professionalisie-rung angehender Lehrkräft e in Bezug auf die anstehenden Entwicklungsprozesse in Richtung Inklusion genutzt werden kann. Dabei werden ausgewählte Methoden und erste empirische Ergebnisse aus einem Pilotseminar vorgestellt.1 Refl exive Praktika und Portfolioarbeit In Anlehnung an Combe/Kolbe (2004, 835) und Wildt (1995, 2003) betonen Häcker/ Winter Refl exionskompetenz als „Schlüsselkompetenz von Professionalität“: „Die Komplexität pädagogischer Handlungssituationen macht es erforderlich, dass Lehr-kräft e sich nicht nur ‚in tradierten Schemata‘ bewegen und reagieren, sondern aktiv in der individuellen Situation handeln – dafür bedarf es eines hohen ‚Maßes an Be-wusstheit‘. Entsprechend wird Refl exivität (…) als Schlüsselkompetenz von Professi-onalität aufgefasst.“ (2009, 229) Folgt man Häcker/Winter (2009, 292), verspricht Portfolioarbeit diese Refl exivi-tät zu fördern. Dabei wird jedoch auch nicht verschwiegen, dass wir es hier mit einer besonders anspruchsvollen Situation zu tun haben, die an bestimmte Voraussetzun-gen im didaktischen Setting gebunden ist: „Die Einführung von Portfolioarbeit be-darf, wenn sie nachhaltig in der Lehrer/innen/ausbildung verankert werden soll, ei-ner stimmigen Einbettung in ein didaktisches Gesamtkonzept“ (Häcker 2012, 263). 1 Eine vertieft e empirische Analyse ist in Planung (Amrhein/Kricke 2013). 38 Bettina Amrhein & Meike Kricke Inklusion – neue Anforderungen an die Lehrer/innen/bildung Nordrhein-Westfalen schreibt im Lehrerausbildungsgesetz (LABG) fest, dass das Land und die Hochschulen eine Lehrer/innen/ausbildung gewährleisten, die die Be-dürfnisse der Schulen berücksichtigt (vgl. LABG 2009, §1 (1)). Somit hat die Lehr-amtsausbildung qua Gesetz die Verpfl ichtung, Studierende aller Lehrämter auf die sich rapide verändernde Schullandschaft in Richtung Inklusion und damit auf den Unterricht in immer heterogener werdenden Lerngruppen vorzubereiten. Lehrkräft e können zukünft ig nicht mehr erwarten, Schüler/inne/n gegenüberzustehen, die origi-när einer Schulform zugeschrieben werden. Die strukturelle Trennung der aktuellen Lehramtsausbildung in unterschiedliche Lehrämter steht jedoch im starken Widerspruch zu dieser Entwicklung hin zu ei-nem „inclusive school system at all levels“ (UN-Konvention 2006) und die aktuelle Lehrer/innen/bildung gerät dadurch in eine Schiefl age. Durch den in allen Ländern zahlenmäßig sehr unterschiedlichen Anstieg von Schüler/inne/n mit sonderpädago-gischem Förderbedarf an Regelschulen2 ist es immer wahrscheinlicher, dass Studie-rende schon in ihren universitären Praxisphasen mit integrativen/inklusiven Settings in Berührung kommen, und daher wichtig, dass diese Erfahrungen auch refl exiv be-gleitet werden. Die momentane Ausbildungssituation nimmt Lehramtsstudierenden trotz dieser Entwicklungen die Möglichkeiten über die engen Lehramtsgrenzen hinweg, Schule und ihre zukünft ige Lehrer/innen/rolle in inklusiven Settings zu refl ektieren. Für NRW konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Lehramtsstudierende zur-zeit auf diese neue Situation nicht angemessen vorbereitet werden (Amrhein 2012). An nur zwei Standorten (Köln/Dortmund) werden zukünft ige Sonderschullehrkräf-te ausgebildet und viele der angebotenen Lernveranstaltungen, die im Titel Heil-, Sonder-, oder Förderpädagogik tragen, sind auch nur für das Lehramt Sonderpäd-agogik zugelassen. Es konnten lediglich an vier von elf verschiedenen Universitäten lehramtsübergreifende Veranstaltungen zu sonderpädagogischen Grundlagen für alle Lehramtsstudiengänge gefunden werden. Damit bleibt die Trennung der Lehramts-studiengänge insbesondere zwischen der Sonderpädagogik und den Regelstudien-gängen weiterhin bestehen. Ein Großteil der recherchierten Veranstaltungen ist dem Bereich der Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaft en zugeordnet und nicht den Fä-chern. Die Notwendigkeit einer inklusiven Ausgestaltung des Fachunterrichts ist in den Fachwissenschaft en und Fachdidaktiken noch nicht angekommen. Veranstaltun-gen zum Th ema Vielfalt, Heterogenität und Diversität sind gehäuft für das Lehramt Grundschule zu fi nden. Die Praxisphasen sind nicht an Inklusion ausgerichtet. Das Angebot bleibt, wenn überhaupt, freiwillig wählbar. 2 Vgl. http://www.bertelsmann-stift ung.de/cps/rde/xbcr/SID-E316F5D1-9B79184A/bst/xcms_ bst_dms_35788_35789_2.pdf (Stand 09.11.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 39 Das Pilotseminar Diese Leerstelle in der momentanen Ausbildung von Studierenden aller Lehräm-ter hat uns dazu bewogen, ein Seminarkonzept zu entwickeln, welches zumindest einigen Studierenden3 aktuell die Chance bietet, bereits in einer frühen Phase ih-res Studiums theoretisch wie praktisch in Kontakt mit Konzepten zum Umgang mit Verschiedenheit in der Schule zu kommen. Dabei wird die eigene refl exive Ausein-andersetzung mit dem Th ema der schulischen Inklusion ganz zentral befördert. Ge-rade zu Beginn der Seminararbeit wurde dabei deutlich, wie wenig Vorerfahrungen die Teilnehmer/innen mit dem Th ema der schulischen Inklusion hatten. Einführend möchten wir die Bedeutsamkeit für das Arbeiten an „tradierten Sche-mata“ (Häcker/Winter 2009, 229) und „subjektiven Th eorien“ in Bezug auf das Th e-ma Inklusion anhand eines Beispiels aus der Seminararbeit verdeutlichen. Die Stu-dierenden hatten die Aufgabe, nach dem Praktikum eigene Text zu verfassen, in welchem sie sich mit dem Umgang mit Vielfalt an der eigenen Praktikumsschule auseinandersetzen sollten. „Der Schüler bedarf dieser Aufmerksamkeit, denn ansonsten ist er nicht in der Lage, die Aufgaben zu lösen. Es mangelt an selbständigem Arbeiten. Wenn er kurz aus dem Auge gelassen wird, verhält er sich unangemessen. Er neigt dazu, bei an-deren Kindern die Lösungen oder die bearbeiteten Aufgaben anzuschreiben oder sich physisch falsch zu benehmen. Dieses Fehlverhalten wirkt sich auf seine Klas-senkameraden aus, die sich gelegentlich auf einen Kampf mit ihm einlassen oder sein Fehlverhalten nachahmen (z. B. laut schreien, sich auf den Boden schmeißen etc)“.4 Hier wird deutlich, wie wichtig die Klärung der eigenen Grundhaltung zum Umgang mit Verschiedenheit zu sein scheint. Wenn wir Inklusion als willkommen heißenden Umgang mit Vielfalt defi nieren (Booth 2003), dann ist die Art, wie hier noch in ei-ner sehr frühen Phase des eigenen Professionalisierungsprozesses auf Verhalten in der Schule geblickt wird, für intensive Refl exionsarbeit sehr gut geeignet. Das Semi-narkonzept folgte dem Grundgedanken, Studierende dabei zu unterstützen, sich mit der eigenen Grundhaltung in Bezug auf Inklusion im schulischen Kontext refl exiv auseinanderzusetzen. Unterschiedliche theoretische wie praktische Ansätze zum Th e-ma Inklusion dienten hier als Refl exionsfl äche. Als Grundvoraussetzung der Teilnahme stimmten alle Studierenden zu, ihr Ori-entierungspraktikum im gemeinsamen Unterricht (GU) zu absolvieren und die ei-gene Entwicklung – auch in Bezug auf das Th ema Inklusion im obligatorischen Portfolio Praxiselemente zu dokumentieren. Zudem arbeiteten alle Studierenden kon- 3 Das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln (ZfL) plant das Angebot an in-klusionsorientierter Praxisphasenbegleitung stetig auszubauen und weiterzuentwickeln. 4 Textstelle entnommen aus einem Portfolio eines/einer Studierenden im WS 2011/2012. 40 Bettina Amrhein & Meike Kricke sequent in heterogenen (schulformübergreifenden) Lernteams (vgl. Kricke/Reich in diesem Band). Folgende Abbildung zeigt die vier Eckpfeiler dieser neuen Seminarkonzeption. Die vier begriffl ichen Eckpunkte bilden ein integriertes Konzept zur Begleitung des Orientierungspraktikums mit besonderem Blick auf inklusive Schulentwicklungspro-zesse. Abbildung 1: Inhaltliche Eckpfeiler der Seminarkonzeption Philosophie der Pilotveranstaltung Mit Seminarstart äußerten die Studierenden ihre Wünsche innerhalb der Seminar-arbeit und konnten in die gemeinsamen Seminarregeln (siehe Anhang unter www. waxmann.com/buch2779) eigene Vorstellungen und Arbeitsweisen einbringen. Reich (2008) beschreibt in seiner konstruktivistischen Didaktik, dass „Beziehun-gen im Lernen (…) die entscheidende Lernumgebung“ (Reich 2008b, 16) darstel-len. Da die Refl exion der eigenen Grundhaltung im Mittelpunkt des Konzeptes stand und eine lernförderliche Umgebung für konstruktive Refl exions- und Beratungsar-beit Voraussetzungen ist, folgte das Seminar diesem Grundgedanken: Dabei leite-ten uns die Aspekte Multiperspektivität (verschiedene Sichtweisen/heterogene Lern-gruppe), Multiproduktivität (verschiedene Produkte entstehen – je nach Stärken und Vorlieben aller Teilnehmer/innen) und Multimodularität (jede/r Lerner/in hat ver-schiedene Lernzugänge) (vgl. Reich 2008b, 254) – drei Leitgedanken, die sich auch in Ansätzen einer inklusiven Didaktik wiederfi nden lassen. Durch die obligatorische Lernteamarbeit wurde eine konsequente Dialog- und Perspektivenvielfalt innerhalb der Seminararbeit gefördert. Die Portfolioarbeit wurde als Grundlage der refl exiven Beratung genutzt. Der dahinter liegende Beratungsbe-griff verstand sich nicht als „Rat gebend“ in Bezug auf die eigene Entwicklung, son- Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 41 dern viel mehr dahingehend, dass Studierende ihre erlebten Situationen refl ektier-ten und in der Beratung zur Entwicklung eigenständiger Lösungen angeregt wurden (vgl. Teml/Teml, 13). Dieses Vorgehen beschreiben wir zusammengefasst: Von der Belehrungssituation zur Beratungssituation. Die im Folgenden beschriebenen Methoden stellen lediglich eine kleine Auswahl des didaktischen Gesamtkonzeptes dar, die innerhalb der Portfolioarbeit als Refl exions-grundlage gesammelt wurden. Während der Seminararbeit ergaben sich daraus wei-terführende Fragen auf Seiten der Studierenden, die sie während ihres Praktikums „erforschen“ wollten.5 Seminarmethoden Die Arbeitstheorie Ein sich durch die gesamte Portfolioarbeit ziehendes Refl exionsinstrument ist die so-genannte „Arbeitstheorie“ (vgl. Bildungsserver Hessen; Artikel Kricke/Reich). Diese stellt keine wissenschaft liche Th eorie dar, sondern die Vorstellungen und Ideen, die Studierende über ihre zukünft ige Tätigkeit als Lehrer/in mitbringen. Sie basiert auf den subjektiven Th eorien der Studierenden und wird zu Beginn des Studiums und nach jeder Praxisphase erneut anhand von Leitfragen verfasst. Um das Th ema der Inklusion aufzugreifen erweiterten wir diese um die Frage „Heterogenität und Vielfalt bedeuten für mich … “. Diese Dokumente bildeten zudem die Grundlage für die indi-viduellen Feedbackgespräche im Rahmen des Seminarkonzeptes. Im Vergleich zwischen erster und zweiter Arbeitstheorie lassen sich die an den Schulen mit GU gemachten Erfahrungen zur Refl exion aufgreifen. Im Folgenden zei-gen zwei Bespiele, wie sich durch die berufspraktischen Erfahrungen mit Vielfalt so-wie die begleitenden theoretischen und refl exiven Auseinandersetzungen, der Blick auf Heterogenität in der Schule weiter ausschärfen kann. 5 Zum Beispiel: – Wie gehen die Kinder miteinander um? – Wie wird Inklusion im Alltag gelebt? – Meinungen und Erfahrungen von Lehrer/inne/n zum Th ema Inklusion – Wie gehen die Lehrer/innen auf die verschiedenen Kinder ein? – Wie gut können die GU-Kinder in die Klasse integriert werden und wo stößt das GU-Sys-tem an seine Grenzen? 42 Bettina Amrhein & Meike Kricke Tabelle 1: Vergleich von erster und zweiter Arbeitstheorie erste Arbeitstheorie zweite Arbeitstheorie „Guter Unterricht bedeutet für mich, dass der Lehrer auf jedes Kind Rücksicht nehmen muss, denn in jeder Klasse gibt es mindestens einen ‚schwierigen‘ Schüler. Wegen solchen Kindern ist es für den Lehrer wichtig mit Institutionen zu kooperieren, die mithelfen diese Kinder zu fördern. (…) Gleichberechtigung ist ein zentraler Begriff , denn alle Kinder haben das Recht zu lernen. (…) Die Schwierigkeit liegt im Umsetzen. Vor allem die Aufgabe ‚Wie kann ich auf die Bedürfnisse aller Kinder in der Klasse eingehen?‘, ist schwierig zu lösen.“ „Inklusives Lernen erfolgt vor allem dadurch, dass die Schüler in allen Lerngruppen gemeinschaft lich unterrichtet werden. Dabei werden nicht nur Schüler mit Integration und sonderpädagogischem Förderbedarf berücksichtigt, sondern vielmehr werden integrative und multikulturell angelegte Unterrichtsinhalte verwirklicht. Die Leistungsmessung und -bewertung wird in Kompetenzentwicklungsberichten und Zertifi katen dargestellt.“ „Bzgl. des Umgangs mit Vielfalt und Heterogenität fällt mir zunächst der Begriff der Herausforderung ein. Ich denke, dass mit der Vielfalt an Schülern und ihrem z.T. schwierigen Umfeld auch die Ansprüche an einen Lehrer wachsen. (…) Der Lehrer ist gezwungen, sich vom Rasterdenken zu entfernen und eigene Gedanken und Erfahrungswerte in den Umgang mit der Vielfalt der Schüler einzubringen.“ „Ich war sehr beeindruckt wie viele unterschiedliche Charaktere sich in einem Alter zwischen 10 und 12 Jahren bereits herausbilden. (…) Und trotz dieser sehr verschiedenen Kinder konnte in irgendeiner Form gemeinsam Unterricht gemacht werden. Das hat mich sehr beeindruckt.“ Der Vergleich der beiden Arbeitstheorien zeigt deutlich, dass im Bereich der ersten Arbeitstheorie noch ein sehr diff uses, auch leicht verunsicherndes Bild von Hetero-genität gezeichnet wird. Die zweite Arbeitstheorie weist bereits einige konkrete Bei-spiele zum Umgang mit Verschiedenheit in der Schule auf. Eigene Bildungsbiografi e: Meilensteine Den Einstieg in die gemeinsame Seminararbeit bildet die Th ematisierung der eige-nen Bildungsbiografi e. Die Studierenden werden gebeten, den eigenen Weg durch unterschiedliche Bildungsinstitutionen mit Hilfe von Moderationskarten bildlich darzustellen; dabei bildet jede Karte einen entscheidenden Meilenstein im jeweiligen Entwicklungsverlauf. Diese Arbeit brachte sehr deutlich zum Vorschein, dass Lehr-amtsstudierende zwar mehrheitlich gymnasial sozialisiert zu sein scheinen, sich je-doch durchaus auch sehr unterschiedliche Entwicklungsverläufe fi nden lassen. Der Dialog über diese vielfältigen Wege zum Studium provozierte bei Studierenden auch ein Nachdenken über Chancen und Grenzen des deutschen Systems. Es zeigte sich, dass den meisten Teilnehmer/inne/n des Pilotseminars Bildungsdisparitäten im deut-schen Schulsystem wenig bekannt sind.6 6 Vgl.: http://www.chancen-spiegel.de/ (Stand 31.10.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 43 Dabei scheint uns das empirisch abgesicherte Wissen über Bildungsdisparitäten im deutschen Schulsystem für die Entwicklung einer eigenen Grundhaltung zum Th ema Inklusion im schulischen Kontext ein sehr zentraler Zugang zu sein. Die Studierenden verarbeiteten diese Meilensteine ebenfalls anhand von Hilfsfragen im Rahmen ihres Portfolios Praxiselemente. Gastbeitrag7 Kritische Innenansichten auf das deutsche Förderschulsystem erhielten die Studie-renden in einer Sitzung durch den Besuch von Dr. Carsten Rensinghoff , der die Stu-dierenden an seinen Erlebnissen teilhaben ließ, indem er Auszüge aus seiner au-tobiografi sch geprägten Publikation (Rensinghoff 2012) vorlas. Die Textauszüge forderten die Studierenden heraus, auch besonders kritische Fragen in Bezug auf sein persönliches Erleben im System zu stellen. So entwickelte sich schnell eine sehr persönliche und dadurch möglicherweise auch besonders nachhaltig wirksame Ge-sprächssituation, welche zahlreiche Studierende in ihre Arbeit am Portfolio mit ein-fl ießen ließen. Bildungspolitisches Symposium NRW Durch den großen Handlungsdruck, der zurzeit auf allen Akteur/inn/en in Be-zug auf das Th ema „Inklusion“ wirkt, ergeben sich vielfältige Chancen, den Lern-ort Hochschule in Bezug auf das Th ema auch zu verlassen: Ihre Teilnahme am bil-dungspolitischen Symposium 2012, auf dem die Bedeutsamkeit und das Th ema eines inklusiven Schulsystems von verschiedenen Akteur/inn/en aus Politik, Schule und Forschung beleuchtet wurde, bewerteten die Studierenden im anschließenden Feed-back- Gespräch überwiegend positiv: Sie konnten anhand der unterschiedlichsten Beiträge zahlreiche Anknüpfungspunkte zur bisherigen Seminararbeit herstellen und so auch die bildungspolitische Bedeutung des Th emas „hautnah“ erleben, sowie im Portfoliokontext schrift lich weiterbearbeiten. Projektorientiertes Arbeiten Um das Th ema der schulischen Inklusion inhaltlich zu vertiefen, arbeiteten die Stu-dierenden eigenständig innerhalb ihrer Lernteams an selbst gewählten Schwerpunkt-themen. Das projektorientierte Arbeiten lud dazu ein, eigene Vorgehensweisen zu wählen (Multimodularität), und auch eigene „Produkte“ zu erstellen (Multiproduk-tivität) (vgl. Reich 2008b, 254). So konnte demokratisches und dialogisches Lernen angebahnt werden. Als Arbeits- und Strukturierungshilfen erhielten die Studieren-den Materialpackages (Methodenkiste) und verschiedene Leitfäden (siehe Material-sammlung unter www.waxmann.com/buch2779). 7 Beitrag im lokalkompass.de: „Inklusion Behinderter – ein Beitrag in der LehrerInnenbil-dung“ (http://www.lokalkompass.de/witten/kultur/inklusion-behinderter-ein-thema-in-der-lehrerinnenbildung- d120295.html ) (Stand 31.10.2012). 44 Bettina Amrhein & Meike Kricke Inhaltliche Schwerpunktthemen der projektorientierten Arbeit in Lernteams waren: • Von der Integration zur Inklusion • Zur Rolle der sonderpädagogischen Förderung im inklusiven Setting • Individuelle Förderung, individuelles Lernen, inklusive Didaktik • Aktuelle bildungspolitische Entwicklungen um die Herausbildung eines inklusiven Schulsystems (NRW) • Geschichte der Inklusion • Inklusive Schulentwicklung mit dem Index pro Inklusion • Was ist eine inklusive Pädagogik? • Internationale Entwicklungen um Inklusion • Best practice: Inklusion an Schulen! (national/international) Walt-Disney-Methode8 Die Walt-Disney-Methode beruht auf der Kreativitätsförderung Walt Disneys und wurde von R. Dilts zu einer selbstständigen Methode weiterentwickelt. Gerade in Be-zug auf die „tradierten Schemata“, die Studierende erfahrungsgemäß auf Grundlage der eigenen Bildungsbiografi e mitbringen, kann die Methode Visionen über ein in-klusives Schulsystem eröff nen: Die Methode basiert auf folgenden drei „Rollen“: der/die Träumer/in (Visionen, Ideen), der/die Realist/in (Umsetzung), der/die Kritiker/in (Qualitätsmanagement). Diese Rollen nehmen die Teilnehmer/innen ein, um einem Th ema/einer Fragestel-lung etc. entweder als Einzelpersonen oder als Gruppe nachzugehen. Um sich auf die einzelnen Perspektiven einzustimmen, bietet sich ein Probelauf an, in dem fol-gende Leitfragen behilfl ich sein können: Traumperspektive: Was war für Sie ein kreativer/schöner Moment? Realistische Perspektive: Wann haben Sie eine Situation strategisch gut gelöst? In der Kritike-recke geht es darum, sich zu erinnern, wann sie oder er eine Situation kritisch ana-lysiert hat. Innerhalb der Seminararbeit zum Th ema „Inklusion“ kann dazu gearbeitet wer-den, in dem die drei Perspektiven räumlich voneinander getrennt aufgebaut werden und jeder Raum/jede Ecke mit Materialien zu einem stummen Schreibgespräch ver-sehen wird (Flipchart-Papier). Die Studierenden „wandern“ anschließend (entweder als Einzelpersonen, in Lernteams/Gesamtgruppe) von Ecke zu Ecke und halten auf Flipchartpapier ihre jeweiligen Ideen zu den einzelnen Perspektiven fest (Visionen, verrückte Ideen, etc.). Diese Ideen werden dann in der Realistischen Ecke „geprüft “ – folgende Leitfragen können behilfl ich sein: Was muss zur Realisierung getan wer-den (next steps)? Auf was kann aufgebaut werden? Welche Vorerfahrungen sind vor-handen? Was brauchen wir noch? In der abschließenden Kritiker-Ecke wird dann 8 Vgl. http://www.kreativ-sein.org/d/d/dltechniken_fi les/Walt-Disney-Methode.pdf (Stand 31.10.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 45 konstruktiv analysiert: Was denke ich über die Idee? Was sind Chancen? Was sind Herausforderungen? Was könnte verbessert werden? Lehrer/innen/bildung phasenübergreifend denken Im Bereich inklusive Lehrer/innen/bildung ergibt sich zurzeit eine besonders heraus-fordernde Situation, da Lehrer/innen/aus- und -fortbildung in gleichem Maße gefor-dert sind, sich der Th ematik zu nähern. Das Seminarkonzept nutzt diese besonde-re Situation, indem erste Versuche unternommen wurden, beide Ausbildungsphasen auch stellenweise miteinander zu verzahnen. Das am ZfL neu eingeführte Work-shop- Konzept Fokus Fachdidaktik – inklusiv9 sieht daher vor, Akteur/inn/en aller Ausbildungsphasen zu fachdidaktischen Th emen miteinander ins Gespräch zu brin-gen. Daher besuchten zahlreiche Teilnehmer/innen des Hochschulseminars gemein-sam mit Referendar/inn/en und Lehrkräft en aus Schulen mit GU einen Workshop zu innovativen Unterrichtskonzepten für heterogene Lerngruppen. Dabei stellte die Vielfalt in den Erfahrungshintergründen der Teilnehmer/innen eine besonders güns-tige Ausgangslage dar, über inklusive Unterrichtskonzepte ins Gespräch zu kommen. Fragen statt sagen – konstruktiv fragen In der lösungsorientierten Beratung geht man vom Leitmotiv „Fragen statt sagen“ aus. Nach diesem Ansatz stellen Fragen eine wirkungsvolle Strategie dar, sich von einem Problem wegzubewegen und somit hin zu einer eigenständigen Lösung zu gelangen. Konstruktive Fragen sind keine Fragen nach dem „Warum?“, „Wieso?“, „Weshalb?“, sie ergründen nicht die Ursache, sondern lenken den Blick auf eine zu-künft ige Lösung (Teml/Teml 2011, 161). Diesem Konzept folgend wurden die Teilnehmer/innen am Ende der gemeinsa-men Seminarzeit und im Rahmen ihrer schrift lichen Refl exionsarbeit im Portfolio mit folgender Frage herausgefordert: Was möchten/können Sie persönlich im Laufe Ihres Studiums tun, um sich für die große Vielfalt der Schüler/innen und damit die große Leistungsheterogenität in der Schule zu professionalisieren? Insgesamt lässt die Auswertung der Antworten der Studierenden erkennen, dass diese bereits zahlreiche Möglichkeiten benennen können, sich für die anstehenden Veränderungsprozesse zu rüsten. Die häufi gsten Nennungen entfallen auf die Mög-lichkeit, möglichst intensiv Praxiserfahrungen im GU zu sammeln, um so Vielfalt im schulischen Kontext schon während des Studiums kennenzulernen. Häufi g ge-nannt wird auch die Möglichkeit, bereits während des Studiums Anschluss an Inhal-te des Lehramtes für Sonderpädagogische Förderung zu erhalten und dies möglichst in lehramtsheterogenen Seminarkonzepten. Auch wird die Notwendigkeit gesehen, sich weiter theoretisch in das Th ema einzuarbeiten, um die erlebte Praxis auch fach-wissenschaft lich verarbeiten zu können. Einen weiteren Komplex stellt die eigene Vernetzung dar und dies im Rahmen unterschiedlicher zu besuchender Angebote zum Th ema in Schule und Universität. Die Antworten der Studierenden ließen auch 9 http://zfl .uni-koeln.de/13087.html (Stand 31.10.2012). 46 Bettina Amrhein & Meike Kricke erkennen, dass einige die Vorstellung haben, sich über das Kennenlernen möglichst zahlreicher unterschiedlicher Unterrichtsmethoden dem Th ema nähern zu können. Prä-Post-Befragung Eingerahmt wurde die Seminararbeit mit dieser heterogenen Studierendengruppe von einer Prä-Post-Befragung10 zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unter-richt. An dieser Stelle sei nur ein kleiner Einblick in einige wenige Ergebnisse dieser Studie gegeben, eine ausführliche Auswertung der Befragung folgt. Insgesamt zeigt sich, dass es über alle Items hinweg lediglich zu leichten Verän-derungen im Laufe eines halben Jahres und unter Einfl uss der Praxiserfahrungen im GU gekommen ist. Tabelle 2 zeigt die Mittelwertdiff erenz für fünf zentrale Items. Tabelle 2: Prä-Post-Befragung zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unterricht Item M t1 M t2 Diff erenz 1 Wie schätzen Sie Ihren bisherigen Wissensstand zu theoretischen Aspekten der Integration und Inklusion von Schüler/innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ein?1 3,65 3,05 0,60 2 Der Leistungsstand kann in Klassen mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht so hoch gehalten werden wie in Klassen ohne Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.2 2,58 2,48 0,10 3 Förderschulen tragen der Vielfalt der Begabungen Rechnung, da sie ihre Methoden auf ihre Schüler/innen besser anpassen können. 2,73 2,64 0,09 4 Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf beanspruchen im Vergleich zu „Regelschüler/inne/n“ unverhältnismäßig viel Zeit des Lehrers/der Lehrerin. 3,30 3,50 0,20 5 „Regelschullehrer/innen“ verfügen über genügend Erfahrungen, um Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten. 1,60 1,77 0,17 Anmerkungen: 1 Likert-Skala: 1 (sehr hoch) bis 5 (sehr gering) 2 Item 2-5: Likert-Skala: 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) Die deutlichste Veränderung erfährt die Selbsteinschätzung in Bezug auf das theo-retische Wissen über inklusive Schulentwicklungskonzepte (Item 1). Während sich zum ersten Befragungszeitpunkt auf einer 5-fach abgestuft en Likert-Skala noch 56 % auf Stufe 4 verorten, sind dies zum zweiten Befragungszeitpunkt nur noch 18 %. Der Anteil der Studierenden, welche sich auf Stufe 3 verorten wächst zum zweiten Befra-gungszeitpunkt um 31 Prozentpunkte an. Die Mittelwertdiff erenz beträgt hier 0,60. Die Items 2-5 weisen jeweils nur geringe Mittelwertdiff erenzen auf. Interessant ist, dass die Studierenden nach ihrem vierwöchigen Praktikum im GU nach wie vor deutlich der Ansicht sind, Lehrkräft e der Allgemeinbildenden Schulen verfügten 10 T1: M=27; T2: M=22 Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 47 über nicht genügend Erfahrungen, Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förder-bedarf zu unterrichten. Dieser Befund deckt sich mit älteren Befunden aus der Praxisphasenbegleitung in integrativen Settings (Köpfer 2011). Auch hier wird nicht selten darüber berich-tet, dass sich durch problematische Erfahrungen im Bereich der Praxisphasen even-tuell Vorbehalte in Bezug auf gemeinsames Lernen von Schüler/inne/n mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf noch verfestigen können. Dies wirft gleichzeitig die Frage nach dem Umgang mit problematischen Praxiserfahrungen im GU im Be-reich der Praxisstudien auf. Hier scheint uns der Aufb au enger Kooperationen mit den Schulen eine besonders wichtige Gelingensbedingung zu sein. Interessant ist auch folgendes Ergebnis: Es zeigt sich, dass sich zu beiden Befra-gungszeitpunkten zwar eine Mehrheit der Befragten eine spätere Tätigkeit im GU vorstellen kann. Der Anteil, der hier indiff erent antwortenden Studierenden steigt je-doch entgegen der Erwartungen zum zweiten Befragungszeitpunkt sogar leicht an. Tabelle 3: Prä-Post-Befragung zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unterricht Item Ja Nein Vielleicht T1 Ich kann mir vorstellen, später auch in einer GU-Klasse (Schüler/innen mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf lernen gemeinsam) zu unterrichten. 56% 7% 33% T2 Ich kann mir vorstellen, später auch in einer GU-Klasse (Schüler/innen mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf lernen gemeinsam) zu unterrichten. 59% 0% 41% Zahlreiche Items der Prä-Post-Befragung wurden in Refl exionsphasen in die Semi-nararbeit integriert. Hier stellte sich das Arbeiten an eigenem Datenmaterial als be-sonders spannende und authentische Möglichkeit heraus, mit unterschiedlichen Grundhaltungen und subjektiven Th eorien refl exiv zu arbeiten. Gleichzeitig erlebten die Teilnehmer/innen eine von zahlreichen Möglichkeiten, sich dem Th emenkom-plex auch forschend zu nähern. 5. Vom „Piloten“ zum „Regelfall“ Abschließend sind einige zusammenfassende Bemerkungen als mögliche Anhalts-punkte für eine Weiterentwicklung des hier vorgestellten Seminarkonzeptes zu ma-chen. Diese erscheinen uns auch mit Blick auf die weitere Ausgestaltung von Praxis-phasen in den Lehramtsstudiengängen bedeutend. Die starke Betonung der Refl exionsarbeit stieß nicht bei allen Studierenden auf off ene Zugänge. Der aus zahlreichen Kontexten bekannte Ruf nach schnellem Re-zeptwissen – hier im Umgang mit Vielfalt in der Schule – wurde auch in diesem Se-minarkontext häufi g sichtbar. Wir vermuten dahinter jedoch ein durch die eigenen 48 Bettina Amrhein & Meike Kricke bildungsbiografi schen Erlebnisse erlerntes Verhalten. In diesem Fall sind aus unserer Sicht Seminarkonzepte der hier vorgestellten Art zukünft ig besonders stark zu beför-dern. Die ersten Erfahrungen mit dem Portfolio Praxiselemente als Refl exionsinstru-ment im Rahmen der Lehrer/innen/bildung geben uns Grund zu der Annahme, dass die Feststellung von Häcker und Winter (2009) auch tatsächlich zutrifft . Die Weiter-entwicklung des Portfoliokonzeptes für alle Praxisphasen ist und bleibt daher an un-serem Standort eines der zentralen Arbeitsfelder. Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht verschwiegen werden, dass die Be-ratungskompetenz der Ausbildner/innen aller Institutionen permanent weiterentwi-ckelt werden muss. Es kam im Rahmen der hier vorgestellten Seminarveranstaltung nicht selten auch zu besonders herausfordernden Beratungssituationen in Bezug auf problematische Erfahrungen in der erlebten Praxisphase. Die geringe Mittelwertdiff erenz zahlreicher Items der empirischen Befragungen zu zwei Zeitpunkten macht deutlich, dass für diese Studierenden im weiteren Studien-verlauf zusätzliche Angebote geschaff en werden müssten, die den hier angestoßenen Professionalisierungsprozess weiter fortentwickeln. Die Ergebnisse der Postbefragung zeigen, dass sich trotz der intensiven theoretischen wie praktischen Auseinanderset-zung mit dem Th emenkomplex der Inklusion individuelle Vorstellungen und sub-jektive Th eorien nur schwer in Bewegung bringen ließen. Hier wissen wir, dass es der Verknüpfung mit „positive values“ und „supportive ideals“ bedarf (Forlin 2010), wenn man positive Veränderungen in den Einstellungen und Haltungen von ange-henden Lehrkräft en bewirken möchte. Wir schlagen daher vor, die Arbeit mit schu-lischen Mentor/inn/en zukünft ig besonders in den Blick zu nehmen. Konzepte für diese wichtige Kooperationsarbeit liegen bereits vor (vgl. Kress/Sosalla 2009). Als Konsequenz sehen wir die Notwendigkeit, das Th ema der Inklusion nicht nur punktuell in die Ausbildung zukünft iger Lehrpersonen mit einfl ießen zu lassen, son-dern besonders auch strukturelle Veränderungen zur Umsetzung zu bringen. Dabei könnte die Vorstellung hilfreich sein, das Th ema zukünft ig wie einen „roten Faden“ durch die gesamte fachdidaktische und bildungswissenschaft liche Ausbildung zu zie-hen. Hier ist das Konzept im Bereich einer inklusionsorientierten Lehrer/innen/bil-dung gemeint, welches man international als den „content infused approach“ oder auch „integrated approach“ bezeichnet. Die Auswertung des Pilotseminars konnte eindrucksvoll belegen, dass refl exi-ve Praxisphasen hier ein Teil eines Gesamtkonzeptes sein können. Bei der weiteren Ausgestaltung inklusiver und refl exiver Praxisphasen sollte jedoch darauf geachtet werden, dass sich Bestehendes wandelt und nicht dem Bestehenden nur ein neues Element an die Seite gestellt wird. Wir sind der Ansicht, dass es sich im Rahmen von inklusiver Bildung um kein völlig neues Anliegen handelt, es kann auf bereits vor-handenes Th eorie- und Praxiswissen zurückgegriff en werden. „Erste allgemeine Verunsicherung“ 49 Alois Finke „Erste allgemeine Verunsicherung“ – Gedanken zur Begleitung von Studierenden beim Start in ihre Berufsidentität als Lehrer/innen im Rahmen des Orientierungspraktikums Schulen habe ich in den dreißig Jahren nach meinem ersten Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium dann von innen gesehen, wenn ich als freiberufl icher Su-pervisor und Coach dort tätig war, oder wenn ich als Fachbereichsleiter für Bil-dungsprogramme mit Schulen in unserem außerschulischen Jugendbildungshaus1 mit Akquise, Vorbereitung, Durchführung oder Auswertung von Kurswochen zu tun hatte. Mit der Ausschreibung der Humanwissenschaft lichen Fakultät der Universität zu Köln im Sommer 2011, in der Supervisor/innen zur Wahrnehmung von Lehrauft rä-gen im neuen Masterstudiengang für den Lehrer/innen/beruf gesucht wurden, bin ich nach langen Jahren wieder mit verschiedenen Fragen in Kontakt gekommen: • Warum bin ich damals eigentlich nicht Lehrer geworden, habe nicht einmal „zur Sicherheit/für alle Fälle“ die Referendarzeit gemacht – und was hat mich trotzdem immer berufl ich in der Nachbarschaft dieses Berufes gehalten? • Wie würde heute als Studienanfänger meine Entscheidung aussehen? • Wo wäre ich heute in meiner Schullaufb ahn, wenn ich Lehrer geworden wäre: im-mer noch „an der Basis“ im pädagogischen Betrieb im Unterricht, im Schulma-nagement, in der Ausbildung? • Wie fühlen sich heute die Bachelor- und Masterstudiengänge für Lehrende und Studierende an, wie haben sich die Universität und das Studium verändert? Stimmt das, was die als Honorarkräft e in unseren Bildungsprogrammen in der Ju-gendakademie mitarbeitenden Studierenden darüber berichten? • Was ist also heute bei mir der Auslöser, dass ich mich durch das Angebot zum Mitwirken an der Lehrer/innen/ausbildung in der Begleitung des Orientierungs-praktikums ansprechen lasse? Schon steckte ich, am Anfang des letzten Drittels meines Arbeitslebens, wieder ein-mal mitten drin in einem refl exiven Prozess zu meiner eigenen Berufsidentität. In meinen Aus- und Fortbildungen waren diese „Verunsicherungsphasen“ immer fester Bestandteil – auch wenn die Tools damals nicht „Portfolioarbeit“ hießen. Als Supervisor bei Teams und in Einzelcoachings begleite ich Menschen in krisenhaft en Situationen, im Bildungshaus kommen zwangsläufi g bei Schüler/inne/n und Lehrer/ inne/n mitgebrachte Probleme, Rollen- und Beziehungsfragen und andere strittige 1 www.jugendakademie.de. 50 Alois Finke Th emen in den Seminaren verstärkt zum Vorschein und meist auch zu einer guten, refl ektierten Bearbeitung. Was hat mir also den entscheidenden Impuls gegeben, im WS 2011/12 als Lehr-beauft ragter mit zwei Begleitkursen zum Orientierungspraktikum für Studierende einzusteigen? 1. Eine Anknüpfung, die mit meinem politischen Verständnis vom Lehrberuf und seinem Bildungsauft rag zusammenhängt, ist die Tatsache, dass – endlich, end-lich – faktisch jetzt schon zumindest die Regelschullehramtsstudierenden2 und perspektivisch komplett alle Lehramtsstudierenden mit dem Orientierungsprakti-kum einen gemeinsamen frühen Start ins Berufsleben und in die Entwicklung ei-ner gemeinsamen Berufsidentität haben. In einem Land, das Weltmeister in der Selektion und Sortierung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenste hoch spezialisierte Schulformen ist, in der Lehrer/innen/identitäten sich parallel durch die Abgrenzung zu den Kolleg/inn/en „der anderen Schulen“ formen, ist das eine Umwälzung, deren langfristige positive Auswirkung gar nicht hoch genug ange-setzt werden kann. In dieser Einschätzung bestätigen mich die Erfahrungen in den ersten beiden Be-gleitkursen im Wintersemester 2011/12, die gut gemischt aus überwiegend Erstse-mesterstudierenden für den Lehrer/innen/beruf in Grundschulen, Sek I und Sek II bestanden. Konnte man zu Beginn des Semesters noch und schon am „Habitus“ vie-ler Studierender erkennen, wer warum in welche Schulform „will“ und auch da „hin-einpasst“, so haben sich im Lauf des Kurses und vor allem durch das Praktikum und seine ausführliche Refl exion in den begleitenden Blockseminaren viele vorhandene „Verfestigungen“ in Form von Bildern über „die anderen Schüler/innen, die anderen Schulen, die anderen Lehrer/innen“ aufgelöst. Alle Studierenden haben zunächst einmal selbst eine Biografi e als „Gewinner/ in“ des selektiven deutschen Schulsystems – auf unterschiedlichen Wegen – im Ge-päck: Sie haben die „höhere Schule“ besucht, alle Hürden bis zum Abitur geschafft , das sie zum Lehreramtsstudium berechtigt. Die eigenen „Glaubenssätze“, welche Faktoren dazu führen, dass die einen es bei uns im Schulsystem schaff en und die anderen nicht, spiegeln sich z. B. in der Wortwahl für bestimmte Realitäten wider. Wenn Studierende von „Problemkindern“ sprechen und von Schulen in „schwieri-gen sozialen Verhältnissen, mit Migranten und so“, ist das Bemühen um politisch korrektes Sprechen einerseits, aber auch die unendliche Fremdheit und Distanziert-heit zu spüren, mit der sie „diesen Schüler/inne/n“ und „diesen Schulen“ aufgrund ihrer eigenen Sozialisation gegenüber stehen. Dies gilt es in der Begleitung erst ein-mal zuzulassen, aber als Beobachtung zu spiegeln und die Studierenden in Fragen zu verwickeln: Was ist, wenn man nicht den/die Schüler/in als Problem sieht und behandelt, sondern ein Schulsystem und seine Ansätze, die es einem Kind nicht er-möglichen, auf seine Weise optimal und zu seinem Nutzen zu lernen und voranzu- 2 Siehe auch Amrhein/Kricke in diesem Band. „Erste allgemeine Verunsicherung“ 51 kommen? Ist es Aufgabe der Lehrenden und der Schule, „Problemkinder“ zu iden-tifi zieren und zu „behandeln“, oder ist es nicht der menschen- und kinderrechtliche und grundgesetzlich begründete Auft rag aller Mitwirkenden im Schulsystem, glei-che bestmögliche Bildungschancen für alle zu schaff en? Und wie müssen dann Schulen aussehen? Als Pädagoge, der mit Paulo Freire den Lehrer als „Politiker und Künstler“ sieht, sehe ich mich zu dieser Kontextualisierung des Lehrer/innen/berufes zu Beginn der Ausbildung einer Berufsidentität berechtigt und verpfl ichtet, da „Erziehung und Bil-dung niemals neutral sind“. Ich sehe einen Auft rag des Begleitseminars darin, „Etiketten“ und „Beschrift ungen“ , mit denen Sachverhalte und Zusammenhänge zu „Weltbildern“ und „Glaubenssätzen“ geronnen sind, vorsichtig abzulösen und die Neugier auf darunter liegende Sach-verhalte, Geschichte(n) und Zusammenhänge zu wecken – ein Prozess der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ (frei nach dem Namen der immer noch bestehenden deutschen Band aus den achtziger Jahren), gepaart mit der Ermutigung zu Fragen, Beobachtung, Perspektivwechsel und Neugier. 2. Die Erarbeitung der „ersten Arbeitstheorie“ im Portfolio der Studierenden zeitigt meist eine interessante gemischte Textsorte: Oft besteht sie zum einen in der Auf-zählung von Eigenschaft en guter Lehrer/innen in Form wahrer Tugendkataloge – alles ehrenwert, alles richtig, aber auch abstrakt und erdrückend ansprüchlich zu-gleich. Spannend werden die Arbeitstheorien dann, wenn die Studierenden sich auch dazu haben bewegen lassen, „Geschichte in Geschichten“ zu erzählen, ihre Vorbilder, die für ihre oder die Lernbiografi e anderer prägend waren, lebendig werden zu lassen: Da verfl üssigen sich die Tugendkataloge in lebendiges Erzählen, wird die Rolle von Beziehung, Kontakt, Empathie, persönlicher Autorität, Respekt und Zuneigung für das Lernen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sichtbar, ist erkenn-bar, wann wie richtig und situationsgerecht gehandelt und wirkliches Lernen und Wachstum ermöglicht wurde. Das Fördern von Erzählen, das Reden über eigene Beobachtungen, das Lernen, anderen ein guter Zuhörender zu sein, der mit passenden Fragen den Gedanken-und Redefl uss des Gegenübers im Sinne der Fragestellung fördert, ist für mich ins-besondere in der ersten Begleitseminarphase in der Vorlesungszeit der entscheiden-de pädagogische Prozess, um kollegiales professionelles Refl ektieren miteinander einzuüben. Hier sind es die systemisch-lösungsorientierten Fragen mit ihren erzähl-auslösenden Formulierungen, zu deren Verwendung ich auff ordere, wenn die Stu-dierenden sich mit der Aufmerksamkeit und in der Haltung von „Interviewern“ wechselweise mit Mitstudierenden mit einem Th ema befassen sollen: • woran hast du gemerkt … • was genau hast du gesehen, als … 52 Alois Finke • was gab es noch, an das du dich erinnerst, als … • angenommen, ein/e Außenstehende/r hätte den Fall beobachtet, was hätte er/sie dazu gesagt … Das Arbeiten mit persönlich bedeutsamen Fotos aus der Schulzeit war ebenfalls ein gutes Medium in der Einstiegsphase, um die ganzheitliche Auseinandersetzung mit der eigenen Schul- und Lerngeschichte in Gang zu bringen: Die Studierenden wurden aufgefordert, zur folgenden Sitzung ein ihnen wichtiges Foto mitzubringen, das aus ihrer Schulzeit stammt, auf dem sie ggf. auch selbst abge-bildet sind. Sie sollten sich für ein einziges entscheiden und überlegen, was sie dazu bereit sind, im Seminar mitzuteilen. Schon die Aufgabenvorstellung löste verschiedenste Reaktionen und Mitteilun-gen aus: Bei einigen existieren off ensichtlich Mengen von Bildern, bei denen die Entschei-dung für eines schwer fällt; etliche wussten sofort, welches sie nehmen werden und wo sie es aufb ewahrt haben; einige wussten, dass ihnen wichtige Bilder existieren, aber dass sie kein einziges in ihrem Besitz haben, sondern sich diese z. B. bei den Eltern/Großeltern befi nden. Auch die Widerstände, ein „Bild aus der Vergangen-heit“ zu wählen, und anderen zu zeigen, wurden formuliert, so dass die Freiwillig-keit noch einmal betont werden musste. Letztlich hat bei allen die Neugier und Lust mitzumachen gesiegt. Zum Sitzungsanfang gab es auf Rückfrage erst einmal Berichte zum Suchen und Finden von Bildern, den dabei ausgelösten Th emen z. B. bei den El-tern, zu den Gefühlen beim Ansehen der Bilder (wann zuletzt vorher angeschaut?), zum Erinnern an die Fotografi ersituation (wann, wo, wer hat das Bild gemacht?) Die Bilder gingen dann in Ruhe im Kreis von Hand zu Hand, bis jede/r ihr/sein Bild wieder in der Hand hatte, damit alle zunächst einmal die Vielfalt der Bilder auf sich wirken lassen konnten. Erste Rückfragen bezogen sich dann darauf, was ihnen beim Durchschauen der Bilder an Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufgefallen war. Stichworte dazu wurden an der Tafel mitgeschrieben, um später an Begriff en wie „Konventionen/Rituale“, Bildtraditionen, Bedeutung von Bildern bei „Statuspas-sagen“ etc. arbeiten zu können. Bei der (freiwilligen) persönlichen Kommentierung des eigenen Bildes konnte fast jede/r Studierende anhand der Bilder die mit der da-maligen Situation verbundenen Fakten und Emotionen erinnern. Im Anschluss konnte dann auch anschaulich erklärt werden, weshalb auch die Arbeit mit Bildern/Fotos, Karikaturen in der Portfolioarbeit als „analoges Medien“ in ihrer Vieldeutigkeit das digitale Denken und Dokumentieren sinnvoll ergänzt. Die Studierenden wurden bei dieser Gelegenheit dazu angeregt, ihr Foto zum Grund-stock einer Bildersammlung zu Schule, Schüler/innen- und Lehrer/innen/dasein zu machen, Schulbilder der Eltern und Große
Objektbeschreibung
Autor | Rohr, Dirk [Herausgeber] |
Titel | Reflexionsmethoden in der Praktikumsbegleitung |
Untertitel | am Beispiel der Lehramtsausbildung an der Universität zu Köln |
Übergeordneter Titel | LehrerInnenbildung gestalten ; 2 |
Bandangabe | Band 2 |
Ort/Verlag | Münster/New York/München/Berlin : Waxmann |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Katkey | 8060507 |
HBZ-ID | HT020103738 |
Katkey (Überordnung) | 8030372 |
HBZ-ID (Überordnung) | HT018731161 |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Beschreibung
Titel | |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Volltext | Refl exionsmethoden in der Praktikumsbegleitung LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN Hrsg. vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln Band 2 Wie die Schule so ist auch das Feld der (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bewegung und in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess begriff en. Die Einsicht in die Heterogenität der Lernvoraussetzungen und Bildungsbedingungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler ist gestiegen und erfordert eine Organisation der (Aus-)Bil-dung, die fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaft liche Wissensbestandtei-le stärker aufeinander bezieht und zu einem professionellen Habitus zusammenbinden lässt. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Praxisphasen als roten Faden über die Ausbildungsphasen hinweg zu gestalten und die Kooperation der unterschiedlichen Akteure der grundständigen Bildung, des Vorbereitungsdiensts und der Fortbildung zu stärken. Die seit langem bekannte Forderung nach einer gelingenden Th eorie-Praxis- Verzahnung ist in den letzten Jahren in eine neue Dynamik geraten und verlangt nach einem Ausbau wie auch neuen Akzentuierungen in der bildungswissenschaft lichen und fachdidaktischen Forschung, um Unterrichts- und Schulentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Die Reihe LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN setzt an diesem Entwicklungspro-zess an und präsentiert Beiträge, die die Herausforderung einer neuen und innovativen (Aus-)Bildung von Lehrerinnen und Lehrern aktiv aufgreifen und Impulse für deren weitere Entwicklung setzen. Dirk Rohr, Annette Hummelsheim, Meike Kricke, Bettina Amrhein (Hrsg.) Refl exionsmethoden in der Praktikumsbegleitung Am Beispiel der Lehramtsausbildung an der Universität zu Köln Waxmann 2013 Münster / New York / München / Berlin LEHRERINNENBILDUNG GESTALTEN, Band 2 ISSN 2194-8429 ISBN 978-3-8309-2779-2 © Waxmann Verlag GmbH, 2013 Postfach 8603, 48046 Münster Waxmann Publishing Co. P.O. Box 1318, New York, NY 10028, USA www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Anne Breitenbach, Tübingen Satz: Stoddart Satz- und Layoutservice, Münster Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schrift liche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Bibliografi sche Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. 5 Inhalt Einleitung ................................................................................................................................ 7 Teil 1 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen in die Begleitung des Kölner Orientierungspraktikums ................................................. 11 Meike Kricke & Kersten Reich Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument – Mehrperspektivität fördern durch Lernteamarbeit ......................................................... 17 Annette Hummelsheim Einführung von Dimensionen der Refl exion im Kontext der neuen Lehrer/innen/bildung .......................................................................... 25 Bettina Amrhein & Meike Kricke Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule: Chancen portfoliogestützter Refl exionsarbeit in der Begleitung von (Orientierungs-)Praktika .............................................................................................. 37 Teil 2 Alois Finke „Erste allgemeine Verunsicherung“ – Gedanken zur Begleitung von Studierenden beim Start in ihre Berufsidentität als Lehrer/innen im Rahmen des Orientierungspraktikums ........................................................................ 49 Birgitt Aldermann & Elke Barausch-Hummes Empowerment durch Feedback – Praxiserfahrungen im Integrierten Orientierungspraktikum an der Universität zu Köln ....................................................... 57 Ruth von Lillienskiold TZI in der Begleitung des Orientierungspraktikums ....................................................... 63 Helga Daniels „Als ich vor der Tür stand, war ich noch gar nicht aufgeregt.“ – Unterstützung der körpersprachlichen Wirkung im Auft reten vor einer Klasse ......... 69 6 Saskia Erbring Gesundheitscoaching in der Praktikumsbegleitung – eine methodische Anregung zur Arbeit mit Studierenden ............................................. 77 Teil 3 Paul Köppler & Dirk Rohr Achtsamkeitstraining als Refl exionsmethode ................................................................... 83 Kathrin Meiners & Christian Hawellek Von den eigenen Stärken lernen: Marte Meo in der Praktikumsbegleitung ................. 91 Ingmar Schindler, Dirk Rohr & Meike Kricke Nach der Praxis Mehr-Sehen: Die Methode des Refl ecting Teams ................................ 99 Literatur ............................................................................................................................... 111 Autorinnen und Autoren .................................................................................................... 117 Inhalt Einleitung Nicht selten werden Praxisphasen als das Kernstück der Lehrer/innen/bildung be-zeichnet. Konsens herrscht mittlerweile auch darüber, dass sich die Qualität schul-praktischer Studien mit der Ausgestaltung refl exiver Elemente in Begleitveranstal-tungen deutlich steigern lässt. Damit haben refl exive Prozesse gerade in den letzten Jahren eine entscheidende Bedeutung für den Professionalisierungsprozess angehen-der Lehrer/innen erlangt. Aus professionstheoretischer Perspektive gelten antinomische Widersprüche als strukturelle Merkmale von Unterricht, die nicht einfach aufzulösen sind. Dabei soll-te berufspraktisches Wissen nicht nur über die Vermittlung von Praxiserfahrung weitergegeben werden, da dies bei Studierenden häufi g zur Erwartung führen kann, dass man es nur genau so machen muss, wie der erfahrene Praktiker / die erfahrene Praktikerin. Pädagogische Situationen zeichnen sich jedoch gerade nicht durch sta-bile, technologisch gestaltbare Verhältnisse aus. Als Lösungsansatz bot uns Donald Schön schon 1983 die Vision eines „refl ective practitioner“ an, der refl exiv auf Über-raschungen reagieren kann. Dabei spielt die biografi sche Selbstrefl exion gerade im Professionalisierungspro-zess angehender Lehrkräft e eine sehr entscheidende Rolle, denn sie dient der Be-wusstwerdung von vergangenen Erfahrungen und daraus resultierenden subjekti-ven Deutungen und Konstruktionen von Zusammenhängen und Erklärungsmustern. Hier bringen Studierende langjährige und emotional hoch aufgeladene Erfahrungen mit, die unrefl ektiert als subjektive Th eorien das pädagogische Handeln mitsteuern. Es ist ebenfalls unstrittig, dass diese Vertrautheit mit pädagogischen Situationen ein großes Hemmnis beim Aufb au von professionellen Handlungspraktiken sein kann. Daher ist die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Deutungsmustern, wel-che Entscheidungen beim Lehrer/innen/handeln unbemerkt beeinfl ussen können, ein zentrales Element refl exiver Praxisphasen-Begleitung. Diese Publikation widmet sich daher der Frage, wie die Forderung nach Refl e-xivität in der Begleitung von schulischen Praxisphasen konkret umgesetzt werden kann. Das hier zusammengetragene Textmaterial ist im Rahmen der refl exiven Be-gleitung von Orientierungspraktika an der Universität zu Köln entstanden. Dabei zeichnen sich die Beiträge durch eine große Vielfalt in den Zugängen aus. Ebenfalls bringen die Autor/inn/en selbst sehr unterschiedliche berufl iche Erfahrungshinter-gründe mit. Gemeinsam ist allen Textbeiträgen, dass sie anschaulich und sehr kon-kret aufzeigen, wie Refl exivität im Rahmen der Begleitung von Praxisphasen im Lehramtsstudium befördert werden kann. Die Beiträge lassen sich in drei Teile mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung bündeln: 8 Einleitung Teil 1 Den ersten Teil des Buches bilden Texte zu Implementationserfahrungen mit refl e-xiven Elementen in der neuen Lehrer/innen/bildung. Die hier geschilderten Erfah-rungen beschreiben, wie am Standort Köln versucht wird, mit Konzepten refl exiver Beratung im Rahmen der Praxisphasenbegleitung von Lehramtsstudierenden einen professionellen Habitus bereits in einer sehr frühen Phasen der Ausbildung anzubah-nen. Annette Hummelsheim und Dirk Rohr beschreiben die Rahmenbedingungen, die an der Universität zu Köln geschaff en wurden, um Refl exions- und Supervisionsele-mente in der ersten Phase der Lehrer/innen/ausbildung zu implementieren. Sie re-konstruieren den Prozess chronologisch und skizzieren exemplarisch, wie Verände-rung stattgefunden hat. Meike Kricke und Kersten Reich stellen das Kölner Portfoliokonzept innerhalb der reformierten BA/MA-Lehramtsausbildung in Kombination mit Lernteamarbeit in der Praktikumsbegleitung vor und gehen auf Refl exionselemente und Gelingens-bedingungen ein. Zudem werden in diesem Artikel erste Erfahrungen mit der Port-folioarbeit in Form einer Erfolgs- und Wachstumsseite refl ektiert. Annette Hummelsheim zeigt verschiedene Dimensionen der Refl exion im Kon-text der neuen Lehrer/innen/bildung auf. Sie entwirft einen idealtypischen Se-minarverlauf zum Orientierungspraktikum. Th ematisiert werden Übungen zur Selbst einschätzung und Selbsterkundung, die Anbahnung von Selbstkompetenz, Sozial kompetenz, Systemkompetenz und Handlungskompetenz wird im Rahmen des Gesamtkonzepts entfaltet. Bettina Amrhein und Meike Kricke stellen in ihrem Beitrag die Arbeit in ei-nem lehramtsheterogenen Pilotseminar mit Blick auf Inklusion vor. Studierende al-ler Lehrämter absolvierten im Rahmen einer Begleitveranstaltung ein Praktikum im Gemeinsamen Unterricht (GU). Es wird konkret aufgezeigt, wie durch die eigene re-fl exive und portfoliogestützte Auseinandersetzung mit dem Th ema der schulischen Inklusion schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Ausbildung ein Professionali-sierungsprozess in Bezug auf den Umgang mit Vielfalt in der Schule in Gang gesetzt werden kann. Teil 2 Der zweite Teil des Buches beinhaltet „Werkstatteinblicke“ in konkrete Umsetzungs-szenarien verschiedener Refl exionsmethoden im Rahmen der Praxisphasenbeglei-tung im Orientierungspraktikum. Alois Finke ist als Supervisor tätig und stellt in seinem Artikel „Erste allgemei-ne Verunsicherung“ seine Erfahrungen innerhalb der Begleittätigkeit Lehramtsstu-dierender während des Orientierungspraktikums dar. Einleitung 9 Birgitt Aldermann und Elke Barausch-Hummes stellen die Bedeutsamkeit von Feedbackmethoden innerhalb der Seminararbeit – auch für den Gedanken des Em-powerments auf Studierendenseite – vor und beschreiben in ihrem Beitrag verschie-dene Formen des Feedbacks anhand konkreter Umsetzungsmaterialien. Ruth von Lillienskiold stellt an anschaulichen Beispielen dar, wie sie ihre Semi-nararbeit nach dem Modell von Th emenzentrierter Interaktion (TZI) gestaltet. Die Bedeutsamkeit der Methode bzw. Haltung für die Lehrer/innen/bildung wird be-gründet, die Förderung der Kommunikationsfähigkeit anhand von Feedbacks der Studierenden nachgezeichnet. Helga Daniels zeigt in ihrem Beitrag konkrete Übungen, die sie mit Studierenden durchführt, um ihnen ein Bewusstsein der eigenen körpersprachlichen Wirkung zu vermitteln. Die Erfahrungen der Teilnehmer/innen werden im Kontext einer kompe-tenzorientierten Lehrer/innen/bildung refl ektiert. Saskia Erbring beschreibt in ihrem Text, wie Gesundheit zu einem Th ema für Studierende gemacht werden kann. Sie zeigt auf, wie Methoden aus dem systemi-schen Gesundheitscoaching für Studierende im Praktikum zum Einsatz kommen können. Teil 3 Im dritten Teil werden Refl exionsmethoden beschrieben, die sowohl im Rahmen der Praxisphasenbegleitung im Orientierungspraktikum als auch in anderen Kontexten erprobt wurden. Paul Köppler und Dirk Rohr beschreiben aus ihren un terschiedlichen Perspekti-ven die Bedeutung von „Achtsamkeit“. Sie benennen konkrete Methoden und Bei-spiele, an Hand derer deutlich wird, wie sich die Perspektiven verbinden oder „auf-heben“. Die Refl exion von Praxisphasen wird unterteilt in spezifi sche und indirekte Methoden des Achtsamkeitstrainings. Kathrin Meiners und Christian Hawellek beschreiben die Refl exions- und Be-ratungsmethode Marte Meo. Anhand von kurzen Videosequenzen wird den Stu-dierenden Feedback zum eigenen Verhalten gegeben. Dieses Feedback ist radikal wertschätzend und orientiert sich an so einfachen wie konkreten Prinzipien von Ent-wicklung und Kommunikation: Wahrnehmen und Benennen der „positiven“ Initiati-ven bzw. Verhaltensweisen der Schüler/innen – sowie der eigenen Verhaltensweisen. Der Artikel von Ingmar Schindler, Dirk Rohr und Meike Kricke beschreibt, wie die ursprünglich in der Familientherapie angewandte Methode des Refl ecting Teams in verschiedenen Varianten Studierende in Mehrperspektivität und Dialogfähigkeit fördern kann. Trotz der großen Unterschiedlichkeit in den Zugängen zu Refl exionsarbeit in der pä-dagogischen Ausbildung verstehen sich die Texte gemeinschaft lich auch als Werk-stattberichte, die eine permanente Weiterentwicklung verfolgen. Ob die Autorinnen 10 Einleitung und Autoren der Vision der Herausbildung eines „refl ective practitioner“, mit ihrer Arbeit ein Stück näher gekommen sind, werden daher auch weitere Erfahrungen mit den entwickelten Konzepten zeigen. Wünschenswert ist auch, dass sich die Leser/innen in ihren Systemen und ange-regt durch das Textmaterial an dieser refl exiven „Werkstattarbeit“ beteiligen. Der sich so entwickelnde Dialog zwischen Ausbildner/inne/n könnte entscheidend zur Wei-terentwicklung einer subjektorientierten Lehrer/innen/bildung beitragen. Eine umfangreiche Sammlung an Praxismaterialien ist auf einer Materialplatt-form hinterlegt und kann über folgenden Link heruntergeladen werden: www.wax-mann. com/buch2779 Wir freuen uns auf Ihr Feedback! Köln, Dezember 2012 Dirk Rohr, Annette Hummelsheim, Meike Kricke und Bettina Amrhein Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 11 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen in die Begleitung des Kölner Orientierungspraktikums In diesem Beitrag geht es um die Rahmenbedingungen, die an der Universität zu Köln geschaff en wurden, um Refl exions- und Supervisionselemente in der ersten Phase der Lehrer/innen/ausbildung in den Fokus zu nehmen und anzuwenden. Viele der nachfolgenden Artikel handeln von konkreten Refl exionsmethoden, die angewendet wurden im „Rahmen“ des Orientierungspraktikums. So wie die Me-thoden übertragen und adaptiert werden können für andere Veranstaltungskontex-te (z. B. Praktikumsbegleitungen anderer Studiengänge, anderer Hochschulen, andere Kontexte von Erwachsenenbildung etc.) – so könnte der Prozess der Implementie-rung übertragen werden auf andere Hochschulen, andere Institutionen. Wir möchten exemplarisch nachzeichnen, wie zentral der Kontext Hochschul-struktur beitragen kann zum Erfolg dieses Konzepts, ja, wir möchten Mut machen, Veränderungen strukturell zu verankern, da sie damit über individuelle Einzelinitia-tiven hinausgehen und Kraft gewinnen können. Berufsbiografi sche Refl exion, Th eorie-Praxis-Verzahnung, Förderung der psycho-sozialen Basiskompetenzen, dies sind wichtige Elemente einer neuen Lehrer/innen/ bildung, die neben der Ausrichtung auf die fachwissenschaft lichen Inhalte die Person des Lehrers/der Lehrerin in den Blick nimmt. Wir sprechen in unserem Beitrag von „Refl exions- und Supervisionselementen“, wobei wir Refl exion als den allgemeineren Oberbegriff verstehen; Supervision verstehen wir als ein professionelles Beratungs-format, in dem die Schnittmenge von Organisation, Person und Profession thema-tisiert wird. Wenn die Studierenden in die Praxis gehen, haben sie genau mit dieser Schnittmenge zu tun.1 Die Bearbeitung der Th emen, die sich in diesem Fokus zeigen, kann die Studierenden in der Anbahnung ihrer berufl ichen Professionalität nach-haltig unterstützen. In der Lehrer/innen/bildung der zweiten Phase sind inzwischen auch erfolgreich Coachingelemente implementiert worden,2 die auf der Tagung „Zur Humanisierung des Schullebens. Supervision in der Lehrer(aus)bildung“ vorgestellt wurden. In einem Positionspapier, das auf dieser Tagung formuliert wurde, heißt es: „Supervision und Coaching unterstützen selbstverantwortliches Lernen, indem Stu-dierende und Referendarinnen und Referendare die Ausgestaltung ihrer Lehrerrol-le im System Schule refl ektieren. Erfolgreiche Supervision ist daher am Individuum orientiert, versteht Ausbildung als Begleitung, schafft transparente Kommunikati- 1 Für die Studierenden ist es sogar noch komplizierter, sie gehören hinsichtlich der Organisa-tion erneut zu einer Schnittmenge, zur Universität und zur Schule, was zusätzliche Th emen-felder schafft . 2 Vgl. http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL/ (Stand 03.07.2012) 12 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr onsstrukturen, lässt Gestaltungsräume zu und versteht Rückmeldung als Dialog und Prozess.“3 Im Folgenden stellen wir in unserer Funktion als Verantwortliche für das Konzept und die Ausgestaltung chronologisch dar, wie diese Entwicklung in Köln verlaufen ist und gehen dabei in diesen Schritten vor: 1. Konzeptionsphase 2. Akkreditierungsphase 3. Implementierungsphase 4. Umsetzungsphase 5. Ausblick 1. Konzeptionsphase • Im März 2009 bekamen wir im Rahmen der Akkreditierung den Auft rag, die uni-versitären Begleitveranstaltungen aller Praxisphasen des Neuen Bachelor- und Master-Lehramtsstudiums zu konzipieren.4 Hier etablierten wir als leitende zen-trale Fokussierung die Refl exionskompetenz, insbesondere die Refl exion der eige-nen Berufsbiografi e und die Fallsupervision. • Zum Wintersemester 2009/2010 haben wir erstmalig „integrierte Veranstaltungen“ als Pilotprojekte in der Begleitung der Orientierungspraktika geplant. Neben den Vor- und Nachbereitungsphasen fanden nun während des vierwöchigen Schul-praktikums wöchentliche dreistündige Begleitveranstaltungen in der Universität statt; in diesen erlebten die Studierenden Kollegiale Beratung und Fallsupervision. Zeitgleich entstand eine Zusammenarbeit von DGSv5 und Universität zu Köln, die den folgenden Prozess unterstützt hat. • Parallel hierzu wurde an der Humanwissenschaft lichen Fakultät ab Oktober 2009 ein Modellprojekt durchgeführt, das für eine kleine Gruppe von 60 Studierenden alle bildungswissenschaft lichen Anteile (und so auch die Th eorie-Praxis-Verzah-nung) im Zeitraff er von 4 Semestern simulierte, sodass dann, zeitlich passend zur Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge ab Oktober 2011, die entspre-chenden Erfahrungen vorlagen. Bereits hier ist Supervision für Studierende und für Lehrende integriert worden und einige der Erkenntnisse konnten für die spä-tere Umsetzung genutzt werden (vgl. Rohr/Roth 2012) 3 Positionspapier der Tagung „Zur Humanisierung des Schullebens. Supervision in der Lehrer(aus)bildung“, 2011: http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/10/positionspapier_ zur_tagung_humanisierung_d_schullebens.pdf (Stand 03.07.2012). 4 Unsere Arbeitsgruppe setzte sich zusammen aus Mitgliedern des Lehrerbildungszentrums (LBZ), einer Einrichtung des Rektorats und des Praktikumszentrums (PZ) der Humanwis-senschaft lichen Fakultät (HF); die HF hatte die Federführung für den Anteil der Bildungswis-senschaft en übernommen, diese ersetzen jetzt das frühere „erziehungswissenschaft liche Stu-dium“. 5 Die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) mit Sitz in Köln thematisiert seit 2003 kontinuierlich in Veröff entlichungen, auf Tagungen und in weiteren Initiativen das Th ema „Supervision und Schule/Lehrerbildung“, vgl. Homepage der DGSv. Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 13 • Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelten wir ein Konzept für die Begleitung des Praxissemesters, in dem Refl exions- und Supervisionselemente als ein obligatorischer Baustein der universitären Begleitung eingeplant wurden. Dies wurde im Januar 2010 dann den Entscheidungsträger/inne/n in der Universität präsentiert. Hier werden die Empfehlungen der DGSv für die Implementierung von Supervision in der ersten Phase der Lehrer/innen/bildung vorgestellt.6 Grund-sätzlich wurde bei diesem Treff en Supervision als Bestandteil einer kompetenzo-rientierten Lehrer/innen/ausbildung begrüßt. Herausforderungen wurden gesehen in der Frage der Finanzierung und der Kommunizierbarkeit einer solchen Ent-scheidung hin zu den anderen beteiligten lehrer/innen/bildenden Fakultäten, bei denen der Fokus auf der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik liegt. 2. Akkreditierungsphase Im März 2010 erscheint der „Modellbericht zum Antrag auf Akkreditierung der lehramtsausbildenden Studiengänge“7. In ihm wird ein „Kölner Modell“ der Lehrer/ innen/ausbildung konzipiert und es handelt sich auch hier wieder um den Anteil der Bildungswissenschaft en. Schon auf den ersten Seiten wird das besondere Profi l deut-lich; so heißt es: „Die Universität zu Köln orientiert sich in der Lehrerbildung am Leitbild eines berufsbiografi schen Aufb aus professioneller Kompetenz, zu der sowohl konzep-tuell- formales Wissen als auch prozedurales Handlungswissen gehört. (…) Das Curriculum muss am aktuellen Stand der Schulforschung sowie der di-daktischen und bildungswissenschaft lichen Forschung orientiert sein und päd-agogische und didaktische Innovationselemente wie Schul- und Unterrichtsent-wicklung, Standards, Supervision u. a. aufgreifen.“ (Modellbericht 2010, 8) Für das Praxissemester, das im achten Semester stattfi ndet, fordert der Antrag eine besondere Berufsfeldorientierung; hier werden Coaching und Supervision als wichti-ge neue Lernformen genannt: „Der Herausforderung, die seit langem angemahnte Verstärkung der Th eorie- Praxis-Verschränkung im Studium zu realisieren, begegnet die Universität zu Köln mit einem Konzept, das die neuen Möglichkeiten eff ektiv und innovativ umsetzt. Voraussetzung dafür ist die Implementierung neuer Lehr-/Lernformen, die eigenverantwortliches, kooperatives und forschendes Lernen in Verbindung mit Coaching und Supervision auf der Basis der Idee des Empowerment ermög-lichen.“ (Modellbericht 2010, 79) 6 Diese Empfehlungen wurden später von der DGSv herausgegeben und sie können kosten-los heruntergeladen werden unter: http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/08/reihe_5_ empfehlungen-2010.pdf (Stand 03.07.2012). 7 Auf der Homepage der Universität zu Köln veröff entlicht: http://hf.uni-koeln.de/data/lebama/ File/Studiengangskommission/modellbericht.pdf, (Stand 03.07.2012) 14 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr Für das Orientierungspraktikum wird im Antrag die als Pilotprojekt oben er-läuterte sehr positiv evaluierte integrierte Konzeption übernommen. Ein Ziel die-ser Konzeption ist, dass die Studierenden sich anhand von Schlüsselsituationen ihrer subjektiven Th eorien über Schule aus einer professions- und systemorientierten Per-spektive bewusst werden. Auch ein Refl exionsgespräch am Ende der Veranstaltung hinsichtlich der angebahnten Kompetenzen wird verbindlich. Da die Dozent/inn/en über einen längeren Zeitraum (4 SWS) eine konstante Stu-dierendengruppe begleiten, ist eine Fokussierung auf Beziehungsgestaltung, Feed-backkultur und berufsbiografi sch bedeutsame Refl exionsprozesse möglich. Gerade die Zweiteilung in Vorbereitung (während der wöchentlich stattfi ndenden Sitzun-gen im Semester 2 SWS) und der sich daran anschließenden Praxisphase und der Begleit- und Nachbereitungstermine in der vorlesungsfreien Zeit (ebenfalls 2 SWS) zeigt sich als gewinnbringend. 3. Implementierungsphase • Mit der Akkreditierung des Modellberichts planen wir ab Januar 2011 die kon-krete Organisation der Seminare zum Orientierungspraktikum für alle Lehramts-studierenden ab Wintersemester 2011/12.8 Hierzu benötigten wir 25 zusätzliche Lehrbeauft ragte, die – dem neuen Schwerpunkt entsprechend – sowohl im Leh-rer/ innen/bildungskontext als auch in der Supervision erfahren sind.9 Auf unse-re Ausschreibung melden sich viele hoch qualifi zierte Bewerber/innen, die hoch motiviert sind, einen neuen Weg in der Lehrer/innen/ausbildung mit zu gestalten. • Mai 2011: Um für die neue Entwicklung Standards zu setzen, trifft sich der ge-samte Pool der neuen und „alten“ Lehrbeauft ragten zu einer Fortbildung, in der das gemeinsame Konzept erläutert wird. Es ist das erste Mal, dass alle Seminare zum Orientierungspraktikum einen gemeinsamen Fokus haben. „Empowerment“ sowohl für die Lehrenden als auch für die Studierenden gilt als das handlungslei-tende Prinzip (vgl. Arnold et al. 2011). Empowerment heißt für uns, den Schüler/ inne/n genauso wie den Studierenden – in den gegebenen Rahmenbedingungen – die Möglichkeit der Mitbestimmung für Inhalt und Prozess des Lernens zu ge-ben sowie sich als aktiv und selbstwirksam zu erleben. Außerdem werden die In-halte des Portfoliokonzepts, deren Umsetzung das neu gegründete Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) an der Universität zu Köln übernommen hat, vermit-telt und diskutiert. Die Portfolioarbeit soll die (Selbst-)Refl exion der Studieren-den nachhaltig unterstützen und sie soll im Kontext des Seminars sinnvoll vertieft werden.10 8 Das Lehramt Sonderpädagogik ist zunächst in Pilotprojekten vertreten, hier sollen Modelle von Inklusion entwickelt und erprobt werden. 9 Die Universität zu Köln ist eine der größten lehrer/innen/bildenden Hochschulen Europas; insgesamt planen wir im Bereich Orientierungspraktikum 50 Veranstaltungen für 1250 Stu-dierende pro Semester, d. h. pro Seminar gibt es eine Höchstteilnehmerzahl von 25 Studie-renden. 10 Siehe auch Beitrag Kricke/Reich in diesem Band. Zur Implementierung von Refl exions- und Supervisionselementen 15 • Im September 2011 arbeiten wir weiter am Modulhandbuch, das Teil des Akkre-ditierungsantrags ist. Als Ziel und zentrales Th ema für den universitären Anteil des Moduls „Orientierungspraktikum“ werden hier formuliert: „ Sich orientieren in der Berufsrolle und im System Schule bedeutet, die eigene Lern- und Schulgeschichte refl ektiert zu haben und sich der eigenen Konstruk-tionen als Muster für eigenes Erleben und Agieren bewusst zu werden. Zentra-les Th ema im Orientierungspraktikum ist deshalb der Prozess der Wahrneh-mung und (Selbst-)Refl exion. Dazu tragen auch Th eorieansätze bei, die jeweils bezogen werden auf die subjektiven Überzeugungen und die Beobachtungen in der Praxis.“11 Die supervisorischen Aspekte sind in allen Punkten erkennbar und wir betonen hier besonders sechs Lernergebnisse und Kompetenzen: Die Studierenden • vollziehen und refl ektieren anhand von konkreten pädagogischen Situationen den Perspektivwechsel aus der in der eigenen Schullaufb ahn lange eingeübten Schüler/ innen/rolle in die Rolle einer Lehrperson; • entwickeln einen professionellen Habitus, eigene Fähigkeiten und Ressourcen zu nutzen sowie Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und ihnen aktiv und konstruktiv-wertschätzend zu begegnen; • lernen Feedback zu geben und anzunehmen, • werden sich ihrer subjektiven Th eorien von Schule, Lernen und Lehren bewusst, hinterfragen diese und entwickeln sie weiter; • lernen Heterogenität für die Bildungs- und Entwicklungsbegleitung zu nutzen und • erarbeiten Schwerpunkte ihres eigenen, weiteren Bildungs- und Entwicklungspro-zesses. Dazu bringen die Studierenden Fälle aus dem Schulalltag ihres Orientierungsprak-tikums mit in die Seminarsituation. Sie lernen verschiedene Formen von Refl exion und Supervision kennen und wenden diese an. 4. Umsetzungsphase seit Oktober 2011 Es hat eine Zwischenauswertung stattgefunden, auf der fünf Punkte besonders her-vorgehoben wurden: • Für die Studierenden ist es irritierend und bereichernd an „eigenen Th emen“ zu arbeiten. • Die Eigenverantwortung und Aktivität/Partizipation wird von den Studierenden sehr positiv bewertet. • Für die Studierenden ist es eine Herausforderung, immer wieder auf ihre Selbst-kompetenz verwiesen zu werden. Auch die neuen Lernformen (fallorientiert, kei-ne Referate) sind ungewohnt und fördern die Kommunikation untereinander. 11 http://www.hf.uni-koeln.de/34812 (Stand: 03.07.2012) 16 Annette Hummelsheim & Dirk Rohr • Durch verschiedene Formen der Zusammenarbeit entsteht gegenseitige Inspirati-on von „neuen“ Supervisor/inn/en und „alten“ Lehrbeauft ragten. • Hohe Transparenz zwischen den Lehrbeauft ragten und dem PZ/ZfL als Koordi-nationsstellen werden positiv konnotiert, die ersten Seminare werden von unserer Seite intensiv begleitet. Zusätzlich werden Fortbildungen z. B. zur videogestützten Refl exion (Marte Meo) und zur Entwicklung psychosozialer Basiskompetenzen mit guter Resonanz wahrgenommen. Seit dem Sommersemester 2012 werden auch die 10 Begleitveranstaltungen des Lehramtes Sonderpädagogik in der hier dargestellten Struktur durchgeführt. 5. Ausblick Nach der Durchführung der ersten Kohorte (im ersten Semester) ging die Zustän-digkeit vom Praktikumszentrum der Humanwissenschaft lichen Fakultät, verantwort-lich für den bildungswissenschaft lichen Anteil der lehramtsbezogenen Studiengänge, über an das überfakultäre Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL; Meike Kricke, Bet-tina Amrhein). Die Tatsache, dass wir von Anfang an eng zusammen gearbeitet haben, erleich-tert diesen Übergang enorm. Als Beispiel der Weiterführung kann die mehrtägige Marte-Meo-Weiterbildung angesehen werden12, die im WS 11/12 begann, sowie die-ses Buch, das wir gemeinsam herausgeben. Da wir selbst einen Arbeitsbereich für Beratungsforschung an der Universität zu Köln aufb auen, werden wir von dort aus weiterhin mit dem ZfL kooperieren, das nun die Federführung für alle Praxisphasen übernommen hat. Der nächste große Schritt wird die curriculare Ausgestaltung des Praxissemesters sein, das erstmalig im Frühjahr 2015 stattfi nden wird. In diesem Sinne hoff en wir, dass die angehenden Lehrer/innen durch die frühzei-tige Erfahrung mit Supervisionselementen in ihrer Refl exion und Selbstrefl exion ge-stärkt werden und ein nachhaltiges Interesse an berufsbiografi schen Lernprozessen entwickeln. Langfristig, so sind wir überzeugt, wird sich damit die Qualität von Aus-bildung und Arbeitsfeld verbessern lassen. 12 Siehe auch Beitrag Meiners/Hawellek in diesem Band. Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 17 Meike Kricke & Kersten Reich Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument – Mehrperspektivität fördern durch Lernteamarbeit Portfolio?! Unter „Portfolio“ (lat. portare: tragen; folium: Blatt) ist zunächst eine Art Sammel-mappe zu verstehen, in der verschiedene Materialien für unterschiedliche Zwecke „gesammelt“ werden. Spricht man von der „Portfolio-Methode“ geht es über das Sammeln hinaus: Die Mappen werden „für Refl exionen über das Gesammelte und dabei gemachte Lernerfahrungen“ (Reich 2008a) genutzt. Es lassen sich eine Rei-he von Einsatzmöglichkeiten dieser Methode fi nden, die sich in unterschiedlichen Portfolioarten widerspiegeln – beispielsweise in Bewerbungs-, Sprachen-, Entwick-lungsportfolios etc. (vgl. Häcker 2009, 33). Dysthe (2003 in Granberg 2010, 310) vergleicht Portfolios auch mit „Chamäleons“, die je nach „purpose and pedagogical design“ ihre Farbe ändern würden. Nachfolgend sollen wesentlich erscheinende As-pekte zu einer vielfältigen Nutzung von Portfolios am Beispiel der Lehrer/innen/bil-dung in einer einführenden Übersicht beschrieben und erste Erfahrungen präsen-tiert werden. Das Portfolio als Refl exionsinstrument nutzen: Grundmerkmale Ein Portfolio wird häufi g in einen öff entlichen und einen privaten Teil gegliedert (vgl. Reich 2009, 90f.). Der öff entliche Bereich ist strukturiert und besteht aus Materia-lien, die für bestimmte Personen „transparent“ gemacht werden, wie z. B. obligato-rische Aufgabenbearbeitungen. In dem privaten Teil werden ganz individuell Mate-rialien gesammelt. Der Portfoliomethode sind dabei keine Grenzen gesetzt: Neben schrift lichen Bearbeitungen können Bilder, Fotos, Videos, Podcasts etc. eingeordnet werden (vgl. Kricke/Reich 2011). Portfolios sind zudem „produkt- und prozessori-entiert“ (vgl. Häcker 2009, 35) – neben Produkten werden auch eigene Lernprozesse dokumentiert und refl ektiert (Reich 2009, 90). Sassi (2001) beschreibt die Portfolioarbeit als einen dreischrittigen Prozess: „Sam-meln, Auswählen, Refl ektieren“:1 Sammeln: Die Lernenden sammeln in diesem (persönlichen) Teil ungeordnet und in verschiedenen Formen (Mitschrift en, Fotos, Zitate, etc.) Materialien innerhalb des jeweiligen Portfoliokontextes. 1 Vgl. auch das Portfolio im Projekt Modellkolleg Bildungswissenschaft en: Bachtesvanidis et al. (2012). 18 Meike Kricke & Kersten Reich Auswählen: Um die Kompetenzerwartungen/Ziele des jeweiligen Portfolioeinsatzes zu erbringen, wählen die Lernenden dann aus ihren Sammlungen das für sie Zen-trale zur Refl exion – inwieweit oder wodurch die Ziele/Kompetenzerwartungen er-reicht wurden – aus. Wichtig ist hier, dass den Lernenden Sinn und Zielsetzung des Lernprozesses von Anfang an transparent ist. Kriterien sollten bestenfalls partizipativ mit den Lernen-den entwickelt werden. Refl ektieren: Auf Grundlage des ausgewählten Materials refl ektieren die Lernenden ihren Lernzuwachs. Versteht man den Portfolioprozess als zirkulär, lässt sich dieser Dreischritt erweitern: Bilanzieren: Erfolge erkennen und Ziele setzen: Auf Grundlage der Refl exion werden eigene Erfolge erkannt und weitere Ziele – bezogen auf den jeweiligen Portfolio-Ge-genstand – zur Weiterarbeit formuliert (vgl. Kricke/Reich 2011). Portfolios in der Lehrer/innen/bildung: Einordnung Im Folgenden geht es um die Umsetzungsdarstellung der Portfolioarbeit am Beispiel der Universität zu Köln im Rahmen des Orientierungspraktikums. In dieser Praxis wird betont, dass das Portfolio nicht nur zur „Dokumentation“ (LABG 2009) über die Praxisphasen dient, sondern dass es auch als Refl exions- und darüber hinaus als Dialoginstrument einer mehrperspektivischen Lehrer/innen/bildung in Verbindung mit Lernteamarbeit herangezogen werden kann. Mit einem veränderten Lehr-Lernverständnis (vgl. Arnold/Schüßler 1998; Reich 2009, 15) zielt die internationale Entwicklung in der Lehrer/innen/bildung darauf ab, (E-)Portfolios einzusetzen „to ensure quality standards and/or support student teachers in lifelong learning“ (Granberg 2010, 311). Im Zuge der reformierten BA/ MA-Lehramtsausbildung ist die Portfolioarbeit in Nordrhein-Westfalen gesetzlich verankert (vgl. LABG 2009 § 12 (1)) und dient als Refl exionsinstrument der berufs-biografi schen Entwicklung: In einem Portfolio Praxiselemente dokumentieren die Studierenden alle Praxis-phasen ihrer Ausbildung (vgl. LZV § 13): Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 19 Abbildung 1: Praxisphasen im Überblick (D. Kramp, ZfL). Praktische Umsetzung in Köln: Das Kölner E-Portfolio als Entwicklungsportfolio „Great teachers are neither born nor made but they may develop“ Das Kölner E-Portfolio ist als Entwicklungsportfolio konzipiert, das auf diesem Grundgedanken Th eo Bergens (Universität Nijmwegen) beruht. Es verfolgt das Ziel, dass die Studierenden in ihrer Refl exionsfähigkeit gefördert werden, die nach Combe/Kolbe (2004, 835 in Häcker 2012, 77) „als Schlüsselkompetenz von päda-gogischer Professionalität betrachtet“ wird. Dieser „sich je individuell vollziehende berufsbiografi sche Entwicklungs- und Lernprozess“ (vgl. Reh & Schelle in Herzog 2011) wird in dem Praxisphasenportfolio dokumentiert und kann als Grundlage der Entwicklung einer Refl exionsfähigkeit sowohl auf das „Lehrer werden“ als auch auf das „Lehrer bleiben“ bezogen werden (vgl. Terhart 1994, 21). Insgesamt wird dieser Entwicklungsgedanke hin zu einer professionellen Lehrer/innen/rolle unter dem As-pekt des „lifelong learning“-Gedankens durch verschiedene Elemente gefördert:2 Für jede Praxisphase hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung Kom-petenzerwartungen (LZV-Standards) vorgegeben. Im Mittelpunkt der Portfolioarbeit steht die Refl exion der eigenen Entwicklung hinsichtlich dieser Standards, die durch Situationsbeschreibungen konkretisiert werden. Zu jedem Standard wählen die Stu-dierenden jeweils eine Aufgabe aus, die sie auf Grundlage ihrer Beobachtungen, In-terviews etc. im Praktikum bearbeiten.3 Die Aufgabenvorschläge basieren auf dem Grundgedanken des forschenden Lernens „im Rahmen der Refl exion eigener prak- 2 Das E-Portfoliokonzept basiert an der Universität zu Köln auf Portfolio-Readern nach Kri-cke/ Reich 2011. Diese sind unter im Internet unter: http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/ reich_works/aufsatze/index.html unter 2011 abrufb ar. Zudem sind alle Informationen zum Kölner E-Portfoliokonzept auf der Website des Zentrums für LehrerInnenbildung einsehbar: www.zfl .uni-koeln.de. 3 Alternativ können sich die Studierenden eigene Aufgaben bearbeiten. Eignungspraktikum 4 Wochen möglichst vor Studienbeginn Orientierungspraktikum mindestens ein Monat im Bachelor Berufsfeldpraktikum 4 Wochen im Bachelor Praxissemester ein Schulhalbjahr im Master Vorbereitungsdienst 18 Monate Portfolio kontinuierliche Dokumentation aller Praxisphasen Schule als Arbeitsplatz? Hilfe zur Berufswahl Reflektierte Auseinandersetzung Perspektiven für Studium Alternative Schulformen und Berufsfelder Anwendung, Erprobung und Reflektion erworbener Kenntnisse in der Praxis Zweite Ausbildungsphase Ziel: Staatsexamen 20 Meike Kricke & Kersten Reich tischer Erfahrungen inner- oder außerhalb von Unterricht“ (vgl. Koch-Priewe/Th iele 2009, 278). In der Bearbeitung dokumentieren die Studierenden „Fälle“ aus den Pra-xisphasen und betten diese in bildungswissenschaft liche Th eorien ein bzw. analysie-ren sie auf dieser Grundlage. Wichtig ist, dass alle Aufgabenbearbeitungen begrün-det ausgewählt oder formuliert sind und „immer auch eine Selbstrefl exion enthalten [sollten], in der darauf eingegangen wird, welche Lernschwierigkeiten bestanden und wie sie gelöst wurden“ (Reich 2009, 90). Grundlegend ist zudem die kontinuierli-che Refl exion der Studierenden über ihre „wachsende“ Lehrer/innen/rolle. Zentra-le Elemente stellen dazu die „Arbeitstheorie“4 und eine „Erfolgs- und Wachstumsseite“ (vgl. Kricke/Reich 2011) dar. Bei der Arbeitstheorie handelt es sich um „subjektive“ Th eorien (vgl. Groeben/Wahl/Schlee/Schelle 1998, 19ff . in Arnold et al. 2011, 86), die Studierende über ihre Tätigkeit als Lehrer/in haben. Diese verfassen sie anhand von Leitfragen zu Beginn der Begleitveranstaltung und refl ektieren sie kontinuierlich nach jeder Praxisphase. Zudem formulieren die Studierenden persönliche Ziele zu je-der Praxisphase, die sie nach der Praxis refl ektieren und die Bilanz ihrer „Erfolgs-“ und „Wachstumsseite“ als Grundlage weiterer Zielsetzungen im Zusammenhang mit dem individuellen Kompetenzerwerb nutzen. In der Bearbeitung ihrer Portfolioauf-gaben agieren die Studierenden resümierend als wissenschaft lich Forschende und in Anlehnung an Schön (1983) als refl ektierende Praktiker/innen, indem sie forschend und lernend ihr theoretisches Wissen mit ihren praktischen (außer-)schulischen Er-fahrungen refl ektieren. Um eine professionelle Refl exionsfähigkeit anzubahnen ist über die Selbstrefl exi-on hinaus ein weiterer Schritt entscheidend: „Der Austausch über die Selbstrefl exion – gewissermaßen als kommunikative Validierung: Um den Lernenden auch die Ge-danken und Refl exionen bzw. Wahrnehmungen weiterer Personen zu eröff nen, steht der Dialog im Vordergrund einer wechselseitigen Refl exion. Er eröff net noch wei-tere Perspektiven und Deutungsmuster des (eigenen) pädagogischen Handelns und Analysierens“ (Kricke et al. 2012, 1f.). Um die Refl exionsfähigkeit als „Schlüsselkompetenz“ von Beginn der Ausbildung an im Dialog anzubahnen, bietet sich aus unserer Perspektive, neben berufsbezoge-nen Methoden (wie kollegiale Fallberatung/Supervision), besonders das Arbeiten in Lernteams an. 4 Vgl. Bildungsserver Hessen [a] (o.J.): Arbeitshilfen zum Portfolio für LiV: A_1.4.1_Erste_ Arbeitstheorie, URL: http://lakk.bildung.hessen.de/afl /fortbildung/portfolio/ah/index.html (Stand 04.11.2011). Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 21 Lernteamarbeit in Verbindung mit der Portfolio-Methode: Förderung von pädagogischer Professionalität Das Orientierungspraktikum ist an der Universität zu Köln in ein integriertes Semi-narkonzept eingebettet, das sich über das Semester und die vorlesungsfreie Zeit er-streckt. 5 In dieser Veranstaltung spielt die Anbahnung der eigenen Refl exionsfähig-keit und somit die Portfoliomethode eine zentrale Rolle. Im Seminar kann zudem die kommunikative Verarbeitung der Praxiserfahrung fokussiert werden, um einen „living learning“-Fokus, wie ihn Ruth Cohn (1993, 12 in Arnold/Schüßler 1998, VII) formulierte, umzusetzen. Ilse Brunner (2009, 94) betont, dass die Portfolioarbeit nur so gut sei, „wie die Gespräche, die darüber geführt werden“. Diesen Gedanken unter-streichen Ehlers et al. (2009, 19), indem sie als Gelingensbedingung für einen erfolg-reichen Refl exionsprozess betonen, wie wichtig „regelmäßiges und positives Feed-back“ ist. Neben einer Rückmeldekultur von Seiten der Dozierenden bietet sich hier besonders eine Refl exion im Dialog aller an: die Arbeit in Lernteams. Die Studierenden bilden im Seminar Lernteams von 3-5 Studierenden (ungera-de Anzahl von Lernern bilden nicht so leicht Koalitionen; vgl. „Lernpatenschaft en“ in Reich 2009, 98). In der Zusammensetzung bietet es sich an, im Sinne einer Markt-platzübung „Ich suche, ich biete“ heterogene Lernteams unterschiedlicher Schulfor-men/ Semester zu bilden (Reich 2009, 98). Gerade im Hinblick auf die Entwicklungen hin zu einem inklusiven Schulsystem kann dies eine Vorbereitung auf das Arbeiten in multiprofessionellen Teams sein. Huber und Hader-Popp (2008) betonen zudem die Bedeutsamkeit „professioneller Lerngemeinschaft en“ für Unterrichts- und Schul-entwicklungsprozesse. So können die Studierenden die Fähigkeit entwickeln, sich als „Teamplayer“ zu vernetzen und Kooperationsfähigkeit zu stärken. Ein Vorteil konti-nuierlicher Lernteams – innerhalb der Portfolioarbeit – bietet eine sich entwickelnde „Gesprächskultur (…), die von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnet ist und ein Klima des Vertrauens schafft “ (Brunner 2009, 73). Gerade zu Beginn des Studi-ums kann dieser Aspekt eine Entlastung für Studierende darstellen (z. B. in Bezug auf Studienorganisation). Vor dem Hintergrund eines polyvalent angelegten BA-Stu-diums eignet sich der Austausch in heterogenen Lernteams auch dazu, zu überden-ken, ob die von den Studierenden gewählte Schulform die passende ist. Lernteamarbeit und Portfolio: konkret Innerhalb des Lernteams werden eigene „Fälle“ aus dem Praktikum herangezogen und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. In der Refl exion darüber können die Studierenden erfahren, wie heterogen sich das Berufsfeld „Schule“ hinsichtlich der Organisation, pädagogischer Konzepte, Unterrichtsmethoden, Diff erenzierungsmög-lichkeiten, Förderungen etc. zusammensetzt. Zudem stellt die Arbeit an einem (E-) Portfolio für einen Großteil der Studierenden die erste Erfahrung in der Portfolio- 5 Vgl. Hummelsheim/Rohr in diesem Band. 22 Meike Kricke & Kersten Reich arbeit dar – kollegiale Unterstützung und Beratung können hier weiterhelfen. Für Refl exionsanlässe steht jedem Lernteam ein Lernteam-Reader mit konkreten Umset-zungsideen und Leitfragen zur Verfügung (Kricke/Wulfert: im Anhang unter www. waxmann.com/buch2779). Beispiel: Stellt ein Mitglied des Lernteams die Bearbeitungen zu einem LZV-Standard vor, hat das Team im Anschluss die Möglichkeit, Rückfragen an den Vorstellenden/die Vor-stellende zu richten und ein Feedback zu geben. Mögliche Fragen und Ansatzpunk-te sind: 1. Warum hast Du gerade diese Aufgabe ausgewählt? 2. Was glaubst Du, mit dieser Aufgabe verdeutlichen zu können? 3. Mir ist nicht ganz klar geworden … 4. Verdeutliche und begründe Deine Vorgehensweise bei dieser Aufgabe näher. 5. Interessant wäre auch noch der Aspekt xy bei der Bearbeitung dieser Aufgabe. 6. Gab es etwas, was Dich irritiert/gewundert/erschrocken/… hat während Deiner Beobachtungen/Deines Interviews? 7. Bei Deiner Darstellung kommen mir noch folgende Fragen auf: … 8. Aus meiner Schulerfahrung habe ich etwas ganz anderes/ähnliches wahrgenom-men … Refl exion: Erfolgs- und Wachstumsseiten6 Nach einem ersten Semester obligatorischer Portfolioarbeit und Lernteamarbeit möchten wir abschließend kurz die bisherigen „Erfolgs- und Wachstumsseiten“ bei-der Konzepte erläutern. Diese basieren auf Rückmeldungen der Lehrbeauft ragten, ei-genen Erfahrungen und zu großen Teilen aus einer Online-Umfrage auf Seiten der Studierenden, die Grundlage einer konsequenten Konzeptweiterentwicklung bieten: Erfolgsseiten Erfolgreich stellte sich die breit angelegte Informationskultur heraus, mit der die Portfolioarbeit eingeführt wurde. Barrett und Carney (2005 in Granberg 2010, 311) betonen, dass es essenziell zur Einführung der Portfolioarbeit gehört, zu Beginn zu defi nieren, welche Funktion das Portfolio erfüllen sollte. Zudem beschreibt Butler (2006 in Granberg 2010, 311) als Erfolgskriterium, dass den Studierenden zur Vor-bereitung völlige Transparenz gegeben werden soll über: „what, why and how“. Das obligatorische Feedback im Rahmen der Begleitveranstaltung auf Grundlage der Refl exionselemente zeichnete sich zudem als positiv heraus, da die Studierenden hier eine direkte Rückmeldung erhielten. 6 Vgl. auch das Portfoliokonzept des Projektes Modellkolleg Bildungswissenschaft en der Hu-manwissenschaft lichen Fakultät der Universität zu Köln unter Portfolio: http://www.hf.uni-koeln. de/33814. Portfolios als Dialog- und Refl exionsinstrument 23 Die Möglichkeit von Teilnahmen an Lernteam-Workshops und das Bereitstellen eines Lernteamraumes war besonders förderlich für die Lernteamarbeit. So haben die Studierenden auch an der Universität einen festen Ort des Rückzugs zum indi-viduellen Austausch. Lernpsychologisch war es wichtig, dass die Studierenden ihre eigenen Erfolge kritisch refl ektierten, dokumentierten und gespiegelt bekamen. Ge-machte Fehler können, wenn sie refl ektiert werden und bessere Lösungen antizipie-ren lassen, auf der Erfolgsseite verbucht werden. Erfolge sind lernpsychologisch ge-sehen Voraussetzungen für noch besseren Erfolg in der Zukunft . Zudem können die Studierenden ihre „Wachstumsseiten“ z. B. durch Workshop-Angebote des ZfL wei-terentwickeln. Wachstumsseiten Trotz obligatorischen Einführungsveranstaltungen gab es dennoch viele Rückfragen auf Seiten der Studierenden im ersten Semester. Wie oben dargestellt ist ein gelungener Refl exionsprozess nur so gut, wie die Ge-spräche darüber verlaufen: Dies zeigen auch die Erfahrungen und Feedbacks des ers-ten BA-Durchganges auf Seiten der Studierenden und Dozierenden ganz deutlich: Refl exionen und Gespräche müssen in die Begleitveranstaltungen des Orientierungs-praktikums (zeitlich) eingebettet sein. Gerade zu Beginn war eine große Verunsicherung auf Seiten vieler Studierender in Bezug auf ihre Bearbeitungen zu spüren: „Was ist richtig, was ist falsch? Wie vie-le Seiten muss ich abgeben?“ Der Eindruck entstand, dass zunächst eine Art „Akzep-tanz“ dieses off enen Arbeitens entwickelt werden musste – das Portfolio als ein Me-dium einer veränderten Lernkultur. Margrit Meissner drückt dies so aus: Wichtig ist die „Förderung einer Grundhaltung des selbstverantworteten Lernens“ (2009, 242). Das Arbeiten in Lernteams ist den Studierenden bisher als Angebot freigestellt. In einer Umfrage des ersten BA-Durchganges arbeiteten von der befragten Gruppe der Studierenden unterschiedlicher Schulformen (N= 229) 11% in einem Lernteam. Eine feste Implementation innerhalb der Seminararbeit erscheint daher zentral. Als schwierig stellte sich zudem für Studierende im ersten/zweiten Semester die Ver-knüpfung von theoretischen Konzepten und ihren praktischen Erfahrungen heraus. Hier sollte noch mehr Unterstützungsarbeit in der Begleitung erfolgen, was insbe-sondere durch die Bildung heterogener Lernteams verschiedener Semester erfolgen könnte. Häcker verdeutlicht zudem (2011, 1), dass die erfolgreiche Implementation von Portfolioarbeit in ein „didaktisches Gesamtkonzept“ eingebettet sein muss. Dies würde neben den obligatorischen Portfolioelementen auch die Refl exionen über In-halte aus der Seminararbeit einschließen. Weiterzuentwickeln wäre hier ein Konzept, das nicht nur über die Praxisphase, sondern auch über die gesamte Begleitung ange-legt wäre. Studierende könnten im Dialog z. B. an Fragen wie: „Welche Wirkung ha-ben diese Inhalte für mich als zukünft ige Lehrkraft ?“ oder „Welche theoretischen Ele-mente konnte ich schon erfolgreich in die Praxis umsetzen?“ arbeiten. Dazu könnten vorab z. B. feste „Portfoliozeiten“ in die Seminararbeit integriert werden. Sofern die Praktika in Lernteams absolviert werden können, wäre dies ein ziel-führendes Angebot, um Methoden wie kollegiale Hospitation zu erproben oder an- 24 Meike Kricke & Kersten Reich hand der gemeinsamen Hospitationen und Dokumentationen ganz konkret „um-setzbare und erfolgreiche Wirklichkeitskonstruktionen“ zu erleben (vgl. dazu das Beispiel von Schindler/Rohr/Kricke in diesem Band). Der Dialog zwischen allen Beteiligten ist für eine gute Umsetzung der Portfolio-arbeit ausschlaggebend. Tony Booth (2011 in European Agency for Development in Special Needs Education 2012, 35) sagt zur Bedeutsamkeit des Dialogs: „Th e pow-er we have as educators is to engage others in dialogue – that is all.“ Portfolioarbeit in Verbindung mit Lernteamarbeit stellen aus unserer Sicht zwei entscheidende Ent-wicklungsinstrumente für die professionellen „educators“ von morgen dar, um mit allen Akteur/inn/en in der praktischen und theoretischen Ausbildung im Dialog die Qualität der Lehrer/innen/bildung zu erhöhen. Die im Folgenden beschriebenen Methoden können die Studierenden für ihre Dokumentation innerhalb der Seminararbeit in ihr (persönliches) Portfolio aufneh-men und für ihre Refl exionsprozesse nutzen. Einführung von Dimensionen der Refl exion 25 Annette Hummelsheim Einführung von Dimensionen der Refl exion im Kontext der neuen Lehrer/innen/bildung „Kurz, wer unterrichten will, muss ein klares Bild von seiner eigenen Schulzeit gewinnen. Er muss den Zustand der Unwissenheit ansatzweise fühlen, wenn er irgendeine Chance haben will, uns aus dem Schlamassel zu holen.“ Daniel Pennac (2009, 274) Einblicke Dieses Zitat ist dem autobiografi sch geprägten Roman „Schulkummer“ entnommen. Der Autor Daniel Pennac ist nach einer katastrophalen Schülerlaufl aufb ahn selbst Lehrer geworden und lässt uns in seinem Buch Zeuge werden von Gesprächen, die er mit seinem Alter Ego, dem Schüler, der er einmal war, führt. Er lässt sein päda-gogisches Verhalten von dieser Kindfi gur radikal in Frage stellen und nutzt die Kon-frontation mit seiner Erinnerung für eine Profi lierung seiner Lehrerrolle. Das Buch erschien in Deutschland, als ich begonnen habe, an der Universität zu Köln Seminare zum Orientierungspraktikum zu konzipieren und durchzuführen. Von meiner Lehrtätigkeit in einer Fachschule für Sozialpädagogik war ich schon mit biografi schen Lernformen und Refl exionselementen vertraut. In der Lehrer/innen/ bildung der ersten Phase wollte ich nun ein Konzept entwickeln, das über persön-lich bedeutsames Lernen Orientierung und Irritation bewirkt; es soll ein Prozess an-gestoßen und begleitet werden, in dem die Studierenden bereit sind, die eigenen Er-fahrungen, Fragen und Ziele zu formulieren; sie sollen die Gruppe als einen Ort des gemeinsamen Suchens und Forschens nutzen. Immer wieder wollen gerade Lehr-amtsstudierende die Pädagogik funktionalisieren, um Rezeptwissen zu bekommen. Es geht um das Ausschalten der eigenen Verunsicherung, das Bedürfnis, „eine Klas-se in den Griff zu kriegen“. Das Bedürfnis verstehe ich als ein wichtiges Signal, das Beachtung verdient, doch der Weg dahin kann nur über Auseinandersetzung mit praktischen Erfahrungen, Th eorieansätzen und der eigenen Person verlaufen; hier zu enttäuschen, das Bedürfnis nicht auf einer trivialen Ebene zu bedienen, vielmehr einzuladen zu einem „Abenteuer Pädagogik“, das auch einer Anstrengung bedarf, darin sehe ich meine Rolle in der Leitung dieses Seminartyps. In meinem Beitrag werde ich auf Seminarmethoden eingehen, die die Seminar-teilnehmer/ innen und ich als hilfreich für den Refl exionsprozess im Orientierungs-praktikum erlebt haben. Ich werde dazu einen idealtypischen Seminarverlauf von dreizehn Sitzungen während des Semesters skizzieren. Wichtig ist mir, dass ein roter 26 Annette Hummelsheim Faden deutlich wird, und ich eventuell einen Anreiz schaff en kann, die eine oder an-dere Methode selbst auszuprobieren. Der besseren Lesbarkeit halber erzähle ich wie von einer Expedition, die wir im Seminar gemeinsam unternehmen. Eine schemati-sierte Übersicht zu den einzelnen Sitzungen, Formulierungen zu den Impulsen, Vi-sualisierungen zur Vermittlung bestimmter Methoden und Arbeitsblätter zu weiter-führenden Hausaufgaben fi nden sich unter dem Link zum Buch.1 Es geht darum, im Seminar zwei Ebenen zu unterscheiden: Auf der einen Ebene sind die Studierenden Seminarteilnehmer/innen, die sich auf meine Leitung verlas-sen können. Auf einer zweiten Ebene sollen sie „meine Leitung verlassen“, sie sollen in einen Prozess der Selbstleitung kommen, in dem sie Beobachter/innen des Prozes-ses werden, zu dem der kritische Umgang mit der Leitung, die Entwicklung der eige-nen Kompetenzen und die der anderen Teilnehmer/innen zählen.2 Diese Ebene der Beobachtung wird im Seminarverlauf immer wieder eingeblendet und genutzt. Es entsteht ein Werkstattcharakter und wir reden nicht nur über Situationen und Th e-orien, vielmehr nutzen wir das, von dem wir alle gerade gemeinsam Zeugen gewor-den sind. Das unterscheidet die Veranstaltung von einer Unterrichtsveranstaltung, wie Studierende sie üblicherweise in der Schule oder in der Hochschule erleben. 1. Sitzung: Wie nehmen wir uns wahr? Um die Wahrnehmungsqualität zu fördern und den interaktiven Charakter des Se-minars schon am Anfang deutlich zu machen, arbeite ich bereits in der Vorstellungs-runde mit einem Feedbackverfahren. In der ersten Runde nennen die Teilnehmer/ innen nur ihren Namen und die anderen vermuten, welche Fächer und welches Lehramt diese Person studiert. Es ist letztlich dabei nicht wichtig, ob die „richtigen“ Fächer erraten werden, wichtig ist vielmehr, dass jede/r Teilnehmer/in seine Auf-merksamkeit in aktiver Weise auf die anderen Teilnehmer/innen richtet. Natürlich ist es auch spannend für die Person im Fokus, welche Projektionen sie bei den ande-ren auslöst. Vorausgesetzt wird dabei, dass alle Fächer und alle Lehrämter eine glei-che Wertigkeit haben. Die Aufl ösung, die jeweils nach fünf bis acht Vermutungen ge-schieht, wird von allen mit Spannung verfolgt. Die Teilnehmer/innen melden nach dieser Art der Vorstellungsrunde zurück, dass sie wach sind und die Gesichter al-ler Teilnehmer/innen kennen; diese Übung rauscht nicht wie eine übliche Vorstel-lungsrunde an den Teilnehmer/inne/n vorbei, vielmehr schafft sie Präsenz. Außer-dem wird hier schon eine zentrale Lehrer/innen/kompetenz deutlich: Wir arbeiten mit unseren Projektionen, sie können zu einer guten Intuition werden und haben viel mit unseren eigenen Erfahrungen zu tun. Das kann uns helfen, um uns in neu-en Gruppen schnell orientieren zu können. Gleichzeitig können wir uns mit unseren Intuitionen auch irren und es ist sinnvoll, sich seiner Vor-Urteile bewusst zu werden, 1 Materialsammlung unter www.waxmann.com/buch2779. 2 Als Lehrer/in in der Schule praktizieren sie auch eine Form von Multitasking, sie müssen Fachinhalte vermitteln, gleichzeitig sollen sie z. B. Entwicklungen beobachten, fördern, beur-teilen, Gruppenprozesse begleiten … Einführung von Dimensionen der Refl exion 27 um Personen nicht in Schubladen zu stecken. Als Hausaufgabe schreiben die Teil-nehmer/ innen ihre subjektiven Th eorien zum Lehrberuf auf.3 2. Sitzung: Unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten In der zweiten Sitzung arbeite ich mit soziometrischen Methoden, d. h. die Studieren-den nehmen einen Platz im Raum je nach vorgegebenem Th ema ein. Ziel hierbei ist die Lernerfahrung, dass ich je nach Th ema ganz unterschiedliche Zugehörigkei-ten habe und dass ich mich in einer Gruppe nicht fi xieren muss auf eine eher zufäl-lig entstandene Nähe. Stattdessen stellt die gesamte Gruppe ein Angebot bereit, mich je nach Facette nah und distanziert zu fühlen. Deutlich wird auch, wie reich eine Gruppe gerade in ihrer Verschiedenheit ist. Ich beginne immer mit der Orientierung im Raum: Mit Bambusstäben werden die Himmelsrichtungen im Raum gefunden und markiert, in diesen Koordinaten bestimmen die Studierenden den Platz ihres Geburtsortes. Weitere Fragestellungen, die ich gerne nutze, lauten: „Wessen Eltern oder Großeltern sind schon Lehrer/in oder in pädagogischen Berufen tätig?“ „Ord-nen Sie sich nach Fächern und Schulformen zu!“ „Wer hat schon eine Berufsausbil-dung?“, „Wie ist Ihre Position in der Geschwisterreihe?“, auch Fragestellungen der Studierenden werden umgesetzt. Zum Abschluss der Soziometrie stelle ich die Fra-ge: „Stellen Sie sich vor, die Schulen würden abgeschafft und es gäbe auch keine Leh-rer/ innen mehr. Was wäre Ihr zweiter Berufswunsch? Sie dürfen nach den Sternen greifen, müssen sich nicht von NC oder Verdienstmöglichkeiten beeinfl ussen lassen. Vielleicht ist dies sogar Ihr eigentlicher Traumberuf!“4 In dieser Runde entsteht oft eine lebendige Atmosphäre, die eventuell von den Eltern ausgeredeten Lebensent-würfe kommen zum Vorschein, viele Ressourcen werden sichtbar, die Studierenden sollen auch ihre Zweifel bezüglich des Lehrberufs äußern können und andere Ent-würfe aufzeigen. Als Hausaufgabe führen sie ein Selbsteinschätzungsverfahren „Fit für den Lehrerberuf “5 durch. Außerdem besprechen wir, wie sie sich frühzeitig um einen Praktikumsplatz an einer Schule ihres Lehramts bewerben. 3. Sitzung: Kompetenzen und Herausforderungen entdecken In der dritten Sitzung besprechen wir zunächst die Ergebnisse des Selbsteinschät-zungsverfahrens, gehen kritisch auf die Items ein und refl ektieren, welche Fragen die Studierenden sinnvoll fanden und welche sie anders gestellt hätten. Dann sollen die Studierenden zwei Kompetenzen, über die sie schon für den Lehrberuf verfügen, auf je eine gelbe Karte schreiben und zwei Kompetenzen, die sie noch entwickeln möch- 3 Hierzu mehr im Artikel Kricke/Reich. 4 Diese Idee habe ich bei Heinrich Dauber kennengelernt, als ich 2010 an der Fortbildung „Psychosoziale Basiskompetenzen“ in Fuldatal teilgenommen habe. 5 http://www.dbb.de/fi leadmin/pdfs/projekte/lehrerstudie_fragebogen_fi t.pdf (Stand 03.07.2012). 28 Annette Hummelsheim ten, auf je eine grüne Karte. Die Kursleitung legt einen „Lehrkörper“6 in Form ei-nes Strichmenschen aus Bambusstäben in die Raummitte und die Studierenden le-gen nacheinander ihre Karten mit kurzen Kommentaren in die Körperregionen, wo sie diese Kompetenz lokalisieren. Ich beobachte immer wieder, dass sehr viele Kar-ten im Kopfb ereich liegen, viele grüne Karten im Herzbereich, ganz wenige Karten in der Bein- und Fußregion, auch der Arm- und Handbereich ist noch unterreprä-sentiert. Wie viel der Lehrberuf mit Standfestigkeit, Bodenkontakt, Flexibilität zu tun hat, ist den Studierenden noch nicht bewusst; auch die „Handlungsfähigkeit“ kommt wenig in den Blick. Am Anfang spielen sich für viele Studierende die wesentlichen Kompetenzen im Kopf ab. Über das Bodenbild wird dies für die Beobachtung zu-gänglich und kann miteinander refl ektiert werden. Für den Gruppenprozess entsteht hier ein wichtiger neuer Schritt: Das Erleben von Gemeinsamkeiten in dem, was sie sich noch nicht zutrauen, und in dem, was ihnen schon zur Verfügung steht. So wird deutlich, dass es einigen noch schwer fällt, sich abzugrenzen, einige haben Sorgen, dass ihre Stimme nicht trägt, und bei vielen das noch wenig entwickelte Selbstver-trauen vor einer Gruppe bestehen zu können; zur Verfügung steht den meisten, dass sie Kinder mögen, einfühlsam sind, mit dem Herzen dabei sind, Interesse an ihren Fächern haben! Ein wichtiger Nebeneff ekt dieser Übung ist, dass jede Person sich von ihrer Wachstumsseite und von ihrer Erfolgsseite7 in der Gruppe gezeigt hat. Dies ist für das Gruppenklima wichtig: Ich kann mich stark und schwach zeigen, meine Schwächen isolieren mich nicht, vielmehr lassen sie mich dazu gehören; es gibt Ähn-lichkeiten, ich bin nicht alleine mit meinen Th emen, jede/r hat seine Baustellen.8 Von der Selbsteinschätzung zur Selbsterkundung Ab der vierten Sitzung geht es dann um Selbsterkundung. Der Unterschied zur Selbsteinschätzung besteht darin, dass die Studierenden Übungen durchführen, in denen sie miteinander agieren. Vor dem Hintergrund des Erlebten geben sie sich ge-genseitig Feedback und steuern ihren Selbstbildungsprozess. Bezüglich der Übungen habe ich mich in meiner Seminarplanung von dem an der Hochschule Kassel entwi-ckelten Modell der psychosozialen Basiskompetenzen anregen lassen.9 In Kassel han- 6 Vgl. in diesem Buch den Artikel zum Th ema Körperkompetenzen von Daniels. 7 Zu diesen Schlüsselwörtern aus der Portfolioarbeit vgl. Artikel von Kricke und Reich in die-sem Band. 8 Mit dieser Art Übungen entsteht eine Haltung der Authentizität. Ich muss den anderen nichts vormachen, wir können so miteinander lernen, wie wir sind. Das mag in besonderer Weise dazu beitragen, dass die Studierenden in den Rückmeldungen das Seminar als „famili-är“, „entspannt“ und „harmonisch“ beschreiben, obwohl die Übungen sie persönlich fordern. Ein Student drückte es so aus: „Es ist anstrengend, aber es lohnt sich“. 9 Für dieses Studienmodul ist die Universität Kassel 2008 mit dem „1. Projektpreis für Exzel-lenz in der Lehre“ vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der ge-meinnützigen Hertie-Stift ung ausgezeichnet worden. Quelle: Zentrum für Lehrerbildung. Universität Kassel. Manual zur Durchführung eines zweitägigen Seminars „Psychosoziale Ba-siskompetenzen für den Lehrerberuf. Oktober 2008“. Inzwischen ist die Arbeit mit dem Mo-dul auch als Buch erschienen: Bosse/Dauber/Döring-Seipel/Nolle 2012. Einführung von Dimensionen der Refl exion 29 delt es sich um ein verbindliches Wochenende, an dem jeweils zwölf Lehramtsstudie-rende zu Beginn ihres Studiums unter der Leitung von zwei professionellen Teamer/ inne/n verbindlich teilnehmen, um möglichst frühzeitig ihre Berufsentscheidung zu refl ektieren und auf Stärken und Schwächen aufmerksam zu werden. Es gibt ein Feedbackgespräch, in dem die Studierenden über für sie individuell passende wei-terführende Unterstützungsangebote informiert werden. Dieses Modell ist auf Salu-togenese10 gerichtet. Es geht von einer Studie aus, die besagt, dass die Gründe für ein Scheitern im späteren Beruf in der Regel nicht in einer mangelnden Fachlich-keit, sondern vielmehr in einem nur eingeschränkt ausgebildeten Bereich der psy-chosozialen Kompetenzen zu fi nden sind. Die Forschungsgruppe um Heinrich Dau-ber in Kassel unterscheidet hier vier Basiskompetenzen: die Selbstkompetenz, die Handlungskompetenz, die Systemkompetenz und die Sozialkompetenz. Zu jeder die-ser Kompetenzen hat sie ein Übungssetting entworfen, das ich teils übernommen, teils auch verändert und für das Konzept „Orientierungspraktikum“ weiterentwickelt habe. 4. Sitzung: Teamfähigkeit Die erste Übung, die die Studierenden in der vierten Sitzung durchführen, setzt den Fokus auf die Systemkompetenz. Es geht darum, in einem Team von jeweils ca. fünf Mitgliedern „innerhalb vorgegebener systemischer Bedingungen einen eigenen ak-tiven Beitrag zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu leisten“ (Zentrum für Lehrerbil-dung der Universität Kassel 2008, 9). Die Aufgabe besteht darin, aus drei DIN-A3- Blättern einen Turm zu bauen, der möglichst hoch, möglichst stabil und möglichst kreativ ausfallen soll; dazu haben die Teams 20 Minuten Zeit, sie stehen miteinan-der in Konkurrenz. Diese Kooperationsübung ist eigentlich ein Klassiker, und eini-ge wenige Studierende kennen diese Übung aus dem Schulunterricht, der Jugendar-beit oder auch einer Bewerbungssituation. Trotzdem lohnt es sich, die Übung unter den veränderten Rahmenbedingungen erneut durchzuführen, da es weniger um den spielerischen Charakter als vielmehr um die Bewusstwerdung der eigenen Muster und der Zusammenarbeit in der konkreten Gruppe geht. Genau dies refl ektieren die Studierenden im Anschluss miteinander. Sie teilen sich gegenseitig mit, wie das En-gagement verteilt war, wie sie sich einbringen konnten, durch welche Handlungswei-sen der anderen sie sich unterstützt oder verhindert fühlten. In dieser Phase des Se-minars wird meist deutlich, dass die Tendenz noch dahin geht, zu harmonisieren. Es ist eine große Herausforderung, das eigene Verhalten und das der anderen diff eren-ziert wahrzunehmen und aufmerksam mitzuteilen. Vertiefend sollen die Studieren-den in einer Hausaufgabe Aspekte von Teamfähigkeit benennen und aufgrund der Erfahrung in der Übung, das Feedback der anderen einbauend, refl ektieren, wo sie stehen und wie sie in dem Bereich ihre Entwicklung weiter steuern wollen. Für viele Studierende ist die Kooperation mit dem Blick für das Ganze ein überraschender As- 10 Vgl. Beitrag von Erbring in diesem Buch. 30 Annette Hummelsheim pekt des Lehrberufs, denn viele haben Lehrer/innen als Einzelkämpfer wahrgenom-men. In der nächsten Sitzung besprechen wir die Hausaufgabe und erweitern das Th ema zum Praktikum hin, nämlich als Aufgabe zu beobachten, wie Schüler/innen miteinander in Gruppenarbeiten kooperieren und wie Lehrer/innen sie darin unter-stützen. Aus den Teams dieser Übung bilden sich ab der vierten Sitzung Lernteams, die auch außerhalb des Seminars für gegenseitige Rückfragen zuständig sind, Th emen miteinander vorbereiten und auch im Seminarrahmen zwischendurch als Kerngrup-pen zusammen arbeiten.11 5. bis 7. Sitzung: Biografi sche Schlüsselsituationen – von der Erfahrung zur Theorie In der zweiten Übung geht es dann weiterführend um „Selbstkompetenz“, es geht um die Fähigkeit zur Selbstrefl exion anhand einer biografi schen Schlüsselsituation aus der eigenen Schulzeit. In einer einführenden Visualisierungsübung lade ich ein, die eigene Schulzeit noch einmal in den Blick zu nehmen und aufmerksam zu sein für Situationen, die bei diesen Bildern auft auchen. Falls mehrere Situationen erin-nert werden, sollen die Studierenden schauen, welche Situation gerade lebendiger ist, stärker in den Vordergrund kommt. Dann stelle ich eine große Kiste Bauklöt-ze in der Mitte des Raumes zur Verfügung und rege die Studierenden an, mit die-sen Klötzen die damals erlebte Situation nachzubauen, wichtig ist, dass sie auch für sich selbst symbolisch ein Klötzchen in diesem Bauwerk platzieren. Dann schreiben sie noch einen Titel auf. Zunächst schauen wir in einem Galerierundgang alle Ins-tallationen an, dann erzählen sich in einer Partnerarbeit jeweils zwei Personen ge-genseitig ihre Situation. Dies ist von Bedeutung, denn es können in dieser Sitzung im Plenum nur wenige Bauwerke vorgestellt werden und jede Person sollte in der Sitzung schon einer anderen Person die eigene Geschichte mitgeteilt haben. Es ent-steht hier eine Form von narrativer Pädagogik. Wir werden eine Erzählgemeinschaft , in der die Freuden und Nöte der eigenen Schulzeit gezeigt werden. Die Erfahrung ist, dass die negativen Situationen etwas überwiegen, sie scheinen einen prägende-ren Eindruck zu hinterlassen; hier besteht eine große Chance darin, kränkende Situ-ationen zu „heilen“ im Sinne von: Wir rekonstruieren alte Erfahrungen, wir können sie auch wieder dekonstruieren, indem wir die Bauklötze verändern, einen Lehrer z. B. von seinem Sockel herunterholen. Spannend, wie das dann geschieht, mache ich mich dafür größer, oder den/die Lehrer/in kleiner? Der/die Protagonist/in konstru-iert eine Situation, die ihr/ihm aus der heutigen Sicht gut getan hätte, fi ndet eine Lö-sung aus dem erwachsenen Bewusstsein. Die Hausaufgabe besteht dann darin, auch eine jeweils andere Situation zu fi nden, also, wenn eine negative Situation dargestellt wurde, auch eine positive aufzuschreiben, damit eine Auseinandersetzung mit beiden Qualitäten stattfi ndet. 11 Vgl. Lernteams im Artikel von Kricke/Reich. Einführung von Dimensionen der Refl exion 31 Spannend ist in dieser Phase des Seminars, dass bei fast jeder Situation ein Inte-resse entsteht, über die damit verbundenen pädagogischen Th emen zu sprechen. Als Hausaufgabe rege ich an, Schlagwörter zu benennen für die vorgestellten Situatio-nen, unter denen man nachschauen könnte, um weiterführende Literatur zu fi nden; allerdings würde es den Rahmen des Seminars sprengen, in diese Diskussionen ein-zusteigen, hier geht es um die Kompetenz, eigene biografi sche Erfahrungen für sich selbst und andere darstellen zu können; darüber hinaus um die Kompetenz, beim Zuhören Empathie zu erleben, sich identifi zieren zu können und in einem „Sharing“ mit dem Protagonisten/der Protagonistin, der/die gerade eine biografi sche Schlüssel-situation erzählt hat, das Gefühl zu teilen, ihm/ihr zu verstehen zu geben, dass er/ sie nicht alleine ist mit dieser Erfahrung. Und schließlich geht es für den Protagonis-ten/ die Protagonistin darum zu erleben, als erwachsene Person diesen Erfahrungen nicht mehr hilfl os ausgeliefert sein zu müssen, sondern konstruktiv damit umgehen zu können. Im Sinne der Resilienzforschung kann geschaut werden, wie diese Erfah-rung für die weitere Entwicklung genutzt werden konnte. Im Sinne eines Reframings kann eine neue Perspektive auf diese Erfahrung hin eingenommen werden. Die dar-gestellte Erfahrung hat auch den Zweck, dass die meisten Anwesenden etwas ver-standen haben von der Not dieses Kindes, und das könnte einen wichtigen Beitrag leisten zur Sensibilisierung und auch Professionalisierung der angehenden Lehrkräf-te. Die positiven Erfahrungen sind ermutigend. Schulgeschichten zu hören, in de-nen etwas gut gelungen ist, machen Lust auf den Beruf und zeigen modellhaft Leh-rer/ innen/verhalten, das als Geschichte erzählt, inspiriert zu eigenem konstruktiven Verhalten! Meine Erfahrung sagt, dass es kostbare Zeit ist, auch drei Sitzungen mit diesen Geschichten zu verbringen, da hier intensives biografi sches Lernen stattfi n-det. Die Teilnehmer/innen lernen sich in einer Weise kennen, die sehr viel Verständ-nis öff net für jede/n einzelne/n. Außerdem werden es im Moment der Identifi kation mit den Protagonist/inn/en immer mehr oder weniger die eigenen Geschichten, wo-durch die Empathie- und Selbstrefl exionsfähigkeit geübt wird. Es wird auch in der Schule nicht ein Leben ohne Verletzungen geben, aber die schlimmen Geschichten bergen das Potenzial, die angehenden Lehrer/innen in gewisser Weise zu „impräg-nieren“ gegen eigene kränkende Verhaltensweisen, da sie Geschichten gehört haben, wie dieses Verhalten Kindern und Jugendlichen „unter die Haut geht“. Ich schreibe hier so ausführlich über diesen Teil des Seminars, da er derjenige ist, den mir die Studierenden im Nachhinein als den beschreiben, der sie am meis-ten beeindruckt hat. Ich habe erlebt, dass Studierende in dieser Phase von Erfahrun-gen erzählt haben, die sie bisher noch keinem erzählt haben. In den Geschichten wird unter anderem spürbar, wie einsam und ausgeliefert Kinder in der Schule sein können, und es besteht die berechtigte Sorge, dass Lehrer/innen zur Wiederholung von erlittenem Unrecht neigen, wenn sie diese Erfahrungen nicht bearbeitet haben. Es berührt mich sehr, wenn Studierende nach diesen Sitzungen zeigen, dass sich für sie ein Knoten gelöst hat, dass sie freier und selbstbewusster sind. Dauber spricht bei dieser Kompetenz auch von der Fähigkeit zur Selbstwertschätzung (Zentrum für Lehrerbildung der Universität Kassel 2008, 8). Wenn wir möchten, dass Schüler/in- 32 Annette Hummelsheim nen in einer Atmosphäre von Wertschätzung12 lernen, ist die Selbstwertschätzung der Lehrer/innen ein wichtiger Schlüssel dazu! Zum Abschluss dieser Einheit geht es auch hier wieder um das anstehende Prak-tikum: Welche Beobachtungen will ich im OP machen, wie kann ich diese aktiv un-terstützen, welche Fragen stelle ich mir, wenn ich jetzt nicht mehr als Schüler/in dorthin gehe sondern als jemand, der/die die Seite wechselt. Wenn die Gruppe groß ist, können nicht alle Installationen im Plenum besprochen werden, dann werden die Geschichten nach einer vorgegebenen Struktur in den Lernteams erzählt. Ich habe in dieser Einheit angedeutet, wie aus Erfahrungen und Selbstrefl exionen ein Weg zur Th eorie gebahnt werden kann. Eine Situation als „fragwürdig“ erleben, schauen, welche pädagogischen Th emen darin stecken, formulieren von Oberbegrif-fen und Schlagwörtern, zu diesen wiederum dann Literatur recherchieren z. B. in der pädagogischen Datenbank FIS13, dies ist die Hausaufgabe für die nächste Sitzung. So lernen die Studierenden einen Ansatz kennen, mit dem sie in der Praxis durch Th eo-rie neue Perspektiven erhalten können. 8. und 9. Sitzung: Antinomien des pädagogischen Handelns – von der Theorie zur (Selbst-)Refl exion Im folgenden Abschnitt möchte ich kurz skizzieren, wie dieser Weg auch umgekehrt erfolgen kann, wie also Th eorie einmünden kann in Selbstrefl exion. Einer der beiden obligatorischen Th eorietexte stammt von Werner Helsper (2007), er stellt die Antino-mien des pädagogischen Handelns dar. Die Studierenden lesen den Aufsatz arbeitsteilig nach Lernteamzugehörigkeit und bringen in die nächste Sitzung eine Visualisierung „ihrer“ Antinomie mit. Diese stel-len sie sich gegenseitig in ihren Lernteams vor. Sie erarbeiten und diskutieren die Antinomie, dann fi nden sie Beispiele aus dem pädagogischen Alltag dazu. Schließ-lich erarbeiten sie eine Form, in der sie „ihre“ Antinomie den anderen Lernteams vorstellen. Dazu gehört auch, dass sie die Implikationen entfalten, die diese Wider-spruchskonstellation für die eigene Lehrer/innen/persönlichkeit mit sich bringt. Als Beispiel nenne ich hier die „Antinomie von Nähe und Distanz“. Viele entscheiden sich für ein Lehramtsstudium, weil sie Kinder mögen und viel Nähe mit Kindern und Jugendlichen anstreben. Dass diese Nähe nicht immer günstig die eigene Pro-fessionalität unterstützt, ist für viele ein Aha-Erlebnis; in den beiden letzten Semes-tern stand bei diesem Th ema unvermeidlich der Missbrauchsskandal im Raum, aber auch die Frage nach Gerechtigkeit (Kann ich allen Schüler/inne/n gleich nah sein?) und Gefährdung durch Burnout (Wie viel Nähe zu den Schüler/inne/n halte ich aus, wie kann ich mich abgrenzen?) sind wichtige Aspekte dieser Antinomie. Dabei geht 12 Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt in vielen seiner Publikationen, dass Lernen in einem Angstkontext nicht gelingen kann, denn wenn das Gehirn mit der Bewältigung der Angst be-schäft igt ist, kann es in dem Moment nicht frei für neue Inhalte sein. 13 Fachportal Pädagogik, FIS Fachinformationssystem Bildung: http://www.fachportal-paedago-gik. de/fi s_bildung/fi s_form.html (Stand 03.07.2012) Einführung von Dimensionen der Refl exion 33 es nicht darum, das „richtige“ Verhalten zu fi nden, vielmehr kann diese Entschei-dung immer nur als individuelle Passung geschehen, die kommunizierbar und Ar-gumenten zugänglich sein sollte.14 Auch aus der Beschäft igung mit den Antinomien lassen sich individuelle Beobachtungsschwerpunkte für das Praktikum ableiten, was die Hausaufgabe für die nächste Sitzung ist. Wenn die Studierenden die Grundstruktur pädagogischen Handelns refl ektieren als eine, die immer schon geprägt ist durch eine nicht aufh ebbare Widersprüchlich-keit, dann beginnt in dieser Refl exion eine neue Etappe der „Expedition Orientie-rungspraktikum“. Für die angehenden Lehrer/innen hat dies etwas vom „Sündenfall“ der Pädagogik; wenn sie von den „Früchten der Widersprüchlichkeit“ gekostet ha-ben, werden sie vertrieben aus dem „Paradies der eindeutigen Wertungen“. Die Fol-gen können mit „Bauchgrummeln“ des Nicht-mehr-Wissens, was richtig ist, einher-gehen; sie sollten dann aber zu einer neuen Freiheit und Verantwortlichkeit führen, in der die angehenden Lehrer/innen die Widersprüche als Herausforderungen ver-stehen, die sie gestalten können und sollen. Helsper schreibt: „An die Stelle einer Le-gitimation des pädagogischen Handelns durch die Rückendeckung des Allgemeinen und die Gratiskraft des normativ Selbstverständlichen wird die Person des Pädago-gen gerückt, der stellvertretend dafür bürgt, wie mit der Unsicherheit, der kulturel-len Vielfalt und den Orientierungsauff orderungen umgegangen werden kann“ (Hel-sper 2007, 23). 10. und 11. Sitzung: Die Wirkung der eigenen Person in Rahmen der Rolle wahrnehmen Die „Person des Pädagogen/der Pädagogin“ ist das Stichwort, um in der nächsten Phase des Seminars die dritte pädagogische Basiskompetenz, die Handlungskompe-tenz, zu erkunden.15 Hier geht es um die Refl exion der Wirkung, die eine Person durch ihr Handeln erreicht; dazu wird ein Übungssetting geschaff en, in dem ein/e Studierende/r sich zwei Minuten vor einer neuen Klasse präsentiert. Er/sie stellt sich als Praktikant/in vor und nimmt Kontakt auf zu der neuen Lerngruppe. Die Seminargruppe „spielt“ die Klasse, es sollen keine herausfordernden pädagogischen Szenen inszeniert werden, vielmehr soll die Klasse auf der Metaebene genau beob-achten, wie der Kollege/die Kollegin agiert und welche Wirkungen durch diese Ak-tionen entstehen. Die Kunst besteht im Feedbackgeben, das immer am beobachtba- 14 Helsper (2007, 26) ermutigt hier zum Experimentieren, es geht bei allen Antinomien um ein situatives Ausbalancieren. Im Kontext dieser Antinomie erwähnt Helsper das Th ema Super-vision im Sinne eines hilfreichen Refl exionselements für Lehrer/innen in der Beziehungsar-beit mit Schüler/inne/n: „Von dieser Grenzziehung aus sind aber experimentelle Handlungen erforderlich, was auch zu krisenhaft en Erfahrungen und emotionalen Verstrickungen führen kann, (…). Dazu aber bedarf es der systematischen Refl exion des eigenen Handelns. In Form von teambezogener Fallarbeit oder Supervision können Verstrickungen in die Spannungen pädagogischen Handelns zugänglich gemacht und auch die biographischen Anteile an dieser Verstrickung refl ektiert werden (vgl. Bernfeld 1973).“ 15 Vgl. Beitrag von Daniels in diesem Band. 34 Annette Hummelsheim ren Verhalten und ressourcenorientiert ansetzen soll. Spannend an dieser Übung ist die Diskrepanz von Vorstellung und Realisation; Studierende nehmen sich vor, in ei-ner bestimmten Weise zu wirken, diese Projektion kommt aber nicht immer in der gewünschten Weise beim Gegenüber an. Der Gewinn der Übung besteht im Aufh el-len der blinden Flecken. Da sie in einer wertschätzenden Atmosphäre durchgeführt wird, sind die Studierenden sehr interessiert, etwas über ihre Wirkung zu erfahren. Es geht hier nicht um einen rhetorisch und körpersprachlich perfekten Auft ritt, viel-mehr das Sichtbarmachen der eigenen Person im Rahmen der Rolle. Jeder Auft ritt liefert neuen Anlass, um dieses Verhältnis zu refl ektieren. Die Refl exion wird präsent und lebendig durch das aktuell gemeinsam Erlebte. Ein besonderer Lerneff ekt be-steht darin, dass dieselbe Verhaltensweise sehr verschieden wahrgenommen und ge-deutet wird, eine wichtige Lektion hinsichtlich eines konstruktivistischen Kommuni-kationsverständnisses und der Wirkweise von Interventionen.16 12. Sitzung: Die Rolle als Praktikant/inn/en in der Schule Diese Sitzung ist für die Studierenden handlungsrelevant, da es im Sinne des Ex-peditionsgedankens um die Vorbereitung der Landung am Zielort Schule geht. Wir erkunden „Landkarten“ und refl ektieren die Rolle als Praktikanten/Praktikantin als Gäste auf Zeit mit einer Aufgabe.17 Wichtige Fragen, zu denen wir uns austauschen: Wie könnten Lehrer/innen auf Praktikanten/Praktikantinnen reagieren? Was haben die Lehrer/innen von mir als Praktikant/Praktikantin? Wie nehme ich Kontakt auf? Damit für die Zeit des Praktikums eine tragfähige Idee entsteht, bearbeiten die Studierenden neben den verbindlichen Portfolioaufgaben die folgende „zirkuläre Frage“ als Hausaufgabe: „Stellen Sie sich vor, das Praktikum liegt eine Woche hinter Ihnen, und Sie sind höchst zufrieden! Was ist passiert, und vor allem, was haben Sie selbst dazu beigetragen?“ Durch die in die Zukunft verlagerte abgeschlossene Vergan-genheit soll im Sinne einer Bahnung die aktive Gestaltung und Beeinfl ussbarkeit der Situation angeregt werden. 13. Sitzung: Refl exion des bisherigen Prozesses Ein Austausch zu den Hausaufgaben inspiriert die Studierenden zu Eigeninitiative und Selbstverantwortung am Lernort Schule. Wir refl ektieren dann miteinander die zurückliegenden Sitzungen und vieles be-kommt im Nachhinein erst seine Sinnhaft igkeit. Ich erlebe Studierende, die jetzt 16 Auf einem systemisch-konstruktivistischen Hintergrund werden Menschen als „autopoe-tische Wesen“ verstanden, die nicht einfach verändert werden können, und Helsper zitiert Luhmann/Schorr, wenn er vom „Technologiedefi zit pädagogischen Handelns“ spricht. (Hel-sper 2007, 18) 17 Diese sind durch das Portfolio und die Standards des Ministeriums vorstrukturiert, vgl. Bei-trag von Kricke/Reich in diesem Band. Einführung von Dimensionen der Refl exion 35 nicht mehr danach fragen, wie etwas „richtig“ ist. Stattdessen haben sie einen Blick für Zusammenhänge entwickelt und sie sind bereit, in Kontakt zu gehen, sie stellen ihre eigenen Fragen, sie haben Ideen für Beobachtungsschwerpunkte. So lasse ich sie gerne „von Bord“ gehen, und ich bin gespannt, mit welchen Er-fahrungen und Fragen sie zu den Begleitveranstaltungen zurückkommen. Ausblick Die Phase der Begleitveranstaltungen und der Nachbereitung müsste in einem eige-nen Beitrag vorgestellt werden. Hier nur so viel: In den Begleitveranstaltungen wird mit der Methode der Kollegialen Fallberatung die vierte Basiskompetenz vorgestellt und eingeübt, die Sozialkompetenz. Es entstehen vielfältige Situationen, um Th eorie- Praxis-Verknüpfungen herzustellen. In der Nachbereitung bekommen verschiedene Formen des Feedbacks einen zentralen Stellenwert.18 Im Sinne der Expeditionsmetapher möchte ich mit einem Aphorismus schließen, der die Aufb ruchstimmung zum Ausdruck bringt, zu der Dimensionen der Refl exion im Sinne des Empowerments einladen wollen: Auch der richtige Wind bringt mein Boot nicht an sein Ziel, wenn ich es nicht losbinde. (Karin Jahnke)19 18 S. Beitrag in diesem Buch von Aldermann/Barausch-Hummes. 19 FAZ, 03.11.2006, S. 9. Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 37 Bettina Amrhein & Meike Kricke Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule: Chancen portfoliogestützter Refl exionsarbeit in der Begleitung von (Orientierungs-)Praktika Wenn Tina Hascher (2011) vom „Mythos Praktikum“ spricht, dann bezieht sie sich auch auf neuere Untersuchungen, die die berufspraktische Ausbildung im Rahmen des Lehramtsstudiums hinterfragen. Dabei geht dieser Mythos von der ungeprüft en Überzeugung aus, dass Praktika eine zentrale Bedeutung für die Professionalisierung hätten (Teml/Teml 2012, 10). Folgt man Arnold et al., so sind Praktika als „Herz-stück der Lehrerbildung“ jedoch heft ig umstritten (2011, 73). Als Chance werden da-her in der theoretischen Diskussion „Refl exive Praktika“ gefordert (Herzog 1995). Ihr Ziel ist es, die Studierenden zur Refl exion ihrer berufspraktischen Erfahrungen auf ihrem Professionalisierungsweg anzuregen und sie dabei beratend zu begleiten. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie das in NRW obligatorisch eingeführte Portfolio Praxiselemente als Refl exionsinstrument sinnvoll für die Professionalisie-rung angehender Lehrkräft e in Bezug auf die anstehenden Entwicklungsprozesse in Richtung Inklusion genutzt werden kann. Dabei werden ausgewählte Methoden und erste empirische Ergebnisse aus einem Pilotseminar vorgestellt.1 Refl exive Praktika und Portfolioarbeit In Anlehnung an Combe/Kolbe (2004, 835) und Wildt (1995, 2003) betonen Häcker/ Winter Refl exionskompetenz als „Schlüsselkompetenz von Professionalität“: „Die Komplexität pädagogischer Handlungssituationen macht es erforderlich, dass Lehr-kräft e sich nicht nur ‚in tradierten Schemata‘ bewegen und reagieren, sondern aktiv in der individuellen Situation handeln – dafür bedarf es eines hohen ‚Maßes an Be-wusstheit‘. Entsprechend wird Refl exivität (…) als Schlüsselkompetenz von Professi-onalität aufgefasst.“ (2009, 229) Folgt man Häcker/Winter (2009, 292), verspricht Portfolioarbeit diese Refl exivi-tät zu fördern. Dabei wird jedoch auch nicht verschwiegen, dass wir es hier mit einer besonders anspruchsvollen Situation zu tun haben, die an bestimmte Voraussetzun-gen im didaktischen Setting gebunden ist: „Die Einführung von Portfolioarbeit be-darf, wenn sie nachhaltig in der Lehrer/innen/ausbildung verankert werden soll, ei-ner stimmigen Einbettung in ein didaktisches Gesamtkonzept“ (Häcker 2012, 263). 1 Eine vertieft e empirische Analyse ist in Planung (Amrhein/Kricke 2013). 38 Bettina Amrhein & Meike Kricke Inklusion – neue Anforderungen an die Lehrer/innen/bildung Nordrhein-Westfalen schreibt im Lehrerausbildungsgesetz (LABG) fest, dass das Land und die Hochschulen eine Lehrer/innen/ausbildung gewährleisten, die die Be-dürfnisse der Schulen berücksichtigt (vgl. LABG 2009, §1 (1)). Somit hat die Lehr-amtsausbildung qua Gesetz die Verpfl ichtung, Studierende aller Lehrämter auf die sich rapide verändernde Schullandschaft in Richtung Inklusion und damit auf den Unterricht in immer heterogener werdenden Lerngruppen vorzubereiten. Lehrkräft e können zukünft ig nicht mehr erwarten, Schüler/inne/n gegenüberzustehen, die origi-när einer Schulform zugeschrieben werden. Die strukturelle Trennung der aktuellen Lehramtsausbildung in unterschiedliche Lehrämter steht jedoch im starken Widerspruch zu dieser Entwicklung hin zu ei-nem „inclusive school system at all levels“ (UN-Konvention 2006) und die aktuelle Lehrer/innen/bildung gerät dadurch in eine Schiefl age. Durch den in allen Ländern zahlenmäßig sehr unterschiedlichen Anstieg von Schüler/inne/n mit sonderpädago-gischem Förderbedarf an Regelschulen2 ist es immer wahrscheinlicher, dass Studie-rende schon in ihren universitären Praxisphasen mit integrativen/inklusiven Settings in Berührung kommen, und daher wichtig, dass diese Erfahrungen auch refl exiv be-gleitet werden. Die momentane Ausbildungssituation nimmt Lehramtsstudierenden trotz dieser Entwicklungen die Möglichkeiten über die engen Lehramtsgrenzen hinweg, Schule und ihre zukünft ige Lehrer/innen/rolle in inklusiven Settings zu refl ektieren. Für NRW konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Lehramtsstudierende zur-zeit auf diese neue Situation nicht angemessen vorbereitet werden (Amrhein 2012). An nur zwei Standorten (Köln/Dortmund) werden zukünft ige Sonderschullehrkräf-te ausgebildet und viele der angebotenen Lernveranstaltungen, die im Titel Heil-, Sonder-, oder Förderpädagogik tragen, sind auch nur für das Lehramt Sonderpäd-agogik zugelassen. Es konnten lediglich an vier von elf verschiedenen Universitäten lehramtsübergreifende Veranstaltungen zu sonderpädagogischen Grundlagen für alle Lehramtsstudiengänge gefunden werden. Damit bleibt die Trennung der Lehramts-studiengänge insbesondere zwischen der Sonderpädagogik und den Regelstudien-gängen weiterhin bestehen. Ein Großteil der recherchierten Veranstaltungen ist dem Bereich der Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaft en zugeordnet und nicht den Fä-chern. Die Notwendigkeit einer inklusiven Ausgestaltung des Fachunterrichts ist in den Fachwissenschaft en und Fachdidaktiken noch nicht angekommen. Veranstaltun-gen zum Th ema Vielfalt, Heterogenität und Diversität sind gehäuft für das Lehramt Grundschule zu fi nden. Die Praxisphasen sind nicht an Inklusion ausgerichtet. Das Angebot bleibt, wenn überhaupt, freiwillig wählbar. 2 Vgl. http://www.bertelsmann-stift ung.de/cps/rde/xbcr/SID-E316F5D1-9B79184A/bst/xcms_ bst_dms_35788_35789_2.pdf (Stand 09.11.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 39 Das Pilotseminar Diese Leerstelle in der momentanen Ausbildung von Studierenden aller Lehräm-ter hat uns dazu bewogen, ein Seminarkonzept zu entwickeln, welches zumindest einigen Studierenden3 aktuell die Chance bietet, bereits in einer frühen Phase ih-res Studiums theoretisch wie praktisch in Kontakt mit Konzepten zum Umgang mit Verschiedenheit in der Schule zu kommen. Dabei wird die eigene refl exive Ausein-andersetzung mit dem Th ema der schulischen Inklusion ganz zentral befördert. Ge-rade zu Beginn der Seminararbeit wurde dabei deutlich, wie wenig Vorerfahrungen die Teilnehmer/innen mit dem Th ema der schulischen Inklusion hatten. Einführend möchten wir die Bedeutsamkeit für das Arbeiten an „tradierten Sche-mata“ (Häcker/Winter 2009, 229) und „subjektiven Th eorien“ in Bezug auf das Th e-ma Inklusion anhand eines Beispiels aus der Seminararbeit verdeutlichen. Die Stu-dierenden hatten die Aufgabe, nach dem Praktikum eigene Text zu verfassen, in welchem sie sich mit dem Umgang mit Vielfalt an der eigenen Praktikumsschule auseinandersetzen sollten. „Der Schüler bedarf dieser Aufmerksamkeit, denn ansonsten ist er nicht in der Lage, die Aufgaben zu lösen. Es mangelt an selbständigem Arbeiten. Wenn er kurz aus dem Auge gelassen wird, verhält er sich unangemessen. Er neigt dazu, bei an-deren Kindern die Lösungen oder die bearbeiteten Aufgaben anzuschreiben oder sich physisch falsch zu benehmen. Dieses Fehlverhalten wirkt sich auf seine Klas-senkameraden aus, die sich gelegentlich auf einen Kampf mit ihm einlassen oder sein Fehlverhalten nachahmen (z. B. laut schreien, sich auf den Boden schmeißen etc)“.4 Hier wird deutlich, wie wichtig die Klärung der eigenen Grundhaltung zum Umgang mit Verschiedenheit zu sein scheint. Wenn wir Inklusion als willkommen heißenden Umgang mit Vielfalt defi nieren (Booth 2003), dann ist die Art, wie hier noch in ei-ner sehr frühen Phase des eigenen Professionalisierungsprozesses auf Verhalten in der Schule geblickt wird, für intensive Refl exionsarbeit sehr gut geeignet. Das Semi-narkonzept folgte dem Grundgedanken, Studierende dabei zu unterstützen, sich mit der eigenen Grundhaltung in Bezug auf Inklusion im schulischen Kontext refl exiv auseinanderzusetzen. Unterschiedliche theoretische wie praktische Ansätze zum Th e-ma Inklusion dienten hier als Refl exionsfl äche. Als Grundvoraussetzung der Teilnahme stimmten alle Studierenden zu, ihr Ori-entierungspraktikum im gemeinsamen Unterricht (GU) zu absolvieren und die ei-gene Entwicklung – auch in Bezug auf das Th ema Inklusion im obligatorischen Portfolio Praxiselemente zu dokumentieren. Zudem arbeiteten alle Studierenden kon- 3 Das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln (ZfL) plant das Angebot an in-klusionsorientierter Praxisphasenbegleitung stetig auszubauen und weiterzuentwickeln. 4 Textstelle entnommen aus einem Portfolio eines/einer Studierenden im WS 2011/2012. 40 Bettina Amrhein & Meike Kricke sequent in heterogenen (schulformübergreifenden) Lernteams (vgl. Kricke/Reich in diesem Band). Folgende Abbildung zeigt die vier Eckpfeiler dieser neuen Seminarkonzeption. Die vier begriffl ichen Eckpunkte bilden ein integriertes Konzept zur Begleitung des Orientierungspraktikums mit besonderem Blick auf inklusive Schulentwicklungspro-zesse. Abbildung 1: Inhaltliche Eckpfeiler der Seminarkonzeption Philosophie der Pilotveranstaltung Mit Seminarstart äußerten die Studierenden ihre Wünsche innerhalb der Seminar-arbeit und konnten in die gemeinsamen Seminarregeln (siehe Anhang unter www. waxmann.com/buch2779) eigene Vorstellungen und Arbeitsweisen einbringen. Reich (2008) beschreibt in seiner konstruktivistischen Didaktik, dass „Beziehun-gen im Lernen (…) die entscheidende Lernumgebung“ (Reich 2008b, 16) darstel-len. Da die Refl exion der eigenen Grundhaltung im Mittelpunkt des Konzeptes stand und eine lernförderliche Umgebung für konstruktive Refl exions- und Beratungsar-beit Voraussetzungen ist, folgte das Seminar diesem Grundgedanken: Dabei leite-ten uns die Aspekte Multiperspektivität (verschiedene Sichtweisen/heterogene Lern-gruppe), Multiproduktivität (verschiedene Produkte entstehen – je nach Stärken und Vorlieben aller Teilnehmer/innen) und Multimodularität (jede/r Lerner/in hat ver-schiedene Lernzugänge) (vgl. Reich 2008b, 254) – drei Leitgedanken, die sich auch in Ansätzen einer inklusiven Didaktik wiederfi nden lassen. Durch die obligatorische Lernteamarbeit wurde eine konsequente Dialog- und Perspektivenvielfalt innerhalb der Seminararbeit gefördert. Die Portfolioarbeit wurde als Grundlage der refl exiven Beratung genutzt. Der dahinter liegende Beratungsbe-griff verstand sich nicht als „Rat gebend“ in Bezug auf die eigene Entwicklung, son- Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 41 dern viel mehr dahingehend, dass Studierende ihre erlebten Situationen refl ektier-ten und in der Beratung zur Entwicklung eigenständiger Lösungen angeregt wurden (vgl. Teml/Teml, 13). Dieses Vorgehen beschreiben wir zusammengefasst: Von der Belehrungssituation zur Beratungssituation. Die im Folgenden beschriebenen Methoden stellen lediglich eine kleine Auswahl des didaktischen Gesamtkonzeptes dar, die innerhalb der Portfolioarbeit als Refl exions-grundlage gesammelt wurden. Während der Seminararbeit ergaben sich daraus wei-terführende Fragen auf Seiten der Studierenden, die sie während ihres Praktikums „erforschen“ wollten.5 Seminarmethoden Die Arbeitstheorie Ein sich durch die gesamte Portfolioarbeit ziehendes Refl exionsinstrument ist die so-genannte „Arbeitstheorie“ (vgl. Bildungsserver Hessen; Artikel Kricke/Reich). Diese stellt keine wissenschaft liche Th eorie dar, sondern die Vorstellungen und Ideen, die Studierende über ihre zukünft ige Tätigkeit als Lehrer/in mitbringen. Sie basiert auf den subjektiven Th eorien der Studierenden und wird zu Beginn des Studiums und nach jeder Praxisphase erneut anhand von Leitfragen verfasst. Um das Th ema der Inklusion aufzugreifen erweiterten wir diese um die Frage „Heterogenität und Vielfalt bedeuten für mich … “. Diese Dokumente bildeten zudem die Grundlage für die indi-viduellen Feedbackgespräche im Rahmen des Seminarkonzeptes. Im Vergleich zwischen erster und zweiter Arbeitstheorie lassen sich die an den Schulen mit GU gemachten Erfahrungen zur Refl exion aufgreifen. Im Folgenden zei-gen zwei Bespiele, wie sich durch die berufspraktischen Erfahrungen mit Vielfalt so-wie die begleitenden theoretischen und refl exiven Auseinandersetzungen, der Blick auf Heterogenität in der Schule weiter ausschärfen kann. 5 Zum Beispiel: – Wie gehen die Kinder miteinander um? – Wie wird Inklusion im Alltag gelebt? – Meinungen und Erfahrungen von Lehrer/inne/n zum Th ema Inklusion – Wie gehen die Lehrer/innen auf die verschiedenen Kinder ein? – Wie gut können die GU-Kinder in die Klasse integriert werden und wo stößt das GU-Sys-tem an seine Grenzen? 42 Bettina Amrhein & Meike Kricke Tabelle 1: Vergleich von erster und zweiter Arbeitstheorie erste Arbeitstheorie zweite Arbeitstheorie „Guter Unterricht bedeutet für mich, dass der Lehrer auf jedes Kind Rücksicht nehmen muss, denn in jeder Klasse gibt es mindestens einen ‚schwierigen‘ Schüler. Wegen solchen Kindern ist es für den Lehrer wichtig mit Institutionen zu kooperieren, die mithelfen diese Kinder zu fördern. (…) Gleichberechtigung ist ein zentraler Begriff , denn alle Kinder haben das Recht zu lernen. (…) Die Schwierigkeit liegt im Umsetzen. Vor allem die Aufgabe ‚Wie kann ich auf die Bedürfnisse aller Kinder in der Klasse eingehen?‘, ist schwierig zu lösen.“ „Inklusives Lernen erfolgt vor allem dadurch, dass die Schüler in allen Lerngruppen gemeinschaft lich unterrichtet werden. Dabei werden nicht nur Schüler mit Integration und sonderpädagogischem Förderbedarf berücksichtigt, sondern vielmehr werden integrative und multikulturell angelegte Unterrichtsinhalte verwirklicht. Die Leistungsmessung und -bewertung wird in Kompetenzentwicklungsberichten und Zertifi katen dargestellt.“ „Bzgl. des Umgangs mit Vielfalt und Heterogenität fällt mir zunächst der Begriff der Herausforderung ein. Ich denke, dass mit der Vielfalt an Schülern und ihrem z.T. schwierigen Umfeld auch die Ansprüche an einen Lehrer wachsen. (…) Der Lehrer ist gezwungen, sich vom Rasterdenken zu entfernen und eigene Gedanken und Erfahrungswerte in den Umgang mit der Vielfalt der Schüler einzubringen.“ „Ich war sehr beeindruckt wie viele unterschiedliche Charaktere sich in einem Alter zwischen 10 und 12 Jahren bereits herausbilden. (…) Und trotz dieser sehr verschiedenen Kinder konnte in irgendeiner Form gemeinsam Unterricht gemacht werden. Das hat mich sehr beeindruckt.“ Der Vergleich der beiden Arbeitstheorien zeigt deutlich, dass im Bereich der ersten Arbeitstheorie noch ein sehr diff uses, auch leicht verunsicherndes Bild von Hetero-genität gezeichnet wird. Die zweite Arbeitstheorie weist bereits einige konkrete Bei-spiele zum Umgang mit Verschiedenheit in der Schule auf. Eigene Bildungsbiografi e: Meilensteine Den Einstieg in die gemeinsame Seminararbeit bildet die Th ematisierung der eige-nen Bildungsbiografi e. Die Studierenden werden gebeten, den eigenen Weg durch unterschiedliche Bildungsinstitutionen mit Hilfe von Moderationskarten bildlich darzustellen; dabei bildet jede Karte einen entscheidenden Meilenstein im jeweiligen Entwicklungsverlauf. Diese Arbeit brachte sehr deutlich zum Vorschein, dass Lehr-amtsstudierende zwar mehrheitlich gymnasial sozialisiert zu sein scheinen, sich je-doch durchaus auch sehr unterschiedliche Entwicklungsverläufe fi nden lassen. Der Dialog über diese vielfältigen Wege zum Studium provozierte bei Studierenden auch ein Nachdenken über Chancen und Grenzen des deutschen Systems. Es zeigte sich, dass den meisten Teilnehmer/inne/n des Pilotseminars Bildungsdisparitäten im deut-schen Schulsystem wenig bekannt sind.6 6 Vgl.: http://www.chancen-spiegel.de/ (Stand 31.10.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 43 Dabei scheint uns das empirisch abgesicherte Wissen über Bildungsdisparitäten im deutschen Schulsystem für die Entwicklung einer eigenen Grundhaltung zum Th ema Inklusion im schulischen Kontext ein sehr zentraler Zugang zu sein. Die Studierenden verarbeiteten diese Meilensteine ebenfalls anhand von Hilfsfragen im Rahmen ihres Portfolios Praxiselemente. Gastbeitrag7 Kritische Innenansichten auf das deutsche Förderschulsystem erhielten die Studie-renden in einer Sitzung durch den Besuch von Dr. Carsten Rensinghoff , der die Stu-dierenden an seinen Erlebnissen teilhaben ließ, indem er Auszüge aus seiner au-tobiografi sch geprägten Publikation (Rensinghoff 2012) vorlas. Die Textauszüge forderten die Studierenden heraus, auch besonders kritische Fragen in Bezug auf sein persönliches Erleben im System zu stellen. So entwickelte sich schnell eine sehr persönliche und dadurch möglicherweise auch besonders nachhaltig wirksame Ge-sprächssituation, welche zahlreiche Studierende in ihre Arbeit am Portfolio mit ein-fl ießen ließen. Bildungspolitisches Symposium NRW Durch den großen Handlungsdruck, der zurzeit auf allen Akteur/inn/en in Be-zug auf das Th ema „Inklusion“ wirkt, ergeben sich vielfältige Chancen, den Lern-ort Hochschule in Bezug auf das Th ema auch zu verlassen: Ihre Teilnahme am bil-dungspolitischen Symposium 2012, auf dem die Bedeutsamkeit und das Th ema eines inklusiven Schulsystems von verschiedenen Akteur/inn/en aus Politik, Schule und Forschung beleuchtet wurde, bewerteten die Studierenden im anschließenden Feed-back- Gespräch überwiegend positiv: Sie konnten anhand der unterschiedlichsten Beiträge zahlreiche Anknüpfungspunkte zur bisherigen Seminararbeit herstellen und so auch die bildungspolitische Bedeutung des Th emas „hautnah“ erleben, sowie im Portfoliokontext schrift lich weiterbearbeiten. Projektorientiertes Arbeiten Um das Th ema der schulischen Inklusion inhaltlich zu vertiefen, arbeiteten die Stu-dierenden eigenständig innerhalb ihrer Lernteams an selbst gewählten Schwerpunkt-themen. Das projektorientierte Arbeiten lud dazu ein, eigene Vorgehensweisen zu wählen (Multimodularität), und auch eigene „Produkte“ zu erstellen (Multiproduk-tivität) (vgl. Reich 2008b, 254). So konnte demokratisches und dialogisches Lernen angebahnt werden. Als Arbeits- und Strukturierungshilfen erhielten die Studieren-den Materialpackages (Methodenkiste) und verschiedene Leitfäden (siehe Material-sammlung unter www.waxmann.com/buch2779). 7 Beitrag im lokalkompass.de: „Inklusion Behinderter – ein Beitrag in der LehrerInnenbil-dung“ (http://www.lokalkompass.de/witten/kultur/inklusion-behinderter-ein-thema-in-der-lehrerinnenbildung- d120295.html ) (Stand 31.10.2012). 44 Bettina Amrhein & Meike Kricke Inhaltliche Schwerpunktthemen der projektorientierten Arbeit in Lernteams waren: • Von der Integration zur Inklusion • Zur Rolle der sonderpädagogischen Förderung im inklusiven Setting • Individuelle Förderung, individuelles Lernen, inklusive Didaktik • Aktuelle bildungspolitische Entwicklungen um die Herausbildung eines inklusiven Schulsystems (NRW) • Geschichte der Inklusion • Inklusive Schulentwicklung mit dem Index pro Inklusion • Was ist eine inklusive Pädagogik? • Internationale Entwicklungen um Inklusion • Best practice: Inklusion an Schulen! (national/international) Walt-Disney-Methode8 Die Walt-Disney-Methode beruht auf der Kreativitätsförderung Walt Disneys und wurde von R. Dilts zu einer selbstständigen Methode weiterentwickelt. Gerade in Be-zug auf die „tradierten Schemata“, die Studierende erfahrungsgemäß auf Grundlage der eigenen Bildungsbiografi e mitbringen, kann die Methode Visionen über ein in-klusives Schulsystem eröff nen: Die Methode basiert auf folgenden drei „Rollen“: der/die Träumer/in (Visionen, Ideen), der/die Realist/in (Umsetzung), der/die Kritiker/in (Qualitätsmanagement). Diese Rollen nehmen die Teilnehmer/innen ein, um einem Th ema/einer Fragestel-lung etc. entweder als Einzelpersonen oder als Gruppe nachzugehen. Um sich auf die einzelnen Perspektiven einzustimmen, bietet sich ein Probelauf an, in dem fol-gende Leitfragen behilfl ich sein können: Traumperspektive: Was war für Sie ein kreativer/schöner Moment? Realistische Perspektive: Wann haben Sie eine Situation strategisch gut gelöst? In der Kritike-recke geht es darum, sich zu erinnern, wann sie oder er eine Situation kritisch ana-lysiert hat. Innerhalb der Seminararbeit zum Th ema „Inklusion“ kann dazu gearbeitet wer-den, in dem die drei Perspektiven räumlich voneinander getrennt aufgebaut werden und jeder Raum/jede Ecke mit Materialien zu einem stummen Schreibgespräch ver-sehen wird (Flipchart-Papier). Die Studierenden „wandern“ anschließend (entweder als Einzelpersonen, in Lernteams/Gesamtgruppe) von Ecke zu Ecke und halten auf Flipchartpapier ihre jeweiligen Ideen zu den einzelnen Perspektiven fest (Visionen, verrückte Ideen, etc.). Diese Ideen werden dann in der Realistischen Ecke „geprüft “ – folgende Leitfragen können behilfl ich sein: Was muss zur Realisierung getan wer-den (next steps)? Auf was kann aufgebaut werden? Welche Vorerfahrungen sind vor-handen? Was brauchen wir noch? In der abschließenden Kritiker-Ecke wird dann 8 Vgl. http://www.kreativ-sein.org/d/d/dltechniken_fi les/Walt-Disney-Methode.pdf (Stand 31.10.2012). Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 45 konstruktiv analysiert: Was denke ich über die Idee? Was sind Chancen? Was sind Herausforderungen? Was könnte verbessert werden? Lehrer/innen/bildung phasenübergreifend denken Im Bereich inklusive Lehrer/innen/bildung ergibt sich zurzeit eine besonders heraus-fordernde Situation, da Lehrer/innen/aus- und -fortbildung in gleichem Maße gefor-dert sind, sich der Th ematik zu nähern. Das Seminarkonzept nutzt diese besonde-re Situation, indem erste Versuche unternommen wurden, beide Ausbildungsphasen auch stellenweise miteinander zu verzahnen. Das am ZfL neu eingeführte Work-shop- Konzept Fokus Fachdidaktik – inklusiv9 sieht daher vor, Akteur/inn/en aller Ausbildungsphasen zu fachdidaktischen Th emen miteinander ins Gespräch zu brin-gen. Daher besuchten zahlreiche Teilnehmer/innen des Hochschulseminars gemein-sam mit Referendar/inn/en und Lehrkräft en aus Schulen mit GU einen Workshop zu innovativen Unterrichtskonzepten für heterogene Lerngruppen. Dabei stellte die Vielfalt in den Erfahrungshintergründen der Teilnehmer/innen eine besonders güns-tige Ausgangslage dar, über inklusive Unterrichtskonzepte ins Gespräch zu kommen. Fragen statt sagen – konstruktiv fragen In der lösungsorientierten Beratung geht man vom Leitmotiv „Fragen statt sagen“ aus. Nach diesem Ansatz stellen Fragen eine wirkungsvolle Strategie dar, sich von einem Problem wegzubewegen und somit hin zu einer eigenständigen Lösung zu gelangen. Konstruktive Fragen sind keine Fragen nach dem „Warum?“, „Wieso?“, „Weshalb?“, sie ergründen nicht die Ursache, sondern lenken den Blick auf eine zu-künft ige Lösung (Teml/Teml 2011, 161). Diesem Konzept folgend wurden die Teilnehmer/innen am Ende der gemeinsa-men Seminarzeit und im Rahmen ihrer schrift lichen Refl exionsarbeit im Portfolio mit folgender Frage herausgefordert: Was möchten/können Sie persönlich im Laufe Ihres Studiums tun, um sich für die große Vielfalt der Schüler/innen und damit die große Leistungsheterogenität in der Schule zu professionalisieren? Insgesamt lässt die Auswertung der Antworten der Studierenden erkennen, dass diese bereits zahlreiche Möglichkeiten benennen können, sich für die anstehenden Veränderungsprozesse zu rüsten. Die häufi gsten Nennungen entfallen auf die Mög-lichkeit, möglichst intensiv Praxiserfahrungen im GU zu sammeln, um so Vielfalt im schulischen Kontext schon während des Studiums kennenzulernen. Häufi g ge-nannt wird auch die Möglichkeit, bereits während des Studiums Anschluss an Inhal-te des Lehramtes für Sonderpädagogische Förderung zu erhalten und dies möglichst in lehramtsheterogenen Seminarkonzepten. Auch wird die Notwendigkeit gesehen, sich weiter theoretisch in das Th ema einzuarbeiten, um die erlebte Praxis auch fach-wissenschaft lich verarbeiten zu können. Einen weiteren Komplex stellt die eigene Vernetzung dar und dies im Rahmen unterschiedlicher zu besuchender Angebote zum Th ema in Schule und Universität. Die Antworten der Studierenden ließen auch 9 http://zfl .uni-koeln.de/13087.html (Stand 31.10.2012). 46 Bettina Amrhein & Meike Kricke erkennen, dass einige die Vorstellung haben, sich über das Kennenlernen möglichst zahlreicher unterschiedlicher Unterrichtsmethoden dem Th ema nähern zu können. Prä-Post-Befragung Eingerahmt wurde die Seminararbeit mit dieser heterogenen Studierendengruppe von einer Prä-Post-Befragung10 zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unter-richt. An dieser Stelle sei nur ein kleiner Einblick in einige wenige Ergebnisse dieser Studie gegeben, eine ausführliche Auswertung der Befragung folgt. Insgesamt zeigt sich, dass es über alle Items hinweg lediglich zu leichten Verän-derungen im Laufe eines halben Jahres und unter Einfl uss der Praxiserfahrungen im GU gekommen ist. Tabelle 2 zeigt die Mittelwertdiff erenz für fünf zentrale Items. Tabelle 2: Prä-Post-Befragung zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unterricht Item M t1 M t2 Diff erenz 1 Wie schätzen Sie Ihren bisherigen Wissensstand zu theoretischen Aspekten der Integration und Inklusion von Schüler/innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ein?1 3,65 3,05 0,60 2 Der Leistungsstand kann in Klassen mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht so hoch gehalten werden wie in Klassen ohne Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.2 2,58 2,48 0,10 3 Förderschulen tragen der Vielfalt der Begabungen Rechnung, da sie ihre Methoden auf ihre Schüler/innen besser anpassen können. 2,73 2,64 0,09 4 Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf beanspruchen im Vergleich zu „Regelschüler/inne/n“ unverhältnismäßig viel Zeit des Lehrers/der Lehrerin. 3,30 3,50 0,20 5 „Regelschullehrer/innen“ verfügen über genügend Erfahrungen, um Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten. 1,60 1,77 0,17 Anmerkungen: 1 Likert-Skala: 1 (sehr hoch) bis 5 (sehr gering) 2 Item 2-5: Likert-Skala: 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) Die deutlichste Veränderung erfährt die Selbsteinschätzung in Bezug auf das theo-retische Wissen über inklusive Schulentwicklungskonzepte (Item 1). Während sich zum ersten Befragungszeitpunkt auf einer 5-fach abgestuft en Likert-Skala noch 56 % auf Stufe 4 verorten, sind dies zum zweiten Befragungszeitpunkt nur noch 18 %. Der Anteil der Studierenden, welche sich auf Stufe 3 verorten wächst zum zweiten Befra-gungszeitpunkt um 31 Prozentpunkte an. Die Mittelwertdiff erenz beträgt hier 0,60. Die Items 2-5 weisen jeweils nur geringe Mittelwertdiff erenzen auf. Interessant ist, dass die Studierenden nach ihrem vierwöchigen Praktikum im GU nach wie vor deutlich der Ansicht sind, Lehrkräft e der Allgemeinbildenden Schulen verfügten 10 T1: M=27; T2: M=22 Lehrer/innen/bildung für eine inklusive Schule 47 über nicht genügend Erfahrungen, Schüler/innen mit Sonderpädagogischem Förder-bedarf zu unterrichten. Dieser Befund deckt sich mit älteren Befunden aus der Praxisphasenbegleitung in integrativen Settings (Köpfer 2011). Auch hier wird nicht selten darüber berich-tet, dass sich durch problematische Erfahrungen im Bereich der Praxisphasen even-tuell Vorbehalte in Bezug auf gemeinsames Lernen von Schüler/inne/n mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf noch verfestigen können. Dies wirft gleichzeitig die Frage nach dem Umgang mit problematischen Praxiserfahrungen im GU im Be-reich der Praxisstudien auf. Hier scheint uns der Aufb au enger Kooperationen mit den Schulen eine besonders wichtige Gelingensbedingung zu sein. Interessant ist auch folgendes Ergebnis: Es zeigt sich, dass sich zu beiden Befra-gungszeitpunkten zwar eine Mehrheit der Befragten eine spätere Tätigkeit im GU vorstellen kann. Der Anteil, der hier indiff erent antwortenden Studierenden steigt je-doch entgegen der Erwartungen zum zweiten Befragungszeitpunkt sogar leicht an. Tabelle 3: Prä-Post-Befragung zu inklusiven Überzeugungen zu Schule und Unterricht Item Ja Nein Vielleicht T1 Ich kann mir vorstellen, später auch in einer GU-Klasse (Schüler/innen mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf lernen gemeinsam) zu unterrichten. 56% 7% 33% T2 Ich kann mir vorstellen, später auch in einer GU-Klasse (Schüler/innen mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf lernen gemeinsam) zu unterrichten. 59% 0% 41% Zahlreiche Items der Prä-Post-Befragung wurden in Refl exionsphasen in die Semi-nararbeit integriert. Hier stellte sich das Arbeiten an eigenem Datenmaterial als be-sonders spannende und authentische Möglichkeit heraus, mit unterschiedlichen Grundhaltungen und subjektiven Th eorien refl exiv zu arbeiten. Gleichzeitig erlebten die Teilnehmer/innen eine von zahlreichen Möglichkeiten, sich dem Th emenkom-plex auch forschend zu nähern. 5. Vom „Piloten“ zum „Regelfall“ Abschließend sind einige zusammenfassende Bemerkungen als mögliche Anhalts-punkte für eine Weiterentwicklung des hier vorgestellten Seminarkonzeptes zu ma-chen. Diese erscheinen uns auch mit Blick auf die weitere Ausgestaltung von Praxis-phasen in den Lehramtsstudiengängen bedeutend. Die starke Betonung der Refl exionsarbeit stieß nicht bei allen Studierenden auf off ene Zugänge. Der aus zahlreichen Kontexten bekannte Ruf nach schnellem Re-zeptwissen – hier im Umgang mit Vielfalt in der Schule – wurde auch in diesem Se-minarkontext häufi g sichtbar. Wir vermuten dahinter jedoch ein durch die eigenen 48 Bettina Amrhein & Meike Kricke bildungsbiografi schen Erlebnisse erlerntes Verhalten. In diesem Fall sind aus unserer Sicht Seminarkonzepte der hier vorgestellten Art zukünft ig besonders stark zu beför-dern. Die ersten Erfahrungen mit dem Portfolio Praxiselemente als Refl exionsinstru-ment im Rahmen der Lehrer/innen/bildung geben uns Grund zu der Annahme, dass die Feststellung von Häcker und Winter (2009) auch tatsächlich zutrifft . Die Weiter-entwicklung des Portfoliokonzeptes für alle Praxisphasen ist und bleibt daher an un-serem Standort eines der zentralen Arbeitsfelder. Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht verschwiegen werden, dass die Be-ratungskompetenz der Ausbildner/innen aller Institutionen permanent weiterentwi-ckelt werden muss. Es kam im Rahmen der hier vorgestellten Seminarveranstaltung nicht selten auch zu besonders herausfordernden Beratungssituationen in Bezug auf problematische Erfahrungen in der erlebten Praxisphase. Die geringe Mittelwertdiff erenz zahlreicher Items der empirischen Befragungen zu zwei Zeitpunkten macht deutlich, dass für diese Studierenden im weiteren Studien-verlauf zusätzliche Angebote geschaff en werden müssten, die den hier angestoßenen Professionalisierungsprozess weiter fortentwickeln. Die Ergebnisse der Postbefragung zeigen, dass sich trotz der intensiven theoretischen wie praktischen Auseinanderset-zung mit dem Th emenkomplex der Inklusion individuelle Vorstellungen und sub-jektive Th eorien nur schwer in Bewegung bringen ließen. Hier wissen wir, dass es der Verknüpfung mit „positive values“ und „supportive ideals“ bedarf (Forlin 2010), wenn man positive Veränderungen in den Einstellungen und Haltungen von ange-henden Lehrkräft en bewirken möchte. Wir schlagen daher vor, die Arbeit mit schu-lischen Mentor/inn/en zukünft ig besonders in den Blick zu nehmen. Konzepte für diese wichtige Kooperationsarbeit liegen bereits vor (vgl. Kress/Sosalla 2009). Als Konsequenz sehen wir die Notwendigkeit, das Th ema der Inklusion nicht nur punktuell in die Ausbildung zukünft iger Lehrpersonen mit einfl ießen zu lassen, son-dern besonders auch strukturelle Veränderungen zur Umsetzung zu bringen. Dabei könnte die Vorstellung hilfreich sein, das Th ema zukünft ig wie einen „roten Faden“ durch die gesamte fachdidaktische und bildungswissenschaft liche Ausbildung zu zie-hen. Hier ist das Konzept im Bereich einer inklusionsorientierten Lehrer/innen/bil-dung gemeint, welches man international als den „content infused approach“ oder auch „integrated approach“ bezeichnet. Die Auswertung des Pilotseminars konnte eindrucksvoll belegen, dass refl exi-ve Praxisphasen hier ein Teil eines Gesamtkonzeptes sein können. Bei der weiteren Ausgestaltung inklusiver und refl exiver Praxisphasen sollte jedoch darauf geachtet werden, dass sich Bestehendes wandelt und nicht dem Bestehenden nur ein neues Element an die Seite gestellt wird. Wir sind der Ansicht, dass es sich im Rahmen von inklusiver Bildung um kein völlig neues Anliegen handelt, es kann auf bereits vor-handenes Th eorie- und Praxiswissen zurückgegriff en werden. „Erste allgemeine Verunsicherung“ 49 Alois Finke „Erste allgemeine Verunsicherung“ – Gedanken zur Begleitung von Studierenden beim Start in ihre Berufsidentität als Lehrer/innen im Rahmen des Orientierungspraktikums Schulen habe ich in den dreißig Jahren nach meinem ersten Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium dann von innen gesehen, wenn ich als freiberufl icher Su-pervisor und Coach dort tätig war, oder wenn ich als Fachbereichsleiter für Bil-dungsprogramme mit Schulen in unserem außerschulischen Jugendbildungshaus1 mit Akquise, Vorbereitung, Durchführung oder Auswertung von Kurswochen zu tun hatte. Mit der Ausschreibung der Humanwissenschaft lichen Fakultät der Universität zu Köln im Sommer 2011, in der Supervisor/innen zur Wahrnehmung von Lehrauft rä-gen im neuen Masterstudiengang für den Lehrer/innen/beruf gesucht wurden, bin ich nach langen Jahren wieder mit verschiedenen Fragen in Kontakt gekommen: • Warum bin ich damals eigentlich nicht Lehrer geworden, habe nicht einmal „zur Sicherheit/für alle Fälle“ die Referendarzeit gemacht – und was hat mich trotzdem immer berufl ich in der Nachbarschaft dieses Berufes gehalten? • Wie würde heute als Studienanfänger meine Entscheidung aussehen? • Wo wäre ich heute in meiner Schullaufb ahn, wenn ich Lehrer geworden wäre: im-mer noch „an der Basis“ im pädagogischen Betrieb im Unterricht, im Schulma-nagement, in der Ausbildung? • Wie fühlen sich heute die Bachelor- und Masterstudiengänge für Lehrende und Studierende an, wie haben sich die Universität und das Studium verändert? Stimmt das, was die als Honorarkräft e in unseren Bildungsprogrammen in der Ju-gendakademie mitarbeitenden Studierenden darüber berichten? • Was ist also heute bei mir der Auslöser, dass ich mich durch das Angebot zum Mitwirken an der Lehrer/innen/ausbildung in der Begleitung des Orientierungs-praktikums ansprechen lasse? Schon steckte ich, am Anfang des letzten Drittels meines Arbeitslebens, wieder ein-mal mitten drin in einem refl exiven Prozess zu meiner eigenen Berufsidentität. In meinen Aus- und Fortbildungen waren diese „Verunsicherungsphasen“ immer fester Bestandteil – auch wenn die Tools damals nicht „Portfolioarbeit“ hießen. Als Supervisor bei Teams und in Einzelcoachings begleite ich Menschen in krisenhaft en Situationen, im Bildungshaus kommen zwangsläufi g bei Schüler/inne/n und Lehrer/ inne/n mitgebrachte Probleme, Rollen- und Beziehungsfragen und andere strittige 1 www.jugendakademie.de. 50 Alois Finke Th emen in den Seminaren verstärkt zum Vorschein und meist auch zu einer guten, refl ektierten Bearbeitung. Was hat mir also den entscheidenden Impuls gegeben, im WS 2011/12 als Lehr-beauft ragter mit zwei Begleitkursen zum Orientierungspraktikum für Studierende einzusteigen? 1. Eine Anknüpfung, die mit meinem politischen Verständnis vom Lehrberuf und seinem Bildungsauft rag zusammenhängt, ist die Tatsache, dass – endlich, end-lich – faktisch jetzt schon zumindest die Regelschullehramtsstudierenden2 und perspektivisch komplett alle Lehramtsstudierenden mit dem Orientierungsprakti-kum einen gemeinsamen frühen Start ins Berufsleben und in die Entwicklung ei-ner gemeinsamen Berufsidentität haben. In einem Land, das Weltmeister in der Selektion und Sortierung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenste hoch spezialisierte Schulformen ist, in der Lehrer/innen/identitäten sich parallel durch die Abgrenzung zu den Kolleg/inn/en „der anderen Schulen“ formen, ist das eine Umwälzung, deren langfristige positive Auswirkung gar nicht hoch genug ange-setzt werden kann. In dieser Einschätzung bestätigen mich die Erfahrungen in den ersten beiden Be-gleitkursen im Wintersemester 2011/12, die gut gemischt aus überwiegend Erstse-mesterstudierenden für den Lehrer/innen/beruf in Grundschulen, Sek I und Sek II bestanden. Konnte man zu Beginn des Semesters noch und schon am „Habitus“ vie-ler Studierender erkennen, wer warum in welche Schulform „will“ und auch da „hin-einpasst“, so haben sich im Lauf des Kurses und vor allem durch das Praktikum und seine ausführliche Refl exion in den begleitenden Blockseminaren viele vorhandene „Verfestigungen“ in Form von Bildern über „die anderen Schüler/innen, die anderen Schulen, die anderen Lehrer/innen“ aufgelöst. Alle Studierenden haben zunächst einmal selbst eine Biografi e als „Gewinner/ in“ des selektiven deutschen Schulsystems – auf unterschiedlichen Wegen – im Ge-päck: Sie haben die „höhere Schule“ besucht, alle Hürden bis zum Abitur geschafft , das sie zum Lehreramtsstudium berechtigt. Die eigenen „Glaubenssätze“, welche Faktoren dazu führen, dass die einen es bei uns im Schulsystem schaff en und die anderen nicht, spiegeln sich z. B. in der Wortwahl für bestimmte Realitäten wider. Wenn Studierende von „Problemkindern“ sprechen und von Schulen in „schwieri-gen sozialen Verhältnissen, mit Migranten und so“, ist das Bemühen um politisch korrektes Sprechen einerseits, aber auch die unendliche Fremdheit und Distanziert-heit zu spüren, mit der sie „diesen Schüler/inne/n“ und „diesen Schulen“ aufgrund ihrer eigenen Sozialisation gegenüber stehen. Dies gilt es in der Begleitung erst ein-mal zuzulassen, aber als Beobachtung zu spiegeln und die Studierenden in Fragen zu verwickeln: Was ist, wenn man nicht den/die Schüler/in als Problem sieht und behandelt, sondern ein Schulsystem und seine Ansätze, die es einem Kind nicht er-möglichen, auf seine Weise optimal und zu seinem Nutzen zu lernen und voranzu- 2 Siehe auch Amrhein/Kricke in diesem Band. „Erste allgemeine Verunsicherung“ 51 kommen? Ist es Aufgabe der Lehrenden und der Schule, „Problemkinder“ zu iden-tifi zieren und zu „behandeln“, oder ist es nicht der menschen- und kinderrechtliche und grundgesetzlich begründete Auft rag aller Mitwirkenden im Schulsystem, glei-che bestmögliche Bildungschancen für alle zu schaff en? Und wie müssen dann Schulen aussehen? Als Pädagoge, der mit Paulo Freire den Lehrer als „Politiker und Künstler“ sieht, sehe ich mich zu dieser Kontextualisierung des Lehrer/innen/berufes zu Beginn der Ausbildung einer Berufsidentität berechtigt und verpfl ichtet, da „Erziehung und Bil-dung niemals neutral sind“. Ich sehe einen Auft rag des Begleitseminars darin, „Etiketten“ und „Beschrift ungen“ , mit denen Sachverhalte und Zusammenhänge zu „Weltbildern“ und „Glaubenssätzen“ geronnen sind, vorsichtig abzulösen und die Neugier auf darunter liegende Sach-verhalte, Geschichte(n) und Zusammenhänge zu wecken – ein Prozess der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ (frei nach dem Namen der immer noch bestehenden deutschen Band aus den achtziger Jahren), gepaart mit der Ermutigung zu Fragen, Beobachtung, Perspektivwechsel und Neugier. 2. Die Erarbeitung der „ersten Arbeitstheorie“ im Portfolio der Studierenden zeitigt meist eine interessante gemischte Textsorte: Oft besteht sie zum einen in der Auf-zählung von Eigenschaft en guter Lehrer/innen in Form wahrer Tugendkataloge – alles ehrenwert, alles richtig, aber auch abstrakt und erdrückend ansprüchlich zu-gleich. Spannend werden die Arbeitstheorien dann, wenn die Studierenden sich auch dazu haben bewegen lassen, „Geschichte in Geschichten“ zu erzählen, ihre Vorbilder, die für ihre oder die Lernbiografi e anderer prägend waren, lebendig werden zu lassen: Da verfl üssigen sich die Tugendkataloge in lebendiges Erzählen, wird die Rolle von Beziehung, Kontakt, Empathie, persönlicher Autorität, Respekt und Zuneigung für das Lernen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sichtbar, ist erkenn-bar, wann wie richtig und situationsgerecht gehandelt und wirkliches Lernen und Wachstum ermöglicht wurde. Das Fördern von Erzählen, das Reden über eigene Beobachtungen, das Lernen, anderen ein guter Zuhörender zu sein, der mit passenden Fragen den Gedanken-und Redefl uss des Gegenübers im Sinne der Fragestellung fördert, ist für mich ins-besondere in der ersten Begleitseminarphase in der Vorlesungszeit der entscheiden-de pädagogische Prozess, um kollegiales professionelles Refl ektieren miteinander einzuüben. Hier sind es die systemisch-lösungsorientierten Fragen mit ihren erzähl-auslösenden Formulierungen, zu deren Verwendung ich auff ordere, wenn die Stu-dierenden sich mit der Aufmerksamkeit und in der Haltung von „Interviewern“ wechselweise mit Mitstudierenden mit einem Th ema befassen sollen: • woran hast du gemerkt … • was genau hast du gesehen, als … 52 Alois Finke • was gab es noch, an das du dich erinnerst, als … • angenommen, ein/e Außenstehende/r hätte den Fall beobachtet, was hätte er/sie dazu gesagt … Das Arbeiten mit persönlich bedeutsamen Fotos aus der Schulzeit war ebenfalls ein gutes Medium in der Einstiegsphase, um die ganzheitliche Auseinandersetzung mit der eigenen Schul- und Lerngeschichte in Gang zu bringen: Die Studierenden wurden aufgefordert, zur folgenden Sitzung ein ihnen wichtiges Foto mitzubringen, das aus ihrer Schulzeit stammt, auf dem sie ggf. auch selbst abge-bildet sind. Sie sollten sich für ein einziges entscheiden und überlegen, was sie dazu bereit sind, im Seminar mitzuteilen. Schon die Aufgabenvorstellung löste verschiedenste Reaktionen und Mitteilun-gen aus: Bei einigen existieren off ensichtlich Mengen von Bildern, bei denen die Entschei-dung für eines schwer fällt; etliche wussten sofort, welches sie nehmen werden und wo sie es aufb ewahrt haben; einige wussten, dass ihnen wichtige Bilder existieren, aber dass sie kein einziges in ihrem Besitz haben, sondern sich diese z. B. bei den Eltern/Großeltern befi nden. Auch die Widerstände, ein „Bild aus der Vergangen-heit“ zu wählen, und anderen zu zeigen, wurden formuliert, so dass die Freiwillig-keit noch einmal betont werden musste. Letztlich hat bei allen die Neugier und Lust mitzumachen gesiegt. Zum Sitzungsanfang gab es auf Rückfrage erst einmal Berichte zum Suchen und Finden von Bildern, den dabei ausgelösten Th emen z. B. bei den El-tern, zu den Gefühlen beim Ansehen der Bilder (wann zuletzt vorher angeschaut?), zum Erinnern an die Fotografi ersituation (wann, wo, wer hat das Bild gemacht?) Die Bilder gingen dann in Ruhe im Kreis von Hand zu Hand, bis jede/r ihr/sein Bild wieder in der Hand hatte, damit alle zunächst einmal die Vielfalt der Bilder auf sich wirken lassen konnten. Erste Rückfragen bezogen sich dann darauf, was ihnen beim Durchschauen der Bilder an Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufgefallen war. Stichworte dazu wurden an der Tafel mitgeschrieben, um später an Begriff en wie „Konventionen/Rituale“, Bildtraditionen, Bedeutung von Bildern bei „Statuspas-sagen“ etc. arbeiten zu können. Bei der (freiwilligen) persönlichen Kommentierung des eigenen Bildes konnte fast jede/r Studierende anhand der Bilder die mit der da-maligen Situation verbundenen Fakten und Emotionen erinnern. Im Anschluss konnte dann auch anschaulich erklärt werden, weshalb auch die Arbeit mit Bildern/Fotos, Karikaturen in der Portfolioarbeit als „analoges Medien“ in ihrer Vieldeutigkeit das digitale Denken und Dokumentieren sinnvoll ergänzt. Die Studierenden wurden bei dieser Gelegenheit dazu angeregt, ihr Foto zum Grund-stock einer Bildersammlung zu Schule, Schüler/innen- und Lehrer/innen/dasein zu machen, Schulbilder der Eltern und Große |