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Beiträge zur Heimatgeschichte Band 20 Die Marienfelder Fensterrose Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Solingen 2018 2 3 Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Die Marienfelder Fensterrose 4 5 Beiträge zur Heimatgeschichte Band 20 Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Die Marienfelder Fensterrose Zur Geschichte und Architektur der Westfassade an der ehemaligen Klosterkirche Marienfeld in Westfalen ISSN 2192-6840 Solingen 2018 6 Beiträge zur Heimatgeschichte Beiträge zur Heimatgeschichte ist eine Schriftenreihe zu Themen von Kunst, Geschichte und Architektur herausgegeben von Andreas Sassen und Claudia Sassen. Umschlagabbildung: Westrose in Marienfeld Zeichnung: Andreas Sassen 2000 Impressum: © 2018 Andreas Sassen/Claudia Sassen Hasselstr. 4, 42651 Solingen claudia.sassen@uni-dortmund.de ISSN 2192-6840 Redaktion Claudia Sassen Zeichnungen und Fotos laut Angabe und Andreas Sassen Druck- und Verlagsort Solingen, Selbstverlag der Herausgeber Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 7 Inhaltsverzeichnis: Einleitung 9 Die Entdeckung und erstmalige Beurteilung der Marienfelder Fensterrose 10 Zum Bau des Zisterzienserklosters Marienfeld und seiner Kirche 17 Der Bau der Kirchenwestseite mit Portal, Rose und Giebel 34 Exkurs: Die Bezeichnung Fensterrose im westeuropäischen Sprachgebrauch 42 Zur Entwicklung der Fensterrose in der Romanik 44 Zur ikonologischen Bedeutung der Westrosen 63 Zur Entwicklung des romanischen Portals 65 Zur Entwicklung der Blendbogenarchitektur 70 Literatur 75 8 9 Abb. 1: Marienfeld. Die Verbindungsstelle der Kirchen-Westseite mit dem barocken Abteigebäude. Foto: Andreas Sassen 2018. Marienfeld, die Abtei und die Westfassade der ehemaligen Klosterkirche Das Zisterzienserkloster Marienfeld, im gleichnamigen Ortsteil von Harsewinkel gelegen, wurde 1185 gegründet und 1803 aufgehoben. Die Klosterkirche steht seit dieser Zeit als Pfarrkirche der katholi-schen Gemeinde zur Verfügung, ist aber im Besitz des Landes NRW, das Bauträger für das denkmal-geschützte Objekt ist. An das Kirchenschiff schließt sich nach Westen ein repräsentatives Gebäude an, die sogenannte Abtei (Abb. 1), die um 1700 ohne eigene Zwischenwand an die Kirche angesetzt wurde, so dass deren Westfassade seither den Blicken entzogen ist. Die Abtei war mit ihrem großzügigen Treppenhaus der Abschluss eines barockzeitlichen Gesamtumbaus des Klosters und blieb als einziger Teil der Klausur-bauten erhalten, die sich südlich der Kirche um einen Kreuzgang gruppierten. Sie kam nach 1803 in den Besitz verschiedener Personen und Institutionen. Um 1971 übernahm sie der Marienfelder Kauf-mann Heiner Bessmann, der mit hohen Investitionen eine Sanierung durchführte und im Souterrain1 eine Nutzung als Restaurant mit Hausbrauerei anstrebte. Seit 2007 gehört das Gebäude zum Hotel Klosterpforte und wird von dort aus wirtschaftlich genutzt. Im Zeitraum der Gebäudeerneuerung durch Bessmann wurde 1984 die Marienfelder Westrose ent-deckt, ein architektonisches Kleinod aus der Bauzeit der Kirche. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dieser Rose und der Gestaltung der gesamten Westfassade, die einstmals als Schaufassade der stauferzeitlichen Klosterkirche gedacht war.2 1 Souterrain, frz.: hochliegendes Kellergeschoss. 2 staufisches Jahrhundert 1152 (1138) – 1250. 10 Die Entdeckung und erstmalige Beurteilung der Marienfelder Fensterrose Im Jahre 1984 sollte bei Bauarbeiten im Saal des Abteigebäudes von Marienfeld eine feuerfeste Decke eingezogen werden, die in der Mitte des Raums von einem Unterzug unterfangen werden musste. Da der barockzeitliche Baumeister um 1700 auf die Errichtung einer zusätzlichen Trennwand verzichtet hatte, musste man jetzt für die Trägerauflage die Westwand der angrenzenden Kirche aufschlagen und einige Ziegelsteine herausnehmen. Als dabei ein Meißel in die Öffnung fiel und klirrend verschwand, wurde man aufmerksam und räumte weitere Ziegel weg. Es tat sich ein größerer Hohlraum auf, in der bei erster Ausleuchtung eine rätselhafte Architektur aus den braungelben Steinen des Teutoburger Waldes sichtbar wurde. Erst als man die gesamte Vermauerung entfernt hatte, stellte sich heraus, dass man ein riesiges Rundfenster aus der Erbauungszeit der Kirche gestoßen war: die bislang unbekannte Marienfelder Westrose (Abb. 2–6). Für die westfälische Kunstgeschichte war die Kirchenwestseite bis zu diesem Zeitpunkt ein Myste-rium. Man wusste nur aus der Marienfelder Chronik vom Vorhaben des Abtes Arnold von Bevern (1443–1478), an besagter Stelle ein großes gotisches Fenster einzurichten, wie es 100 Jahre zuvor schon an der Chorostwand geschehen war. Doch das Vorhaben wurde aufgrund unsicherer politischer Verhältnisse nicht ausgeführt. Herr Arnoldus hatte auch den Plan, in unserer Klosterkirche nach Westen hin ein Fenster nach dem Vorbild des Ostfensters seines Vorgängers Nikolaus anbringen zu lassen. Doch Herzog Karl von Burgund behinderte die Ausführung dieses Planes, als er vom Kölner Erzbischof Robert unterstützt die kölnische Stadt Neuß ein Jahr lang (1475) belagerte; hätte er sie eingenommen, wie alle befürchteten, hätte er ganz Alemannien unterworfen. Doch zog Kaiser Friedrich mit einem gewaltigen Heer gegen ihn zu Felde und brachte ihn von der Belagerung ab. So wurde der oben erwähnte Bau des Fensters unterbrochen.3 Ein Westfenster wird in der Chronik nicht erwähnt. Erst 1935 kam man dem Geheimnis etwas nä-her, als Handwerker Pfeiler, Bogen und Wände von seit der Zeit des Barock aufgetragenen Kalk-schichten befreite. Auf der Wandfläche hinter der Orgel (Abb. 13) wurden dabei die Spuren einer großflächigen Vermauerung sichtbar, die nach ihrer runden Form auf ein Kreisfenster schließen ließ. Doch was sich dahinter verbarg, blieb weiterhin unklar; denn die Wand wurde zu einer weiteren Un-tersuchung nicht geöffnet. Daraufhin konnte der Historiker KARL HÖLKER in den Bau- und Kunst-denkmälern des Kreises Warendorf von 1936 nur eine vage Vorstellung der Kirchenwestseite liefern. Die Gestalt der Westfassade lässt sich, wenigstens in ihrem oberen Teile noch hinreichend feststellen. Turm-anlagen und plastischer Schmuck waren im Orden verboten. So war man auch bei der Westfassade auf eine gewisse rein architektonisch-dekorative Gliederung der großen Frontwand angewiesen. Der obere Teil der Front war beherrscht von dem gewaltigen Rundfenster, das heute vermauert und durch das Abteigebäude ver-deckt ist.4 Hölkers damalige Zeichnung (Abb. 21A) blieb bis heute die einzige Darstellung von der Westfas-sade der Klosterkirche. Er bildete zwar die Blendbogengestaltung im Giebel realistisch ab, doch bei Einzeichnung von Fensterrose und Westportal musste er hypothetisch bleiben. Für die Fensterrose vermutete er ein großes sechsteiliges Passfenster, wie sie zu gleicher Bauzeit in kleiner Form an der Turmkapelle in Rheda entstanden waren. Das einstige Portal unter der Westrose ist damals zwar auch aufgespürt, aber in der Zeichnung nur als rechteckige Öffnung angedeutet worden. Auf das mögliche Aussehen als ein romanisches Portal mochte sich weder Hölker noch die folgende Bauforschung fest-legen. Der Zufallsfund der Fensterrose von 1984 war zunächst eine wissenschaftliche Sensation, ließ den Entdeckern aber wenig Freude, denn die Öffnung der Kirchenwand brachte den Vorwurf mit sich, fremdes Territorium betreten zu haben und das Abräumen des Bauschutts bedeutete die Vernichtung 3 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 83. 4 HÖLKER 1938, S. 217. 11 Abb. 2: Kloster Marienfeld. Die romanische Westrose nach der Aufdeckung im Abteisaal. Auf der Wand Dekorationen der 50er Jahre. Foto: Archiv Bessmann 1984. wichtiger archäologischer Spuren. Das Denkmalamt ließ den Zustand der stark verwitterten Fensterro-se zwar sichern, plante aber aufgrund fehlender Mittel keine durchgreifende Restaurierung und ordnete aus konservatorischen Gründen einen Wiederverschluss des Rundfensters an.5 Dagegen wollte der Nachbar Bessmann die vom Abteisaal her einsehbare Rose als seltenes architektonisches Schaustück der Öffentlichkeit zugänglich machen.6 Da auch sein Angebot, sie mit einer Glaswand zu schützen, den amtlichen Beschluss nicht abwenden konnte, verschwand die Marienfelder Westrose im Januar 2000, sechzehn Jahre nach ihrer Entdeckung, wieder hinter einer Vermauerung.7 Eine weitere Be-schäftigung mit ihr war zwar nicht mehr möglich, sie war aber direkt nach der Freilegung von Mitar-beitern des Denkmalamts Münster untersucht und dokumentiert worden (Abb. 4).8 Der 1986 veröffent-lichte dreiteilige Aufsatz von QUEDNAU, KORN UND SIGRIST bietet eine kurze Beschreibung des Auf-baus der Rose, einer Prüfung auf die ehemalige Verglasung der Öffnungen, sowie Untersuchungen zu Putz und Farbe an ihrer Oberfläche.9 5 ZELENKA: Eingriff erinnert an Grabräuberei – Bericht vom Pressegespräch des Denkmalamtes. In: NW Nr. 23, 28.1.2000. 6 KRÖGER, Silke: Kirchen-Westseite birgt weitere Schätze. In: NW Nr. 12, 15.1.2000. 7 ZELENKA: Schonfrist ist abgelaufen. In: NW Nr. 16, 10.1.2000. Westrose unter dicken Steinen. In: NW Nr. 14, 18.1.2000. Glocke (men): Westrosette in der Abtei verschwindet hinter einer Mauer. In: Die Glocke 18.1.2000. 8 Abb. S. 13. 9 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986. 12 Abb. 3: Kloster Marienfeld. Blick auf das Mittelauge der Westrose mit Ihren zusammengesetzten Sandsteinteilen. Dahinter die Ziegelvermauerung vom Kircheninneren her. Foto: Archiv Bessmann 1984. Der unter der Vermauerung vorgefundene Zustand der Werksteine zeigte nach der Aufzeichnung von Sigrist keine Farbfassung mehr, wahrscheinlich war sie bis zur vollständigen Verstellung durch den Bau der Abtei verwittert. Allein im oberen, weniger vom Wetter berührten Rosenteil fanden sich Rudimente von vier Farbfassungssystemen, die alle vor der Vermauerung der Rose entstanden waren. In erster Fassung sind die Ziegelsteinpartien zum Werkstein auf Null auslaufend mit einem dünnen Putz versehen worden. Darauf finden sich ockergelbe Farbspuren, so dass man sich vorstellen kann, dass Putz- und Werksteinflächen farblich angeglichen wurden. Eine zweite Fassung zeigte die Werksteinglieder hellgraufarben mit weißen Fugenstrichen und mit einer schwarzen Konturlinie von mittlerweile weißen Putzflächen abgesetzt. Diese Gestaltung ist zu einem späteren Zeitpunkt als dritte Fassung wiederholt worden. Bei einer vierten Erneuerung der Farb-fassung sind die Werksteinteile mit einer dunkelgrauen Farbe gestrichen worden, die wiederum mit einem weißen Fugenstrich und weißen Putzfeldern kontrastierte. Bei der Untersuchung Korns zur Verglasung der Rose fanden sich auf der inneren, zur Kirche gele-genen Seite des zentralen Okulus zehn Ausnehmungen für eine Eisenarmierung. Dabei wurde der Okulus von drei Windeisen in vier schmale, senkrechte Felder geteilt. Die Beschaffenheit der waage-rechten Einteilung blieb ohne Befund, da die Eisen einst alle gewaltsam ausgebrochen worden waren. Ungewöhnlich erscheint, dass die außen liegenden Falzen aller Öffnungen der Rose in kurzen Abstän-den mit quadratischen Aushöhlungen mit einer Tiefe von bis zu 40 mm versehen waren. In ihnen steckten zum Teil noch die Holzdübel mit geschmiedeten Nägeln zur Befestigung der Bleiverglasung, die zusätzlich in üblicher Weise eingeputzt war. Die im Bauschutt aus der Vermauerung der Rose gefundenen Glasreste warfen Fragen auf, die schwerlich beantwortet werden konnten. Man fand 67 größere und kleinere Blankglasfragmente, die einer neuzeitlichen Rechteckverglasung zugeordnet wurden. Weitere 12 Stücke einer kleinteiligen mittelalterlichen Ornamentverglasung mit gekröselten Kanten, deren Außenseiten teilweise stark angewittert waren, konnten ebenfalls nicht eindeutig zuge-ordnet werden. Die Rose befand sich bei der Aufbringung der zweiten Farbfassung ohne Verglasung, denn die Tünche zieht sich durch den Falz und in die kleinen Dübellöcher. Erst danach wurden die Dübel 13 Abb. 4: Kloster Marienfeld Die Westrose in Frontal- und Schnittansicht. Aufmaß von Winfried Preis. eingefügt. Nach Meinung Korns kann es sich bei den mittelalterlichen Glasfragmenten nicht um die Reste der Verglasung des 13. Jahrhunderts handeln. Die Autorin Quednau liefert eine Beschreibung der Rose mit 5,50 m Durchmesser, einer Maßwerk-stärke von 0,67 m und einer Gesamttiefe von 1,71 m; womit wahrscheinlich die Mauerstärke der Westwand gemeint ist. Funktion und handwerklichen Stand der Rose bewertet Quednau wie folgt: Form und technische Bewältigung sind ungewöhnlich und zeugen von dem Bemühen, eine ungewöhnliche Bauaufgabe zu lösen. In den äußeren Okulus ist ein Achtpass aus etwas über halbkreisförmigen Rundbögen eingestellt, dessen Nasen in kleinen Lanzettblattkapitellen auslaufen. Die Zwickel und sonstigen Spalten sind mit Backstein geschlossen […]. Um zum Ring des inneren Okulus zu vermitteln, sind in die Rundbögen spitzbogige Lanzettfensterchen eingestellt, deren Steinrahmen, jeweils aus zwei Werkstücken zusammengesetzt, in die Run-dungen eingepasst sind und die auf dem Ring der inneren Kreisform stehen. Vermutlich hatte man Bedenken, die Rundbögen feingliedrig durch Stege oder Säulchen mit dem inneren Okulus zu verbinden, sie voll zu verglasen und dem Winddruck auszusetzen, was auch die Anbringung von Windeisen in den Passformen erfordert hätte. Stattdessen bediente man sich des vertrauten Verfahrens von ein-gestellten Fensterrahmen, hier allerdings aus Stein, während alle bis dahin in Westfalen bekannten Fensterver-glasungen mit Holzrahmen arbeiteten. Die Marienfelder Rose ist ein Unikum, zumal wenn man die kaum später entstandenen Fensterrosen in der Schlosskapelle in Rheda und am südwestlichen Querhaus des Doms zu Münster betrachtet, die durchaus dem damaligen technischen und handwerklichen Standard östlich des Rheins entsprachen. 10 10 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986, S. 38–39. 14 Abb. 5: Kloster Marienfeld Detailaufnahmen der Rose mit den Kapitellen des Säulenrades an den Bogennasen. Das untere Bild zeigt deutlich den Ansatz zur Aufnahme des Säulenschaftes. 15 Abb. 6: Kloster Marienfeld. Frontalansicht der Westrose im Abteisaal. Foto: Archiv Bessmann 1984. Quednau versteht den damals vorgefundenen Zustand der Rose als ein Werk, dem nichts fehlte und erwägt deshalb keine Ergänzung mit Speichensäulen zu einem Radfenster.11 Die dafür an den Rund-bogen angearbeiteten Blattkapitelle mit ihren Ansätzen (Abb. 5) wurden allerdings nicht erwähnt. Sie führten schon damals zu den Einwänden und Hinweisen, dass man sich die freigelegte Rose rekonstru-iert mit einem Säulenrad vorstellen müsse, was aber von den Autoren verworfen wurde. Missverständ-lich ist auch Quednaus Beschreibung der Fensterrose, denn die im Kreis vorgesetzten Rundbogen und der innere Okulus wurden von ihr fälschlich auf eine Ebene gebracht. Darüber hinaus schlug ihr Ver-gleich mit den Passfenstern in Rheda fehl. Legt man KOBLER zugrunde, ist Quednaus Vergleich der Rose mit den Passfenstern von Rheda nicht angebracht (Abb. 38); denn Kobler deutet diese nicht als Fensterrosen.12 Die Veröffentlichung schränkte den kunstgeschichtlichen Stellenwert der Rose und der darüberlie-genden Giebelarchitektur erheblich ein. Durch den Verschluss der Rose 16 Jahre nach ihrer Entde-ckung war sie jedem weiteren Blick entzogen, was jegliche weitere auf sie bezogene Datenerhebung unmöglich machte. Aufmerksamkeit und Interesse ließen schnell nach; die Kirchenwestseite fand selbst in neuerer Literatur keine Beachtung mehr. Der ruinöse Zustand der Westrose bestätigt die wiederkehrende Erfahrung, dass in Marienfeld bei Umbauten oder Aufgabe bestimmter Teile sehr rüde mit den Werken der Vorväter umgegangen wur-de. Schon im Mittelalter hatte man bei der Schließung der Gedenknische für alle Stifter des Klosters die kunsthandwerklich bearbeiteten Teile bedenkenlos zerschlagen.13 Im 17. Jahrhundert wurde nach Aufstellung des groß dimensionierten Barockaltars (Abb. 12) das gotische Ostfenster vermauert, wo-bei seine wertvolle mittelalterliche Bildverglasung unterging. Als man vor 200 Jahren das Grabmal des Bischofs Hermann, eine romanische Tumba, aus dem Chor herausnahm, büßte dieser seinen fein-gliedrigen säulengestützten Unterbau ein (Abb. 15). 11 Dem 1984 geäußerten Hinweis, dass der Rose wahrscheinlich ein Blendrad vorgestellt war, wurde vom Denkmalamt nicht nachgegangen sondern sofort verworfen. Manfred Beine, Stadtarchivar in Rietberg. 12 KOBLER 1982, Sp. 65–203. 13 STROHMANN 1994, S. 210–250; SASSEN 2009; 16 Abb. 7: Kloster Marienfeld. Blendbogen-Wandpfeiler mit den Resten der doppelten Säulenstellung. Die Kapitelle und Basen sind noch vorhanden, die beiden Säulen aber herausgebrochen. Foto: Andreas Sassen 2017. Auch mit der Westseite der Klosterkirche verbindet sich die bittere Erkenntnis, dass man schon im 16. Jahrhundert die Rose ruiniert hatte: das Speichenrad mit seinen acht feinen Steinsäulen wurde her-ausgebrochen und die Verglasung des Maßwerks zerschlagen. Beim Abteibau um 1700 verloren die Blendbogenreihen im Giebel ihren Säulenschmuck (Abb. 7) und auch die Portalarchitektur (Abb. 30 und 56), einst die Visitenkarte des Sakralbaus, wurde abgeschlagen. Hätte man alles an seiner Stelle belassen, wären wichtige architektonische Elemente der staufischen Romanik überliefert worden. Es stellt sich also die Aufgabe, die Westfassade der ehemaligen Klosterkirche im Sinne der Zister-zienser wieder vorstellbar zu machen. Die drei kunsthandwerklich gestalteten Teile der Fassade, Por-tal, Rose und Blendgiebel sind gesamtheitlich als Leistungen des stauferzeitlichen Kirchenbaumeisters zu beurteilen und in den damaligen Entwicklungsstand der romanischen Architektur einzuordnen. Sowohl die Rose als auch der Giebel der Fassade können mit der Ergänzung der fehlenden Säulenstel-lungen rekonstruiert werden. Dagegen bleibt die verloren gegangene Portalarchitektur hypothetisch, kann aber am Beispiel zahlreich vorhandener Eingangsanlagen zeitgleicher Kirchenbauten nachvoll-ziehbar gemacht werden. 17 Abb. 8: Kloster Marienfeld. Vogelschau-Ansicht der Klosteranlage von Henricus Duenheuft 1802. Abb. Denkmalamt Münster. Zum Bau des Zisterzienserklosters Marienfeld und seiner Kirche Die Westfassade Marienfelds mit ihren prominenten architektonischen Eigenschaften muss stets als klerikales bauliches Gesamtkonzept gesehen werden. Zu diesem Verständnis muss man sich mit der Entstehung des Sakralbaus und seiner Aufgabe des in ihm angedachten Gottesdiensts der Mönche vertraut machen. Als die Westfassade vollendet war, dürften seit Planlegung und Baubeginn der Klos-terkirche über 30 Jahre vergangen gewesen sein. Über die Baugeschichte der Abtei Marienfeld sind abgesehen von der Weihe der Kirche 1222 nur wenige Informationen überliefert. Von fast allen mit-telalterlichen Kirchen fehlen Bauberichte, es sei denn, eine urkundliche Zustiftung mit Namensnen-nung zur Fortführung des Baus blieb erhalten. Oftmals können wir uns aber an bestimmten stilisti-schen Merkmalen des Bauwerks orientieren und dazu den Verlauf des Kirchenbaus nachvollziehen. Das 1185 gegründete Kloster Campus Sanctae Mariae, volkstümlich Marienfeld genannt, ist eine gemeinschaftliche Sühnestiftung verwandter westfälischer Adeliger, die im Sächsischen Krieg unter Heinrich dem Löwen gegen Kaiser Barbarossa gekämpft und verloren hatten: Edelherr Widukind von Rheda mit seinen Neffen, die Grafen von Schwalenberg und der Edelherr Bernhard II. zur Lippe mit seinem Neffen Graf Lüdiger II. aus dem niedersächsischen Wöltingerode.14 14 LEIDINGER 1985, 1999. 18 Abb. 9: Kloster Marienfeld Grundriss der Klosterkirche. Zeichnung aus: Hölker, 1936. Unter der Federführung des Bischofs Hermann II. von Münster konnten sie sich mit der Klostergrün-dung vor dem Kaiser rehabilitieren und erhielten ihre konfiszierten Ländereien zurück. 15 Am 1. November 1186 wurde die für das Kloster vorgesehene Stätte durch einen Zisterzienserkon-vent aus dem Kloster Hardehausen bei Paderborn besiedelt. Die Mitglieder fanden am Platz der späte-ren Klosterpforte die sogenannte Wadenhartkirche vor, seit 1134 Pfarrkirche der umliegenden Bauern-schaften unter dem Kloster Liesborn (Abb. 8). Der Bischof von Münster übertrug ihre Pfarrrechte auf die Pfarrei Harsewinkel und unterstellte sie dem neuen Konvent.16 Sie diente nun über viele Jahre den Mönchen als Oratorium. Da die Kirche mit dem Pfarrhof Wadenhart17 allein in der Landschaft stand, wird man vermutlich in ihrer unmittelbaren Nähe das provisorische Kloster aus Holz-Lehmbauten mit Refektorium und Dormitorium zur Aufnahme des ersten Konvents errichtet haben. Es darf kein neuer Abt an einen Ort gesandt werden ohne wenigstens zwölf Mönche. Auch müssen vorher folgende Gebäude errichtet worden sein: Oratorium, Refektorium, Dormitorium, die Wohnung für die Gäste, und den Pförtnerbruder, damit die Mönche dort sofort Gott dienen und der Regel gemäß leben. (Capitula, 9.4) Da es unter den Zisterzienserklöstern nicht üblich war, Finanzierungen oder Finanzhilfen zum Bau einer neuen Abtei zu gewähren, war es das erste Ziel des neuen Konvents, für sich eine solide wirt-schaftliche Grundlage zu schaffen. Laut positiver Berichte aus der Marienfelder Chronik18 dürfte dies durch Koordination der weitgestreuten Landwirtschaft, aus den großzügigen Förderungen seiner Stif-ter sowie des Bischofs in Münster bald erreicht worden sein. Vermutlich war Marienfeld um 1190 in der Lage, das Großprojekt seiner Klosterkirche mit den Klausurbauten zu beginnen. Zisterziensische Bauprojekte wurden bis ins Detail von Fachleuten geplant und durchgeführt. In dieser Hinsicht war man unter den Filialen innerhalb des Ordens bestrebt, sich gegenseitig nach besten Kräften zu helfen. In den Klöstern hatten Bildung und Ausbildung geeigneter und talentierter Mönche und Konversen einen hohen Stellenwert, um für die Leitung aller Projekte möglichst auf eigene und damit kostengünstige Kräfte zurückgreifen zu können. So beauftragten Konvent, Stifter und Bischof einvernehmlich einen erfahrenen Mönch des Zisterzienserordens als Instruktor, der aber nicht als Baumeister oder Architekt anzusprechen war, sondern alle 15 Widukind von Rheda, erstmals 1169 genannt, 1185 Stifter in Marienfeld, †1191 Akkon/Palästina; Bernhard II. zur Lippe, *1140, 1185 Stifter in Marienfeld, 1196 Abdankung, 1207 Mönch in Marienfeld, 1210 Livland, †1224 als Bischof von Selburg/Livland; Lüdiger II. von Wöltingerode-Wohldenberg, *um 1158, erstmals 1175 genannt, 1185 Stifter in Marienfeld, †7.3.1208 im Harzvorland; Hermann von Katzenelnbogen/Rheingau, 1173 Bischof Hermann II. von Münster, 1185 Stiftungsinitiator in Marienfeld, †1203 als Mönch in Marienfeld. 16 Böhmer/Leidinger 1998, (WUB II 462) Übersetzung der Urk. Bf. Hermanns II., S. 179-180. 17 LEIDINGER 1999, S. 8, laut Anm. 8, begegnet der Name Wadenhart urkundlich noch bis ins 14. Jahrhundert. 18 LEIDINGER 1999. Böhmer/Leidinger 1998, S. 33–38, Anm. S. 200, 38. 19 Abb. 10: Kloster Marienfeld. Längsschnitt der Abteikirche. Zeichnung aus: Hölker, 1936. wesentlichen Entscheidungen im Sinne des Ordens für die neue Abtei zu treffen und deren Ausfüh-rungen zu überwachen hatte. Er beriet den Konvent bei der Wahl des Bauplatzes und brachte Angaben zur Anlage des Klosters wie zur Ausführung der Bauten mit. Im Zisterzienserorden war durch Bernhard von Clairvaux ein Rahmen für Bauwerke vorgegeben, die dem monastischen Leben nach Art von Citeaux entsprachen. Entsprechend dem Postulat des Bau-ens entstand ein Programm, das für die Baumeister neugegründeter Zisterzienserklöster verbindlich wurde. Es enthielt ein funktionales Schema, das die Klosteranlage allgemein auf einen Idealplan fest-legte. Dieser betraf Grundriss und Größe, sowie architektonische Empfehlungen, aber auch die For-mensprache, die Dekoration und alles, was den Geist des Bauprojektes ausmachte. Nach diesem Pro-gramm wurden europaweit über 750 Männerklöster mit all ihren Einrichtungen gebaut; sie prägen die Landschaften und sind auch heute noch – achthundert Jahre später – in ihrem Prinzip nachvollzieh-bar.19 Wahrscheinlich wurde die Grunddoktrin von Citeaux im Orden allgemein beachtet: Damit unter den Abteien für immer dauernde und unauflösliche Einheit herrsche, wurde als erstes festgelegt, dass die Regel des heiligen Benedikt von allen einheitlich ausgelegt werde und dass man nicht einmal in einem Buchstaben von ihr abweichen soll. (Capitula 9.6) Für Bernhard von Clairvaux gab es keinen Grund, von den Traditionen der Benediktiner abzuwei-chen, die die Bauform der Klausurgebäude nach dem Vorbild des karolingischen Landgutes übernah-men, das wiederum von der römischen Villa mit Atrium inspiriert war. Das Grundschema der Kloster-anlage des 12. Jahrhunderts bildete ein geschlossener Gebäudekomplex, mit dem Herzstück von Kir-che und Kreuzgang (Abb. 8). Für den Grundriss der einzelnen Klostergebäude lagen den Zisterzien-sern zwar keinerlei Anweisungen vor, dennoch wurden sie in ihrer Stellung zueinander gleich errich-tet. Als charakteristisches Merkmal des Ordens findet sich überall funktionale Identität der Gebäude innerhalb des Klausur-Vierecks, das darüber hinaus nach soziologischen Kriterien ausgerichtet war. Innerhalb der Klausur befanden sich sozusagen zwei Klöster; eines für die Chormönche adeliger Ab-stammung und eines für die Laienmönche und Konversen, die für die praktische Arbeit des Klosters benötigt wurden. Für jede Gemeinschaft gab es ein separates Gebäude mit Refektorium und Dormito-rium. Im Osten war das Haus der Mönche an das Südquerschiff angebaut, damit sie jederzeit auf kur-zem Weg den Chorraum für Gottesdienst und Stundengebet erreichen konnten. Im Westen der Klausur 19 LEROUX-DHUYS 2007, S. 39. 20 Abb. 11: Stift Freckenhorst Die Stiftskirche von 1129 lieferte mit Abmessungen und 1 ½ Chorjochen wichtige Baumotive für Marienfeld. Foto: Andreas Sassen 2013 21 Abb. 12: Kloster Marienfeld. Blick nach Osten in die Zisterzienserkirche des Übergangsstils mit ihrer barocken Ausstattung. Foto: Andreas Sassen 2015. 22 stand das Gebäude der Laienbrüder, offen zur Außenwelt in der sie arbeiteten. Zur Kirche hin benutz-ten sie die Konversengasse, einen separaten Gang, der sie von den Wegen der Chormönche trennte. In der Klosterkirche schied der Lettner die Gemeinschaften im Mittelschiff, eine hohe Chorschranke, vor dem ein eigener Altar für die Sonntagsmesse der Laienbrüder unterhalten wurde. Für den Klosterbau war der Cellerare (Klosterverwalter) im Auftrag des Kapitels Auftrag- und Geldgeber, der mithilfe eines vertrauten Bauverwalters dem Operarius das Vorhaben in die Tat um-setzte. Auch der Operarius kam aus dem Zisterzienserorden, um als kaufmännischer Leiter verantwort-lich für die Finanzen sowie die Bauaufsicht zu zeichnen. Zur praktischen Ausführung des Bauvorha-bens dürfte ein Laienbruder des Ordens als Bau- oder Werkmeister ausgewählt worden sein. In der romanischen Baukunst hat es den Beruf des Architekten nicht gegeben, jedoch den des Werkmeisters, der – mit allen erforderlichen Kenntnissen des Bauhandwerks vertraut – als gebildete, sozial hoch stehenden Persönlichkeit aus dem Maurerhandwerk stammte. Die zunehmenden Anforderungen zur Konstruktion und Ausführung von Bögen, Gewölben, Säulen und Pfeilern aus Stein setzten jedoch präzises Arbeiten mit diversen Messtechniken voraus, so dass um 1150 dieser leitende Berufsstand aus den Reihen der Steinmetze besetzt wurde. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts fanden sich unter den Steinmetzen spezialisierte Arbeitsgruppen, die ihr Wissen zunächst nur einem engen, eingeweihten Kreis weitergaben. Doch die Wanderbewegung der Männer sorgte für eine Verbreitung der Kenntnisse zum Nutzen für jeden Bauherrn, der dafür bezahlen konnte. An den großen Kathedralbauten der Gotik kamen die Werkgemeinschaften über Jahrhunderte als Bauhütte zum Einsatz, und angesichts der Großbaustelle in Marienfeld war auch dort eine solche Bauorganisation notwendig. Jüngere Studien haben gezeigt, dass die Zisterzienser die hochdotierten, leitenden Stellen möglichst mit Angehörigen des Ordens besetzten und anfangs auch die meisten Arbeiten von Handwerkskräften aus den eigenen Reihen ausführen ließen. Nachdem die Zahl der Personen, die in den Mönchsstand erhoben wurden, zurückging, mussten zur Realisierung von Bauprojekten jedoch immer mehr Bauhandwerker aus der Bevölkerung angeworben werden. Die von Beginn an professionelle Art der Bauausführung Marienfelds lässt vermuten, dass ein aus Frankreich stammender oder dort ausgebildeter Werkmeister des Ordens mit gelernten Handwerkern und deren Hilfskräften mit der Ausführung betraut wurde. Um Vorstellungen des Kirchenbaus Gestalt annehmen zu lassen, mussten Pläne vor Ort entwickelt werden, was in Form maßstabsgetreuer Grund- und Aufrisszeichnungen auf Lehmtafeln geschah. Papier oder Pergament wurden aufgrund ihres hohen Preises nur selten verwendet, weshalb aus dem Mittelalter kaum Baupläne erhalten sind. Lehmtafeln konnten dagegen immer wieder aufgeweicht und glattgezogen neu benutzt werden, wobei oft Detail-zeichnungen zur Information des Bauherrn oder zur genaueren Anweisung der Mitarbeiter entstanden. Es war auch Aufgabe des Werkmeisters, sich um Gewinnung, Transport und Bereitstellung des Bau-materials kümmern. Allgemein wurden die Bauern und Handwerker am Ort und die Hilfskräfte vom Kloster zu Hand- und Spanndiensten herangezogen. Besonders in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte und nach der Ernte mussten sie helfen, auch soweit das Wetter in der kalten Jahreszeit noch Aktivitä-ten zuließ. Gewinnung und Transport von Sand und Steinen, Holzschlagen für Bauholz und Kohlen-brand sowie die Beschaffung von Kalk über weite Wegstrecken zählten zu ihren Aufgaben. Dies wa-ren zeitraubende Betätigungen, aber für den Fortgang der Bauarbeiten bestimmend; denn das Tempo der Bauausführung lag in erster Linie an der Beschaffung und Bereitstellung des Baumaterials. Das Baugelände in Marienfeld bedurfte zunächst einer enormen Aufbereitung, wobei der Lauf des Lutterbachs nach Süden in einem großen Bogen um das zukünftige Klosterareal verlegt werden muss-te. Dort entstand der noch heute vorhandene Teich, der zur Fischhaltung und zum Betrieb der kloster-eigenen Getreidemühle diente, aber auch zur Regulierung eines gleichbleibenden Grundwasserspie-gels, der wiederum zur Erhaltung der Grundmauern der Klostergebäude wichtig war (Abb. 8). Das ursprüngliche von Ost nach West verlaufende Bachbett wurde vermutlich zu einem Kanal zurückge-baut, der mitten unter den Klostergebäuden hindurchlief und zur Wasserversorgung von Küche sowie anderer Einrichtungen und ihrer Entwässerung sowie zuletzt zur Spülung der Latrinen diente. Der Abwasserkanal vereinigte sich unterhalb der Mühle wieder mit dem Lutterbach. In dem sandigen und vermutlich moorigen Grund der Lutteraue mussten alle Mauern der großen Gebäude auf eine Gründung aus Holzpfählen gestellt werden. Für diese Pfahlgründungen hob man 23 Abb. 13: Kloster Marienfeld. Blick ins westliche Joch mit der Barockorgel von Johann Gottfried Moeller aus Lippstadt. Hinter ihr verbirgt sich die vermauerte Westrose. Foto: Andreas Sassen 2015 soweit wie möglich Fundamentgräben bis unter die Grundwasserlinie aus und rammte dicht an dicht Holzpfähle in die Gräben, bis sie einen festen Auflagegrund bildeten. Die Pfahlköpfe mussten zur Erhaltung des Holzes knapp unterhalb des Grundwasserspiegels enden. Auf diese wurde ein Funda-ment aus Granitfindlingen gelegt, um aufsteigende Feuchtigkeit zu vermeiden.20 Da Ziegelmauerwerk hygroskopische Eigenschaften hat, unterband man die aus dem Untergrund aufsteigende Nässe durch einen Unterbau aus dem erratischen Granitgestein, das damals von Norddeutschland bis zum südlichen Münsterland noch reichlich gefunden wurde. Pfahlgründung und Granitunterbau waren ein wichtiger Faktor für den Marienfelder Hochbau, der aus gebrannten Ziegeln ausgeführt wurde. Das Kloster blieb um 1200 zusammen mit der Burg Rheda das erste und einzige Bauprojekt in Westfalen, bei dem der Hauptbaustoff Backstein verwendet wurde. Die in Marienfeld eher seltenen und nach Jahrhunderten nur am Nordquerschiff aufgetretenen Gebäudesetzungen zeigen, dass damals erfahrene Bauhandwer-ker solide Mauergründungen gelegt haben. Die Marienfelder Zisterzienserkirche ist ein Abkömmling der frühchristlichen Basilika in Form ei-nes lateinischen Kreuzes wie sie bereits im Benediktinerorden üblich war (Abb. 9 und 10) Zur Größe der Kirche hatte sich das Kapitel von der Stiftskirche Freckenhorst inspirieren lassen (Abb. 11), da beide Gebäude im kreuzförmigen Grundriss sowie in Länge und Breite identisch sind. Mit der Festle-gung des Kirchengrundrisses und der Abschnürung seiner Ausdehnung erfolgte auch die genaue Aus-richtung der Kirchenachse ad orientem, nach Osten. Der Osten, die Himmelsrichtung des Sonnenauf-gangs, war ein Symbol für die Auferstehung, nach der schon die christlichen Kirchen in Syrien ausge-richtet wurden. Es war die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, symbolisiert durch die Sonne, die durch die Fenster der Stirnwand der Ordenskirche in den Altarraum schien. Wahrscheinlich ge-schah die Ostung durch Anvisieren des Polarsternes, dem Fixpunkt am Himmel, der in jeder klaren Nacht verfügbar ist. Dabei wurde zunächst die Nord-Südachse des Querschiffs bestimmt und über den Pythargoreischen Lehrsatz die Ost-Westachse des Mittelschiffs. Es gibt auch andere Vorstellungen, demzufolge die Ostung der 20 Findlinge als Fundament sind an der Kirchen-Westwand im Keller des Abteigebäudes sichtbar. 24 Abb. 14: Abtei Alcobaca, Portugal. Landvermesser des Klosters stecken ein Terrain ab. Wandfliesen-Ausschnitt des 18. Jahrhunderts aus: LEROUX-DHUYS, Die Zisterzienser. Sakralbauten nach dem Aufgang der Sonne festgelegt wurde.21 Neben durchaus präzise ausgerichteten Kirchenbauten sind vielerorts mehr oder weniger starke Abweichungen in den Kirchenachsen festzu-stellen, die vermutlich auf Toleranzen oder Ungenauigkeiten bei Vermessung, Ausrichtung und Verle-gung der Grundmauern zurückzuführen sind. Nach Abschnüren der gesamten Grundfläche des geplanten Kirchengebäudes (Abb. 14) begann sein Bau stets mit der feierlichen Aufrichtung des Altars oder eines Kreuzes an seiner Stelle,22 sodass jedermann den schon mit den ersten Weihen versehenen Ort sofort erkannte. Der Hauptaltar ist der wichtigste Teil einer Kirche, der bei den Zisterziensern, wie auch in anderen Kirchen des 12. Jahrhunderts aus einem gemauerten Steinsockel (Stipes) mit einer steinernen Platte bestand, in die fünf Weihekreuze23 eingeritzt waren. Damit der Priester am Altar gut zu sehen war, setzte man den Altarraum um zwei Stufen gegenüber dem Kirchenboden höher und den Hauptaltar um eine weitere Stufe. An der Stirnseite des Altarraums stand ein Kruzifix, ein bemaltes hölzernes Kreuz, das das Ge-neralstatut des Ordens von 1119 als einzigen Schmuck erlaubte.24 Skulpturen darf es keinesfalls geben und Malereien nur auf den Kreuzen. Auch dürfen diese nur aus Holz sein (Capitula, 26). Das Edelmetall Gold sollte sich nirgends zeigen, außer bei der Vergoldung des Altarkelches und des Kommunionröhrchens (Capitula, 25). In formaler Besonderheit der zisterziensischen Architektur, die von Bernhard von Clairvaux inspi-riert war, schloss auch der Marienfelder Altarraum mit einer geraden Stirnwand ab. 21 Orientierung (lateinisch: oriens, "aufgehen" bzw. französisch: orient, "Sonnenaufgang") die Ausrichtung eines Kultkomplexes oder einer Kirche auf bestimmte Orte oder Himmelsrichtungen hin; im Christentum in West- Ost-Richtung (Ostung). Diese erfolgte seit der Antike nach dem Polarstern, was nach Meinung der Verfasser den mittelalterlichen Kirchenbaumeistern überliefert war. Nach anderen Autoren (Kiesow 2001, S. 37–39) erfolgte die Ostung im Augenblick des Sonnenaufgangs am Tag des Schutzheiligen der Kirche. 22 Gleichbedeutend mit der sonst üblichen Grundsteinlegung. 23 Fünf Weihekreuze symbolisieren die fünf Wundmale Christi. 24 LEROUX-DHUYS 2007, S. 40, 53. 25 Abb. 15: Kloster Marienfeld. Rest der Grabtumba des Bischofs Hermann II. von Münster um 1250, die vor dem Hochaltar gestanden hat. Foto: Andreas Sassen 2015 Der gerade Chorschluss war allerdings keine Erfindung des Ordens, sondern gehörte bereits zum be-stand vieler ländlicher Kirchen des 11. Jahrhunderts. Nach Bernhard war er einzig dem Budget ge-schuldet, das jede Vereinfachung begrüßte. Der Geist von Citeaux bestand darin, jeglichen Prunk zu meiden und immer die einfachste Lösung zu suchen. Die Architektur der Marienfelder Klosterkirche (Abb. 12) ist weder dem romanischen noch dem gotischen Baustil allein zuzuordnen. Die bei ihr aufgenommenen Bauformen gehören der sogenannten Übergangszeit an. Zum Ende des 12. Jahrhunderts entwickelte sich eine Stilrichtung, die die romani-schen Grundformen, die Grundanlage, Aufbau und Einteilung der Räume im Wesentlichen beließ, jedoch nach größerer Leichtigkeit und Schlankheit, lebendiger Teilung der Massen sowie einer nie dagewesenen Zierlichkeit der Formen strebte. Dieses Erscheinungsbild erfreute sich in Deutschland lange größter Beliebtheit und fußte auf den Verbindungen und Bewegungen des Handels über weite Distanzen, der Stauferzeit mit der höchsten Blüte des Rittertums, verbunden mit den Kreuzzügen, die eine Berührung mit Byzanz und den arabischen Bauformen bewirkten.25 Die prominenteste Neuauf-nahme in das architektonische Repertoire war der Spitzbogen, der schon lange im Vorderen Orient bzw. in der maurischen Baukunst verbreitet war. Bereits seit dem 11. Jahrhundert – nach Eroberung Siziliens – birgt die normannische Baukunst unverkennbar sarazenische Einflüsse, darunter auch der Spitzbogen in den Sakralbauten. Frankreich war damals aufgrund seines Wohlstandes das Land der Initiativen und Neuerungen, wodurch binnen kurzem die Gotik entstand. 26 Das Gebiet des jetzigen Deutschland übernahm die Gotik nur zögerlich, was in einem Übergangs-stil resultierte. Der Spitzbogen war das hervortretende Merkmal dieser Zeit, zunächst von dekorativer, dann konstruktiver Funktion (Abb. 17), der eine allmähliche Umgestaltung der romanischen Bauweise bewirkte. Entsprechend der mittelalterlichen Art, in dem Neuerungen stets vom Inneren ausgehen, findet sich auch in Marienfeld die Spitzbogenform zunächst im Inneren des Sakralbaus, während das Äußere noch ganz dem Rundbogen verpflichtet ist. Viele damals begonnene Kirchen zeigen im östli-chen Teil noch den Rundbogen, während das noch in der gleichen Epoche errichtete Langhaus bereits den Spitzbogen aufweist. Dieser fand auch sehr bald Eingang in den Gewölbebau, sofern man von der üblichen romanischen quadratischen Grundform in eine rechteckige übergehen wollte. Die schmalere 25 LÜBKE, 1994, S. 511. 26 Gotik: Ursprünglich abfällig geprägte Bezeichnung als barbarischer Stil der Goten gegenüber der Renaissance durch den italienischen Baumeister, Maler und Historiographen Giorgio Vasari (1511–1574). 26 Gewölbeseite konnte durch die Einfügung eines Spitzbogens auf die gleiche Höhe gebracht werden wie die weitgespannte, die von einem Rundbogen getragen wurde.27 Sobald man begann, den Scheitel des Kreuzgewölbes sehr hoch hinaufzuziehen, so dass in der Durchschnittsansicht die Mitte eines Ge-wölbes nicht mehr eine gerade, sondern eine ansteigende Linie ergab, konnte man den Spitzbogen als tragenden Gurtbogen zwischen den einzelnen Jochen einsetzen. Die jetzt hochaufsteigenden Gewölbe-kuppeln oder Domikale (Abb. 16) baute man vielfach in schwerer Konstruktion weiter in Bruchstei-nen,28 jedoch führten sich an anderen Orten wie Marienfeld oder Mariensee leichtere Bauweisen in Ziegel29 oder Tuffstein30 ein. Die Merkmale des Übergangsstils wurden vollständig auf Marienfeld übertragen, als man die Klos-terkirche vom Altar her, also von Osten nach Westen errichtete.31 Zum Verlauf der Bautätigkeit gibt es außer der Klostergründung von 1185 und zwei auf den Bau bezogene Stiftungen von 1202 und 1206, sowie der Weihe der Kirche keine Informationen.32 Im Jahre 1203 starb der Mitbegründer Bischof Hermann II. von Münster, der in seinen letzten Lebensjahren noch in den Zisterzienser-Konvent einge-treten war.33 Er wurde vor dem Hochaltar bestattet, so dass man annimmt, dass zu dieser Zeit der Chorraum bis zur Vierung, dem Schnittpunkt zum geplanten Querhaus, aufrecht gestanden hat.34 Wahrscheinlich schloss man diesen kurzen vollendeten Bereich zu den drei Baustellenseiten hin mit provisorischen Wänden aus Holzlehmfachwerk ab, so dass er den geistlichen Mönchen bereits zur Verfügung stand. Offenbar ruhte der Kirchenbau von 1200 bis1205, wonach zwei Güterschenkungen 1206 und 1207 den Anstoß des Weiterbaus gaben.35 Es erfolgte die Errichtung des Langhauses der Kirche, denn man brauchte es dringend für den Gottesdienst der Laienmönche, von denen sich damals sehr viele der Klostergemeinschaft anschlossen. Nach Errichten des Chorraums sind die Mauern des Langhauses hochgezogen und nach der Dach-eindeckung der Kirchenraum eingewölbt worden. Die Einwölbung konnte abschnittsweise erfolgen, was durch die damals neuartige Gewölbebauweise mit steil ansteigenden Kappen möglich geworden war. Der aus Frankreich kommende oder dort geschulte Baumeister realisierte in Marienfeld, und da-mit erstmals in Deutschland, über quadratischen Kirchenabschnitten – den Jochen - hochkuppelige Domikalgewölbe. Im Gegensatz zu der bisher üblichen schweren romanischen Gewölbetechnik, die man aus Bruchstein nur mit aufwendigen Lehrgerüsten ausführen konnte, baute man in Marienfeld aus weichgebrannten Ziegeln in freier ringförmiger Aufmauerung leichte Gewölbekuppeln, die bei günsti-ger Statik nicht nur sehr stabil waren, sondern ihre Ästhetik auch mit einer hervorragenden Raumakus-tik verbanden. Die Technik dieser Gewölbe verbreitete sich noch während des Baus der Klosterkirche und wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts an fast allen Kirchenbauten Westfalens, Norddeutschlands36 und des Ostseeraums verwendet. Ihre Merkmale, zu denen auch eine gleichartige Kapitellornamentik gehört, gehen auf den Nachwuchs aus der Bauhütte Marienfelds zurück, der an vielen neuen Kirchenprojekten arbeitete, die wiederum Vorbild für andere Kirchenbauten wurden. Die Zisterzienser waren bekannt für einfache, aber bahnbrechende technische Lösungen, weshalb die in alle Richtungen ausziehenden jungen Männer den Bauplan zu dieser Gewölbeform sozusagen in der Tasche hatten. Das Konstrukti-onsgeheimnis der 27 Billerbeck, Johanneskirche. 28 Lippstadt, Große und Kleine Marienkirche; Herford, Stiftskirche. 29 Marienfeld, Klosterkirche; Rheda, Burgkapelle; Mariensee, Frauen-Klosterkirche. 30 Heisterbach, Klosterkirche; fast alle Kirchen der Zeit am Rhein. 31 Ein Neubau der Kirche erfolgte von Ost nach West, damit sobald wie möglich der Altar geweiht und die Messe gelesen werden konnte. Erneuerungen wurden meist umgekehrt von West nach Ost vorgenommen, um den Altar so lange wie möglich nutzen zu können. 32 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 111. 33 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 28, 147, 148. 34 Eine allgemeine Annahme, denn der Hauptaltar war ja schon mit der Grundsteinlegung vorhanden. 35 KEMPKENS 2011, S. 36 HAIDUCK 2009. 27 Abb. 16: Kloster Marienfeld. Blick in die Domikalgewölbe von Querschiff und Vierung. Foto: Andreas Sassen 2015. hochkuppeligen, eiförmigen Domikalgewölbe gründete sich auf die natürliche Form der Parabel, die jederzeit mit dem Durchhängen einer Kette nachgestellt werden konnte. Je nach dem, wie weit die Kette gespannt wurde, ergab sich (umgedreht) aus dem Bogen die ideale Form für jede gewölbte An-forderung. Ende des 13. Jahrhunderts wurden die Domikale durch die Rippentechnik der Gotik ver-drängt und gerieten in Vergessenheit. Doch die Baumeister des Barocks sollen sie wiederentdeckt haben, denn in London wurden die Kuppeln von St. Paul nach der hängenden Kette gestaltet.37 Im 19. Jahrhundert griffen einige Baumeister des Historismus’ diese einfache Technik wieder auf und fand vielfältige Anwendung bei dem Katalanen Antoni Gaudi (1852–1926). Er machte den parabolischen Bogen zur Grundform seiner sämtlichen Portal- und Gewölbebauten.38 Die Kathedrale Sagrada Fami-lia in Barcelona ist beredtes Beispiel für die Möglichkeiten dieser naturwissenschaftlich basierten Methode. 37 CLIFTON-TAYLOR 1986, S. 235–247. 38 ZERBST 1986. 28 In Marienfeld schleppte sich der Bau der Laienkirche noch über 20 Jahre hin, da vor allem die Be-schaffung des Baumaterials schwierig war; denn neben der Verwendung von Sandstein aus dem Teu-toburger Wald für die architektonisch gliedernden Teile der Kirche hatte man sich für die Ausführung der Mauermassen in Backstein entschieden. Der Marienfelder Konvent und auch der lippische Lan-desherr, der zeitgleich die Burg Rheda errichten ließ, waren die ersten und einzigen in Westfalen, die damals in Ziegelstein bauen ließen. Ihre Projekte waren damit vollständig von der langwierigen Pro-duktion dieses Baustoffes abhängig.39 Nach Steinformat und Mauerverband lassen sich in Marienfeld zwei aufeinander folgende Ziegel-phasen erkennen.40 Für die Umfassungsmauern des Chores und Teile der Querhauswände fanden Backsteine im Format 27–28 cm x 13,5–14 cm x 7–7,5 cm Verwendung. Sie wurden im gotischen Verband versetzt, d.h. ein Läufer wechselt mit einem Binder, so dass die Binder im Mauerverband übereinanderliegen. Demgegenüber sind für das gesamte Langhaus und die Fertigstellung der Quer-hauswände dickere Ziegel im Format 27–29 cm x 13,5–14 cm x 9,5–10 cm verwendet worden. Nur am südlichen Langhaus ist ein Teil des Mauerwerks aus größeren Formaten von 29–30 cm x 15 cm, aber gleichbleibender Dicke errichtet worden. Im Mauerverband wechseln nun zumeist zwei Läufer mit einem Binder, wobei die Binder im Ziegelbild nicht mehr nach einem regelmäßigen System ver-setzt sind. Die Ziegel des Rundbogenfrieses an Traufen und Giebeln sind als Binder vermauert; es handelt sich um leicht gewölbte, konische Formsteine, oben zwischen 13 und 15 cm, unten zwischen 11 und 13 cm breit. Die einheitlich geringe Stärke des ersten Backsteinformats ist ein Indiz für den durchgehenden Bau des Chorhauses bis zur Vierung, die vermutlich um 1203, zur Zeit der Beisetzung Bischof Hermanns, aufrecht stand. Den Anzeichen nach ist dabei der Chor eingewölbt worden, denn seine Gewölbe beste-hen ebenso aus dem anfangs verwendeten dünnformatigen Backstein. Alle anderen Gewölbe im Kir-chenschiff wurden aus dem später hergestellten dickeren Format aufgebaut.41 Eine längere Unterbre-chung des Kirchenbaus zog stets die Abwanderung der Ziegelmacher nach sich. Bei Wiederaufnahme der Bautätigkeit waren dann andere Ziegler am Werk, die entweder von sich aus oder auf Geheiß des Werkmeisters ein dickeres Format lieferten. Zudem ist der in der zweiten Phase verwendete Mörtel dunkler eingefärbt, was auch auf den Wechsel der Mörtelmacher und mit ihnen auch anderer Bau-handwerker schließen lässt. Neben der fast ausschließlichen Verwendung des Backsteins ging man in Marienfeld auch bei den Mauerwerksstrukturen neue Wege. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen romanischen Bruch- und Hausteinbauten waren in der Regel aus zweischaligen Wänden errichtet worden. Außen entstand eine relativ sauber aufgemauerte Schale, die zur Abweisung des Regenwassers zumeist geschlämmt oder sauber verfugt war. Im Inneren baute man eine weniger gleichmäßige Schale, die als Raumfassung grundsätzlich glatt verputzt wurde. Den Zwischenraum füllte man als Gussmauerwerk mit Steinbro-cken und dem teuren Baustoff Kalkmörtel auf. Verwendete man ausreichend Kalkmörtel und ließ man ihn lange abbinden, ergab sich ein stabiles betonartiges Gefüge; sozusagen für die Ewigkeit. Wurde jedoch an Kalkmörtel gespart, waren die Mauerwerksschalen mit der Kalk-Steinschüttung nicht kraft-schlüssig, so dass sich schließlich Risse bildeten, ganze Steinverbände ablösten und Mauern einstürz-ten. In Marienfeld wurden die Backsteinmauern dagegen durchgehend im Verband aufgemauert. Aus den Ziegelbränden standen den Bauhandwerkern durch einen hohen Anteil an Bruch allerdings unter-schiedliche Steinqualitäten zur Verfügung. Das Problem lösten sie durch Vorsortierung, wobei sie die besten Steine außen versetzten und im Inneren die mindere Qualität verbauten. Im Kern wurden die Fehlbrände und Brocken eingesetzt, die aufgrund ihrer geraden Seiten schlüssig eingemauert werden konnten. In deren Verbund griffen regelmäßig die Binder ein, um das Gefüge zusammenzuhalten. An der Klosterkirche entstanden dabei Mauern von ca. 150 cm Stärke an der Südseite und 120 cm an der Nordseite des Langhauses. 39 Die Klosterkirche weist bis auf geringe Bruchsteinflächen ausschließlich den Baustoff Ziegel auf. 40 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 102–106. 41 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 109. 29 Abb. 17: Dom zu Limburg/Lahn. Die Kirche, ein Muster des Übergangstils, erhielt bis zur Weihe 1235 eine Lochplatten-Westrose. Foto Andreas Sassen 2005. Die zum Kirchen- und Klosterprojekt benötigten Ziegelsteine wurden wahrscheinlich in Ortsnähe von Spezialisten der Ziegelkunst hergestellt. Doch weder ihre Herkunft, ob aus dem Elbegebiet, aus Verden oder sogar der Lombardei,42 noch die Stelle, wo der geeignete Lehm für den Ziegelbrand ge-wonnen wurde, konnten bis heute identifiziert werden. Neben dem begrenzten Ziegelausstoß bei den Steinbränden waren die Ziegler vom jahreszeitlichen Wetter abhängig. Sobald Frost aufkam, ruhten Ziegel- und damit auch Baubetrieb. Bei niedrigen Temperaturen konnten einzig die Steinmetze in ihren Hütten an den Werksteinen des Teutoburger Waldes weiterarbeiten, bis auch hier der Winter die Lieferungen aus dem Berg unterbrach. Die Bauruhe nutzten Baumeister, Assistenten und Schüler, aber auch Steinmetze und andere Be-rufsgruppen für Reisen zu anderen Baustellen. Nicht nur das heimische Kloster war – wie im Orden üblich – ungeheizt, so dass die Reisenden überall gleiche Verhältnisse erwarteten. Die Gastfreiheit im dichten Netz der Klöster in Mittel- und Westeuropa garantierte Reisen, Unterbringung und Versor-gung der Mönche wo auch immer sie hinkamen. Erfahrungsaustausch, technischer Fortschritt sowie Anregung und Aufnahme neuer Formen des Baustils wurden dadurch über weite Entfernungen und vergleichsweise schnell möglich. Die Tradierungsroute verlief in der Regel von Frankreich, bzw. vom Rhein nach Westfalen und weiter über Weser und Elbe nach Osten. 42 Die Lombardei gilt als Wiege des europäischen Backsteinbaues. Das Prämonstratenserkloster Jericho baute in der Mark bereits nach 1150 die älteste Backsteinkirche in höchster Vollendung. Das mit der Mark verbundene Verden ist seit Bischof Yso um 1200 ein Zentrum des Weser-Ziegelbaues, das dann nach Friesland ausstrahlte. 30 Abb. 18: Heisterbach/Siebengebirge, Zisterzienserkirche. Die 1202–37 erbaute Klosterkirche im Übergangsstil wurde im Obergaden von Kreisfenstern verschiedenster Art erhellt. Nach 1805 bis zum Chor abgebrochen. Bauaufnahme für Sulpiz Boisserée 1810. Inspirationen für die in Marienfeld realisierten Bauformen der Übergangszeit sind sämtlich im Westen, am Rhein und darüber hinaus im westlichen (Angers) sowie nordwestlichen Frankreich zu suchen. Bei der uns hier interessierenden Außenarchitektur des Westgiebels mit seinen Blendarkaden ist eine Auf-nahme rheinischer Formen der Stauferzeit zu spüren. Neben diversen Sakralbauten am Rhein (Speyer, Worms, Schwarzrheindorf, Lonnig Abb. 60) weisen fast alle romanischen Kirchen Kölns zur Aufglie-derung ihrer Fassaden und Apsiden Blendarkaden auf. Die Blendbogenarkaden am Langhaus des Bonner Münsters haben beispielsweise eine Vorbildfunktion für die Chorwände des Dombaus in Min-den, die auf einen Zisterzienser der Marienfelder Bauhütte zurückgehen (Abb. 61 und 62). Ebenso ist rheinischer Ursprung in der zweischaligen Auflösung der Dreifenstergruppen des Querhauses der Ma-rienfelder Klosterkirche zu sehen. Möglicherweise war dieses Bauprinzip bereits an der Chorostwand vorhanden,43 deren einstiges Aussehen schon im 14. Jahrhundert verändert wurde. Einen anderen Weg nahm vermutlich die beim Abschluss der Westfassade den Sakralbau prägende Fensterrose. Die Formen der Fensterrosen sind allgemein von Frankreich nach Deutschland übernom-men worden. In der Architektur südlicher Länder treten Rundfenster kleinerer Abmessungen zwar schon im 11. Jahrhundert auf, die Entwicklung zum vollendeten Radfenster geschieht jedoch erst zum Ende des 12. Jahrhunderts. In Deutschland ist eine der vermutlich ältesten Westrosen um die Mitte des 12. Jahrhunderts an der Klosterkirche Eberbach ausgeführt worden – leider heute zerstört.44 Vermut-lich befand sich dort eine Rose mit Lochplattenmaßwerk, wie sie noch im ersten Drittel des 13. Jahr-hundert an der Westseite des Limburger Doms (Abb. 17 und 44) ausgeführt wurde.45 Dagegen sind schon 1150 an der Kölner Kirche Groß-St. Martin (Abb. 19) drei Blendrosen mit Speichenrad einge-baut worden. Sie fanden Nachahmung in Soest, Paderborn und Lippstadt und wurden vermutlich nach Marienfeld auch Vorbild für die Johanniskirche in Billerbeck (Abb. 42). Nach 1200 sind Kreisfenster hochaktuell in der Baukunst, so dass an der Klosterkirche Heisterbach im Siebengebirge (Abb. 18) mit Ausnahme von Ost- und Westseite alle Fenster als Kreis-, Rundpass- oder Rosenfenster 43 Die ursprüngliche Ostfassade Marienfelds ist Thema einer folgenden Arbeit der Verfasser. 44 BELSER, Hessen, 1962, S. 25. 45 BELSER, Hessen, 1962, S. 178. 31 Abb. 19: Köln, Groß-St. Martin. Mittelausschnitt vom staufischen Ostteil, 1150–1172 erbaut. Ein Musterbeispiel für die Realisierung von Blendrosen im Giebel und reichlicher Verwendung von Blendarkaden zur Wandgliederung. Zeichnung aus Kubach und Verbeek 1978. ausgeführt wurden.46 Leider ist auch in Heisterbach nach 1809 alles zerstört worden, so dass uns neben Limburg als einziges deutsches Exemplar einer großen Fensterrose vom Entwicklungsstand der Zeit um 1220 die Westrose von Marienfeld blieb (Abb. 45). Durch die Kombination eines Plattenmaß-werks mit einer vorgesetzten Radblende ist sie ein wichtiges Bindeglied in der Reihe der spätromani-schen Rosenfenster. Man übernahm das übliche Lochplattenmaßwerk, vergrößerte die Kreislöcher zu spitzbogigen Lanzettfenstern und setzte zur Zierde und Veredelung das durchbrochene Steinwerk ei-nes Speichenrades davor. Mit der Fertigstellung der erlesenen Westfassade schloss man den romanischen Bau ab und verlieh der Klosterkirche ein feierliches Gewand. Als am 4. November 1222 die Kirche endlich geweiht wer-den konnte, stellten Konvent und sämtliche Beteiligte in Betracht der jahrzehntelangen Bauzeit die Fassade (Abb. 30) mit ihrer Rose umso mehr als Schau- und Vorzeigeprojekt heraus. Der feierliche Einzug des geladenen Adels und Klerus sollte dezidiert ohne Baugerüst erfolgen. Das Portal (Abb. 22 und 56) war nicht zuletzt für diese Festivität so imposant gestaltet, dass ein kirchlicher Würdenträger zwischen mindestens zwei Begleitpersonen die Kirche betreten konnte.47 Über den Weiheakt der Klosterkirche berichtet der Mönch Hartmann in seiner Chronik:48 Unter Abt Winrich (1219–1226) wurde unsere Klosterkirche vollendet. Zu Ihrer Einweihung kamen die ehr-würdigen Väter, vortrefflich ihrer Abstammung nach, noch vortrefflicher im Glauben: Dietrich von Isenberg, Bischof von Münster, Adolf von Osnabrück, Konrad, Bischof von Minden, und Bernhard zur Lippe, Bischof von Selburg. Unter ihnen war Dietrich als zuständiger Bischof der wichtigste, denn er weihte selbst Hochaltar und 46 KUBACH/VERBEEK 1976: 47 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 34, S. 199 Abs. S. 34. 48 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 34. 32 Abb. 20: Kloster Marienfeld. Das am Querschiff befindliche Nordportal entstand in frühgotischer Form erst nach 1222. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Kirche. Bischof Adolf von Osnabrück weihte alle Altäre auf der linken Chorseite, Konrad von Minden die auf der rechten. Bernhard zur Lippe weihte den Hl.-Kreuz-Altar im Chor der Laienbrüder und alle übrigen Altäre im unteren westlichen Teil der Kirche. Die feierliche Einweihung wurde vollzogen im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit zur Verehrung der seligen Maria im Jahre 1222 in der 10. Indiktion am 4. November. Die Weihe der Klosterkirche 1222 bedeutete gleichzeitig eine Zäsur für die weitere stilistische Ge-staltung der Klosterkirche. Nachdem bis dato der Spitzbogen lediglich in die Gewölbe eingebaut wor-den war, zeigte sich die gotische Bogenform in der Westrose erstmals auch außen. Mit Wiederauf-nahme der Bautätigkeit, die frühestens nach der Winterpause erfolgt sein konnte, bestimmte von nun an die Gotik die Architektur. Bei den ansatzweise schon vorhandenen Querschiffsmauern, die als Stüt-zen der Vierung dienten, wurden nun die Fenster, Mauerfriese und Portale im neuen Stil eingebaut. Auch in die Kapitellplastik der Dreifenstergruppen sowie den Portalsäulen fanden Akanthus-Blattformen Eingang. Besonders die Ädikulafassung des Nordportals (Abb. 20) sticht als Spitzenleis-tung der Steinmetze in vollendeter Frühgotik hervor. Mit seiner Fertigstellung wurde das Nordportal der Abteikirche der Hauptzugang für die Konversen und Laien des Klosters, während die Priestermönche ihren Chor über Dormitoriumstreppe oder den Kreuzgang betraten. Vermutlich öffnete man das Haupt- oder Westportal der Kirche nur noch für Pro-zessionen und an hohen Festtagen. Es bildete aber bis ins 16. Jahrhundert die symbolträchtige Kulisse der klösterlichen Gerichtsstätte. 33 Abb. 21A, 21B: Kloster Marienfeld. A: die von Hölker 1936 vermutete Westfassade in den Bau- und Kunstdenkmälern Westfalens. B: die Westfassade nach Rekonstruktion der Verfasser 2017. Der dann folgende Bau des Richthauses, der Gerichtsverhandlungen in einem geschlossenen Raum ermöglichte, verstellte Portal und Rose,49 womit die Abtei bereits auf den architektonischen Wert der Westfassade verzichtete. Hier zeigte sich, dass schon damals das Werk vorangegangener Generationen nicht geschätzt wurde. Endgültig verstellt und bei dieser Gelegenheit zerstört wurde die einstige Prachtfassade Marienfelds dann schließlich um 1700 mit dem Bau der barocken Abtei (Abb. 1).50 Als 100 Jahre später das Kloster aufgelöst und versteigert wurde, wusste kaum noch jemand von der einst hohen Bedeutung von Kloster und seiner Kirche. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begannen Münsteraner Geschichts- und Kunstwissenschaftler, Marienfelds Stellung in Kultur und Architektur des Mittelalters wiederherauszustellen. Die Entdeckung der in der Westmauer schlummernden Fens-terrose im Jahre 1984 war zunächst eine Sensation, wurde aber merkwürdigerweise schnell wieder vergessen. Erinnerung und Aufarbeitung dienen jedoch der Erweiterung unseres Wissens über die Klosterkirche sowie einer Einstufung in die fortschreitende mittelalterliche Architekturentwicklung Westfalens. Die eingangs erwähnte Wadenhartkapelle am Eingang des Klosterareals, die den Mönchen bis zur Weihe der Klosterkirche als Oratorium diente, blieb als Pfortenkapelle erhalten. Als eine typische Einrichtung aller Zisterzienser-Männerklöster diente sie Angehörigen der Mönche sowie Besucherin-nen, die das Kloster nicht betreten durften, zu Messe und Gebet. Während solche Pfortenkapellen im Kloster Loccum und in Riddagshausen noch vorhanden sind, erhielt sich davon in Marienfeld nach 1803 nur noch ein Mauerrest mit Wandnische. 49 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 136. 50 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 136. 34 Abb. 22: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion des romanischen Säulenportals in der Westfassade. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Der Bau der Westwand mit Portal, Fensterrose und Blendgiebel Die Architektur der Kirchen-Westfassade von Marienfeld ist ein Ergebnis vielfältiger Eindrücke, Ein-flüsse und Anregungen, die aber nicht kopiert, sondern ganz speziell für den eigenen Bedarf weiter-entwickelt wurden. Dabei spiegelt der Bau der Klosterkirche stets den Entwicklungsstand der werk-meisterlichen Erfahrungen und Vorstellungen und kann auch präzise in die allgemeine Entwicklung der Baukunst zu Beginn des 13. Jahrhunderts eingeordnet werden. Ebenso verhelfen diese Erkenntnis-se zu einem übersichtlichen Bild der zahlreichen Nachfolgebauten Marienfelds in Westfalen, dem nördlichen Münsterland und weit darüber hinaus.51 Neben Ziegelsteinen fand in Marienfeld als Werkstein größtenteils der gelbbraune Teutoburger-Wald-Sandstein Verwendung, dessen Steinbrüche sich im Teutoburger Wald bei Peter auf´m Berg noch nachweisen lassen. Es handelt sich um einen feinsandigen, feinporigen, teilweise löchrigen Na-turstein, der sich an den architektonischen Gliederungselementen wie Lisenen, Eckquadern, Sockeln, Fenster- und Türgewänden, Gesimse, Säulen, Kapitellen, Konsolen, Pfeilern und Gurtbogen wieder-finden lässt. Außerdem ist die gesamte Westwand mit Sandstein verkleidet worden, der in Form sau-ber bearbeiteter Quader in unterschiedlicher Größe verbaut wurde.52 Am Chorhaus ist eine einheitliche Blockhöhe von 42 cm festzustellen, was auf einen in Frankreich geschulten Werkmeister zurückzufüh-ren ist.53 Andere Natursteinsorten sind nur in geringem Umfang verbaut worden, so Grünsandstein des Sauer-lands für Teile der Dreifenstergruppen in den Querhausfassaden. Darüber hinaus verwendete man Baumberger Sandstein, der unter der Erde in den Bergen nordwestlich von Münster gewonnen wurde. Das in der Struktur sehr gleichmäßige und im frischen Zustand weiche Material eignete sich für feine Arbeiten und Dekorationen. So findet sich Baumberger Sandstein an den Säulen und Kapitellen des Nordportals, an Zierelementen wie Konsolen im Innenraum sowie an den Teilen der wieder verschlos-senen Stifternische an der Westwand des südlichen Querhauses. Auch die erste steinerne Inneneinrich-tung der Klosterkirche aus der Romanik (Abb. 15) bis hin zu den vielfältigen, filigranen Werken der Spätgotik ist aus Baumberger Sandstein geschaffen worden. 51 Siehe Thementeil: Zur Entwicklung der Fensterrosen, der Portale und Blendbogen. 52 In den Lisenen finden sich bei längsrechteckigem Steinformat Höhen von 40–50 cm, zuweilen auch 20–40 cm oder 50–70 cm. 53 KEMPKENS 2011. 35 Abb. 23: Kloster Marienfeld. Bau der Kreishöhlung mittels zweiteiligen Lehrgerüsts aus Holz. Im Vordergrund die Mauerverkleidung mit Werkstein, dahinter der Mauerkern aus Ziegelsteinen. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Neben den bereits beschriebenen Kirchenmauern von 120–150 cm Stärke bringt es einzig die Westwand auf 174 cm, wobei etwa 30 cm auf die Verkleidung mit Sandsteinquadern entfallen. Die Natursteinverkleidung wurde zusammen mit dem Ziegelmauerkern hochgezogen, um eine kraftschlüs-sige Verbindung beider Teile zu gewährleisten. Im Erdgeschoss ließ man im Rohbau eine übergroße Türöffnung für das Portal, damit man dort später die platzintensiven sandsteinernen Teile der vorge-zogenen Portalarchitektur (Abb. 22) einbauen konnte. Über dem Eingang setzte man als stabilen Ge-wölbesturz mehrere Bogen übereinander ein, um den zu erwartenden oberen Mauerdruck ausreichend abzufangen. Im Weiterbau erreichte man die Zone des über dem Portal geplanten Kreisfensters, das mit einem besonderen Maßwerk als Rose gestaltet werden sollte. Dafür benötigte man in dem 1,74 m dicken Mauerwerk zunächst eine präzise angelegte kreisförmige Öffnung von 5,50 m Durchmesser. Für deren Aufbau hatten die Zimmerleute aus Brettern und Kanthölzern ein im Maß genau entsprechendes Lehr-gerüst aus zwei identischen Halbzylindern vorbereitet (Abb. 23), dessen Unterteil mit der Rundung nun auf die exakt eingemessene und als Streifen schon stehende Mitte der unteren Rollschicht54 aufge-setzt wurde. Mit dem weiteren Wachsen der Mauer setzte man die Rollschicht beidseitig am Lehrge-rüst an, bis die Oberkante des unteren Gerüstteils erreicht war. Nach Aufsetzen des Gerüstoberteils zu einer kompletten Rundform und dem Einbau von Keilen zwischen den beiden Halbzylindern, konnte beidseitig in bisheriger Weise weitergebaut werden, bis eine geschlossene Röhre geschaffen war. Die obere Rollschicht musste als tragendes Gewölbe mit mindestens einer zweiten, besser einer dritten Rollschicht verstärkt werden, um den tonnenschweren Druck der darauf lastenden oberen Mauer ab-fangen zu können. 54 Rollschicht, Rollage, Schicht aus auf die hohe Kante gestellten Mauerziegeln. 36 Abb. 24: Kloster Marienfeld. Die zusammengesetzten Teile des Plattenmaßwerks für die Verglasung. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Nach Abbinden und Durchhärten des Kalkmörtels schlug man die Lagerkeile zwischen den beiden Gerüsthälften heraus, so dass die obere Hälfte auf die untere aufsetzte, nach oben zum Gewölbe Luft bekam und herausgezogen werden konnte. Ebenso entfernte man auch die untere Gerüsthälfte, womit der Rohbau des Kreisfensters freigelegt und zur Ausgestaltung vorbereitet war. Die Herstellung der Fensterrose war eine Sache der Steinmetze. Nach den Vorgaben des Werk-meisters mittels Ritzzeichnung auf Lehm, mussten alle Teile der Rose im Verhältnis 1:1 passgenau aus Stein gefertigt werden. Dazu wurde jedes Detail der Ritzzeichnung auf ein dünnes Holzbrett übertra-gen und zu einer Schablone gesägt, die wiederum auf einen passenden Stein gelegt und ausgearbeitet wurde. Die Steinmetze arbeiteten zunächst zum Verschluss der Mauerkreisöffnung ein 30 cm starkes Plattenmaßwerk als Rose mit acht spitzbogigen Fensteröffnungen (Abb. 24), die jeweils aus zwei Tei-len zusammengesetzt waren. Die Fenster umgaben den Ring einer mittleren Kreisöffnung von 2 m Durchmesser. Alle Öffnungen waren mit einem Rahmenfalz zur Aufnahme einer Bleiverglasung ver-sehen. In die Falze waren Vertiefungen für die Eisenverstärkungen und zusätzlich Öffnungen zur Auf-nahme von Dübeln eingearbeitet. Sie dienten zur Nagelbefestigung der Bleiglastafeln, deren Ränder schließlich eingeputzt wurden. Bei Freilegung der Rose waren keine Reste alter Bleiglastafeln mehr vorhanden. Das vorbereitete Plattenmaßwerk wurde als äußerer Ring in die Kreisöffnung eingesetzt, wobei die durch Rohsteinformate bedingten noch offenen Flächen des Kreises mit Ziegeln geschlossen wurden. Im Gegensatz zu früheren und parallel zur Marienfeld entstandenen Fensterrosen, die man als einfache Lochplattenmaßwerke beließ, ergänzte man das Marienfelder Plattenmaßwerk sowohl innen als auch außen mit dem Speichenrad einer Blendrose (Abb. 25). Es wurde als zweite Schicht vor das Maßwerk gesetzt und diente zur Auflockerung der großflächigen und grob wirkenden Steinplatten. Auch dieser Bestandteil der Fensterrose wurde nach Plan von Steinmetzen erstellt. Dafür konstruierte man eine sogenannte Arkade, bestehend aus acht Bogen, die als äußerer Kreis wie ein Achtpass in den Fenster-kreis integriert wurden. An die Nasen des Achtpasses wurden Kapitelle angearbeitet, die am unteren Teil zu einem kurzen Zylinder reduziert sind und platt enden (Abb. 5). 37 Abb. 25: Kloster Marienfeld. Das achtteilige Säulen- oder Speichenrad aus Baumberger Sandstein mit seiner Arkade. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Daran wurden ihrerseits die acht Säulen mit der Mittelnabe angesetzt, bis der Speichenkreis geschlos-sen war. Die Säulen aus Baumberger Sandstein waren am oberen Ende mit einer kreisförmigen Vertie-fung versehen, die an die Kapitelle genau anschlossen. Das gleiche System griff auch in die Basen an der Nabe, sodass der Speichenkreis in die Bogenarkade eingesetzt werden konnte und in diesem Zu-stand ohne weitere Verbindung stand. Schließlich wurden alle Steinverbindungen mit knetbarem Ton abgedichtet und sorgfältig verbleit. Verbindungen von Steinteilen mit Blei bleiben elastisch, halten großen Belastungen stand, wie sie bei Sturm zu erwarten sind und lassen sich nur mit Gewalt wieder trennen. Trotzdem blieb bis auf die Kapitelle keine der Säulen erhalten. Das Speichenrad ist in dem Kreisfenster sowohl außen als auch innen eingesetzt worden (Abb. 25), so dass wir beim Aufbau der Fensterrose als westlichen Abschluss der Kirche ähnlich der im Querschiff, möglicherweise auch in der Chorostwand vorhandenen Dreifenstergruppen von einem zweischaligen Prinzip sprechen kön-nen.55 Das zweischalige Prinzip zur optischen Auflösung der schweren Mauermassen über eingestellten en-délit Säulen wurde auch am Giebel der Westfassade mit einer aufwendigen zweireihigen Blendar-kade fortgesetzt (Abb. 29 und 63) Sie ähnelt Teilen der Seitenwandarchitektur im Mindener Dom-chor, der mit dem davor liegenden Querhaus als ein Folgebau Marienfelds angesehen wird. Als Ab-schluss der imposanten Schauseite der Kirche wurde auch sie aus Teutoburger- und Baumberger- Sandstein gefertigt. Die an die Pfeiler angearbeiteten Basen und Kapitelle sind heute noch unter dem Dach der Abtei vorhanden, doch der Platz für die an dieser Stelle einst eingeschobenen zehn Säulen ist leer – auch sie gingen sämtlich verloren (Abb. 7). An den romanischen Blattkapitellen sind die Boh-rungen der Gusslöcher für die Verbleiung der Säulen auszumachen, ein Zeichen für die hochwertige Qualität der Steinmetzarbeiten zu dieser Zeit. Die mit einem dünnen Verputz versehenen Felder der Blendbogen lassen die Ziegelsteine des hinteren Giebelaufbaus durchscheinen. Dadurch ist im Stein-verband auf dem Feld des unteren mittleren Arkadenbogens ein zugesetztes rundbogiges Fenster aus-zumachen. Wahrscheinlich war es eine vom Dachraum der Kirche zugängliche Fensteröffnung, wie man sie auch andernorts häufig zum Aushängen von Fahnen oder Festschmuck gebraucht hat. 55 Dazu die Entwicklung der Blendbögen in der Romanik. 38 Abb. 26: Kloster Marienfeld. Die aus Plattenmaßwerk und vorgestelltem Speichenrad bestehende Fensterrose. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Hervorzuheben sind die an den Bogenfeldern sehr sorgfältig ausgeführten schräg angesetzten Wasser-schläge. Sie lassen vermuten, dass solche Architekturelemente sich auch am darunter befindlichen großen Fassadenfeld vorhanden waren. Sie leiteten das auftreffende Regenwasser von der Wand weg und trugen gleichzeitig als waagerechte architektonische Elemente zur Gestaltung der Fassade bei. Die Natursteinverkleidung der Westfassade zog man in den Giebel bis unter den steigenden Bogen-fries hoch. Das über dem Fries vorgekragte Mauerwerk war möglicherweise zu Kontrastzwecken ver-putzt und wiederum mit einem profilierten steinernen Schräggesims abgedeckt (Abb. 63).56 Bei der Brandkatastrophe 1826 sind diese Teile ausgeglüht und zerfallen und bei der Reparatur nach 1828 in vereinfachter Form nachgestaltet worden. Der darüberliegende Giebelabschluss, sonst aus Sandstein, wurde nicht wiederhergestellt sondern in Holz ersetzt. Im Gegensatz zu Fensterrose und Giebel, die als Ganzes rekonstruierbar waren, bleibt die Architek-tur des einstigen Hauptportals hypothetisch. Wir können uns jedoch an einer ganzen Anzahl von Por-talkonstruktionen orientieren, wie sie damals vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis in die Zeit der Spätromanik ausgeführt wurden. Dabei tritt das Stufenportal, zumeist mit drei eingestellten Säulen auf jeder Seite relativ früh auf und wird mit wenigen Veränderungen bis zum Übergang zur Gotik gebaut. In Marienfeld ist im hochgelegenen Kellergeschoss der Abtei die Lage des einstigen Portals heute noch determinierbar. Das diese Stelle umgebene Mauerwerk besteht nicht aus Sandstein, sondern aus Ziegel und Bruchstein. Es lässt darauf schließen, dass der vorgezogene Steinrahmen, die sogenannte Ädikula57 mit dem Stufenportal beim Anbau der Abtei abgearbeitet wurde. 56 Die Verfasser haben diese Version für die Rekonstruktion gewählt. Beim Brand 1826 wurde die Giebelkrone beschädigt, das Abschlussgesims ging verloren. 57 Ädikula, lat. Häuschen, gemeint ist das Haus Gottes; vielseitig gebrauchte Bezeichnung, allgem. für ein klei- nes offenes (Giebel-) Gebäude von geringer Tiefe, das von Stützen getragen und mit der Rückseite an eine Wand gebaut ist. 39 Abb. 27: Kloster Marienfeld, Westrose. Die nicht von den Maßwerkteilen ausgefüllten Räume wurden mit Ziegelsteinen ausgemauert. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Abb. 28: Kloster Marienfeld, Westrose. Die Ziegelflächen wurden verputzt und die Öffnungen des Plattenmaßwerks mit einer Bleiverglasung geschlossen. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018 40 Abb. 29: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion des Westfassadengiebels mit zweireihigem Blendbogenwerk. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Die Werksteinausführung der Marienfelder Portalanlage wird möglicherweise erst zuletzt erfolgt sein, um eine Verschmutzung durch herabfallendes Kalk- und Baumaterial zu vermeiden. Man beließ im Ziegelkernbau einen ausreichend großen, gewölbten Durchgang, der nun mit dem Sandsteinmateri-al des Teutoburger Waldes und der Baumberge ausgekleidet und gestaltet wurde. Seinen trichterför-migen Charakter als Stufenportal bekam es vor allem durch den Portalvorbau (Ädikula), einem etwa 30 cm vor die Wand vorgezogenem Häuschen, das entweder mit einem Giebel wie am Südquerschiff in Lippstadt oder mit einem Pultdach, ähnlich dem in Lemgo (Abb. 57), ausgeführt war. Das zum Por-tal vermittelnde Stufengewände wurde auf beiden Seiten mit drei Säulen akzentuiert, die die darüber liegende Bogenlaibung trugen. Sie führten zu den aus großen Monolithen gefertigten Türpfeilern, in die man die Portalflügel einhängte, abgedeckt mit dem Türsturz; darüber das Tympanon, dem Bogen-feld, aus einer großen, aufrecht stehenden Steinplatte. Eine bildliche Gestaltung des Bogenfeldes wird es in Marienfeld nach Zisterzienserart nicht gegeben haben.58 58 Dazu die Ausführungen zur Entwicklung des romanischen Portals 41 Abb. 30: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion einer Gesamtansicht der romanischen Kirchen-Westfassade. Zeichnung: Andreas Sassen 2018 42 Abb. 31: Kloster Marienfeld. Die aus Formziegeln erst nach 1222 gemauerte Fensterrose am abgewandten Südgiebel des Querschiffs war im Kloster nicht einsehbar, sie diente vornehmlich zur Belüftung des Dachwerks, das anfangs mit Holzschindeln gedeckt war. Aufmaß und Zeichnung: E. Friedrichs, Denkmalamt Münster 1987. Exkurs: Der Begriff der Fensterrose im westeuropäischen Sprachgebrauch Nach Kobler59 ist erst seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts ein Fachvokabular für Fensterrosen gebräuchlich,60 das jedoch durch seine zahlreichen Synonyme immer wieder Verwirrung stiftet: Als fenestrae orbiculares sind die Fensterrosen der Kathedrale zu Lincoln um 1220/25 beschrieben worden. Mit reonde ueriere beschriftete Villard de Honnecourt seine Zeichnung der Fensterrose an der Kathedrale zu Lausanne. Eine Übersetzung dazu verwendet die Bezeichnung fenestra. Eine Inschrift in der Leibung der Westrose der Zisterzienserkirche Otterberg lautet opus fenestrarum. In Texten des 14./15. Jahrhunderts bezeichnete man Fensterrosen lange Zeit einfach als runde Fenster. 1370 wurde in fenestris tondis am Dom von Orvieto Glas eingesetzt. Eine Erwähnung zur Querhausrose der Ka-thedrale von Angers spricht von pour le vitre ou rondeau. Seit 1274 ist das Wort rota in einer Inschrift an der Westfassade des Doms von Cremona für die Bezeichnung als Fensterrose belegt. Rechnungen für die Domfassade in Como spezifizieren die Fül-lung der Fensterrose mit rota, die aufgemauerte Fensterleibung mit occhio. Noch früher als die Be- 59 KOBLER 1982: Artikel Fensterrose, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. 60 KOBLER 1982, Sp. 68–75. 43 zeichnung rota allein taucht der Begriff rota fortunae – Glücksrad – für eine entsprechend ausgebilde-te Fensterrose auf. Schon im 12. Jahrhundert lautet eine Inschrift an S. Zeno in Verona fortunae fecit rotam. In französischen Texten ist die einfache Bezeichnung roe seit dem 14. Jahrhundert üblich und 1375 für die Querhausrosen der Kathedrale von Troyes belegt. Etwa um die gleiche Zeit ist auch die Rose in Schriftquellen nachweisbar. Eine Notariatsakte vom 10. November 1391 wählt die Bezeichnung Rosa für die Kathedrale Sul-mona/Abruzzen, und rosa steht in einer Inschrift auf der Fassade der dortigen Stiftskirche S.M. delle Tombe. In französischem Text erscheint rose für die Fensterrose an St. Lamberti in Brüssel, ebenfalls heißt sie so in einem deutsch-französischen Mischtext an St. Nikolaus in Freiburg. Auch in England war die Bezeichnung früh geläufig, denn 1451 erfolgte eine Zahlung for the rose im Querhaus von Westminster Abbey. In Deutschland ist die Bezeichnung Rose erst seit dem 18. Jahrhundert geläufig, vom Ende des 18. Jahrhunderts auch mit dem Zusatz Fenster, sodass Fensterrose oder Rosenfenster danach üblich sind. Im französischen Sprachraum ist der Name rose bislang im 17. Jahrhundert nachzuweisen, ver-mutlich erfolgte die Benennung mit der Übernahme italienischen Architekturtermini. Die lange Ge-schichte der Fensterrosen in Frankreich gebraucht davor ganz andere Bezeichnungen. Osteau, oiteau ist dafür seit dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts üblich, 1375 im Zusammenhang mit der Repara-tur le grant oiteau an der Kathedrale von Troyes; 1389 wurde die Verglasung en l´osteaul du pignon der Kirche der Kartause von Champmol eingesetzt. Um 1500 bezeichnete man die Querhausrose der Kathedrale von Sens anlässlich der Neuverglasung als osteau, dabei auch grand ost und petit ost für die Mittelfigur des Maßwerks. Nebenher war auch loteau oder le teau, dann wieder osteau gebräuch-lich, das möglicherweise vom lat. ostium d.h. Eingang, Öffnung herzuleiten ist. Als grand hotz oder grand hostz ist im 16. Jahrhundert die Fensterrose in Lyon benannt, ähnlich auch grand otz auf Rechnungen für St. Nicaise in Reims. Die Bezeichnungen O, OO, Os und grand O sind gleichfalls seit dem 14. Jahrhundert in Frankreich für Fensterrosen gebraucht worden. Sie hängen wohl mit osteau zusammen und lassen sich als Abkürzungen verstehen, wobei mit der Bezeichnung O ohne das Adjektiv grand wohl einfache Okuli gemeint waren. Im deutschen Sprachgebrauch hat man in nachmittelalterlicher Zeit für die Fensterrose außer Rose, Fensterrose Rosenfenster auch andere termini verwendet. So heißt die Fensterrose von S. Lorenz in Nürnberg Stern. Als fenestra quadrata stellati operis beschrieben 1660 zwei reisende Jesuiten die Westrose der Ebracher Abteikirche. Für die Rose am Westbau des Straßburger Münsters wird bis heute das Wort Radfenster gebraucht, das auch in der modernen Architekturterminologie präzisierend eine Fensterrose mit speichenartiger Unterteilung oder eine Arkaden-Fensterrose benennt. Auch Rund- oder Kreisfenster in Form eines Rades für romanische oder gotische Ausformungen sind in der Literatur üblich. Den Architekten des 19. Jahrhunderts ist die Bezeichnung Rosette geläufig, so bei F.v. Gärtner an der Ludwigskirche in München. In F. Hoffstadt, Gotisches A-B-C-Buch von 1840 erhält ein Radfens-ter an Katharinenkirchen die Bezeichnung Katharinenrad, wobei die englische Literatur mit den ter-mini catherine-wheel und marigold-wheel wohl Vorbild ist.61 61 KOBLER 1982, Sp. 68–75. 44 Abb. 32: Abtei Silvanès, Midi Provence, Frankreich. Chorraum und Vierung der Abteikirche werden von Dreifenstergruppen erhellt, zum Teil aus Kreisfenstern mit Vier- und Sechspass, darüber ein Okulus zur Entlüftung (um 1150). Foto: HENRI GAUD, Die Zisterzienser. Zur Entwicklung der Fensterrose in der Romanik In der europäischen Baukunst wird das Rund- oder Kreisfenster als Okulus62 aus der Antike über-nommen, findet frühe Verwendung in den Bauten der Vorromanik und weite Verbreitung in der Ro-manik. Besonders in den großen Klosterkirchen der südeuropäischen Länder Spanien, Portugal, Süd-frankreich und Italien sind die Okuli vielfach verwendet worden. Die dort oft aus klimatischen Grün-den nur wenig durchfensterten Kirchen weisen im oberen Bereich an Giebelseiten von Haupt- und Querschiffen kleine Okuli auf, die neben sparsamem Lichteinfall hauptsächlich der Durchlüftung des Kirchenraums dienen (Abb. 32).63 In diesem Fall sind sie nicht verglast, sondern offen und erhielten gegen Vogeleinflug ein steinernes Speichenrad als Gitter. Auch wurden Okuli als Oberlichter in den Kreuzgängen üblich, um die Zirkulation frischer Luft durch die Kolonnaden zum oberen Bereich der Gewölbegänge zu ermöglichen, wobei ihr Einbau stets der Ästhetik untergeordnet wurde. Die in Deutschland von den Abmessungen her zunächst zurückhaltende Bauentwicklung der Kreis-fenster zeigt, dass man sich vorsichtig an diese Architekturform herantastete. Wirklich große Fenster-rosen sind erst im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts gebaut worden, was gerade die Marienfelder Westrose mit ihrer besonderen Gestaltung 62 Okulus, lat.Auge. 63 Saint-Michel-de-Cuxa, Klosterkirche Frankreich, 1043; Tahull, Provinz Lérida, San Clemente, 1123; Cardona, Provinz Barcelona, San Vicenc, 1040; Paray-le-Monial, Saone-et-Loire, Notre-Dame, 1. H. 11.Jh; 45 Abb. 33: Metelen, Stiftskirche. Die Kirche, die zu den Marienfelder Folgebauten gehört, erhielt vermutlich erst im 19. Jh. in ihrer vorgezogenen Chorwand eine Fensterrose. Foto: kath. Gem. Metelen. interessant macht. In der Romanik führen diese vom einfachen runden Okulus im 11. Jahrhundert über das Mehrfach-Passfenster zur Fensterrose mit Lochplattenmaßwerk des 12. Jahrhunderts. Parallel dazu entwarf man Blendfensterrosen in Form eines Speichenrades, die aber nicht zur Belichtung von Innen-räumen, sondern zur Auflockerung großer Fassadenflächen dienten, bzw. zur Auflösung oder architek-tonischer Gestaltung glatter Mauermassen Verwendung fanden. Die im Rheinland und in Westfalen verbauten frühen Radfenster sind ausnahmslos Blendrosen, die aufgrund ihrer Bauart als Fenster zur Ausleuchtung der kirchlichen Innenräume nicht verwendbar waren. Beispielhaft für alle steht die Ma-rienfelder Rose, deren Radfenstersäulen sich noch nicht verglasen ließen. Im französischen Beau-vais/Oise ist zwar eine verglaste Arkaden-Fensterrose mit Kleeblattbogen um 1130/40 erhalten, die zudem als Glücksrad (rota fortunae) ausgestaltet ist, doch ihre Konstruktionsweise war zu dieser Zeit nicht verbreitet.64 Möglicherweise ist sie auch das Ergebnis einer späteren Restaurierung. In Italien schon früh entsprechend vorgegeben, finden sich zur Wende des 12./13. Jahrhunderts die Fensterrosen vornehmlich an den Westseiten der Kirchen. Doch mit ihrem Einbau und den damit ein-hergehenden Bemühungen zur Verglasung in Holzrahmung waren Probleme mit der Windbeständig-keit zu lösen. Da sie auf dieser Seite besonders der Witterung ausgesetzt waren, sind nur wenige ro-manische Exemplare in originalem Zustand erhalten. Festigkeit und Stabilität bekam man erst bei Verwendung von Steinmaßwerken, die es zunächst nur in einfacher flacher Form, den sogenannten Negativ- oder Lochscheiben- oder Lochplattenmaßwerken gab. Sie bestehen aus großen Steinplatten, die, wie in Marienfeld zu sehen war, eine Stärke von 30 cm hatten. 64 KOBLER 1982. 46 Abb. 34: Abtei Noirlac, Region Centre, Frankreich. Das Refektorium wird von den gleichen Kreisfenstern erhellt, die auch an der Kirche eingebaut wurden und in der europ. Baukunst oft Nachahmung fanden. Da sie Passfenster sind, gehören sie streng genommen aber nicht zu den Fensterrosen. Foto: Kulturwerk Noirlac. Im 13. Jahrhundert verwendete man romanische Formen noch lange weiter, so dass die Fensterro-sen schwierig einzuordnen sind. Bei zwischenzeitlichen Erneuerungen des Barocks, wurden sie restau-riert, verändert oder gar zerstört, wie dies vermutlich an der Kirche zu Eusserthal/Pfalz geschehen ist.65 Im 19. Jahrhundert sind noch an vielen historischen Kirchenbauten, wie am Dom und der Lieb-frauenkirche in Bremen, nachträglich Fensterrosen eingebaut worden, was zuweilen verwirrend ist. Die Stiftskirche Metelen (Abb. 33) steht für eine der wenigen Ausnahmen, bei der eine Fensterrose mit Lochplattenmaßwerk in die Ostchorwand eingebaut wurde. Es gibt widersprüchliche Angaben darüber, ob sie im 19. Jahrhundert ein Ersatz für eine gleichartige Rose aus dem Mittelalter war.66 Ähnlich verhält es sich bei den restauratorischen Maßnahmen um 1900 an der spätromanischen Klos-terkirche Enkenbach/Pfalz, wo das Maßwerkfenster aus der Gotik zur Stilreinheit durch eine sechstei-lige Lochscheibenrose mit Mittelloch ersetzt wurde. Fraglich ist auch die Form der Fensterrose am Südquerhaus der Zisterzienserkirche in Ebrach. Angeblich um 1240 entstanden, entspricht sie der Fensterrose des Baseler Münsters, die ursprünglich in Eichenholz ausgeführt war und 1885 durch eine Kopie in Sandstein ersetzt wurde.67 In Frankreich entwickelte Formen wurden durch den emsigen Reiseverkehr der Baumeister und Steinmetzen unverändert auch in Deutschland übernommen. Noch in der Romanik des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts gelang es ihnen, die Lochscheibenplatten geometrisch weiter aufzulösen und dadurch lichtdurchlässiger zu machen. Letztlich verschmolz die Gotik in ihrer fortge-schrittenen Steinbearbeitungstechnik die Motive der Lochscheiben- und Radfenster zur lichtstarken 65 Die Zisterzienserkirche Eusserthal (1220–1262) zeigt an der Ostchorwand Reste einer zu vermutenden Rose. 66 DEHIO Westfalen, DORN 2006, PIEPER 2003, S121. 67 KOBLER 1982. 47 Abb. 35: Minden, Dom. Das Nordportal am Querschiff des Doms zeigt spätromanische Formen. Die dazu passende ursprüngliche Rose wurde schon um 1300 durch eine gotische ersetzt, die das Lanzettmotiv aufweist. Foto: Andreas Sassen 1985. Fensterrose. In den zum Teil komplizierten Maßwerkkonstruktionen findet sich noch lange die Lan-zettform, die aus den Radfenstern herzuleiten ist (Abb. 35).68 Bei der Suche nach Fensterrosen an den frühen Zisterzienserkirchen Frankreichs befinden sich ver-einzelt Kreisfenster, die zudem wie auf der Ostwand in Le Thoronet (Var) ohne Maßwerk gestaltet sind.69 Die Kirche des Klosters Fontfroide bei Narbonne70 aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zeigt dagegen an den Ostseiten der beiden Querschiffe kleine Okuli und an den Fassaden jeweils ein großes Kreisfenster mit einem Vierpass. Mit einer größeren Anzahl von Rundfenstern tritt dabei das zur Mitte des 12. Jahrhundert begonnene Kloster Noirlac bei Bourges hervor.71 In seiner Abteikirche sind an der Ost- als auch der Westseite und an den Giebeln des Querschiffs sowie im Refektorium (Abb. 34) Kreisfenster eingebaut, die einheitlich als Sechspass gestaltet sind und zumeist eine überschaubare Größe haben. Die gefälligen Kreisfenster in der Art von Noirlac fanden aufgrund ihres relativ einfa-chen Plattenmaßwerks in Frankreich weite Verbreitung. 68 La Seu d`Urgell Lleida/Lérida, Kathedrale nach 1175; Santiago de Compostella, Kathedrale, Querschiff 1125; Lissabon, Kathedrale Westseite, 1147 begonnen, Toro, Provinz Zamora, Kollegiatskirche, Ost- und Querschiff, 1160 begonnen; Soria, Santo Domingo, Westfassade, Ende des 12. Jahrhundert. Tarragona, Kathedrale 1174. 69 KNAURS Frankreich 1990, S. 748, LEROUX-DHUYS 2007, S. 354. 70 LEROUX-DHUYS 2007, S. 196. 71 LEROUX-DHUYS 2007, S. 266. 48 Abb. 36: Abtei Brunnenberg/Lahn. Die verbliebene Westwand der romanischen Frauenklosterkirche zeigt die leere Höhlung einer Rose. Foto: Gemeinde Brunnenberg/Lahn. Mit der Übertragung zisterziensischer Bauformen nach Deutschland und der Entwicklung der stau-fischen Romanik wächst im 12. Jahrhundert das Interesse der rheinischen Baumeister an den Kreis-fenstern als Gestaltungsmittel. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts zunächst vereinzelt gebaut, ist ein zahl-reicheres Auftreten in spätromanischer Zeit etwa um 1200 festzustellen.72 Doch gibt es im deutschen Sprachgebiet bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts Fensterrosen fast nur im Kirchenbau. Als frühes Beispiel ist die Zisterzienserabtei Eberbach im Rheingau zu nennen, deren von 1145 bis 1186 erbaute Klosterkirche auf der Westseite ein heute leeres Kreisfenster zeigt. Sein Maßwerk ging nach 1803 verloren und aufgrund fehlender Bilddokumente ist seine Gestaltung als Passfenster oder Lochplatten-Fensterrose unbekannt und nicht mehr zu lösen.73 Flussabwärts von Limburg, noch vor dem ehem. Prämonstratenserkloster Arnstein, stehen über einer großen Lahnschleife im Wald noch Reste des Klosters Brunnenberg (Abb. 36).74 Bis zur Auflösung 1542 war es als Nonnenkloster des gleichen Ordens das Gegenstück zu Arnstein. Die noch vor 1200 erbaute Kirche von Brunnenberg war eine flachgedeckte Pfeilerbasilika, von der noch der Chorraum, vor allem aber der Westgiebel mit einem großen Kreisfenster aufrecht stehen. Die Rundfassung ist mit dem Maßwerk aus dem Lahnschiefer-Mauerwerk herausgebrochen, womit auch seine Gestaltung 72 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 73 BELSER, Hessen 1962, S. 25. 74 BELSER, Hessen 1962, S. 176. 49 Abb. 37: Kloster Heisterbach, Siebengebirge. Bauaufzeichnung nach Boissereé 1810. Aus Lübke 1894. kryptisch bleibt. Das fast vergessene Baudenkmal Brunnenberg ist ein Beispiel der dynamischen Teil-nahme des Prämonstratenserordens am Architekturgeschehen der Stauferzeit. Wie sehr damals die Rundfenster in der deutschen Baukunst Mode wurden, zeigte sich einst an der nach 1805 systematisch zerstörten Zisterzienserkirche Heisterbach (Abb. 37).75 Das Kloster im Sie-bengebirge war nach 1192 von Mönchen aus Himmerod gegründet worden. An der 1202 begonnenen Klosterkirche erfolgte eine in der rheinischen Architektur einmalig reiche Verwendung von Kreisfens-tern. Im Bereich der großen Chorapsis mit ihrem Umgang wurden ausschließlich Rundbogenfenster eingebaut und die später vollendete Westfassade der 83 m langen Kirche zierten Bahnen einer spitz-bogigen Dreifenstergruppe. Alle Obergadenfenster des basilikalen Mittelschiffs waren dagegen als Kreisfenster von 3,5 m Durchmesser, sowie die Oberlichte der Seitenschiffe in gleicher Form etwas über 1 m groß gestaltet. Am Langhaus baute man in die Kreisfenster Sechs- und Achtpassrosen in der Art von Noirlac, aber auch Lochscheiben-Fensterrosen ein.76 Das Zwischenquerschiff im 1237 fertig-gestellten westlichen Langhaus erhielt auf beiden Giebelfronten ein Kreisfenster mit eigenartiger, aus einem Vierpass entwickelter Maßwerkteilung. Bei dieser Vielfalt von Kreisfenstern traten jedoch die riesigen Zwölfpassfenster der im Osten der Kirche liegenden Giebelseiten des Hauptquerschiffs mit mehr als 6 m Durchmesser hervor. Die von Boisserée77 überlieferten Zeichnungen zeigen darin aber kein geschlossenes Maßwerk- oder Radfenster, sondern eine Kreisrahmung mit Kantenwulst, in der die Maßwerkansätze des Zwölfpasses und eine aus Eisen in drei konzentrische Kreise aufgeteilte Flä-che eingepasst ist. Diese riesigen Rundfenster dürften bis zur Weihe des bis zum Hauptquerschiff ge-henden Mönchschors mit seinen 17 Altären im Jahre 1227 vollendet worden sein. Die Kirche war zu diesem Zeitpunkt bis hierher fertiggestellt, womit der Bau der großen Heisterbacher Kreisfenster wahrscheinlich in die Fertigungszeit der Marienfelder Fensterrose einzuordnen sind. Darüber hinaus finden sich in den zahlreichen Kirchen der Übergangszeit, sowohl im Rheinland, als auch in den damit verbundenen rechtsrheinischen Gebieten immer wieder Kreisfenster. Selbst die letzte romanische Kir-che im Rheinland, die Abteikirche von Essen-Werden, nach verheerenden Brand im Jahre 1256 be-gonnen und 1275 von Albertus Magnus aus Köln geweiht,78 weist im Obergaden des Hauptschiffs einheitlich große Achtpassfenster mit Eisenrahmung auf, womit sich der Kreis der romanischen Rund-fenster buchstäblich schließt. 75 DEHIO Rheinland, S. 517–518. KUBACH/VERBEEK 1978, S. 370–371 76 Die Zeichnungen bei Kubach/Verbeek sind nicht ganz eindeutig. 77 KUBACH/VERBEEK, Boisserée, Heisterbach, S. 368. 78 DEHIO Rheinland, S. 187. 50 Abb. 38: Burg Rheda/Westfalen. Die um 1200 nach Motiven des Londoner White Tower79 entstandene Burgkapelle der Lipper weist nach Osten ein Sechspass-Kreisfenster auf, das fachlich nicht als Rose bezeichnet wird. Foto: Andreas Sassen 2005. Zur korrekten Herausstellung des Unterschiedes aufgrund ihrer Bauart sind die genannten frühen Kreisfenster von Noirlac über Heisterbach bis hin zu Werden, nicht als Fensterrosen zu bezeichnen. Sie sind Vielpässe oder Passfenster, die nicht zu den Fensterrosen gehören, womit auch die beiden um 1200/1220 entstandenen Vier- und Sechspass-Rundfenster der Kapelle im Burgturm zu Rheda (Abb. 38) hier nicht berücksichtigt oder zum Vergleich herangezogen werden.80 Nach der Definition Koblers im Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte81 bezeichnet man als Fensterrose, Rosenfenster oder Rose solche Kreisfenster, deren Lichte mit Stein oder Holzwerk in radialer oder konzentrischer An-ordnung ausgesetzt sind. Bloße Rundfenster werden daher nicht als Fensterrosen angesehen, auch wenn sie in der Fachliteratur bisweilen so genannt sind, insbesondere bei großem Durchmesser der Lichte und einer Eisenarmierung, deren Anordnung der von Stein oder Holz entspricht. Wie in Frankreich sind auch in Deutschland die älteren romanischen Fensterrosen dem Arkadentyp oder dem Lochscheibentyp mit ihren Ableitungen zuzuordnen, wobei oberflächlich betrachtet eine 79 Nach den neuesten Forschungen LEIDINGERS 2018. 80 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986, S. 39. DEHIO Westfalen, S. 480. 81 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 66. 51 Abb. 39/40: Lippstadt, Große Marienkirche. Der Nordgiebel von 1222 zeigt mit steigendem Bogenfries und einer Blendrose, die von drei Vierpassrosen begleitet wird, eine reiche Gliederung. Eine Besonderheit ist im Mittelpunkt das achtteilige Speichenrad mit symbolischen Schreckköpfen. Fotos: Andreas Sassen 2008. 52 Abb. 41: Aldenburg Kobern, Matthiaskapelle. Die spätstaufische Kapelle von 1230/40 hat zur Belüftung des Dachraums ein halbiertes Speichenrad mit Dreipassarkaden. Foto: Andreas Sassen 2008. besondere Entwicklung in Deutschland zunächst nicht zu erkennen ist. Die Übernahme aus Frankreich überwiegt bei weitem, gelegentlich gibt es Reduktionen andernorts vollständig übernommener For-men.82 Allgemein sind die noch erhaltenen Fensterrosen kritisch zu betrachten, da infolge ihrer Witte-rungsempfindlichkeit im Laufe der Zeit evtl. Veränderungen durch Restaurationen vorgenommen wurden. Die Arkaden-Fensterrosen, auch Radfenster genannt, sind in der Regel einreihig, die Bogen ihrer Arkaden romanisch-halbkreisförmig, die Stützen sind als Pfeiler oder Säulen ausgebildet und verfügen über Basis sowie Kapitell. Als die wohl ältesten und zugleich eindrucksvollsten Beispiele sind die blind ausgebildeten Arkaden-Fensterrosen auf den Giebelmauern der Dreiapsidenanlage von Groß-St. Martin in Köln (Abb. 19) anzusehen.83 Nach einem Brand der Kirche war 1150 der Neubau des Ostteils der Kirche begonnen worden, 1172 erfolgte die Weihe.84 Die damals entstandenen dekora-tiven Blendrosen gleichen überdimensionalen Fächern, da vom Speichenrad ihrer vierzehn Arkaden nur zehn Teile zu sehen sind und die übrigen von den Dächern der drei Konchen verdeckt werden.85 Am Westbau von St. Quirinus in Neuß, nach 1209 entstanden, tragen sowohl der Süd- wie auch der Nordgiebel eine achtteilige Blendfensterrose, deren Arkaden je eine Vierpassöffnung in Kreisblende einschließen. Am Ostgiebel über der Apsis befindet sich dagegen eine Lochplatten-Fensterrose.86 Eine große achtteilige Radblende ist Teil des aufwendig gestalteten Nordquerhausgiebels der Gro-ßen Marienkirche in Lippstadt Abb. 39/40), die etwa zeitgleich mit der Klosterkirche Marienfeld be-gonnen und um 1222 bis zum Querhaus fertiggestellt war. Die Blendrose ist einschließlich der sie umgebenden drei Vierpässe87 und einem steigenden Rundbogenfries halbplastisch gestaltet. Als Be-sonderheit tritt in 82 KOBLER, 1982, Sp. 130. 83 Siehe Abbildung auf S. 31. 84 DEHIO Rheinland, S.367. FUßBROICH 1985. KUBACH/VERBEEK 1976, S. 572–579. 85 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 1, S. 575, Abb. 964. Ostendorf. 86 KUBACH/VERBEEK 1976, S. 827–836. DEHIO Rheinland, S. 500. 87 Das Motiv der Lippstädter Giebel-Vierpässe zeigt sich auch an der Gedenknische in Marienfeld. 53 Abb. 42: Billerbeck, Johanneskirche. Die achtteilige vollplastisch gearbeitete Radblende über dem Nordportal der 1234 geweihten Kirche. Foto: Andreas Sassen 2005. Lippstadt Bauplastik auf, denn die Zwickel der Blendarkaden sind mit grotesken Köpfen besetzt. Sie sind apotropäisch88 zu verstehen und bedeuten mit der heiligmäßigen Zahl der achtteiligen Arkade eine symbolische Abwehr böser Mächte aus Richtung der Nacht. Dagegen bietet der Giebel der Süd-seite eine geschlossene aber aufwendig gestaltete halbplastische Blendarchitektur. Der Abschluss der beiden Querhausgiebel in reicher Ausgestaltung erfolgte bis zur Weihe der Kirche, die ebenso wie in Marienfeld noch im Jahr 1222, in Anwesenheit Bischof Bernhards zur Lippe, stattfand. Süd- und Nordseite der Stadtkirche in Lippstadt bilden architektonische Gegenstücke zur Westfassade der Klos-terkirche Marienfeld.89 Sie offerieren die möglicherweise konkurrierende Auffassung der Baumeister von zwei unterschiedlichen, aber zeitgleich arbeitenden Kirchenbauhütten. Die um 1234 geweihte St. Johanneskirche in Billerbeck,90 gilt als bedeutendstes Beispiel der spät-romanischen Hallenbauten im Münsterland. Über dem Pultdach der nördlichen Portalarchitektur ist eine zweistöckige Giebelfassade aufgesetzt, der den Aufbau wie ein Querschiff aus der Langhausseite heraustreten lässt. Im Giebel steht eine achtteilige Radblende (Abb. 42), die jener in Lippstadt ähnelt, jedoch mit vollplastisch ausgebildeten Speichensäulen das Giebeldreieck vollständig ausfüllt. Die Art ihrer Einbindung in die Fassade durch einen Überfangbogen mit zwei schlanken seitlichen Dienstsäu-len erinnert an die zu gleicher Zeit entstandenen Rosen der Zisterzienserkirchen Otterberg und Eus-serthal,91 wobei mit dem darunter befindlichen Fächerfenster Anregungen aus dem Rheinland nicht zu übersehen sind. Dagegen ist das höchst dekorative Säulenportal mit seinem Giebelsturz92 in Westfalen verbreitet und ein Musterbeispiel des örtlichen, damals weit entwickelten Baumberger Sandstein-handwerks.93 88 =Unheil abwehrend, in der romanischen Kunst den plastischen Tier- und Dämonendarstellungen beigemessen. 89 DEHIO Westfalen, S. 301. 90 DEHIO Westfalen, S. 50. Auf dem Türsturz der Ostwand das wahrscheinliche Weihejahr 1234. 91 Otterberg/Pfalz, Kirche 1190–1249 erbaut, Eusserthal/Pfalz 1220–1262 in Anlehnung an Otterberg erbaut. 92 Der Giebelsturz wiederholt sich an der Stiftskirche Vreden, der Türsturz an der Kirche Wiebrechtshausen. 93 DEHIO Westfalen, S. 52. 54 Abb. 43: Löwen/Brabant, St. Jacob. Die Lochplatten-Rose des 12. Jhs. weist ein durchdachtes System aus drei Kreisen zwölf verschieden großer Öffnungen auf. Abb. aus: Kubach und Verbeek 1978. Die Steinmetze im Gebiet des Grünsandsteins am Hellweg schufen gegen Mitte des 13. Jahrhunderts eine Blendrose für den südlichen Giebel des Turms in Erwitte.94 Wie weit solche Bauformen weitergetragen wurden, zeigt die Rose der Westfassade der Stiftskirche in Bücken an der Weser. Sie stammt aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts und könnte vor der Restaurierung im 19. Jahrhundert so ähnlich ausgesehen haben.95 Nicht nur das steinbearbeitende Handwerk schuf Radblendfenster für Kirchenbauten, sondern auch das Metall verarbeitende Gewerbe. Das zeigt sich am Nordquerhaus der Petrikirche in Soest, wo um 1200/10 die Säulchen samt Basen und Kapitellen des achtteiligen Radfensters als Eisenkern gegossen und mit Kupferblech ummantelt wurden. Auch hier wieder eine symbolische Achtzahl zur Seite der Nacht ausgerichtet, wobei zur besonderen Gewichtung ihrer himmlischen Bedeutung das Kupfer sogar ehemals vergoldet war.96 Eine gleiche handwerkliche Arbeit ist auch bei der Blend-Fensterrose am Westturm der gegenüberliegenden St. Patrokli-Kirche aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts zu vermuten. Wahrscheinlich blieben diese Arbeiten auf Soest beschränkt, denn am Verlauf des Hellwegs finden sich keine weiteren Metallarbeiten dieser Art mehr. Die achtteilige Blendrose im Untergeschoss des Westturms am Dom zu Paderborn97 aus dem 13. Jahrhundert zeigt ähnlich wie in Lippstadt zur symbolischen Abwehr Dämonenköpfe an den Nasen des Achtpasses. 94 DEHIO Westfalen, S. 157. KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 95 KOBLER 1982. 96 KOBLER 1982. Dehio Westfalen, S. 528. 97 DEHIO Westfalen, S. 442. KOBLER 1982. 55 Abb. 44: Limburg, Dom um 1230. Schnittzeichnung der inneren Westseite. Im Mittelschiff unten das Dreipassportal, darüber eine Blendarkade mit drei Okuli und oben als Abschluss die große achtteilige Plattenrose. Abb. aus: Lübke 1894. Im Gegensatz zu den bisher genannten Blendfenstern, die eher dekorativen Zwecken dienten, ver-wendete man zur Raumbelichtung Kreisfenster mit Lochplattenmaßwerk, da nur sie vorerst für eine Verglasung brauchbar waren. Ältere Musterbeispiele finden sich links von Rhein und Maas, wie Reste vom Ende des 12. Jahrhunderts am Mittelturm des spätstaufischen Westbaus der Pfarrkirche St. Jakob in Löwen/Brabant zeigen (Abb. 43). Dort rahmen zwei Zwillingsblenden (Otterberg) das große rund-bogige Portal, das in drei Rücksprüngen drei Säulenpaare mit Kelchknospenkapitellen und Bogen-rundstäben zeigt.98 Direkt über dem Stufenportal, steht ein mit vier Metern Durchmesser sehr großes Rundfenster, von zwei Rundstäben gerahmt und von Steinplatten mit kreisförmigen Durchbrechungen gefüllt. Diese bilden eine Rose aus drei konzentrischen Kreisen verschieden großer Okuli um eine kreisförmige Mitte. Alle Öffnungen zeigen Falze zum Glasverschluss.99 Die Fensterrose in St. Jakob erhellte den zum Kirchenschiff offenen Turmraum. Der relativ geringe Lichtdurchlass erzeugte im Inneren eine eher mystische Stimmung, die im Westen vieler Kirchen häufig anzutreffen ist. Aufgrund der geringen Helligkeit ist zu vermuten, dass zu dieser Zeit kaum Fensterrosen auf der Ostseite der Kirchen ausgeführt wurden. Der Baumeister des Limburger Doms100 realisierte in der Zeit von 1213–1243 zwischen den beiden Westtürmen ein Rosenfenster von sieben Metern (Abb. 17 und 44),101 das zu dieser Zeit selbst in Deutschland schon altertümlich wirkt. Bei dem auf der Höhe des Lahnfelsens zu erwartenden ernor-men Winddruckes blieb er mit dem Einbau eines stabilen Plattenmaßwerks auf der Seite, die die größ-te Sicherheit garantierte. Die relativ einfache Gestaltung zeigt einen geschlossenen Kreis von acht Okuli, die ein mittleres größeres Auge umgeben. Darunter setzte er vier Blendbogen102 die wiederum von vier kleinen Rundfenstern durchbrochen sind. 98 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, Abb. 1138, Rekonstruktion Lemaire. 99 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, S. 683. 100 BELSER, Hessen 1962, S. 178. 101 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, S. 663–671. 102 LÜBKE Bd. I, 1884, S. 563, Abb. 484. 56 Abb. 45: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion der 5,50 m großen Westrose aus Plattenmaßwerk und vorgestellter Speichenarkade. Zeichnung Andreas Sassen 2018. So wie in Limburg ist auch die Westrose der Klosterkirche von Marienfeld in die Reihe der frühen Kreisfenster einzuordnen (Abb.45). Der handwerkliche Stand der staufischen Romanik war das Loch-plattenmaßwerk, um die Verglasung eines Kreisfensters möglich zu machen. Nach Art der Zisterzien-ser beließ es der Baumeister jedoch bei keiner Kopie älterer Vorbilder, sondern führte statt der bisher üblichen Okuli acht radial angelegte Lanzettfenster um ein mittleres Kreisfenster aus. Die dadurch gesteigerte Lichtdurchlässigkeit war ein Fortschritt in der Maßwerktechnik mit gewissem Anklang zur Gotik. Um die einfache Rose zu vervollständigen und ihr großflächiges Erscheinungsbild aufzulösen, stellte er vor das Plattenmaßwerk sowohl auf der Außen-, als auch der Innenseite eine offene achtteili-ge Speichenradarkade. In ihr setzte er das dekorative romanische Bauelement der en-délit-Säule ein,103 deren Anwesenheit die Vollständigkeit und Originalität der Marienfelder Westrose ausmachte. Sie korrespondierten sowohl mit den Säulen des darunter gelegenen Stufenportals, als auch mit den zahl-reichen Säulen der Blendbögen im Giebel, womit ein einheitliches Bild der Westfassade geschaffen wurde. In dieser Kombination blieb die 1222 zur Kirchenweihe fertiggestellte Fensterrose die einzige ihrer Art in Westfalen. In zeitlicher Folge zur Marienfelder Rose konzipierte man die noch größeren Kreisfenster für das 1225/30 vollendete Westquerhaus des St. Paulus-Doms zu Münster104, wobei das zur Südseite zeigen-de Fenster eine gewisse Reminiszenz zu Marienfeld aufweist. Auch hier war man von den Rundöff-nungen abgegangen, hatte aber statt der acht Marienfelder Lanzettfenster zwölf Öffnungen in Hufei-senform ausgeführt. Durch ihre Rundform nutzen sie die Lichtdurchlässigkeit der Plattenmaßwerkflä-che noch besser aus. Das davorgesetzte Arkadenrund ist jedoch zu einem Zwölfpass ohne Säulen re-duziert worden, denn die Bogennasen enden nicht auf Kapitellen wie in Marienfeld, sondern laufen auf Konsolen aus. Demgemäß ist in Münster auch keine Radblende mehr vor das Plattenmaßwerk gestellt worden. Die dafür notwendigen zwölf Säulen wären mit dem Achtpass der inneren Kreisfläche geometrisch nicht synchron verlaufen. 103 Die en-délit-Säulen treten an den beiden Dreifenstergruppen in den Fronten des Querhauses wieder auf. 104 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 57 Abb. 46: Münster, Dom St. Paul. Eine westfälische Sonderleistung ist die Blendrose im Südgiebel mit den Köpfen von Paulus und Johannes d.T. Abb. aus: Die deutschen Dome 1927. Ein anderes, eher konservativ wirkendes Dekorationsmuster weist dagegen das Blendfenster am Südgiebel des Doms in Münster auf (Abb. 46). Die konstruktive Lösung der architektonischen Form bildet ein seltenes Derivat unter den romanischen Kreisfenstern und dürfte wohl auch im Zusammen-hang mit der Marienfelder Rose bzw. der Lippstädter Blendrose gesehen werden. Vom relativ großen mittleren Steinring gehen strahlenförmig sechsmal jeweils drei gebündelte kurze Säulen mit Basen und Knollenkapitellen aus und tragen eine aus Archivolten gebildete sechsteilige Rundbogenarkade. Deren zurückliegende Felder werden von unterschiedlich gestalteten Kreisöffnungen durchbrochen. Mit Drei-, Vier und Fünfpässen, sowie einer Lochscheibe und einem Bogenmaßwerk ist der gesamte da-mals übliche Maßwerk-Formenkanon vorhanden. Einzigartig an diesem Blendbogenfenster ist auch die erhaltene Bauplastik, die auf die Patrone der Kirche verweist.105 Der mittlere Steinring, die Nabe des Fensterrades umgibt das mächtige Haupt des hl. Paulus, in der Arkade darunter ruht der kleinere Kopf Johannes des Täufers auf einer konsolartigen Schüssel. Beide Männer, durch Aureole als Heilige des Neuen Testaments ausgezeichnet, waren durch das Schwert umgekommen. Die symbolischen neutestamentarischen Tierfiguren Löwe und Lamm liegen sich im Rosenfeld gegenüber. Die Johannes-/Paulusrose am Dom zu Münster bleibt mit der darunter liegenden Hufeisenfensterrose ein einmaliges romanisches Gesamtwerk, denn ihr Prinzip ist an weiteren Kirchen nicht mehr zu fin-den. Im Zusammenhang mit der Marienfelder Fensterrose könnte man sie als Einzelleistungen der schrittweisen Entwicklung zur gotischen Fensterrose ansehen. In den später gebauten großen Kreis-fenstern der Dome zu Münster und Minden (Abb. 35) entstanden filigrane, lichtdurchlässige Maßwer-ke, die zeigen, dass an ihrer Entwicklung fleißig weitergearbeitet wurde. Eine Verbindung Münsters zum Kloster Marienfeld und zur Architektur seiner Kirche zeigt sich damit auch an den besagten Fens-terrosen, womit die Zahl der Übertragung diverser architektonischer Motive von der Zisterzienserkir-che zum westfälischen Dom weiter steigt. 105 DEHIO Westfalen, S. 358. 58 Abb. 47: Kloster Otterberg/Pfalz. Die Westrose erhielt um 1250 ihr seltenes Maßwerk im Übergangsstil. Foto: Simultankirche Otterberg. Die mit der Südrose am Dom zu Münster vergleichbare Westrose der Zisterzienserkirche Otterberg in der Pfalz (Abb. 47) wurde, wie das prachtvolle Rundbogenportal darunter, spätromanisch ange-legt.106 Die Vollendung der Westwand mit Teilen des nördlichen Seitenschiffs und der Einwölbung des Mittelschiffs erfolgte zwischen 1210 und 1249. Da die Fertigstellung der Kirche noch bis zur Weihe 1254 dauerte, könnte die Ausführung des Rosenmaßwerks erst in dieser Zeit erfolgt sein. Nach Dehio gehört sie zu dem ästhetisch Wertvollsten, was die oberrheinische Spätromanik geleistet hat. 107 Ihr Meister hat in ihrer Gesetzmäßigkeit und äußeren Harmonie die Schönheit des Kosmos dargestellt. Der Kreis – als die absolute Form – und die Passfolge 4:8:16 stellen nach mittelalterlicher Ansicht die Gesetze dar, nach der die Welt entstand. Gelegentliche Vorbildfunktionen bleiben nicht aus: Am Außenbau der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandenen Stiftskirche Fröndenberg fällt an der reich gegliederten Ostwand des Chores eine Blendrose mit geschlossener Maßwerkfüllung auf. Ihre Konstruktion ähnelt wiederum dem gemalten Kreisfenster in Dortmund-Brechten. Die dortige Kirche war noch in der Erbauungszeit ausgemalt worden und weist sozusagen den Entwurf eines hochentwickelten filigranen Fenstermaß-werks frühgotischer Art auf, wie es bis dahin nur an den Kathedralen Frankreichs zu sehen war. Der Vergleich der nach 1200 entstandenen Fensterrosen erweckt den Eindruck, dass damals regel-recht ein Wettbewerb um die besten Lösungen zu dieser architektonischen Neuerung stattfand. Die im niedersächsischen Frauenkloster Mariensee von Marienfelder Baumeistern errichtete frühgotische 106 BELSER, Rheinland-Pfalz, S. 156. 107 DEHIO Die Pfalz und das Saarland 59 Abb. 48: Mariensee/Niedersachsen, Zisterzienserinnenkirche. Die Rosenseite der frühgotischen Backsteinkirche, 1207 von einem Marienfelder Werkmeister begonnen. Zeichnung: Andreas Sassen, 2015. Backsteinkirche erhielt um 1230 auf beiden Seiten des Mittelschiffjochs jeweils eine Dreier-Gruppe von Fensterrosen (Abb. 48). Unübersehbar werden hier schon französische Einflüsse wirksam, denn die aus Deister-Sandstein gefertigten Maßwerke verweisen mit vier und sechs Kreisen um einen Mit-telpunkt in die frühe Gotik. Doch bis zum gotischen Kathedral-Rosenfenster musste auch in Frank-reich ein langer Weg beschritten werden. Voraussetzung zu dieser Entwicklung waren sichere wirt-schaftliche Verhältnisse zum Kirchenbau in relativ kleinen Landgemeinden. In der Umgebung von Beauvais, in den anmutigen Tälern der Authonne, des Thérain, der Bréche, in den üppigen Laubwal-dungen dieser Flussgebiete stehen oft dicht beieinander jene denkwürdigen kleinen Land- und Abtei-kirchen, die zu interessanten Musterbeispielen wurden.108 Die französischen Steinmetze an Aisne und Marne, hatten damals, begünstigt durch einen gut zu bearbeitenden Kalkstein, schon früh mit Proben der phantastischen Radfenster begonnen, die um 1220 an Notre-Dame von Paris, Reims oder Chartres verwirklicht wurden.109 Zu dieser Zeit gab es von Deutschland her rege Verbindungen nach Frankreich durch Mönche des Zisterzienserordens, die an vielen Orten Zeugen des Architekturübergangs zur Go-tik wurden. Beim Bau der architektonisch und archäologisch höchst wertvollen Kirchen hatte man schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Verwendung des Kreisfensters mit Verglasung aufgenommen und vornehmlich über dem Hauptportal der Kirchenwestseite realisiert. Am Beispiel verschiedener Dorfkirchen lässt sich die Weiterentwicklung der einfachen Passteilung verfolgen, die vom Lochplattenmaßwerk bis zum filigranen Radfenster mit komplizierter zwölfteiliger Arkadenkon-struktion geht. 108 MÄKELT 1906, Vorwort. 109 LEROUX-DHUYS, die Zisterzienser, S. 100. Das Studium wurde 1237 [nachträglich] vom Generalkapitel ge-stattet, 1245 wurde mit Erlaubnis des Papstes das Bernhardskolleg in Paris gegründet. Die Ausbildung in Paris war bis zum Marienfelder Abt Sibert (1376) möglich. Aufgrund des Schismas 1378–1417 ging man nach Prag. 60 Abb. 49: Glaignes/Oise Abb. 50: Courmelles bei Soissons, Frankreich. Die Westseite der Pfarrkirche des 12. Jhs. in Glaignes mit Passrose und Passfenster im Portalfeld, die in Courmelles weiterentwickelt und verfeinert wird. Umzeichnung nach Mäkelt 1906. So übernehmen die Steinmetze an der Dorfkirche von Glaignes110 an der Oise (Abb. 49) die einfa-che Passteilung von Noirlac mit flacher Rahmung der Fensterfläche, wenden sich jedoch einer reichen Profilierung der Kreisleibung zu, die mit dem übergiebelten Stufenportal korrespondiert. Die noch aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche zu Courmelles111 an der Aisne weist dagegen eine Fensterrose mit profilierter Achtpassteilung auf, die zum Außenring hin mit kleineren Rundöff-nungen durchbrochen ist (Abb. 50). Damit war ein Schritt zur nächsten Stufe, dem Negativmaßwerk, getan. Unter Einbeziehung der starken Profilierung des kreisförmigen Fenstergewändes erreicht sie einen Durchmesser von über 4,5 m. Ein zwölfteiliges Rosenfenster von 4,6 m Durchmesser findet sich an der Westseite der Kirche zu Mézy-Moulins112 an der Aisne, ein Bau aus einem Guss vom Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Dop-pelarkaden werden durch aufgelegte kurze Säulen getragen, deren Basen auf einer Kreislinie enden. Die Nabe ist als Zwölfpassfenster gestaltet. Möglicherweise ist die Rose von Mézy-Moulins ein Vor-läufer der Steinmetzarbeiten des Dorfes Vorges bei Laon (Abb. 51), die künstlerisch und handwerklich entsprechend fortgeschritten waren. 113 110 MÄKELT 1906, TAFEL 53–55 111 MÄKELT 1906, TAFEL 8,9. 112 MÄKELT 1906, TAFEL 56–60. 113 MÄKELT 1906, TAFEL 16–21. 61 Abb 51: Vorges/Frankreich, Pfarrkirche. Zwölfteilige Fensterrose als verglastes Rad, rechts im Detail die auf das Maßwerk aufgelegten Säulen. Umzeichnung nach Mäkelt 1906. Dort hatte man an den Stirnwänden und den Westseiten über den Seitenschiffsdächern der kurz vor 1200 errichteten Kreuzarme zunächst einfache, profilierte Kreisfenster eingebaut. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts vollendete man die Kirche an der Westseite mit dem Einbau einer 6 m großen, zwölf-teiligen Speichenrose – ein bewundernswertes Baukunstwerk. Die Arkaden zwischen den Speichen sind als Doppelbogen ausgeführt. Die Speichen sind zur Aufnahme der Verglasung flach ausgeführt und haben aufgelegte Säulen mit Kapitellen und Basen. Sie laufen konzentrisch zur relativ großen Nabe und bilden dort einen Bogen als Gegenarkade. Die Nabe ist wiederum als Zwölfpassfenster ge-staltet mit einem Durchmesser von 2,70 m. Etwa um 1230 entstand an der stattlichen Dorfkirche Notre-Dame zu Lesges114 bei Braisne eine 4 m große, achtteilige Rose, ebenfalls mit einem Radmaßwerk, das vermutlich aufgrund seiner filigra-nen Beschaffenheit in der Neuzeit vermauert werden musste. Das Maßwerk besteht aus acht Arkaden mit Kleeblattbogen, die auf der Gegenseite durchbrochen sind. Die kurzen Säulen mit Kapitell und Basis laufen auf dem äußeren Kreis der Nabe aus, die von einem durchbrochenen Vierpass ausgefüllt ist. Die genannten Beispiele aus der französischen Provinz bilden mit ihren Fensterrosen-Maßwerken stets auch die Rahmung für die Verglasung. Die Beherrschung des Winddrucks auf die großen freien Flächen der Kreisfenster führte zur notwendigen Konstruktion von Steinmaßwerken, die noch in der Romanik zu Beginn des 13. Jahrhunderts zunehmend filigran ausgearbeitet wurden. Bemerkenswer-terweise kannte die Romanik dagegen bei den herkömmlichen Fensterbahnen der Kirchenschiffe keine Maßwerke. Auch die Frühgotik bediente sich langer, schlanker Lanzettfenster, deren Verglasungen ohne Maßwerk mit Eisenstegen stabilisiert wurden. Selbst an den frühen gotischen Kathedralen Frank-reichs sind Maßwerkfenster selten und finden erst in Reims Eingang in die Baukunst. Hier fällt auf, dass das steinerne Maßwerk an sich zu allererst zur Schließung von Kreisfenstern ausgeführt wurde. Erst mit Vergrößerung und Verbreiterung der spitzbogigen Fenster entstanden große Flächen, die 114 MÄKELT 1906, TAFEL 4–6. 62 durch steinerne Pfeiler in Bahnen von 60–90 cm eingeteilt wurden, um die darüber liegende Maß-werkkrone zu tragen. Damit zeigt sich, dass etwa seit Mitte des 13. Jahrhunderts das in Frankreich entwickelte und dort bereits zur Unterteilung der Lichte von Fensterrosen verwendete Maßwerk ins deutsche Sprachgebiet übernommen wurde, um großflächig und lichtstark verglasen zu können. Man verwendete entweder in Frankreich bereits ausgebildete Teilungssysteme oder baute bald mehr, bald weniger unabhängig von französischen Vorbildern aus Maßwerkteilen zusammengefügte Figurationen in die Fensterrosen ein.115 Abb. 52: Dortmund-Brechten, Pfarrkirche. 1961 entdeckte man die in der 2. Hälfte des 13. Jhs. gemalte frühgotische Fensterrose. 115 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 135. 63 Zur ikonologischen Bedeutung der Westrose In den Kirchen, wo eine romanische Fensterrose realisiert wurde, bildete sie zumeist in der Westwand den mystischen Abschluss des Sakralbaus, womit wie in Marienfeld ein deutlicher Gegensatz zur lichtdurchfluteten Ostseite geschaffen wurde. Nach außen hin schuf man mit dem achtteiligen Aufbau der Rose einen symbolischen Gegensatz zur Seite der Nacht, dem im folgenden Absatz genauer nach-gegangen werden soll In der staufischen Spätzeit verbreitete sich in Deutschland die von Westen herkommende Symbolik des Lichtes. Einen großen Einfluss hatte der Abt Sugar (1080–1151), der den Bau der Klosterkirche von Saint Denis in Auftrag gab, die als erster Sakralbau der Gotik gilt und dazu Schriften zur Archi-tekturtheorie und zur Lichtmetaphysik verfasste.116 Gott ist Licht wurde durch ihn zur Leitidee. Mit der der Mystik nahen Symbolik sollte das Bauwerk selbst zum Abbild des Himmels werden. Abt Sugar war jedoch nicht der Entdecker christlicher Symbolik, denn die gelangte schon vor ihm aus den frühen Stätten des Christentums in Syrien nach Westen und fand Eingang in den frühen Kirchenbau. Nach Abt Sugars Schriften ging schon bald eine Reihe von Interpretationen auf eine in der Kirche entstan-dene Allegorese117 zurück, die im Nachhinein Bedeutungen von bestimmten Dingen im biblischen Sinn erklären sollten. Dabei wird das Thema Symbolik heute allgemein in Kirchenbeschreibungen kaum oder nur bruchstückhaft berührt, bzw. spürt man die Abneigung der Autoren, auf dieses Kapitel mittelalterlicher Baukultur einzugehen. Möglicherweise verwehrt eine säkulare Einstellung den Blick auf die einstmals tiefe Frömmigkeit, unter deren Einfluss die sakralen Bauten entstanden oder später erklärt wurden. Zwar wird eine symbolisch-mystische Thematik dem französischen Kathedralbau gern zuerkannt, doch eine regionale ländliche Kirche kann durchaus eine ebenso tiefgehende Bewertung aufweisen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist neben den technischen Neuerungen im Kirchenbau auch Rezeption und Tradierung vom tieferen religiösen Sinn der Architektur aus Frankreich nach Deutschland gelangt. Daran ist ersichtlich, dass Verknüpfungen jeglicher Art im Mittelalter dichter und ausgiebiger waren, als gemeinhin angenommen wird. Es ist also nicht ungewöhnlich, an einem mittelalterlichen Sakralbau wie der Klosterkirche Marienfelds auch eine tiefgehende Symbolik aus Architektur und Licht vorzufinden. Der Altarraum als das Allerheiligste der Kirche, dessen Betreten dem Laien ursprünglich verwehrt war, wurde entsprechend urchristlichem Verständnis nach Osten ausgerichtet, dem Aufgang der Son-ne, der Quelle des Lichts entgegen. Der Osten steht für die Richtung des Paradieses und auch jene, in der die Wiederkunft Christi zu erwarten ist (2. Parusie).118 So wurde die aufgehende Sonne als die Vergegenwärtigung Christi gedeutet. Der Altar ist Stätte des Messopfers, symbolisch aber auch Grab-stätte Christi und gleichzeitig der Ort seiner Auferstehung. In diese von Bernhard von Clairvaux ge-förderte mystische Glaubenswelt ist auch die Gestaltung der Marienfelder Abteikirche, insbesondere ihr Mönchschor, einzuordnen. In dem nach Osten flachen Abschuss des Chorraums, der im Zisterzienserbau aus Kostengründen von Bernhard empfohlen wurde, entwickelte sich von Frankreich herkommend die Gruppierung von drei Fensterbahnen nebeneinander. Die Weiterentwicklung dieser Idee führte im Rheinland und gleichzeitig auch in Marienfeld zur hochentwickelten Dreifenstergruppe, dessen Typ noch an den Fas-saden des Querhauses vorzufinden ist. Um die im Orden anzutreffende zisterziensische Dreiheit für den Chorraum vollständig zu machen, könnte ursprünglich auch an der Chorostwand der Klosterkirche eine Dreifenstergruppe vorhanden gewesen sein. Allein an der Ostfassade erfüllte sie mit weiteren drei kleineren Fenstern darunter und einer Blendbogengestaltung im Giebel ein weiteres Muster der zister-ziensischen Dreiheit. Die Drei steht, wenn man sie als heilige Zahl ansieht, für die Trinität, die Dreiei-nigkeit oder die Dreifaltigkeit Gottes (Gottvater, Sohn und Heiliger Geist). Aus dieser Sicht öffnet Marienfeld dem Betrachter seine ikonologische Seite, wodurch die Klosterkirche zu einem histori-schen Dokument wird, das eine Vorstellung über die Glaubenswelt zur Zeit ihrer Entstehung vermit-telt. 116 Sugar von Saint Denis,* 1080 in Saint-Denis oder Argenteuil, gestorben 13. Januar 1151 in Saint-Denis. 117 Allegorese, (griechisch-lateinisch) Interpretation von Texten, nachträgliche Suche nach einem hintergründigen Sinn. 118 Parusie, griech. die erwartete Wiederkunft Christi zum Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts. 64 Gegenüber einer angenommenen lichtstarken Dreifenstergruppe auf der Kirchenostseite findet sich in Marienfeld die achtteilige Fensterrose an der Westwand. An St. Marien in Lippstadt befindet sie sich an der Nordfassade, doch nicht allein weil die Westseite der Kirche vom Turm verstellt ist. Wes-ten wie Norden werden in der Symbolik den Seiten der Nacht gleichgestellt, so dass auch an der Nord-fassade Marienfelds einst eine achtteilige Rose angebracht war. So wie dem Unheil, das aus dem Dunklen kam, oft ein Engelfries protektiv gegenübergestellt wurde, schützte mit dem Aufkommen der Fensterrosen die Zahl Acht in Form des Speichenrades den Sakralbau. In Lippstadt und Paderborn hat man die heilige Zahl durch abschreckende groteske Köpfe bereichert, oder wie am Dom zu Münster durch die symbolische Anwesenheit der Kirchenpatrone Paulus und Johannes des Täufers in Form ihrer abgeschlagenen Köpfe. Die Zahl Acht wurde als Addition der sieben Schöpfungstage und der Auferstehung Christi als Neuschöpfung des Menschen verstanden, mit denen Gott in die Weltformung eingegriffen hat.119 Der Kreis des Rundfensters steht als Symbol für den Himmel, der sich den Menschen öffnet und gleichzei-tig ein Zeichen des Neuen und Ewigen Bundes ist. Die im Westen, dem Reich der Dämonen, unterge-hende, scheinbar besiegte Sonne durchleuchtet das Fenster mit der Hoffnung einer Auferstehung des Lichtes im Osten. Diese Vorstellung wird ergänzt vom Grundriss der Kirche, deren Achse von Westen zum Chorhaupt nach Osten der aufgehenden Sonne entgegengeht. Im Schnittpunkt der Vierung ent-steht durch die Achse des Querhauses das christologische Zeichen des Kreuzes, das über allem steht. Marienfeld, Westfassade. Doppelkapitell von einem Blendbogen mit sichtbaren Löchern zur Verbleiung der eingestellten Säulen. Foto: Andreas Sassen 2017. 119 BERGER 1999, Architekturikonologie, S. 223. 65 Abb. 53: Mainz, Dom, Säulenportal um 1100. Abb. aus: Die deutschen Dome 1927. Zur Entwicklung des romanischen Portals Im Gegensatz zu den noch vorhandenen Architekturteilen der Westrose und den Blendbögen am Gie-bel der einstigen Westfassade von Marienfeld, gibt es keine verlässliche Nachricht mehr über die Form und Ausführung der dort einst vorhandenen Portalanlage. Dadurch bleibt eine Rekonstruktion des Westportals in jedem Fall hypothetisch. Bei der Einschätzung des nicht unerheblichen handwerklichen Aufwandes, der zur Schaffung von Westrose und der Blendbogenarchitektur im Giebel führte, dürfte auch das Westportal entsprechend seiner Aufgabe als Hauptzugang zur Klosterkirche aufwendig aus-gestattet gewesen sein. Dies kam auch seinen vielfältigen Aufgaben gleich: als Zugangspforte hoch-rangiger kirchlicher und adliger Würdenträger bei der festlichen Weihe der Klosterkirche im Novem-ber 1222, als Haupteingang in den Kirchenraum für alle Männer des Klosters, als zukünftige Ge-richtsstätte für die Menschen des klostereigenen Landes und seiner symbolischen Bedeutung als ein Tor zum himmlischen Jerusalem. Man darf davon ausgehen, dass es sich beim Westeingang um ein Stufenportal gehandelt hat, das angesichts der Verwendung von eingestellten schlanken Säulen am Giebel und im Speichenrad der Fensterrose ebenfalls mit Säulen verziert war. Erfahrungsgemäß erreichte man dadurch bei einer Fas-sade ein ausgeglichenes architektonisches Gesamtbild. Es stellt sich die Aufgabe, eine Grundlage zu finden, auf welcher stilistischen Entwicklungsstufe das von den Verfassern hypothetisierte Portal von Marienfeld einzuordnen ist. Wie viele andere architektonische Einzellösungen sind auch die Anfänge des Stufenportals im nordwestlichen Frankreich zu suchen, wo ein gewisser Wohlstand der Bürger selbst in den kleinen Städten eine Reihe hochentwickelter Sakralbauten hervorbrachte. Der in der Region vorkommende gut zu bearbeitende Kalkstein animierte die Steinmetze zu hervorragenden architektonischen Leistungen. Nach den Veröffentlichungen der französischen Bauforscher und Archäologen GONSE, ENLART UND LEFÈVRE-PONTALIS um 1900 machte der deutsche Autor MÄKELT eine begrenzte Bestandsaufnahme im Gebiet der alten Diözese Soissons nördlich von Paris. 66 Abb. 54: Schleswig, Petriportal von 1180. Foto: Andreas Sassen 1985. In Bezug auf das sakrale Portal rechnet er eine sich entwickelnde Baukultur120 noch dem Ende des 11. Jahrhundert zu: Die Portalöffnung ist rechteckig und mit monolithem Sturz abgeschlossen, der oft nach der Mitte zu verbrei-tert ist (Jouaignes). Darüber ein halbkreisförmiger Entlastungsbogen, zuweilen mit Wulst oder mehreren Zahn-schnittreihen verziert. Das Bogenfeld ist durch eine monolithe Platte oder geschichtete Steine verschlossen und nie skulptiert. In St. Brandy fehlt der Sturz und das Bogenfeld ist durch eine Platte geschlossen. Bei einigen Portalen ruht der profilierte Entlastungsbogen auf Säulchen. Auch ein später allgemein verwendetes Motiv wur-de in dieser Zeit erfunden: das Portal springt etwas vor die Fassade vor und ist mit einem Steingiebel bekrönt (Rhuis).121 Verfolgt man die Verbreitung im westlichen Deutschland, vornehmlich am Rhein, so scheinen die von Mäkelt beschriebenen Portalformen schon früh in die dortige Romanik aufgenommen worden zu sein. Es findet sich um 1100 das Ostportal des Mainzer Doms (Abb. 53), ein Stufenportal mit einge-stellten Säulen, dessen ausgewogene Formen das Grundprinzip aller folgenden Portalanlagen vorweg-nimmt und sich 100 Jahre kaum prinzipielle Veränderungen ergeben. So werden beim Petriportal am Südquerhaus vom Dom in Schleswig (Abb. 54) noch 1180 eine enge Stilverwandtschaft und ein fast gleicher Aufbau zu Mainz deutlich. Im Weserraum mit seinen gut erhaltenen Zeugen der Romanik, war Kloster Lippoldsberg eines der nördlichsten Vorposten des Mainzer Bistums. Die Kirche aus dem 12. Jahrhundert gehört durch die reife Ausbildung der romanischen Stilformen und durch ihren weit-reichenden kunstgeschichtlichen Einfluss zu den wichtigsten Bauwerken im heutigen Hessen. Das Westportal ihres Südturms, ein einfaches Stufenportal niedersächsischer Art, ist bündig in die Fassade eingebaut und hat in einer dreistufigen einfachen Rundbogenrahmung ein von senkrechtem Mittelbal-ken unterteiltes monolithisches Tympanon. Ein gleichartiges Tympanon findet sich am Nordportal der ebenfalls um 1150 in rotem Sandstein erbauten Zisterzienserkirche Amelungsborn am Nordrand des Sollings (Abb. 55). Auch hier sind keine Begleitsäulen eingestellt, doch die Portalarchitektur ist auf-wendiger und vor die Nordwand des Langhauses gezogen worden. 120 Im weiteren Sinn meint Kultur auch die im Unterschied zur Natur vom Menschen geschaffenen Welt. 121 MÄKELT 1906, S. 103. 67 Abb. 55: Kloster Amelungsborn/Niedersachsen. Das Stufenportal am Langhaus der Zisterzienserkirche entstand um 1150. Foto: Andreas Sassen 2018. Zur Gruppe niedersächsischer Portallösungen gehört noch das Westpor
Objektbeschreibung
Autor | Sassen, Andreas ; Sassen, Claudia |
Titel | Die Marienfelder Fensterrose |
Untertitel | Zur Geschichte und Architektur der Westfassade an der ehemaligen Klosterkirche Marienfeld in Westfalen |
Serientitel | Beiträge zur Heimatgeschichte ; Band 20 |
Ort/Verlag | Solingen : Selbstverlag der Herausgeber |
Erscheinungsjahr | 2018 |
Signatur | 19L939 |
Katkey | 8059775 |
HBZ-ID | HT019919162 |
Katkey (Überordnung) | 6550992 |
HBZ-ID (Überordnung) | HT016938765 |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Beschreibung
Titel | |
Typ | Image |
Dateiformat | image/jpg |
Rechteinformation | Rechte vorbehalten - Freier Zugang |
Volltext | Beiträge zur Heimatgeschichte Band 20 Die Marienfelder Fensterrose Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Solingen 2018 2 3 Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Die Marienfelder Fensterrose 4 5 Beiträge zur Heimatgeschichte Band 20 Andreas Sassen ∙ Claudia Sassen Die Marienfelder Fensterrose Zur Geschichte und Architektur der Westfassade an der ehemaligen Klosterkirche Marienfeld in Westfalen ISSN 2192-6840 Solingen 2018 6 Beiträge zur Heimatgeschichte Beiträge zur Heimatgeschichte ist eine Schriftenreihe zu Themen von Kunst, Geschichte und Architektur herausgegeben von Andreas Sassen und Claudia Sassen. Umschlagabbildung: Westrose in Marienfeld Zeichnung: Andreas Sassen 2000 Impressum: © 2018 Andreas Sassen/Claudia Sassen Hasselstr. 4, 42651 Solingen claudia.sassen@uni-dortmund.de ISSN 2192-6840 Redaktion Claudia Sassen Zeichnungen und Fotos laut Angabe und Andreas Sassen Druck- und Verlagsort Solingen, Selbstverlag der Herausgeber Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 7 Inhaltsverzeichnis: Einleitung 9 Die Entdeckung und erstmalige Beurteilung der Marienfelder Fensterrose 10 Zum Bau des Zisterzienserklosters Marienfeld und seiner Kirche 17 Der Bau der Kirchenwestseite mit Portal, Rose und Giebel 34 Exkurs: Die Bezeichnung Fensterrose im westeuropäischen Sprachgebrauch 42 Zur Entwicklung der Fensterrose in der Romanik 44 Zur ikonologischen Bedeutung der Westrosen 63 Zur Entwicklung des romanischen Portals 65 Zur Entwicklung der Blendbogenarchitektur 70 Literatur 75 8 9 Abb. 1: Marienfeld. Die Verbindungsstelle der Kirchen-Westseite mit dem barocken Abteigebäude. Foto: Andreas Sassen 2018. Marienfeld, die Abtei und die Westfassade der ehemaligen Klosterkirche Das Zisterzienserkloster Marienfeld, im gleichnamigen Ortsteil von Harsewinkel gelegen, wurde 1185 gegründet und 1803 aufgehoben. Die Klosterkirche steht seit dieser Zeit als Pfarrkirche der katholi-schen Gemeinde zur Verfügung, ist aber im Besitz des Landes NRW, das Bauträger für das denkmal-geschützte Objekt ist. An das Kirchenschiff schließt sich nach Westen ein repräsentatives Gebäude an, die sogenannte Abtei (Abb. 1), die um 1700 ohne eigene Zwischenwand an die Kirche angesetzt wurde, so dass deren Westfassade seither den Blicken entzogen ist. Die Abtei war mit ihrem großzügigen Treppenhaus der Abschluss eines barockzeitlichen Gesamtumbaus des Klosters und blieb als einziger Teil der Klausur-bauten erhalten, die sich südlich der Kirche um einen Kreuzgang gruppierten. Sie kam nach 1803 in den Besitz verschiedener Personen und Institutionen. Um 1971 übernahm sie der Marienfelder Kauf-mann Heiner Bessmann, der mit hohen Investitionen eine Sanierung durchführte und im Souterrain1 eine Nutzung als Restaurant mit Hausbrauerei anstrebte. Seit 2007 gehört das Gebäude zum Hotel Klosterpforte und wird von dort aus wirtschaftlich genutzt. Im Zeitraum der Gebäudeerneuerung durch Bessmann wurde 1984 die Marienfelder Westrose ent-deckt, ein architektonisches Kleinod aus der Bauzeit der Kirche. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dieser Rose und der Gestaltung der gesamten Westfassade, die einstmals als Schaufassade der stauferzeitlichen Klosterkirche gedacht war.2 1 Souterrain, frz.: hochliegendes Kellergeschoss. 2 staufisches Jahrhundert 1152 (1138) – 1250. 10 Die Entdeckung und erstmalige Beurteilung der Marienfelder Fensterrose Im Jahre 1984 sollte bei Bauarbeiten im Saal des Abteigebäudes von Marienfeld eine feuerfeste Decke eingezogen werden, die in der Mitte des Raums von einem Unterzug unterfangen werden musste. Da der barockzeitliche Baumeister um 1700 auf die Errichtung einer zusätzlichen Trennwand verzichtet hatte, musste man jetzt für die Trägerauflage die Westwand der angrenzenden Kirche aufschlagen und einige Ziegelsteine herausnehmen. Als dabei ein Meißel in die Öffnung fiel und klirrend verschwand, wurde man aufmerksam und räumte weitere Ziegel weg. Es tat sich ein größerer Hohlraum auf, in der bei erster Ausleuchtung eine rätselhafte Architektur aus den braungelben Steinen des Teutoburger Waldes sichtbar wurde. Erst als man die gesamte Vermauerung entfernt hatte, stellte sich heraus, dass man ein riesiges Rundfenster aus der Erbauungszeit der Kirche gestoßen war: die bislang unbekannte Marienfelder Westrose (Abb. 2–6). Für die westfälische Kunstgeschichte war die Kirchenwestseite bis zu diesem Zeitpunkt ein Myste-rium. Man wusste nur aus der Marienfelder Chronik vom Vorhaben des Abtes Arnold von Bevern (1443–1478), an besagter Stelle ein großes gotisches Fenster einzurichten, wie es 100 Jahre zuvor schon an der Chorostwand geschehen war. Doch das Vorhaben wurde aufgrund unsicherer politischer Verhältnisse nicht ausgeführt. Herr Arnoldus hatte auch den Plan, in unserer Klosterkirche nach Westen hin ein Fenster nach dem Vorbild des Ostfensters seines Vorgängers Nikolaus anbringen zu lassen. Doch Herzog Karl von Burgund behinderte die Ausführung dieses Planes, als er vom Kölner Erzbischof Robert unterstützt die kölnische Stadt Neuß ein Jahr lang (1475) belagerte; hätte er sie eingenommen, wie alle befürchteten, hätte er ganz Alemannien unterworfen. Doch zog Kaiser Friedrich mit einem gewaltigen Heer gegen ihn zu Felde und brachte ihn von der Belagerung ab. So wurde der oben erwähnte Bau des Fensters unterbrochen.3 Ein Westfenster wird in der Chronik nicht erwähnt. Erst 1935 kam man dem Geheimnis etwas nä-her, als Handwerker Pfeiler, Bogen und Wände von seit der Zeit des Barock aufgetragenen Kalk-schichten befreite. Auf der Wandfläche hinter der Orgel (Abb. 13) wurden dabei die Spuren einer großflächigen Vermauerung sichtbar, die nach ihrer runden Form auf ein Kreisfenster schließen ließ. Doch was sich dahinter verbarg, blieb weiterhin unklar; denn die Wand wurde zu einer weiteren Un-tersuchung nicht geöffnet. Daraufhin konnte der Historiker KARL HÖLKER in den Bau- und Kunst-denkmälern des Kreises Warendorf von 1936 nur eine vage Vorstellung der Kirchenwestseite liefern. Die Gestalt der Westfassade lässt sich, wenigstens in ihrem oberen Teile noch hinreichend feststellen. Turm-anlagen und plastischer Schmuck waren im Orden verboten. So war man auch bei der Westfassade auf eine gewisse rein architektonisch-dekorative Gliederung der großen Frontwand angewiesen. Der obere Teil der Front war beherrscht von dem gewaltigen Rundfenster, das heute vermauert und durch das Abteigebäude ver-deckt ist.4 Hölkers damalige Zeichnung (Abb. 21A) blieb bis heute die einzige Darstellung von der Westfas-sade der Klosterkirche. Er bildete zwar die Blendbogengestaltung im Giebel realistisch ab, doch bei Einzeichnung von Fensterrose und Westportal musste er hypothetisch bleiben. Für die Fensterrose vermutete er ein großes sechsteiliges Passfenster, wie sie zu gleicher Bauzeit in kleiner Form an der Turmkapelle in Rheda entstanden waren. Das einstige Portal unter der Westrose ist damals zwar auch aufgespürt, aber in der Zeichnung nur als rechteckige Öffnung angedeutet worden. Auf das mögliche Aussehen als ein romanisches Portal mochte sich weder Hölker noch die folgende Bauforschung fest-legen. Der Zufallsfund der Fensterrose von 1984 war zunächst eine wissenschaftliche Sensation, ließ den Entdeckern aber wenig Freude, denn die Öffnung der Kirchenwand brachte den Vorwurf mit sich, fremdes Territorium betreten zu haben und das Abräumen des Bauschutts bedeutete die Vernichtung 3 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 83. 4 HÖLKER 1938, S. 217. 11 Abb. 2: Kloster Marienfeld. Die romanische Westrose nach der Aufdeckung im Abteisaal. Auf der Wand Dekorationen der 50er Jahre. Foto: Archiv Bessmann 1984. wichtiger archäologischer Spuren. Das Denkmalamt ließ den Zustand der stark verwitterten Fensterro-se zwar sichern, plante aber aufgrund fehlender Mittel keine durchgreifende Restaurierung und ordnete aus konservatorischen Gründen einen Wiederverschluss des Rundfensters an.5 Dagegen wollte der Nachbar Bessmann die vom Abteisaal her einsehbare Rose als seltenes architektonisches Schaustück der Öffentlichkeit zugänglich machen.6 Da auch sein Angebot, sie mit einer Glaswand zu schützen, den amtlichen Beschluss nicht abwenden konnte, verschwand die Marienfelder Westrose im Januar 2000, sechzehn Jahre nach ihrer Entdeckung, wieder hinter einer Vermauerung.7 Eine weitere Be-schäftigung mit ihr war zwar nicht mehr möglich, sie war aber direkt nach der Freilegung von Mitar-beitern des Denkmalamts Münster untersucht und dokumentiert worden (Abb. 4).8 Der 1986 veröffent-lichte dreiteilige Aufsatz von QUEDNAU, KORN UND SIGRIST bietet eine kurze Beschreibung des Auf-baus der Rose, einer Prüfung auf die ehemalige Verglasung der Öffnungen, sowie Untersuchungen zu Putz und Farbe an ihrer Oberfläche.9 5 ZELENKA: Eingriff erinnert an Grabräuberei – Bericht vom Pressegespräch des Denkmalamtes. In: NW Nr. 23, 28.1.2000. 6 KRÖGER, Silke: Kirchen-Westseite birgt weitere Schätze. In: NW Nr. 12, 15.1.2000. 7 ZELENKA: Schonfrist ist abgelaufen. In: NW Nr. 16, 10.1.2000. Westrose unter dicken Steinen. In: NW Nr. 14, 18.1.2000. Glocke (men): Westrosette in der Abtei verschwindet hinter einer Mauer. In: Die Glocke 18.1.2000. 8 Abb. S. 13. 9 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986. 12 Abb. 3: Kloster Marienfeld. Blick auf das Mittelauge der Westrose mit Ihren zusammengesetzten Sandsteinteilen. Dahinter die Ziegelvermauerung vom Kircheninneren her. Foto: Archiv Bessmann 1984. Der unter der Vermauerung vorgefundene Zustand der Werksteine zeigte nach der Aufzeichnung von Sigrist keine Farbfassung mehr, wahrscheinlich war sie bis zur vollständigen Verstellung durch den Bau der Abtei verwittert. Allein im oberen, weniger vom Wetter berührten Rosenteil fanden sich Rudimente von vier Farbfassungssystemen, die alle vor der Vermauerung der Rose entstanden waren. In erster Fassung sind die Ziegelsteinpartien zum Werkstein auf Null auslaufend mit einem dünnen Putz versehen worden. Darauf finden sich ockergelbe Farbspuren, so dass man sich vorstellen kann, dass Putz- und Werksteinflächen farblich angeglichen wurden. Eine zweite Fassung zeigte die Werksteinglieder hellgraufarben mit weißen Fugenstrichen und mit einer schwarzen Konturlinie von mittlerweile weißen Putzflächen abgesetzt. Diese Gestaltung ist zu einem späteren Zeitpunkt als dritte Fassung wiederholt worden. Bei einer vierten Erneuerung der Farb-fassung sind die Werksteinteile mit einer dunkelgrauen Farbe gestrichen worden, die wiederum mit einem weißen Fugenstrich und weißen Putzfeldern kontrastierte. Bei der Untersuchung Korns zur Verglasung der Rose fanden sich auf der inneren, zur Kirche gele-genen Seite des zentralen Okulus zehn Ausnehmungen für eine Eisenarmierung. Dabei wurde der Okulus von drei Windeisen in vier schmale, senkrechte Felder geteilt. Die Beschaffenheit der waage-rechten Einteilung blieb ohne Befund, da die Eisen einst alle gewaltsam ausgebrochen worden waren. Ungewöhnlich erscheint, dass die außen liegenden Falzen aller Öffnungen der Rose in kurzen Abstän-den mit quadratischen Aushöhlungen mit einer Tiefe von bis zu 40 mm versehen waren. In ihnen steckten zum Teil noch die Holzdübel mit geschmiedeten Nägeln zur Befestigung der Bleiverglasung, die zusätzlich in üblicher Weise eingeputzt war. Die im Bauschutt aus der Vermauerung der Rose gefundenen Glasreste warfen Fragen auf, die schwerlich beantwortet werden konnten. Man fand 67 größere und kleinere Blankglasfragmente, die einer neuzeitlichen Rechteckverglasung zugeordnet wurden. Weitere 12 Stücke einer kleinteiligen mittelalterlichen Ornamentverglasung mit gekröselten Kanten, deren Außenseiten teilweise stark angewittert waren, konnten ebenfalls nicht eindeutig zuge-ordnet werden. Die Rose befand sich bei der Aufbringung der zweiten Farbfassung ohne Verglasung, denn die Tünche zieht sich durch den Falz und in die kleinen Dübellöcher. Erst danach wurden die Dübel 13 Abb. 4: Kloster Marienfeld Die Westrose in Frontal- und Schnittansicht. Aufmaß von Winfried Preis. eingefügt. Nach Meinung Korns kann es sich bei den mittelalterlichen Glasfragmenten nicht um die Reste der Verglasung des 13. Jahrhunderts handeln. Die Autorin Quednau liefert eine Beschreibung der Rose mit 5,50 m Durchmesser, einer Maßwerk-stärke von 0,67 m und einer Gesamttiefe von 1,71 m; womit wahrscheinlich die Mauerstärke der Westwand gemeint ist. Funktion und handwerklichen Stand der Rose bewertet Quednau wie folgt: Form und technische Bewältigung sind ungewöhnlich und zeugen von dem Bemühen, eine ungewöhnliche Bauaufgabe zu lösen. In den äußeren Okulus ist ein Achtpass aus etwas über halbkreisförmigen Rundbögen eingestellt, dessen Nasen in kleinen Lanzettblattkapitellen auslaufen. Die Zwickel und sonstigen Spalten sind mit Backstein geschlossen […]. Um zum Ring des inneren Okulus zu vermitteln, sind in die Rundbögen spitzbogige Lanzettfensterchen eingestellt, deren Steinrahmen, jeweils aus zwei Werkstücken zusammengesetzt, in die Run-dungen eingepasst sind und die auf dem Ring der inneren Kreisform stehen. Vermutlich hatte man Bedenken, die Rundbögen feingliedrig durch Stege oder Säulchen mit dem inneren Okulus zu verbinden, sie voll zu verglasen und dem Winddruck auszusetzen, was auch die Anbringung von Windeisen in den Passformen erfordert hätte. Stattdessen bediente man sich des vertrauten Verfahrens von ein-gestellten Fensterrahmen, hier allerdings aus Stein, während alle bis dahin in Westfalen bekannten Fensterver-glasungen mit Holzrahmen arbeiteten. Die Marienfelder Rose ist ein Unikum, zumal wenn man die kaum später entstandenen Fensterrosen in der Schlosskapelle in Rheda und am südwestlichen Querhaus des Doms zu Münster betrachtet, die durchaus dem damaligen technischen und handwerklichen Standard östlich des Rheins entsprachen. 10 10 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986, S. 38–39. 14 Abb. 5: Kloster Marienfeld Detailaufnahmen der Rose mit den Kapitellen des Säulenrades an den Bogennasen. Das untere Bild zeigt deutlich den Ansatz zur Aufnahme des Säulenschaftes. 15 Abb. 6: Kloster Marienfeld. Frontalansicht der Westrose im Abteisaal. Foto: Archiv Bessmann 1984. Quednau versteht den damals vorgefundenen Zustand der Rose als ein Werk, dem nichts fehlte und erwägt deshalb keine Ergänzung mit Speichensäulen zu einem Radfenster.11 Die dafür an den Rund-bogen angearbeiteten Blattkapitelle mit ihren Ansätzen (Abb. 5) wurden allerdings nicht erwähnt. Sie führten schon damals zu den Einwänden und Hinweisen, dass man sich die freigelegte Rose rekonstru-iert mit einem Säulenrad vorstellen müsse, was aber von den Autoren verworfen wurde. Missverständ-lich ist auch Quednaus Beschreibung der Fensterrose, denn die im Kreis vorgesetzten Rundbogen und der innere Okulus wurden von ihr fälschlich auf eine Ebene gebracht. Darüber hinaus schlug ihr Ver-gleich mit den Passfenstern in Rheda fehl. Legt man KOBLER zugrunde, ist Quednaus Vergleich der Rose mit den Passfenstern von Rheda nicht angebracht (Abb. 38); denn Kobler deutet diese nicht als Fensterrosen.12 Die Veröffentlichung schränkte den kunstgeschichtlichen Stellenwert der Rose und der darüberlie-genden Giebelarchitektur erheblich ein. Durch den Verschluss der Rose 16 Jahre nach ihrer Entde-ckung war sie jedem weiteren Blick entzogen, was jegliche weitere auf sie bezogene Datenerhebung unmöglich machte. Aufmerksamkeit und Interesse ließen schnell nach; die Kirchenwestseite fand selbst in neuerer Literatur keine Beachtung mehr. Der ruinöse Zustand der Westrose bestätigt die wiederkehrende Erfahrung, dass in Marienfeld bei Umbauten oder Aufgabe bestimmter Teile sehr rüde mit den Werken der Vorväter umgegangen wur-de. Schon im Mittelalter hatte man bei der Schließung der Gedenknische für alle Stifter des Klosters die kunsthandwerklich bearbeiteten Teile bedenkenlos zerschlagen.13 Im 17. Jahrhundert wurde nach Aufstellung des groß dimensionierten Barockaltars (Abb. 12) das gotische Ostfenster vermauert, wo-bei seine wertvolle mittelalterliche Bildverglasung unterging. Als man vor 200 Jahren das Grabmal des Bischofs Hermann, eine romanische Tumba, aus dem Chor herausnahm, büßte dieser seinen fein-gliedrigen säulengestützten Unterbau ein (Abb. 15). 11 Dem 1984 geäußerten Hinweis, dass der Rose wahrscheinlich ein Blendrad vorgestellt war, wurde vom Denkmalamt nicht nachgegangen sondern sofort verworfen. Manfred Beine, Stadtarchivar in Rietberg. 12 KOBLER 1982, Sp. 65–203. 13 STROHMANN 1994, S. 210–250; SASSEN 2009; 16 Abb. 7: Kloster Marienfeld. Blendbogen-Wandpfeiler mit den Resten der doppelten Säulenstellung. Die Kapitelle und Basen sind noch vorhanden, die beiden Säulen aber herausgebrochen. Foto: Andreas Sassen 2017. Auch mit der Westseite der Klosterkirche verbindet sich die bittere Erkenntnis, dass man schon im 16. Jahrhundert die Rose ruiniert hatte: das Speichenrad mit seinen acht feinen Steinsäulen wurde her-ausgebrochen und die Verglasung des Maßwerks zerschlagen. Beim Abteibau um 1700 verloren die Blendbogenreihen im Giebel ihren Säulenschmuck (Abb. 7) und auch die Portalarchitektur (Abb. 30 und 56), einst die Visitenkarte des Sakralbaus, wurde abgeschlagen. Hätte man alles an seiner Stelle belassen, wären wichtige architektonische Elemente der staufischen Romanik überliefert worden. Es stellt sich also die Aufgabe, die Westfassade der ehemaligen Klosterkirche im Sinne der Zister-zienser wieder vorstellbar zu machen. Die drei kunsthandwerklich gestalteten Teile der Fassade, Por-tal, Rose und Blendgiebel sind gesamtheitlich als Leistungen des stauferzeitlichen Kirchenbaumeisters zu beurteilen und in den damaligen Entwicklungsstand der romanischen Architektur einzuordnen. Sowohl die Rose als auch der Giebel der Fassade können mit der Ergänzung der fehlenden Säulenstel-lungen rekonstruiert werden. Dagegen bleibt die verloren gegangene Portalarchitektur hypothetisch, kann aber am Beispiel zahlreich vorhandener Eingangsanlagen zeitgleicher Kirchenbauten nachvoll-ziehbar gemacht werden. 17 Abb. 8: Kloster Marienfeld. Vogelschau-Ansicht der Klosteranlage von Henricus Duenheuft 1802. Abb. Denkmalamt Münster. Zum Bau des Zisterzienserklosters Marienfeld und seiner Kirche Die Westfassade Marienfelds mit ihren prominenten architektonischen Eigenschaften muss stets als klerikales bauliches Gesamtkonzept gesehen werden. Zu diesem Verständnis muss man sich mit der Entstehung des Sakralbaus und seiner Aufgabe des in ihm angedachten Gottesdiensts der Mönche vertraut machen. Als die Westfassade vollendet war, dürften seit Planlegung und Baubeginn der Klos-terkirche über 30 Jahre vergangen gewesen sein. Über die Baugeschichte der Abtei Marienfeld sind abgesehen von der Weihe der Kirche 1222 nur wenige Informationen überliefert. Von fast allen mit-telalterlichen Kirchen fehlen Bauberichte, es sei denn, eine urkundliche Zustiftung mit Namensnen-nung zur Fortführung des Baus blieb erhalten. Oftmals können wir uns aber an bestimmten stilisti-schen Merkmalen des Bauwerks orientieren und dazu den Verlauf des Kirchenbaus nachvollziehen. Das 1185 gegründete Kloster Campus Sanctae Mariae, volkstümlich Marienfeld genannt, ist eine gemeinschaftliche Sühnestiftung verwandter westfälischer Adeliger, die im Sächsischen Krieg unter Heinrich dem Löwen gegen Kaiser Barbarossa gekämpft und verloren hatten: Edelherr Widukind von Rheda mit seinen Neffen, die Grafen von Schwalenberg und der Edelherr Bernhard II. zur Lippe mit seinem Neffen Graf Lüdiger II. aus dem niedersächsischen Wöltingerode.14 14 LEIDINGER 1985, 1999. 18 Abb. 9: Kloster Marienfeld Grundriss der Klosterkirche. Zeichnung aus: Hölker, 1936. Unter der Federführung des Bischofs Hermann II. von Münster konnten sie sich mit der Klostergrün-dung vor dem Kaiser rehabilitieren und erhielten ihre konfiszierten Ländereien zurück. 15 Am 1. November 1186 wurde die für das Kloster vorgesehene Stätte durch einen Zisterzienserkon-vent aus dem Kloster Hardehausen bei Paderborn besiedelt. Die Mitglieder fanden am Platz der späte-ren Klosterpforte die sogenannte Wadenhartkirche vor, seit 1134 Pfarrkirche der umliegenden Bauern-schaften unter dem Kloster Liesborn (Abb. 8). Der Bischof von Münster übertrug ihre Pfarrrechte auf die Pfarrei Harsewinkel und unterstellte sie dem neuen Konvent.16 Sie diente nun über viele Jahre den Mönchen als Oratorium. Da die Kirche mit dem Pfarrhof Wadenhart17 allein in der Landschaft stand, wird man vermutlich in ihrer unmittelbaren Nähe das provisorische Kloster aus Holz-Lehmbauten mit Refektorium und Dormitorium zur Aufnahme des ersten Konvents errichtet haben. Es darf kein neuer Abt an einen Ort gesandt werden ohne wenigstens zwölf Mönche. Auch müssen vorher folgende Gebäude errichtet worden sein: Oratorium, Refektorium, Dormitorium, die Wohnung für die Gäste, und den Pförtnerbruder, damit die Mönche dort sofort Gott dienen und der Regel gemäß leben. (Capitula, 9.4) Da es unter den Zisterzienserklöstern nicht üblich war, Finanzierungen oder Finanzhilfen zum Bau einer neuen Abtei zu gewähren, war es das erste Ziel des neuen Konvents, für sich eine solide wirt-schaftliche Grundlage zu schaffen. Laut positiver Berichte aus der Marienfelder Chronik18 dürfte dies durch Koordination der weitgestreuten Landwirtschaft, aus den großzügigen Förderungen seiner Stif-ter sowie des Bischofs in Münster bald erreicht worden sein. Vermutlich war Marienfeld um 1190 in der Lage, das Großprojekt seiner Klosterkirche mit den Klausurbauten zu beginnen. Zisterziensische Bauprojekte wurden bis ins Detail von Fachleuten geplant und durchgeführt. In dieser Hinsicht war man unter den Filialen innerhalb des Ordens bestrebt, sich gegenseitig nach besten Kräften zu helfen. In den Klöstern hatten Bildung und Ausbildung geeigneter und talentierter Mönche und Konversen einen hohen Stellenwert, um für die Leitung aller Projekte möglichst auf eigene und damit kostengünstige Kräfte zurückgreifen zu können. So beauftragten Konvent, Stifter und Bischof einvernehmlich einen erfahrenen Mönch des Zisterzienserordens als Instruktor, der aber nicht als Baumeister oder Architekt anzusprechen war, sondern alle 15 Widukind von Rheda, erstmals 1169 genannt, 1185 Stifter in Marienfeld, †1191 Akkon/Palästina; Bernhard II. zur Lippe, *1140, 1185 Stifter in Marienfeld, 1196 Abdankung, 1207 Mönch in Marienfeld, 1210 Livland, †1224 als Bischof von Selburg/Livland; Lüdiger II. von Wöltingerode-Wohldenberg, *um 1158, erstmals 1175 genannt, 1185 Stifter in Marienfeld, †7.3.1208 im Harzvorland; Hermann von Katzenelnbogen/Rheingau, 1173 Bischof Hermann II. von Münster, 1185 Stiftungsinitiator in Marienfeld, †1203 als Mönch in Marienfeld. 16 Böhmer/Leidinger 1998, (WUB II 462) Übersetzung der Urk. Bf. Hermanns II., S. 179-180. 17 LEIDINGER 1999, S. 8, laut Anm. 8, begegnet der Name Wadenhart urkundlich noch bis ins 14. Jahrhundert. 18 LEIDINGER 1999. Böhmer/Leidinger 1998, S. 33–38, Anm. S. 200, 38. 19 Abb. 10: Kloster Marienfeld. Längsschnitt der Abteikirche. Zeichnung aus: Hölker, 1936. wesentlichen Entscheidungen im Sinne des Ordens für die neue Abtei zu treffen und deren Ausfüh-rungen zu überwachen hatte. Er beriet den Konvent bei der Wahl des Bauplatzes und brachte Angaben zur Anlage des Klosters wie zur Ausführung der Bauten mit. Im Zisterzienserorden war durch Bernhard von Clairvaux ein Rahmen für Bauwerke vorgegeben, die dem monastischen Leben nach Art von Citeaux entsprachen. Entsprechend dem Postulat des Bau-ens entstand ein Programm, das für die Baumeister neugegründeter Zisterzienserklöster verbindlich wurde. Es enthielt ein funktionales Schema, das die Klosteranlage allgemein auf einen Idealplan fest-legte. Dieser betraf Grundriss und Größe, sowie architektonische Empfehlungen, aber auch die For-mensprache, die Dekoration und alles, was den Geist des Bauprojektes ausmachte. Nach diesem Pro-gramm wurden europaweit über 750 Männerklöster mit all ihren Einrichtungen gebaut; sie prägen die Landschaften und sind auch heute noch – achthundert Jahre später – in ihrem Prinzip nachvollzieh-bar.19 Wahrscheinlich wurde die Grunddoktrin von Citeaux im Orden allgemein beachtet: Damit unter den Abteien für immer dauernde und unauflösliche Einheit herrsche, wurde als erstes festgelegt, dass die Regel des heiligen Benedikt von allen einheitlich ausgelegt werde und dass man nicht einmal in einem Buchstaben von ihr abweichen soll. (Capitula 9.6) Für Bernhard von Clairvaux gab es keinen Grund, von den Traditionen der Benediktiner abzuwei-chen, die die Bauform der Klausurgebäude nach dem Vorbild des karolingischen Landgutes übernah-men, das wiederum von der römischen Villa mit Atrium inspiriert war. Das Grundschema der Kloster-anlage des 12. Jahrhunderts bildete ein geschlossener Gebäudekomplex, mit dem Herzstück von Kir-che und Kreuzgang (Abb. 8). Für den Grundriss der einzelnen Klostergebäude lagen den Zisterzien-sern zwar keinerlei Anweisungen vor, dennoch wurden sie in ihrer Stellung zueinander gleich errich-tet. Als charakteristisches Merkmal des Ordens findet sich überall funktionale Identität der Gebäude innerhalb des Klausur-Vierecks, das darüber hinaus nach soziologischen Kriterien ausgerichtet war. Innerhalb der Klausur befanden sich sozusagen zwei Klöster; eines für die Chormönche adeliger Ab-stammung und eines für die Laienmönche und Konversen, die für die praktische Arbeit des Klosters benötigt wurden. Für jede Gemeinschaft gab es ein separates Gebäude mit Refektorium und Dormito-rium. Im Osten war das Haus der Mönche an das Südquerschiff angebaut, damit sie jederzeit auf kur-zem Weg den Chorraum für Gottesdienst und Stundengebet erreichen konnten. Im Westen der Klausur 19 LEROUX-DHUYS 2007, S. 39. 20 Abb. 11: Stift Freckenhorst Die Stiftskirche von 1129 lieferte mit Abmessungen und 1 ½ Chorjochen wichtige Baumotive für Marienfeld. Foto: Andreas Sassen 2013 21 Abb. 12: Kloster Marienfeld. Blick nach Osten in die Zisterzienserkirche des Übergangsstils mit ihrer barocken Ausstattung. Foto: Andreas Sassen 2015. 22 stand das Gebäude der Laienbrüder, offen zur Außenwelt in der sie arbeiteten. Zur Kirche hin benutz-ten sie die Konversengasse, einen separaten Gang, der sie von den Wegen der Chormönche trennte. In der Klosterkirche schied der Lettner die Gemeinschaften im Mittelschiff, eine hohe Chorschranke, vor dem ein eigener Altar für die Sonntagsmesse der Laienbrüder unterhalten wurde. Für den Klosterbau war der Cellerare (Klosterverwalter) im Auftrag des Kapitels Auftrag- und Geldgeber, der mithilfe eines vertrauten Bauverwalters dem Operarius das Vorhaben in die Tat um-setzte. Auch der Operarius kam aus dem Zisterzienserorden, um als kaufmännischer Leiter verantwort-lich für die Finanzen sowie die Bauaufsicht zu zeichnen. Zur praktischen Ausführung des Bauvorha-bens dürfte ein Laienbruder des Ordens als Bau- oder Werkmeister ausgewählt worden sein. In der romanischen Baukunst hat es den Beruf des Architekten nicht gegeben, jedoch den des Werkmeisters, der – mit allen erforderlichen Kenntnissen des Bauhandwerks vertraut – als gebildete, sozial hoch stehenden Persönlichkeit aus dem Maurerhandwerk stammte. Die zunehmenden Anforderungen zur Konstruktion und Ausführung von Bögen, Gewölben, Säulen und Pfeilern aus Stein setzten jedoch präzises Arbeiten mit diversen Messtechniken voraus, so dass um 1150 dieser leitende Berufsstand aus den Reihen der Steinmetze besetzt wurde. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts fanden sich unter den Steinmetzen spezialisierte Arbeitsgruppen, die ihr Wissen zunächst nur einem engen, eingeweihten Kreis weitergaben. Doch die Wanderbewegung der Männer sorgte für eine Verbreitung der Kenntnisse zum Nutzen für jeden Bauherrn, der dafür bezahlen konnte. An den großen Kathedralbauten der Gotik kamen die Werkgemeinschaften über Jahrhunderte als Bauhütte zum Einsatz, und angesichts der Großbaustelle in Marienfeld war auch dort eine solche Bauorganisation notwendig. Jüngere Studien haben gezeigt, dass die Zisterzienser die hochdotierten, leitenden Stellen möglichst mit Angehörigen des Ordens besetzten und anfangs auch die meisten Arbeiten von Handwerkskräften aus den eigenen Reihen ausführen ließen. Nachdem die Zahl der Personen, die in den Mönchsstand erhoben wurden, zurückging, mussten zur Realisierung von Bauprojekten jedoch immer mehr Bauhandwerker aus der Bevölkerung angeworben werden. Die von Beginn an professionelle Art der Bauausführung Marienfelds lässt vermuten, dass ein aus Frankreich stammender oder dort ausgebildeter Werkmeister des Ordens mit gelernten Handwerkern und deren Hilfskräften mit der Ausführung betraut wurde. Um Vorstellungen des Kirchenbaus Gestalt annehmen zu lassen, mussten Pläne vor Ort entwickelt werden, was in Form maßstabsgetreuer Grund- und Aufrisszeichnungen auf Lehmtafeln geschah. Papier oder Pergament wurden aufgrund ihres hohen Preises nur selten verwendet, weshalb aus dem Mittelalter kaum Baupläne erhalten sind. Lehmtafeln konnten dagegen immer wieder aufgeweicht und glattgezogen neu benutzt werden, wobei oft Detail-zeichnungen zur Information des Bauherrn oder zur genaueren Anweisung der Mitarbeiter entstanden. Es war auch Aufgabe des Werkmeisters, sich um Gewinnung, Transport und Bereitstellung des Bau-materials kümmern. Allgemein wurden die Bauern und Handwerker am Ort und die Hilfskräfte vom Kloster zu Hand- und Spanndiensten herangezogen. Besonders in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte und nach der Ernte mussten sie helfen, auch soweit das Wetter in der kalten Jahreszeit noch Aktivitä-ten zuließ. Gewinnung und Transport von Sand und Steinen, Holzschlagen für Bauholz und Kohlen-brand sowie die Beschaffung von Kalk über weite Wegstrecken zählten zu ihren Aufgaben. Dies wa-ren zeitraubende Betätigungen, aber für den Fortgang der Bauarbeiten bestimmend; denn das Tempo der Bauausführung lag in erster Linie an der Beschaffung und Bereitstellung des Baumaterials. Das Baugelände in Marienfeld bedurfte zunächst einer enormen Aufbereitung, wobei der Lauf des Lutterbachs nach Süden in einem großen Bogen um das zukünftige Klosterareal verlegt werden muss-te. Dort entstand der noch heute vorhandene Teich, der zur Fischhaltung und zum Betrieb der kloster-eigenen Getreidemühle diente, aber auch zur Regulierung eines gleichbleibenden Grundwasserspie-gels, der wiederum zur Erhaltung der Grundmauern der Klostergebäude wichtig war (Abb. 8). Das ursprüngliche von Ost nach West verlaufende Bachbett wurde vermutlich zu einem Kanal zurückge-baut, der mitten unter den Klostergebäuden hindurchlief und zur Wasserversorgung von Küche sowie anderer Einrichtungen und ihrer Entwässerung sowie zuletzt zur Spülung der Latrinen diente. Der Abwasserkanal vereinigte sich unterhalb der Mühle wieder mit dem Lutterbach. In dem sandigen und vermutlich moorigen Grund der Lutteraue mussten alle Mauern der großen Gebäude auf eine Gründung aus Holzpfählen gestellt werden. Für diese Pfahlgründungen hob man 23 Abb. 13: Kloster Marienfeld. Blick ins westliche Joch mit der Barockorgel von Johann Gottfried Moeller aus Lippstadt. Hinter ihr verbirgt sich die vermauerte Westrose. Foto: Andreas Sassen 2015 soweit wie möglich Fundamentgräben bis unter die Grundwasserlinie aus und rammte dicht an dicht Holzpfähle in die Gräben, bis sie einen festen Auflagegrund bildeten. Die Pfahlköpfe mussten zur Erhaltung des Holzes knapp unterhalb des Grundwasserspiegels enden. Auf diese wurde ein Funda-ment aus Granitfindlingen gelegt, um aufsteigende Feuchtigkeit zu vermeiden.20 Da Ziegelmauerwerk hygroskopische Eigenschaften hat, unterband man die aus dem Untergrund aufsteigende Nässe durch einen Unterbau aus dem erratischen Granitgestein, das damals von Norddeutschland bis zum südlichen Münsterland noch reichlich gefunden wurde. Pfahlgründung und Granitunterbau waren ein wichtiger Faktor für den Marienfelder Hochbau, der aus gebrannten Ziegeln ausgeführt wurde. Das Kloster blieb um 1200 zusammen mit der Burg Rheda das erste und einzige Bauprojekt in Westfalen, bei dem der Hauptbaustoff Backstein verwendet wurde. Die in Marienfeld eher seltenen und nach Jahrhunderten nur am Nordquerschiff aufgetretenen Gebäudesetzungen zeigen, dass damals erfahrene Bauhandwer-ker solide Mauergründungen gelegt haben. Die Marienfelder Zisterzienserkirche ist ein Abkömmling der frühchristlichen Basilika in Form ei-nes lateinischen Kreuzes wie sie bereits im Benediktinerorden üblich war (Abb. 9 und 10) Zur Größe der Kirche hatte sich das Kapitel von der Stiftskirche Freckenhorst inspirieren lassen (Abb. 11), da beide Gebäude im kreuzförmigen Grundriss sowie in Länge und Breite identisch sind. Mit der Festle-gung des Kirchengrundrisses und der Abschnürung seiner Ausdehnung erfolgte auch die genaue Aus-richtung der Kirchenachse ad orientem, nach Osten. Der Osten, die Himmelsrichtung des Sonnenauf-gangs, war ein Symbol für die Auferstehung, nach der schon die christlichen Kirchen in Syrien ausge-richtet wurden. Es war die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, symbolisiert durch die Sonne, die durch die Fenster der Stirnwand der Ordenskirche in den Altarraum schien. Wahrscheinlich ge-schah die Ostung durch Anvisieren des Polarsternes, dem Fixpunkt am Himmel, der in jeder klaren Nacht verfügbar ist. Dabei wurde zunächst die Nord-Südachse des Querschiffs bestimmt und über den Pythargoreischen Lehrsatz die Ost-Westachse des Mittelschiffs. Es gibt auch andere Vorstellungen, demzufolge die Ostung der 20 Findlinge als Fundament sind an der Kirchen-Westwand im Keller des Abteigebäudes sichtbar. 24 Abb. 14: Abtei Alcobaca, Portugal. Landvermesser des Klosters stecken ein Terrain ab. Wandfliesen-Ausschnitt des 18. Jahrhunderts aus: LEROUX-DHUYS, Die Zisterzienser. Sakralbauten nach dem Aufgang der Sonne festgelegt wurde.21 Neben durchaus präzise ausgerichteten Kirchenbauten sind vielerorts mehr oder weniger starke Abweichungen in den Kirchenachsen festzu-stellen, die vermutlich auf Toleranzen oder Ungenauigkeiten bei Vermessung, Ausrichtung und Verle-gung der Grundmauern zurückzuführen sind. Nach Abschnüren der gesamten Grundfläche des geplanten Kirchengebäudes (Abb. 14) begann sein Bau stets mit der feierlichen Aufrichtung des Altars oder eines Kreuzes an seiner Stelle,22 sodass jedermann den schon mit den ersten Weihen versehenen Ort sofort erkannte. Der Hauptaltar ist der wichtigste Teil einer Kirche, der bei den Zisterziensern, wie auch in anderen Kirchen des 12. Jahrhunderts aus einem gemauerten Steinsockel (Stipes) mit einer steinernen Platte bestand, in die fünf Weihekreuze23 eingeritzt waren. Damit der Priester am Altar gut zu sehen war, setzte man den Altarraum um zwei Stufen gegenüber dem Kirchenboden höher und den Hauptaltar um eine weitere Stufe. An der Stirnseite des Altarraums stand ein Kruzifix, ein bemaltes hölzernes Kreuz, das das Ge-neralstatut des Ordens von 1119 als einzigen Schmuck erlaubte.24 Skulpturen darf es keinesfalls geben und Malereien nur auf den Kreuzen. Auch dürfen diese nur aus Holz sein (Capitula, 26). Das Edelmetall Gold sollte sich nirgends zeigen, außer bei der Vergoldung des Altarkelches und des Kommunionröhrchens (Capitula, 25). In formaler Besonderheit der zisterziensischen Architektur, die von Bernhard von Clairvaux inspi-riert war, schloss auch der Marienfelder Altarraum mit einer geraden Stirnwand ab. 21 Orientierung (lateinisch: oriens, "aufgehen" bzw. französisch: orient, "Sonnenaufgang") die Ausrichtung eines Kultkomplexes oder einer Kirche auf bestimmte Orte oder Himmelsrichtungen hin; im Christentum in West- Ost-Richtung (Ostung). Diese erfolgte seit der Antike nach dem Polarstern, was nach Meinung der Verfasser den mittelalterlichen Kirchenbaumeistern überliefert war. Nach anderen Autoren (Kiesow 2001, S. 37–39) erfolgte die Ostung im Augenblick des Sonnenaufgangs am Tag des Schutzheiligen der Kirche. 22 Gleichbedeutend mit der sonst üblichen Grundsteinlegung. 23 Fünf Weihekreuze symbolisieren die fünf Wundmale Christi. 24 LEROUX-DHUYS 2007, S. 40, 53. 25 Abb. 15: Kloster Marienfeld. Rest der Grabtumba des Bischofs Hermann II. von Münster um 1250, die vor dem Hochaltar gestanden hat. Foto: Andreas Sassen 2015 Der gerade Chorschluss war allerdings keine Erfindung des Ordens, sondern gehörte bereits zum be-stand vieler ländlicher Kirchen des 11. Jahrhunderts. Nach Bernhard war er einzig dem Budget ge-schuldet, das jede Vereinfachung begrüßte. Der Geist von Citeaux bestand darin, jeglichen Prunk zu meiden und immer die einfachste Lösung zu suchen. Die Architektur der Marienfelder Klosterkirche (Abb. 12) ist weder dem romanischen noch dem gotischen Baustil allein zuzuordnen. Die bei ihr aufgenommenen Bauformen gehören der sogenannten Übergangszeit an. Zum Ende des 12. Jahrhunderts entwickelte sich eine Stilrichtung, die die romani-schen Grundformen, die Grundanlage, Aufbau und Einteilung der Räume im Wesentlichen beließ, jedoch nach größerer Leichtigkeit und Schlankheit, lebendiger Teilung der Massen sowie einer nie dagewesenen Zierlichkeit der Formen strebte. Dieses Erscheinungsbild erfreute sich in Deutschland lange größter Beliebtheit und fußte auf den Verbindungen und Bewegungen des Handels über weite Distanzen, der Stauferzeit mit der höchsten Blüte des Rittertums, verbunden mit den Kreuzzügen, die eine Berührung mit Byzanz und den arabischen Bauformen bewirkten.25 Die prominenteste Neuauf-nahme in das architektonische Repertoire war der Spitzbogen, der schon lange im Vorderen Orient bzw. in der maurischen Baukunst verbreitet war. Bereits seit dem 11. Jahrhundert – nach Eroberung Siziliens – birgt die normannische Baukunst unverkennbar sarazenische Einflüsse, darunter auch der Spitzbogen in den Sakralbauten. Frankreich war damals aufgrund seines Wohlstandes das Land der Initiativen und Neuerungen, wodurch binnen kurzem die Gotik entstand. 26 Das Gebiet des jetzigen Deutschland übernahm die Gotik nur zögerlich, was in einem Übergangs-stil resultierte. Der Spitzbogen war das hervortretende Merkmal dieser Zeit, zunächst von dekorativer, dann konstruktiver Funktion (Abb. 17), der eine allmähliche Umgestaltung der romanischen Bauweise bewirkte. Entsprechend der mittelalterlichen Art, in dem Neuerungen stets vom Inneren ausgehen, findet sich auch in Marienfeld die Spitzbogenform zunächst im Inneren des Sakralbaus, während das Äußere noch ganz dem Rundbogen verpflichtet ist. Viele damals begonnene Kirchen zeigen im östli-chen Teil noch den Rundbogen, während das noch in der gleichen Epoche errichtete Langhaus bereits den Spitzbogen aufweist. Dieser fand auch sehr bald Eingang in den Gewölbebau, sofern man von der üblichen romanischen quadratischen Grundform in eine rechteckige übergehen wollte. Die schmalere 25 LÜBKE, 1994, S. 511. 26 Gotik: Ursprünglich abfällig geprägte Bezeichnung als barbarischer Stil der Goten gegenüber der Renaissance durch den italienischen Baumeister, Maler und Historiographen Giorgio Vasari (1511–1574). 26 Gewölbeseite konnte durch die Einfügung eines Spitzbogens auf die gleiche Höhe gebracht werden wie die weitgespannte, die von einem Rundbogen getragen wurde.27 Sobald man begann, den Scheitel des Kreuzgewölbes sehr hoch hinaufzuziehen, so dass in der Durchschnittsansicht die Mitte eines Ge-wölbes nicht mehr eine gerade, sondern eine ansteigende Linie ergab, konnte man den Spitzbogen als tragenden Gurtbogen zwischen den einzelnen Jochen einsetzen. Die jetzt hochaufsteigenden Gewölbe-kuppeln oder Domikale (Abb. 16) baute man vielfach in schwerer Konstruktion weiter in Bruchstei-nen,28 jedoch führten sich an anderen Orten wie Marienfeld oder Mariensee leichtere Bauweisen in Ziegel29 oder Tuffstein30 ein. Die Merkmale des Übergangsstils wurden vollständig auf Marienfeld übertragen, als man die Klos-terkirche vom Altar her, also von Osten nach Westen errichtete.31 Zum Verlauf der Bautätigkeit gibt es außer der Klostergründung von 1185 und zwei auf den Bau bezogene Stiftungen von 1202 und 1206, sowie der Weihe der Kirche keine Informationen.32 Im Jahre 1203 starb der Mitbegründer Bischof Hermann II. von Münster, der in seinen letzten Lebensjahren noch in den Zisterzienser-Konvent einge-treten war.33 Er wurde vor dem Hochaltar bestattet, so dass man annimmt, dass zu dieser Zeit der Chorraum bis zur Vierung, dem Schnittpunkt zum geplanten Querhaus, aufrecht gestanden hat.34 Wahrscheinlich schloss man diesen kurzen vollendeten Bereich zu den drei Baustellenseiten hin mit provisorischen Wänden aus Holzlehmfachwerk ab, so dass er den geistlichen Mönchen bereits zur Verfügung stand. Offenbar ruhte der Kirchenbau von 1200 bis1205, wonach zwei Güterschenkungen 1206 und 1207 den Anstoß des Weiterbaus gaben.35 Es erfolgte die Errichtung des Langhauses der Kirche, denn man brauchte es dringend für den Gottesdienst der Laienmönche, von denen sich damals sehr viele der Klostergemeinschaft anschlossen. Nach Errichten des Chorraums sind die Mauern des Langhauses hochgezogen und nach der Dach-eindeckung der Kirchenraum eingewölbt worden. Die Einwölbung konnte abschnittsweise erfolgen, was durch die damals neuartige Gewölbebauweise mit steil ansteigenden Kappen möglich geworden war. Der aus Frankreich kommende oder dort geschulte Baumeister realisierte in Marienfeld, und da-mit erstmals in Deutschland, über quadratischen Kirchenabschnitten – den Jochen - hochkuppelige Domikalgewölbe. Im Gegensatz zu der bisher üblichen schweren romanischen Gewölbetechnik, die man aus Bruchstein nur mit aufwendigen Lehrgerüsten ausführen konnte, baute man in Marienfeld aus weichgebrannten Ziegeln in freier ringförmiger Aufmauerung leichte Gewölbekuppeln, die bei günsti-ger Statik nicht nur sehr stabil waren, sondern ihre Ästhetik auch mit einer hervorragenden Raumakus-tik verbanden. Die Technik dieser Gewölbe verbreitete sich noch während des Baus der Klosterkirche und wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts an fast allen Kirchenbauten Westfalens, Norddeutschlands36 und des Ostseeraums verwendet. Ihre Merkmale, zu denen auch eine gleichartige Kapitellornamentik gehört, gehen auf den Nachwuchs aus der Bauhütte Marienfelds zurück, der an vielen neuen Kirchenprojekten arbeitete, die wiederum Vorbild für andere Kirchenbauten wurden. Die Zisterzienser waren bekannt für einfache, aber bahnbrechende technische Lösungen, weshalb die in alle Richtungen ausziehenden jungen Männer den Bauplan zu dieser Gewölbeform sozusagen in der Tasche hatten. Das Konstrukti-onsgeheimnis der 27 Billerbeck, Johanneskirche. 28 Lippstadt, Große und Kleine Marienkirche; Herford, Stiftskirche. 29 Marienfeld, Klosterkirche; Rheda, Burgkapelle; Mariensee, Frauen-Klosterkirche. 30 Heisterbach, Klosterkirche; fast alle Kirchen der Zeit am Rhein. 31 Ein Neubau der Kirche erfolgte von Ost nach West, damit sobald wie möglich der Altar geweiht und die Messe gelesen werden konnte. Erneuerungen wurden meist umgekehrt von West nach Ost vorgenommen, um den Altar so lange wie möglich nutzen zu können. 32 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 111. 33 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 28, 147, 148. 34 Eine allgemeine Annahme, denn der Hauptaltar war ja schon mit der Grundsteinlegung vorhanden. 35 KEMPKENS 2011, S. 36 HAIDUCK 2009. 27 Abb. 16: Kloster Marienfeld. Blick in die Domikalgewölbe von Querschiff und Vierung. Foto: Andreas Sassen 2015. hochkuppeligen, eiförmigen Domikalgewölbe gründete sich auf die natürliche Form der Parabel, die jederzeit mit dem Durchhängen einer Kette nachgestellt werden konnte. Je nach dem, wie weit die Kette gespannt wurde, ergab sich (umgedreht) aus dem Bogen die ideale Form für jede gewölbte An-forderung. Ende des 13. Jahrhunderts wurden die Domikale durch die Rippentechnik der Gotik ver-drängt und gerieten in Vergessenheit. Doch die Baumeister des Barocks sollen sie wiederentdeckt haben, denn in London wurden die Kuppeln von St. Paul nach der hängenden Kette gestaltet.37 Im 19. Jahrhundert griffen einige Baumeister des Historismus’ diese einfache Technik wieder auf und fand vielfältige Anwendung bei dem Katalanen Antoni Gaudi (1852–1926). Er machte den parabolischen Bogen zur Grundform seiner sämtlichen Portal- und Gewölbebauten.38 Die Kathedrale Sagrada Fami-lia in Barcelona ist beredtes Beispiel für die Möglichkeiten dieser naturwissenschaftlich basierten Methode. 37 CLIFTON-TAYLOR 1986, S. 235–247. 38 ZERBST 1986. 28 In Marienfeld schleppte sich der Bau der Laienkirche noch über 20 Jahre hin, da vor allem die Be-schaffung des Baumaterials schwierig war; denn neben der Verwendung von Sandstein aus dem Teu-toburger Wald für die architektonisch gliedernden Teile der Kirche hatte man sich für die Ausführung der Mauermassen in Backstein entschieden. Der Marienfelder Konvent und auch der lippische Lan-desherr, der zeitgleich die Burg Rheda errichten ließ, waren die ersten und einzigen in Westfalen, die damals in Ziegelstein bauen ließen. Ihre Projekte waren damit vollständig von der langwierigen Pro-duktion dieses Baustoffes abhängig.39 Nach Steinformat und Mauerverband lassen sich in Marienfeld zwei aufeinander folgende Ziegel-phasen erkennen.40 Für die Umfassungsmauern des Chores und Teile der Querhauswände fanden Backsteine im Format 27–28 cm x 13,5–14 cm x 7–7,5 cm Verwendung. Sie wurden im gotischen Verband versetzt, d.h. ein Läufer wechselt mit einem Binder, so dass die Binder im Mauerverband übereinanderliegen. Demgegenüber sind für das gesamte Langhaus und die Fertigstellung der Quer-hauswände dickere Ziegel im Format 27–29 cm x 13,5–14 cm x 9,5–10 cm verwendet worden. Nur am südlichen Langhaus ist ein Teil des Mauerwerks aus größeren Formaten von 29–30 cm x 15 cm, aber gleichbleibender Dicke errichtet worden. Im Mauerverband wechseln nun zumeist zwei Läufer mit einem Binder, wobei die Binder im Ziegelbild nicht mehr nach einem regelmäßigen System ver-setzt sind. Die Ziegel des Rundbogenfrieses an Traufen und Giebeln sind als Binder vermauert; es handelt sich um leicht gewölbte, konische Formsteine, oben zwischen 13 und 15 cm, unten zwischen 11 und 13 cm breit. Die einheitlich geringe Stärke des ersten Backsteinformats ist ein Indiz für den durchgehenden Bau des Chorhauses bis zur Vierung, die vermutlich um 1203, zur Zeit der Beisetzung Bischof Hermanns, aufrecht stand. Den Anzeichen nach ist dabei der Chor eingewölbt worden, denn seine Gewölbe beste-hen ebenso aus dem anfangs verwendeten dünnformatigen Backstein. Alle anderen Gewölbe im Kir-chenschiff wurden aus dem später hergestellten dickeren Format aufgebaut.41 Eine längere Unterbre-chung des Kirchenbaus zog stets die Abwanderung der Ziegelmacher nach sich. Bei Wiederaufnahme der Bautätigkeit waren dann andere Ziegler am Werk, die entweder von sich aus oder auf Geheiß des Werkmeisters ein dickeres Format lieferten. Zudem ist der in der zweiten Phase verwendete Mörtel dunkler eingefärbt, was auch auf den Wechsel der Mörtelmacher und mit ihnen auch anderer Bau-handwerker schließen lässt. Neben der fast ausschließlichen Verwendung des Backsteins ging man in Marienfeld auch bei den Mauerwerksstrukturen neue Wege. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen romanischen Bruch- und Hausteinbauten waren in der Regel aus zweischaligen Wänden errichtet worden. Außen entstand eine relativ sauber aufgemauerte Schale, die zur Abweisung des Regenwassers zumeist geschlämmt oder sauber verfugt war. Im Inneren baute man eine weniger gleichmäßige Schale, die als Raumfassung grundsätzlich glatt verputzt wurde. Den Zwischenraum füllte man als Gussmauerwerk mit Steinbro-cken und dem teuren Baustoff Kalkmörtel auf. Verwendete man ausreichend Kalkmörtel und ließ man ihn lange abbinden, ergab sich ein stabiles betonartiges Gefüge; sozusagen für die Ewigkeit. Wurde jedoch an Kalkmörtel gespart, waren die Mauerwerksschalen mit der Kalk-Steinschüttung nicht kraft-schlüssig, so dass sich schließlich Risse bildeten, ganze Steinverbände ablösten und Mauern einstürz-ten. In Marienfeld wurden die Backsteinmauern dagegen durchgehend im Verband aufgemauert. Aus den Ziegelbränden standen den Bauhandwerkern durch einen hohen Anteil an Bruch allerdings unter-schiedliche Steinqualitäten zur Verfügung. Das Problem lösten sie durch Vorsortierung, wobei sie die besten Steine außen versetzten und im Inneren die mindere Qualität verbauten. Im Kern wurden die Fehlbrände und Brocken eingesetzt, die aufgrund ihrer geraden Seiten schlüssig eingemauert werden konnten. In deren Verbund griffen regelmäßig die Binder ein, um das Gefüge zusammenzuhalten. An der Klosterkirche entstanden dabei Mauern von ca. 150 cm Stärke an der Südseite und 120 cm an der Nordseite des Langhauses. 39 Die Klosterkirche weist bis auf geringe Bruchsteinflächen ausschließlich den Baustoff Ziegel auf. 40 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 102–106. 41 SIGRIST/STROHMANN 1994, S. 109. 29 Abb. 17: Dom zu Limburg/Lahn. Die Kirche, ein Muster des Übergangstils, erhielt bis zur Weihe 1235 eine Lochplatten-Westrose. Foto Andreas Sassen 2005. Die zum Kirchen- und Klosterprojekt benötigten Ziegelsteine wurden wahrscheinlich in Ortsnähe von Spezialisten der Ziegelkunst hergestellt. Doch weder ihre Herkunft, ob aus dem Elbegebiet, aus Verden oder sogar der Lombardei,42 noch die Stelle, wo der geeignete Lehm für den Ziegelbrand ge-wonnen wurde, konnten bis heute identifiziert werden. Neben dem begrenzten Ziegelausstoß bei den Steinbränden waren die Ziegler vom jahreszeitlichen Wetter abhängig. Sobald Frost aufkam, ruhten Ziegel- und damit auch Baubetrieb. Bei niedrigen Temperaturen konnten einzig die Steinmetze in ihren Hütten an den Werksteinen des Teutoburger Waldes weiterarbeiten, bis auch hier der Winter die Lieferungen aus dem Berg unterbrach. Die Bauruhe nutzten Baumeister, Assistenten und Schüler, aber auch Steinmetze und andere Be-rufsgruppen für Reisen zu anderen Baustellen. Nicht nur das heimische Kloster war – wie im Orden üblich – ungeheizt, so dass die Reisenden überall gleiche Verhältnisse erwarteten. Die Gastfreiheit im dichten Netz der Klöster in Mittel- und Westeuropa garantierte Reisen, Unterbringung und Versor-gung der Mönche wo auch immer sie hinkamen. Erfahrungsaustausch, technischer Fortschritt sowie Anregung und Aufnahme neuer Formen des Baustils wurden dadurch über weite Entfernungen und vergleichsweise schnell möglich. Die Tradierungsroute verlief in der Regel von Frankreich, bzw. vom Rhein nach Westfalen und weiter über Weser und Elbe nach Osten. 42 Die Lombardei gilt als Wiege des europäischen Backsteinbaues. Das Prämonstratenserkloster Jericho baute in der Mark bereits nach 1150 die älteste Backsteinkirche in höchster Vollendung. Das mit der Mark verbundene Verden ist seit Bischof Yso um 1200 ein Zentrum des Weser-Ziegelbaues, das dann nach Friesland ausstrahlte. 30 Abb. 18: Heisterbach/Siebengebirge, Zisterzienserkirche. Die 1202–37 erbaute Klosterkirche im Übergangsstil wurde im Obergaden von Kreisfenstern verschiedenster Art erhellt. Nach 1805 bis zum Chor abgebrochen. Bauaufnahme für Sulpiz Boisserée 1810. Inspirationen für die in Marienfeld realisierten Bauformen der Übergangszeit sind sämtlich im Westen, am Rhein und darüber hinaus im westlichen (Angers) sowie nordwestlichen Frankreich zu suchen. Bei der uns hier interessierenden Außenarchitektur des Westgiebels mit seinen Blendarkaden ist eine Auf-nahme rheinischer Formen der Stauferzeit zu spüren. Neben diversen Sakralbauten am Rhein (Speyer, Worms, Schwarzrheindorf, Lonnig Abb. 60) weisen fast alle romanischen Kirchen Kölns zur Aufglie-derung ihrer Fassaden und Apsiden Blendarkaden auf. Die Blendbogenarkaden am Langhaus des Bonner Münsters haben beispielsweise eine Vorbildfunktion für die Chorwände des Dombaus in Min-den, die auf einen Zisterzienser der Marienfelder Bauhütte zurückgehen (Abb. 61 und 62). Ebenso ist rheinischer Ursprung in der zweischaligen Auflösung der Dreifenstergruppen des Querhauses der Ma-rienfelder Klosterkirche zu sehen. Möglicherweise war dieses Bauprinzip bereits an der Chorostwand vorhanden,43 deren einstiges Aussehen schon im 14. Jahrhundert verändert wurde. Einen anderen Weg nahm vermutlich die beim Abschluss der Westfassade den Sakralbau prägende Fensterrose. Die Formen der Fensterrosen sind allgemein von Frankreich nach Deutschland übernom-men worden. In der Architektur südlicher Länder treten Rundfenster kleinerer Abmessungen zwar schon im 11. Jahrhundert auf, die Entwicklung zum vollendeten Radfenster geschieht jedoch erst zum Ende des 12. Jahrhunderts. In Deutschland ist eine der vermutlich ältesten Westrosen um die Mitte des 12. Jahrhunderts an der Klosterkirche Eberbach ausgeführt worden – leider heute zerstört.44 Vermut-lich befand sich dort eine Rose mit Lochplattenmaßwerk, wie sie noch im ersten Drittel des 13. Jahr-hundert an der Westseite des Limburger Doms (Abb. 17 und 44) ausgeführt wurde.45 Dagegen sind schon 1150 an der Kölner Kirche Groß-St. Martin (Abb. 19) drei Blendrosen mit Speichenrad einge-baut worden. Sie fanden Nachahmung in Soest, Paderborn und Lippstadt und wurden vermutlich nach Marienfeld auch Vorbild für die Johanniskirche in Billerbeck (Abb. 42). Nach 1200 sind Kreisfenster hochaktuell in der Baukunst, so dass an der Klosterkirche Heisterbach im Siebengebirge (Abb. 18) mit Ausnahme von Ost- und Westseite alle Fenster als Kreis-, Rundpass- oder Rosenfenster 43 Die ursprüngliche Ostfassade Marienfelds ist Thema einer folgenden Arbeit der Verfasser. 44 BELSER, Hessen, 1962, S. 25. 45 BELSER, Hessen, 1962, S. 178. 31 Abb. 19: Köln, Groß-St. Martin. Mittelausschnitt vom staufischen Ostteil, 1150–1172 erbaut. Ein Musterbeispiel für die Realisierung von Blendrosen im Giebel und reichlicher Verwendung von Blendarkaden zur Wandgliederung. Zeichnung aus Kubach und Verbeek 1978. ausgeführt wurden.46 Leider ist auch in Heisterbach nach 1809 alles zerstört worden, so dass uns neben Limburg als einziges deutsches Exemplar einer großen Fensterrose vom Entwicklungsstand der Zeit um 1220 die Westrose von Marienfeld blieb (Abb. 45). Durch die Kombination eines Plattenmaß-werks mit einer vorgesetzten Radblende ist sie ein wichtiges Bindeglied in der Reihe der spätromani-schen Rosenfenster. Man übernahm das übliche Lochplattenmaßwerk, vergrößerte die Kreislöcher zu spitzbogigen Lanzettfenstern und setzte zur Zierde und Veredelung das durchbrochene Steinwerk ei-nes Speichenrades davor. Mit der Fertigstellung der erlesenen Westfassade schloss man den romanischen Bau ab und verlieh der Klosterkirche ein feierliches Gewand. Als am 4. November 1222 die Kirche endlich geweiht wer-den konnte, stellten Konvent und sämtliche Beteiligte in Betracht der jahrzehntelangen Bauzeit die Fassade (Abb. 30) mit ihrer Rose umso mehr als Schau- und Vorzeigeprojekt heraus. Der feierliche Einzug des geladenen Adels und Klerus sollte dezidiert ohne Baugerüst erfolgen. Das Portal (Abb. 22 und 56) war nicht zuletzt für diese Festivität so imposant gestaltet, dass ein kirchlicher Würdenträger zwischen mindestens zwei Begleitpersonen die Kirche betreten konnte.47 Über den Weiheakt der Klosterkirche berichtet der Mönch Hartmann in seiner Chronik:48 Unter Abt Winrich (1219–1226) wurde unsere Klosterkirche vollendet. Zu Ihrer Einweihung kamen die ehr-würdigen Väter, vortrefflich ihrer Abstammung nach, noch vortrefflicher im Glauben: Dietrich von Isenberg, Bischof von Münster, Adolf von Osnabrück, Konrad, Bischof von Minden, und Bernhard zur Lippe, Bischof von Selburg. Unter ihnen war Dietrich als zuständiger Bischof der wichtigste, denn er weihte selbst Hochaltar und 46 KUBACH/VERBEEK 1976: 47 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 34, S. 199 Abs. S. 34. 48 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 34. 32 Abb. 20: Kloster Marienfeld. Das am Querschiff befindliche Nordportal entstand in frühgotischer Form erst nach 1222. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Kirche. Bischof Adolf von Osnabrück weihte alle Altäre auf der linken Chorseite, Konrad von Minden die auf der rechten. Bernhard zur Lippe weihte den Hl.-Kreuz-Altar im Chor der Laienbrüder und alle übrigen Altäre im unteren westlichen Teil der Kirche. Die feierliche Einweihung wurde vollzogen im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit zur Verehrung der seligen Maria im Jahre 1222 in der 10. Indiktion am 4. November. Die Weihe der Klosterkirche 1222 bedeutete gleichzeitig eine Zäsur für die weitere stilistische Ge-staltung der Klosterkirche. Nachdem bis dato der Spitzbogen lediglich in die Gewölbe eingebaut wor-den war, zeigte sich die gotische Bogenform in der Westrose erstmals auch außen. Mit Wiederauf-nahme der Bautätigkeit, die frühestens nach der Winterpause erfolgt sein konnte, bestimmte von nun an die Gotik die Architektur. Bei den ansatzweise schon vorhandenen Querschiffsmauern, die als Stüt-zen der Vierung dienten, wurden nun die Fenster, Mauerfriese und Portale im neuen Stil eingebaut. Auch in die Kapitellplastik der Dreifenstergruppen sowie den Portalsäulen fanden Akanthus-Blattformen Eingang. Besonders die Ädikulafassung des Nordportals (Abb. 20) sticht als Spitzenleis-tung der Steinmetze in vollendeter Frühgotik hervor. Mit seiner Fertigstellung wurde das Nordportal der Abteikirche der Hauptzugang für die Konversen und Laien des Klosters, während die Priestermönche ihren Chor über Dormitoriumstreppe oder den Kreuzgang betraten. Vermutlich öffnete man das Haupt- oder Westportal der Kirche nur noch für Pro-zessionen und an hohen Festtagen. Es bildete aber bis ins 16. Jahrhundert die symbolträchtige Kulisse der klösterlichen Gerichtsstätte. 33 Abb. 21A, 21B: Kloster Marienfeld. A: die von Hölker 1936 vermutete Westfassade in den Bau- und Kunstdenkmälern Westfalens. B: die Westfassade nach Rekonstruktion der Verfasser 2017. Der dann folgende Bau des Richthauses, der Gerichtsverhandlungen in einem geschlossenen Raum ermöglichte, verstellte Portal und Rose,49 womit die Abtei bereits auf den architektonischen Wert der Westfassade verzichtete. Hier zeigte sich, dass schon damals das Werk vorangegangener Generationen nicht geschätzt wurde. Endgültig verstellt und bei dieser Gelegenheit zerstört wurde die einstige Prachtfassade Marienfelds dann schließlich um 1700 mit dem Bau der barocken Abtei (Abb. 1).50 Als 100 Jahre später das Kloster aufgelöst und versteigert wurde, wusste kaum noch jemand von der einst hohen Bedeutung von Kloster und seiner Kirche. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begannen Münsteraner Geschichts- und Kunstwissenschaftler, Marienfelds Stellung in Kultur und Architektur des Mittelalters wiederherauszustellen. Die Entdeckung der in der Westmauer schlummernden Fens-terrose im Jahre 1984 war zunächst eine Sensation, wurde aber merkwürdigerweise schnell wieder vergessen. Erinnerung und Aufarbeitung dienen jedoch der Erweiterung unseres Wissens über die Klosterkirche sowie einer Einstufung in die fortschreitende mittelalterliche Architekturentwicklung Westfalens. Die eingangs erwähnte Wadenhartkapelle am Eingang des Klosterareals, die den Mönchen bis zur Weihe der Klosterkirche als Oratorium diente, blieb als Pfortenkapelle erhalten. Als eine typische Einrichtung aller Zisterzienser-Männerklöster diente sie Angehörigen der Mönche sowie Besucherin-nen, die das Kloster nicht betreten durften, zu Messe und Gebet. Während solche Pfortenkapellen im Kloster Loccum und in Riddagshausen noch vorhanden sind, erhielt sich davon in Marienfeld nach 1803 nur noch ein Mauerrest mit Wandnische. 49 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 136. 50 BÖHMER/LEIDINGER 1998, S. 136. 34 Abb. 22: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion des romanischen Säulenportals in der Westfassade. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Der Bau der Westwand mit Portal, Fensterrose und Blendgiebel Die Architektur der Kirchen-Westfassade von Marienfeld ist ein Ergebnis vielfältiger Eindrücke, Ein-flüsse und Anregungen, die aber nicht kopiert, sondern ganz speziell für den eigenen Bedarf weiter-entwickelt wurden. Dabei spiegelt der Bau der Klosterkirche stets den Entwicklungsstand der werk-meisterlichen Erfahrungen und Vorstellungen und kann auch präzise in die allgemeine Entwicklung der Baukunst zu Beginn des 13. Jahrhunderts eingeordnet werden. Ebenso verhelfen diese Erkenntnis-se zu einem übersichtlichen Bild der zahlreichen Nachfolgebauten Marienfelds in Westfalen, dem nördlichen Münsterland und weit darüber hinaus.51 Neben Ziegelsteinen fand in Marienfeld als Werkstein größtenteils der gelbbraune Teutoburger-Wald-Sandstein Verwendung, dessen Steinbrüche sich im Teutoburger Wald bei Peter auf´m Berg noch nachweisen lassen. Es handelt sich um einen feinsandigen, feinporigen, teilweise löchrigen Na-turstein, der sich an den architektonischen Gliederungselementen wie Lisenen, Eckquadern, Sockeln, Fenster- und Türgewänden, Gesimse, Säulen, Kapitellen, Konsolen, Pfeilern und Gurtbogen wieder-finden lässt. Außerdem ist die gesamte Westwand mit Sandstein verkleidet worden, der in Form sau-ber bearbeiteter Quader in unterschiedlicher Größe verbaut wurde.52 Am Chorhaus ist eine einheitliche Blockhöhe von 42 cm festzustellen, was auf einen in Frankreich geschulten Werkmeister zurückzufüh-ren ist.53 Andere Natursteinsorten sind nur in geringem Umfang verbaut worden, so Grünsandstein des Sauer-lands für Teile der Dreifenstergruppen in den Querhausfassaden. Darüber hinaus verwendete man Baumberger Sandstein, der unter der Erde in den Bergen nordwestlich von Münster gewonnen wurde. Das in der Struktur sehr gleichmäßige und im frischen Zustand weiche Material eignete sich für feine Arbeiten und Dekorationen. So findet sich Baumberger Sandstein an den Säulen und Kapitellen des Nordportals, an Zierelementen wie Konsolen im Innenraum sowie an den Teilen der wieder verschlos-senen Stifternische an der Westwand des südlichen Querhauses. Auch die erste steinerne Inneneinrich-tung der Klosterkirche aus der Romanik (Abb. 15) bis hin zu den vielfältigen, filigranen Werken der Spätgotik ist aus Baumberger Sandstein geschaffen worden. 51 Siehe Thementeil: Zur Entwicklung der Fensterrosen, der Portale und Blendbogen. 52 In den Lisenen finden sich bei längsrechteckigem Steinformat Höhen von 40–50 cm, zuweilen auch 20–40 cm oder 50–70 cm. 53 KEMPKENS 2011. 35 Abb. 23: Kloster Marienfeld. Bau der Kreishöhlung mittels zweiteiligen Lehrgerüsts aus Holz. Im Vordergrund die Mauerverkleidung mit Werkstein, dahinter der Mauerkern aus Ziegelsteinen. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Neben den bereits beschriebenen Kirchenmauern von 120–150 cm Stärke bringt es einzig die Westwand auf 174 cm, wobei etwa 30 cm auf die Verkleidung mit Sandsteinquadern entfallen. Die Natursteinverkleidung wurde zusammen mit dem Ziegelmauerkern hochgezogen, um eine kraftschlüs-sige Verbindung beider Teile zu gewährleisten. Im Erdgeschoss ließ man im Rohbau eine übergroße Türöffnung für das Portal, damit man dort später die platzintensiven sandsteinernen Teile der vorge-zogenen Portalarchitektur (Abb. 22) einbauen konnte. Über dem Eingang setzte man als stabilen Ge-wölbesturz mehrere Bogen übereinander ein, um den zu erwartenden oberen Mauerdruck ausreichend abzufangen. Im Weiterbau erreichte man die Zone des über dem Portal geplanten Kreisfensters, das mit einem besonderen Maßwerk als Rose gestaltet werden sollte. Dafür benötigte man in dem 1,74 m dicken Mauerwerk zunächst eine präzise angelegte kreisförmige Öffnung von 5,50 m Durchmesser. Für deren Aufbau hatten die Zimmerleute aus Brettern und Kanthölzern ein im Maß genau entsprechendes Lehr-gerüst aus zwei identischen Halbzylindern vorbereitet (Abb. 23), dessen Unterteil mit der Rundung nun auf die exakt eingemessene und als Streifen schon stehende Mitte der unteren Rollschicht54 aufge-setzt wurde. Mit dem weiteren Wachsen der Mauer setzte man die Rollschicht beidseitig am Lehrge-rüst an, bis die Oberkante des unteren Gerüstteils erreicht war. Nach Aufsetzen des Gerüstoberteils zu einer kompletten Rundform und dem Einbau von Keilen zwischen den beiden Halbzylindern, konnte beidseitig in bisheriger Weise weitergebaut werden, bis eine geschlossene Röhre geschaffen war. Die obere Rollschicht musste als tragendes Gewölbe mit mindestens einer zweiten, besser einer dritten Rollschicht verstärkt werden, um den tonnenschweren Druck der darauf lastenden oberen Mauer ab-fangen zu können. 54 Rollschicht, Rollage, Schicht aus auf die hohe Kante gestellten Mauerziegeln. 36 Abb. 24: Kloster Marienfeld. Die zusammengesetzten Teile des Plattenmaßwerks für die Verglasung. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Nach Abbinden und Durchhärten des Kalkmörtels schlug man die Lagerkeile zwischen den beiden Gerüsthälften heraus, so dass die obere Hälfte auf die untere aufsetzte, nach oben zum Gewölbe Luft bekam und herausgezogen werden konnte. Ebenso entfernte man auch die untere Gerüsthälfte, womit der Rohbau des Kreisfensters freigelegt und zur Ausgestaltung vorbereitet war. Die Herstellung der Fensterrose war eine Sache der Steinmetze. Nach den Vorgaben des Werk-meisters mittels Ritzzeichnung auf Lehm, mussten alle Teile der Rose im Verhältnis 1:1 passgenau aus Stein gefertigt werden. Dazu wurde jedes Detail der Ritzzeichnung auf ein dünnes Holzbrett übertra-gen und zu einer Schablone gesägt, die wiederum auf einen passenden Stein gelegt und ausgearbeitet wurde. Die Steinmetze arbeiteten zunächst zum Verschluss der Mauerkreisöffnung ein 30 cm starkes Plattenmaßwerk als Rose mit acht spitzbogigen Fensteröffnungen (Abb. 24), die jeweils aus zwei Tei-len zusammengesetzt waren. Die Fenster umgaben den Ring einer mittleren Kreisöffnung von 2 m Durchmesser. Alle Öffnungen waren mit einem Rahmenfalz zur Aufnahme einer Bleiverglasung ver-sehen. In die Falze waren Vertiefungen für die Eisenverstärkungen und zusätzlich Öffnungen zur Auf-nahme von Dübeln eingearbeitet. Sie dienten zur Nagelbefestigung der Bleiglastafeln, deren Ränder schließlich eingeputzt wurden. Bei Freilegung der Rose waren keine Reste alter Bleiglastafeln mehr vorhanden. Das vorbereitete Plattenmaßwerk wurde als äußerer Ring in die Kreisöffnung eingesetzt, wobei die durch Rohsteinformate bedingten noch offenen Flächen des Kreises mit Ziegeln geschlossen wurden. Im Gegensatz zu früheren und parallel zur Marienfeld entstandenen Fensterrosen, die man als einfache Lochplattenmaßwerke beließ, ergänzte man das Marienfelder Plattenmaßwerk sowohl innen als auch außen mit dem Speichenrad einer Blendrose (Abb. 25). Es wurde als zweite Schicht vor das Maßwerk gesetzt und diente zur Auflockerung der großflächigen und grob wirkenden Steinplatten. Auch dieser Bestandteil der Fensterrose wurde nach Plan von Steinmetzen erstellt. Dafür konstruierte man eine sogenannte Arkade, bestehend aus acht Bogen, die als äußerer Kreis wie ein Achtpass in den Fenster-kreis integriert wurden. An die Nasen des Achtpasses wurden Kapitelle angearbeitet, die am unteren Teil zu einem kurzen Zylinder reduziert sind und platt enden (Abb. 5). 37 Abb. 25: Kloster Marienfeld. Das achtteilige Säulen- oder Speichenrad aus Baumberger Sandstein mit seiner Arkade. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Daran wurden ihrerseits die acht Säulen mit der Mittelnabe angesetzt, bis der Speichenkreis geschlos-sen war. Die Säulen aus Baumberger Sandstein waren am oberen Ende mit einer kreisförmigen Vertie-fung versehen, die an die Kapitelle genau anschlossen. Das gleiche System griff auch in die Basen an der Nabe, sodass der Speichenkreis in die Bogenarkade eingesetzt werden konnte und in diesem Zu-stand ohne weitere Verbindung stand. Schließlich wurden alle Steinverbindungen mit knetbarem Ton abgedichtet und sorgfältig verbleit. Verbindungen von Steinteilen mit Blei bleiben elastisch, halten großen Belastungen stand, wie sie bei Sturm zu erwarten sind und lassen sich nur mit Gewalt wieder trennen. Trotzdem blieb bis auf die Kapitelle keine der Säulen erhalten. Das Speichenrad ist in dem Kreisfenster sowohl außen als auch innen eingesetzt worden (Abb. 25), so dass wir beim Aufbau der Fensterrose als westlichen Abschluss der Kirche ähnlich der im Querschiff, möglicherweise auch in der Chorostwand vorhandenen Dreifenstergruppen von einem zweischaligen Prinzip sprechen kön-nen.55 Das zweischalige Prinzip zur optischen Auflösung der schweren Mauermassen über eingestellten en-délit Säulen wurde auch am Giebel der Westfassade mit einer aufwendigen zweireihigen Blendar-kade fortgesetzt (Abb. 29 und 63) Sie ähnelt Teilen der Seitenwandarchitektur im Mindener Dom-chor, der mit dem davor liegenden Querhaus als ein Folgebau Marienfelds angesehen wird. Als Ab-schluss der imposanten Schauseite der Kirche wurde auch sie aus Teutoburger- und Baumberger- Sandstein gefertigt. Die an die Pfeiler angearbeiteten Basen und Kapitelle sind heute noch unter dem Dach der Abtei vorhanden, doch der Platz für die an dieser Stelle einst eingeschobenen zehn Säulen ist leer – auch sie gingen sämtlich verloren (Abb. 7). An den romanischen Blattkapitellen sind die Boh-rungen der Gusslöcher für die Verbleiung der Säulen auszumachen, ein Zeichen für die hochwertige Qualität der Steinmetzarbeiten zu dieser Zeit. Die mit einem dünnen Verputz versehenen Felder der Blendbogen lassen die Ziegelsteine des hinteren Giebelaufbaus durchscheinen. Dadurch ist im Stein-verband auf dem Feld des unteren mittleren Arkadenbogens ein zugesetztes rundbogiges Fenster aus-zumachen. Wahrscheinlich war es eine vom Dachraum der Kirche zugängliche Fensteröffnung, wie man sie auch andernorts häufig zum Aushängen von Fahnen oder Festschmuck gebraucht hat. 55 Dazu die Entwicklung der Blendbögen in der Romanik. 38 Abb. 26: Kloster Marienfeld. Die aus Plattenmaßwerk und vorgestelltem Speichenrad bestehende Fensterrose. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Hervorzuheben sind die an den Bogenfeldern sehr sorgfältig ausgeführten schräg angesetzten Wasser-schläge. Sie lassen vermuten, dass solche Architekturelemente sich auch am darunter befindlichen großen Fassadenfeld vorhanden waren. Sie leiteten das auftreffende Regenwasser von der Wand weg und trugen gleichzeitig als waagerechte architektonische Elemente zur Gestaltung der Fassade bei. Die Natursteinverkleidung der Westfassade zog man in den Giebel bis unter den steigenden Bogen-fries hoch. Das über dem Fries vorgekragte Mauerwerk war möglicherweise zu Kontrastzwecken ver-putzt und wiederum mit einem profilierten steinernen Schräggesims abgedeckt (Abb. 63).56 Bei der Brandkatastrophe 1826 sind diese Teile ausgeglüht und zerfallen und bei der Reparatur nach 1828 in vereinfachter Form nachgestaltet worden. Der darüberliegende Giebelabschluss, sonst aus Sandstein, wurde nicht wiederhergestellt sondern in Holz ersetzt. Im Gegensatz zu Fensterrose und Giebel, die als Ganzes rekonstruierbar waren, bleibt die Architek-tur des einstigen Hauptportals hypothetisch. Wir können uns jedoch an einer ganzen Anzahl von Por-talkonstruktionen orientieren, wie sie damals vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis in die Zeit der Spätromanik ausgeführt wurden. Dabei tritt das Stufenportal, zumeist mit drei eingestellten Säulen auf jeder Seite relativ früh auf und wird mit wenigen Veränderungen bis zum Übergang zur Gotik gebaut. In Marienfeld ist im hochgelegenen Kellergeschoss der Abtei die Lage des einstigen Portals heute noch determinierbar. Das diese Stelle umgebene Mauerwerk besteht nicht aus Sandstein, sondern aus Ziegel und Bruchstein. Es lässt darauf schließen, dass der vorgezogene Steinrahmen, die sogenannte Ädikula57 mit dem Stufenportal beim Anbau der Abtei abgearbeitet wurde. 56 Die Verfasser haben diese Version für die Rekonstruktion gewählt. Beim Brand 1826 wurde die Giebelkrone beschädigt, das Abschlussgesims ging verloren. 57 Ädikula, lat. Häuschen, gemeint ist das Haus Gottes; vielseitig gebrauchte Bezeichnung, allgem. für ein klei- nes offenes (Giebel-) Gebäude von geringer Tiefe, das von Stützen getragen und mit der Rückseite an eine Wand gebaut ist. 39 Abb. 27: Kloster Marienfeld, Westrose. Die nicht von den Maßwerkteilen ausgefüllten Räume wurden mit Ziegelsteinen ausgemauert. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018. Abb. 28: Kloster Marienfeld, Westrose. Die Ziegelflächen wurden verputzt und die Öffnungen des Plattenmaßwerks mit einer Bleiverglasung geschlossen. Rekonstruktion: Andreas Sassen 2018 40 Abb. 29: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion des Westfassadengiebels mit zweireihigem Blendbogenwerk. Zeichnung: Andreas Sassen 2018. Die Werksteinausführung der Marienfelder Portalanlage wird möglicherweise erst zuletzt erfolgt sein, um eine Verschmutzung durch herabfallendes Kalk- und Baumaterial zu vermeiden. Man beließ im Ziegelkernbau einen ausreichend großen, gewölbten Durchgang, der nun mit dem Sandsteinmateri-al des Teutoburger Waldes und der Baumberge ausgekleidet und gestaltet wurde. Seinen trichterför-migen Charakter als Stufenportal bekam es vor allem durch den Portalvorbau (Ädikula), einem etwa 30 cm vor die Wand vorgezogenem Häuschen, das entweder mit einem Giebel wie am Südquerschiff in Lippstadt oder mit einem Pultdach, ähnlich dem in Lemgo (Abb. 57), ausgeführt war. Das zum Por-tal vermittelnde Stufengewände wurde auf beiden Seiten mit drei Säulen akzentuiert, die die darüber liegende Bogenlaibung trugen. Sie führten zu den aus großen Monolithen gefertigten Türpfeilern, in die man die Portalflügel einhängte, abgedeckt mit dem Türsturz; darüber das Tympanon, dem Bogen-feld, aus einer großen, aufrecht stehenden Steinplatte. Eine bildliche Gestaltung des Bogenfeldes wird es in Marienfeld nach Zisterzienserart nicht gegeben haben.58 58 Dazu die Ausführungen zur Entwicklung des romanischen Portals 41 Abb. 30: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion einer Gesamtansicht der romanischen Kirchen-Westfassade. Zeichnung: Andreas Sassen 2018 42 Abb. 31: Kloster Marienfeld. Die aus Formziegeln erst nach 1222 gemauerte Fensterrose am abgewandten Südgiebel des Querschiffs war im Kloster nicht einsehbar, sie diente vornehmlich zur Belüftung des Dachwerks, das anfangs mit Holzschindeln gedeckt war. Aufmaß und Zeichnung: E. Friedrichs, Denkmalamt Münster 1987. Exkurs: Der Begriff der Fensterrose im westeuropäischen Sprachgebrauch Nach Kobler59 ist erst seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts ein Fachvokabular für Fensterrosen gebräuchlich,60 das jedoch durch seine zahlreichen Synonyme immer wieder Verwirrung stiftet: Als fenestrae orbiculares sind die Fensterrosen der Kathedrale zu Lincoln um 1220/25 beschrieben worden. Mit reonde ueriere beschriftete Villard de Honnecourt seine Zeichnung der Fensterrose an der Kathedrale zu Lausanne. Eine Übersetzung dazu verwendet die Bezeichnung fenestra. Eine Inschrift in der Leibung der Westrose der Zisterzienserkirche Otterberg lautet opus fenestrarum. In Texten des 14./15. Jahrhunderts bezeichnete man Fensterrosen lange Zeit einfach als runde Fenster. 1370 wurde in fenestris tondis am Dom von Orvieto Glas eingesetzt. Eine Erwähnung zur Querhausrose der Ka-thedrale von Angers spricht von pour le vitre ou rondeau. Seit 1274 ist das Wort rota in einer Inschrift an der Westfassade des Doms von Cremona für die Bezeichnung als Fensterrose belegt. Rechnungen für die Domfassade in Como spezifizieren die Fül-lung der Fensterrose mit rota, die aufgemauerte Fensterleibung mit occhio. Noch früher als die Be- 59 KOBLER 1982: Artikel Fensterrose, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. 60 KOBLER 1982, Sp. 68–75. 43 zeichnung rota allein taucht der Begriff rota fortunae – Glücksrad – für eine entsprechend ausgebilde-te Fensterrose auf. Schon im 12. Jahrhundert lautet eine Inschrift an S. Zeno in Verona fortunae fecit rotam. In französischen Texten ist die einfache Bezeichnung roe seit dem 14. Jahrhundert üblich und 1375 für die Querhausrosen der Kathedrale von Troyes belegt. Etwa um die gleiche Zeit ist auch die Rose in Schriftquellen nachweisbar. Eine Notariatsakte vom 10. November 1391 wählt die Bezeichnung Rosa für die Kathedrale Sul-mona/Abruzzen, und rosa steht in einer Inschrift auf der Fassade der dortigen Stiftskirche S.M. delle Tombe. In französischem Text erscheint rose für die Fensterrose an St. Lamberti in Brüssel, ebenfalls heißt sie so in einem deutsch-französischen Mischtext an St. Nikolaus in Freiburg. Auch in England war die Bezeichnung früh geläufig, denn 1451 erfolgte eine Zahlung for the rose im Querhaus von Westminster Abbey. In Deutschland ist die Bezeichnung Rose erst seit dem 18. Jahrhundert geläufig, vom Ende des 18. Jahrhunderts auch mit dem Zusatz Fenster, sodass Fensterrose oder Rosenfenster danach üblich sind. Im französischen Sprachraum ist der Name rose bislang im 17. Jahrhundert nachzuweisen, ver-mutlich erfolgte die Benennung mit der Übernahme italienischen Architekturtermini. Die lange Ge-schichte der Fensterrosen in Frankreich gebraucht davor ganz andere Bezeichnungen. Osteau, oiteau ist dafür seit dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts üblich, 1375 im Zusammenhang mit der Repara-tur le grant oiteau an der Kathedrale von Troyes; 1389 wurde die Verglasung en l´osteaul du pignon der Kirche der Kartause von Champmol eingesetzt. Um 1500 bezeichnete man die Querhausrose der Kathedrale von Sens anlässlich der Neuverglasung als osteau, dabei auch grand ost und petit ost für die Mittelfigur des Maßwerks. Nebenher war auch loteau oder le teau, dann wieder osteau gebräuch-lich, das möglicherweise vom lat. ostium d.h. Eingang, Öffnung herzuleiten ist. Als grand hotz oder grand hostz ist im 16. Jahrhundert die Fensterrose in Lyon benannt, ähnlich auch grand otz auf Rechnungen für St. Nicaise in Reims. Die Bezeichnungen O, OO, Os und grand O sind gleichfalls seit dem 14. Jahrhundert in Frankreich für Fensterrosen gebraucht worden. Sie hängen wohl mit osteau zusammen und lassen sich als Abkürzungen verstehen, wobei mit der Bezeichnung O ohne das Adjektiv grand wohl einfache Okuli gemeint waren. Im deutschen Sprachgebrauch hat man in nachmittelalterlicher Zeit für die Fensterrose außer Rose, Fensterrose Rosenfenster auch andere termini verwendet. So heißt die Fensterrose von S. Lorenz in Nürnberg Stern. Als fenestra quadrata stellati operis beschrieben 1660 zwei reisende Jesuiten die Westrose der Ebracher Abteikirche. Für die Rose am Westbau des Straßburger Münsters wird bis heute das Wort Radfenster gebraucht, das auch in der modernen Architekturterminologie präzisierend eine Fensterrose mit speichenartiger Unterteilung oder eine Arkaden-Fensterrose benennt. Auch Rund- oder Kreisfenster in Form eines Rades für romanische oder gotische Ausformungen sind in der Literatur üblich. Den Architekten des 19. Jahrhunderts ist die Bezeichnung Rosette geläufig, so bei F.v. Gärtner an der Ludwigskirche in München. In F. Hoffstadt, Gotisches A-B-C-Buch von 1840 erhält ein Radfens-ter an Katharinenkirchen die Bezeichnung Katharinenrad, wobei die englische Literatur mit den ter-mini catherine-wheel und marigold-wheel wohl Vorbild ist.61 61 KOBLER 1982, Sp. 68–75. 44 Abb. 32: Abtei Silvanès, Midi Provence, Frankreich. Chorraum und Vierung der Abteikirche werden von Dreifenstergruppen erhellt, zum Teil aus Kreisfenstern mit Vier- und Sechspass, darüber ein Okulus zur Entlüftung (um 1150). Foto: HENRI GAUD, Die Zisterzienser. Zur Entwicklung der Fensterrose in der Romanik In der europäischen Baukunst wird das Rund- oder Kreisfenster als Okulus62 aus der Antike über-nommen, findet frühe Verwendung in den Bauten der Vorromanik und weite Verbreitung in der Ro-manik. Besonders in den großen Klosterkirchen der südeuropäischen Länder Spanien, Portugal, Süd-frankreich und Italien sind die Okuli vielfach verwendet worden. Die dort oft aus klimatischen Grün-den nur wenig durchfensterten Kirchen weisen im oberen Bereich an Giebelseiten von Haupt- und Querschiffen kleine Okuli auf, die neben sparsamem Lichteinfall hauptsächlich der Durchlüftung des Kirchenraums dienen (Abb. 32).63 In diesem Fall sind sie nicht verglast, sondern offen und erhielten gegen Vogeleinflug ein steinernes Speichenrad als Gitter. Auch wurden Okuli als Oberlichter in den Kreuzgängen üblich, um die Zirkulation frischer Luft durch die Kolonnaden zum oberen Bereich der Gewölbegänge zu ermöglichen, wobei ihr Einbau stets der Ästhetik untergeordnet wurde. Die in Deutschland von den Abmessungen her zunächst zurückhaltende Bauentwicklung der Kreis-fenster zeigt, dass man sich vorsichtig an diese Architekturform herantastete. Wirklich große Fenster-rosen sind erst im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts gebaut worden, was gerade die Marienfelder Westrose mit ihrer besonderen Gestaltung 62 Okulus, lat.Auge. 63 Saint-Michel-de-Cuxa, Klosterkirche Frankreich, 1043; Tahull, Provinz Lérida, San Clemente, 1123; Cardona, Provinz Barcelona, San Vicenc, 1040; Paray-le-Monial, Saone-et-Loire, Notre-Dame, 1. H. 11.Jh; 45 Abb. 33: Metelen, Stiftskirche. Die Kirche, die zu den Marienfelder Folgebauten gehört, erhielt vermutlich erst im 19. Jh. in ihrer vorgezogenen Chorwand eine Fensterrose. Foto: kath. Gem. Metelen. interessant macht. In der Romanik führen diese vom einfachen runden Okulus im 11. Jahrhundert über das Mehrfach-Passfenster zur Fensterrose mit Lochplattenmaßwerk des 12. Jahrhunderts. Parallel dazu entwarf man Blendfensterrosen in Form eines Speichenrades, die aber nicht zur Belichtung von Innen-räumen, sondern zur Auflockerung großer Fassadenflächen dienten, bzw. zur Auflösung oder architek-tonischer Gestaltung glatter Mauermassen Verwendung fanden. Die im Rheinland und in Westfalen verbauten frühen Radfenster sind ausnahmslos Blendrosen, die aufgrund ihrer Bauart als Fenster zur Ausleuchtung der kirchlichen Innenräume nicht verwendbar waren. Beispielhaft für alle steht die Ma-rienfelder Rose, deren Radfenstersäulen sich noch nicht verglasen ließen. Im französischen Beau-vais/Oise ist zwar eine verglaste Arkaden-Fensterrose mit Kleeblattbogen um 1130/40 erhalten, die zudem als Glücksrad (rota fortunae) ausgestaltet ist, doch ihre Konstruktionsweise war zu dieser Zeit nicht verbreitet.64 Möglicherweise ist sie auch das Ergebnis einer späteren Restaurierung. In Italien schon früh entsprechend vorgegeben, finden sich zur Wende des 12./13. Jahrhunderts die Fensterrosen vornehmlich an den Westseiten der Kirchen. Doch mit ihrem Einbau und den damit ein-hergehenden Bemühungen zur Verglasung in Holzrahmung waren Probleme mit der Windbeständig-keit zu lösen. Da sie auf dieser Seite besonders der Witterung ausgesetzt waren, sind nur wenige ro-manische Exemplare in originalem Zustand erhalten. Festigkeit und Stabilität bekam man erst bei Verwendung von Steinmaßwerken, die es zunächst nur in einfacher flacher Form, den sogenannten Negativ- oder Lochscheiben- oder Lochplattenmaßwerken gab. Sie bestehen aus großen Steinplatten, die, wie in Marienfeld zu sehen war, eine Stärke von 30 cm hatten. 64 KOBLER 1982. 46 Abb. 34: Abtei Noirlac, Region Centre, Frankreich. Das Refektorium wird von den gleichen Kreisfenstern erhellt, die auch an der Kirche eingebaut wurden und in der europ. Baukunst oft Nachahmung fanden. Da sie Passfenster sind, gehören sie streng genommen aber nicht zu den Fensterrosen. Foto: Kulturwerk Noirlac. Im 13. Jahrhundert verwendete man romanische Formen noch lange weiter, so dass die Fensterro-sen schwierig einzuordnen sind. Bei zwischenzeitlichen Erneuerungen des Barocks, wurden sie restau-riert, verändert oder gar zerstört, wie dies vermutlich an der Kirche zu Eusserthal/Pfalz geschehen ist.65 Im 19. Jahrhundert sind noch an vielen historischen Kirchenbauten, wie am Dom und der Lieb-frauenkirche in Bremen, nachträglich Fensterrosen eingebaut worden, was zuweilen verwirrend ist. Die Stiftskirche Metelen (Abb. 33) steht für eine der wenigen Ausnahmen, bei der eine Fensterrose mit Lochplattenmaßwerk in die Ostchorwand eingebaut wurde. Es gibt widersprüchliche Angaben darüber, ob sie im 19. Jahrhundert ein Ersatz für eine gleichartige Rose aus dem Mittelalter war.66 Ähnlich verhält es sich bei den restauratorischen Maßnahmen um 1900 an der spätromanischen Klos-terkirche Enkenbach/Pfalz, wo das Maßwerkfenster aus der Gotik zur Stilreinheit durch eine sechstei-lige Lochscheibenrose mit Mittelloch ersetzt wurde. Fraglich ist auch die Form der Fensterrose am Südquerhaus der Zisterzienserkirche in Ebrach. Angeblich um 1240 entstanden, entspricht sie der Fensterrose des Baseler Münsters, die ursprünglich in Eichenholz ausgeführt war und 1885 durch eine Kopie in Sandstein ersetzt wurde.67 In Frankreich entwickelte Formen wurden durch den emsigen Reiseverkehr der Baumeister und Steinmetzen unverändert auch in Deutschland übernommen. Noch in der Romanik des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts gelang es ihnen, die Lochscheibenplatten geometrisch weiter aufzulösen und dadurch lichtdurchlässiger zu machen. Letztlich verschmolz die Gotik in ihrer fortge-schrittenen Steinbearbeitungstechnik die Motive der Lochscheiben- und Radfenster zur lichtstarken 65 Die Zisterzienserkirche Eusserthal (1220–1262) zeigt an der Ostchorwand Reste einer zu vermutenden Rose. 66 DEHIO Westfalen, DORN 2006, PIEPER 2003, S121. 67 KOBLER 1982. 47 Abb. 35: Minden, Dom. Das Nordportal am Querschiff des Doms zeigt spätromanische Formen. Die dazu passende ursprüngliche Rose wurde schon um 1300 durch eine gotische ersetzt, die das Lanzettmotiv aufweist. Foto: Andreas Sassen 1985. Fensterrose. In den zum Teil komplizierten Maßwerkkonstruktionen findet sich noch lange die Lan-zettform, die aus den Radfenstern herzuleiten ist (Abb. 35).68 Bei der Suche nach Fensterrosen an den frühen Zisterzienserkirchen Frankreichs befinden sich ver-einzelt Kreisfenster, die zudem wie auf der Ostwand in Le Thoronet (Var) ohne Maßwerk gestaltet sind.69 Die Kirche des Klosters Fontfroide bei Narbonne70 aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zeigt dagegen an den Ostseiten der beiden Querschiffe kleine Okuli und an den Fassaden jeweils ein großes Kreisfenster mit einem Vierpass. Mit einer größeren Anzahl von Rundfenstern tritt dabei das zur Mitte des 12. Jahrhundert begonnene Kloster Noirlac bei Bourges hervor.71 In seiner Abteikirche sind an der Ost- als auch der Westseite und an den Giebeln des Querschiffs sowie im Refektorium (Abb. 34) Kreisfenster eingebaut, die einheitlich als Sechspass gestaltet sind und zumeist eine überschaubare Größe haben. Die gefälligen Kreisfenster in der Art von Noirlac fanden aufgrund ihres relativ einfa-chen Plattenmaßwerks in Frankreich weite Verbreitung. 68 La Seu d`Urgell Lleida/Lérida, Kathedrale nach 1175; Santiago de Compostella, Kathedrale, Querschiff 1125; Lissabon, Kathedrale Westseite, 1147 begonnen, Toro, Provinz Zamora, Kollegiatskirche, Ost- und Querschiff, 1160 begonnen; Soria, Santo Domingo, Westfassade, Ende des 12. Jahrhundert. Tarragona, Kathedrale 1174. 69 KNAURS Frankreich 1990, S. 748, LEROUX-DHUYS 2007, S. 354. 70 LEROUX-DHUYS 2007, S. 196. 71 LEROUX-DHUYS 2007, S. 266. 48 Abb. 36: Abtei Brunnenberg/Lahn. Die verbliebene Westwand der romanischen Frauenklosterkirche zeigt die leere Höhlung einer Rose. Foto: Gemeinde Brunnenberg/Lahn. Mit der Übertragung zisterziensischer Bauformen nach Deutschland und der Entwicklung der stau-fischen Romanik wächst im 12. Jahrhundert das Interesse der rheinischen Baumeister an den Kreis-fenstern als Gestaltungsmittel. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts zunächst vereinzelt gebaut, ist ein zahl-reicheres Auftreten in spätromanischer Zeit etwa um 1200 festzustellen.72 Doch gibt es im deutschen Sprachgebiet bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts Fensterrosen fast nur im Kirchenbau. Als frühes Beispiel ist die Zisterzienserabtei Eberbach im Rheingau zu nennen, deren von 1145 bis 1186 erbaute Klosterkirche auf der Westseite ein heute leeres Kreisfenster zeigt. Sein Maßwerk ging nach 1803 verloren und aufgrund fehlender Bilddokumente ist seine Gestaltung als Passfenster oder Lochplatten-Fensterrose unbekannt und nicht mehr zu lösen.73 Flussabwärts von Limburg, noch vor dem ehem. Prämonstratenserkloster Arnstein, stehen über einer großen Lahnschleife im Wald noch Reste des Klosters Brunnenberg (Abb. 36).74 Bis zur Auflösung 1542 war es als Nonnenkloster des gleichen Ordens das Gegenstück zu Arnstein. Die noch vor 1200 erbaute Kirche von Brunnenberg war eine flachgedeckte Pfeilerbasilika, von der noch der Chorraum, vor allem aber der Westgiebel mit einem großen Kreisfenster aufrecht stehen. Die Rundfassung ist mit dem Maßwerk aus dem Lahnschiefer-Mauerwerk herausgebrochen, womit auch seine Gestaltung 72 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 73 BELSER, Hessen 1962, S. 25. 74 BELSER, Hessen 1962, S. 176. 49 Abb. 37: Kloster Heisterbach, Siebengebirge. Bauaufzeichnung nach Boissereé 1810. Aus Lübke 1894. kryptisch bleibt. Das fast vergessene Baudenkmal Brunnenberg ist ein Beispiel der dynamischen Teil-nahme des Prämonstratenserordens am Architekturgeschehen der Stauferzeit. Wie sehr damals die Rundfenster in der deutschen Baukunst Mode wurden, zeigte sich einst an der nach 1805 systematisch zerstörten Zisterzienserkirche Heisterbach (Abb. 37).75 Das Kloster im Sie-bengebirge war nach 1192 von Mönchen aus Himmerod gegründet worden. An der 1202 begonnenen Klosterkirche erfolgte eine in der rheinischen Architektur einmalig reiche Verwendung von Kreisfens-tern. Im Bereich der großen Chorapsis mit ihrem Umgang wurden ausschließlich Rundbogenfenster eingebaut und die später vollendete Westfassade der 83 m langen Kirche zierten Bahnen einer spitz-bogigen Dreifenstergruppe. Alle Obergadenfenster des basilikalen Mittelschiffs waren dagegen als Kreisfenster von 3,5 m Durchmesser, sowie die Oberlichte der Seitenschiffe in gleicher Form etwas über 1 m groß gestaltet. Am Langhaus baute man in die Kreisfenster Sechs- und Achtpassrosen in der Art von Noirlac, aber auch Lochscheiben-Fensterrosen ein.76 Das Zwischenquerschiff im 1237 fertig-gestellten westlichen Langhaus erhielt auf beiden Giebelfronten ein Kreisfenster mit eigenartiger, aus einem Vierpass entwickelter Maßwerkteilung. Bei dieser Vielfalt von Kreisfenstern traten jedoch die riesigen Zwölfpassfenster der im Osten der Kirche liegenden Giebelseiten des Hauptquerschiffs mit mehr als 6 m Durchmesser hervor. Die von Boisserée77 überlieferten Zeichnungen zeigen darin aber kein geschlossenes Maßwerk- oder Radfenster, sondern eine Kreisrahmung mit Kantenwulst, in der die Maßwerkansätze des Zwölfpasses und eine aus Eisen in drei konzentrische Kreise aufgeteilte Flä-che eingepasst ist. Diese riesigen Rundfenster dürften bis zur Weihe des bis zum Hauptquerschiff ge-henden Mönchschors mit seinen 17 Altären im Jahre 1227 vollendet worden sein. Die Kirche war zu diesem Zeitpunkt bis hierher fertiggestellt, womit der Bau der großen Heisterbacher Kreisfenster wahrscheinlich in die Fertigungszeit der Marienfelder Fensterrose einzuordnen sind. Darüber hinaus finden sich in den zahlreichen Kirchen der Übergangszeit, sowohl im Rheinland, als auch in den damit verbundenen rechtsrheinischen Gebieten immer wieder Kreisfenster. Selbst die letzte romanische Kir-che im Rheinland, die Abteikirche von Essen-Werden, nach verheerenden Brand im Jahre 1256 be-gonnen und 1275 von Albertus Magnus aus Köln geweiht,78 weist im Obergaden des Hauptschiffs einheitlich große Achtpassfenster mit Eisenrahmung auf, womit sich der Kreis der romanischen Rund-fenster buchstäblich schließt. 75 DEHIO Rheinland, S. 517–518. KUBACH/VERBEEK 1978, S. 370–371 76 Die Zeichnungen bei Kubach/Verbeek sind nicht ganz eindeutig. 77 KUBACH/VERBEEK, Boisserée, Heisterbach, S. 368. 78 DEHIO Rheinland, S. 187. 50 Abb. 38: Burg Rheda/Westfalen. Die um 1200 nach Motiven des Londoner White Tower79 entstandene Burgkapelle der Lipper weist nach Osten ein Sechspass-Kreisfenster auf, das fachlich nicht als Rose bezeichnet wird. Foto: Andreas Sassen 2005. Zur korrekten Herausstellung des Unterschiedes aufgrund ihrer Bauart sind die genannten frühen Kreisfenster von Noirlac über Heisterbach bis hin zu Werden, nicht als Fensterrosen zu bezeichnen. Sie sind Vielpässe oder Passfenster, die nicht zu den Fensterrosen gehören, womit auch die beiden um 1200/1220 entstandenen Vier- und Sechspass-Rundfenster der Kapelle im Burgturm zu Rheda (Abb. 38) hier nicht berücksichtigt oder zum Vergleich herangezogen werden.80 Nach der Definition Koblers im Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte81 bezeichnet man als Fensterrose, Rosenfenster oder Rose solche Kreisfenster, deren Lichte mit Stein oder Holzwerk in radialer oder konzentrischer An-ordnung ausgesetzt sind. Bloße Rundfenster werden daher nicht als Fensterrosen angesehen, auch wenn sie in der Fachliteratur bisweilen so genannt sind, insbesondere bei großem Durchmesser der Lichte und einer Eisenarmierung, deren Anordnung der von Stein oder Holz entspricht. Wie in Frankreich sind auch in Deutschland die älteren romanischen Fensterrosen dem Arkadentyp oder dem Lochscheibentyp mit ihren Ableitungen zuzuordnen, wobei oberflächlich betrachtet eine 79 Nach den neuesten Forschungen LEIDINGERS 2018. 80 KORN/QUEDNAU/SIGRIST 1986, S. 39. DEHIO Westfalen, S. 480. 81 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 66. 51 Abb. 39/40: Lippstadt, Große Marienkirche. Der Nordgiebel von 1222 zeigt mit steigendem Bogenfries und einer Blendrose, die von drei Vierpassrosen begleitet wird, eine reiche Gliederung. Eine Besonderheit ist im Mittelpunkt das achtteilige Speichenrad mit symbolischen Schreckköpfen. Fotos: Andreas Sassen 2008. 52 Abb. 41: Aldenburg Kobern, Matthiaskapelle. Die spätstaufische Kapelle von 1230/40 hat zur Belüftung des Dachraums ein halbiertes Speichenrad mit Dreipassarkaden. Foto: Andreas Sassen 2008. besondere Entwicklung in Deutschland zunächst nicht zu erkennen ist. Die Übernahme aus Frankreich überwiegt bei weitem, gelegentlich gibt es Reduktionen andernorts vollständig übernommener For-men.82 Allgemein sind die noch erhaltenen Fensterrosen kritisch zu betrachten, da infolge ihrer Witte-rungsempfindlichkeit im Laufe der Zeit evtl. Veränderungen durch Restaurationen vorgenommen wurden. Die Arkaden-Fensterrosen, auch Radfenster genannt, sind in der Regel einreihig, die Bogen ihrer Arkaden romanisch-halbkreisförmig, die Stützen sind als Pfeiler oder Säulen ausgebildet und verfügen über Basis sowie Kapitell. Als die wohl ältesten und zugleich eindrucksvollsten Beispiele sind die blind ausgebildeten Arkaden-Fensterrosen auf den Giebelmauern der Dreiapsidenanlage von Groß-St. Martin in Köln (Abb. 19) anzusehen.83 Nach einem Brand der Kirche war 1150 der Neubau des Ostteils der Kirche begonnen worden, 1172 erfolgte die Weihe.84 Die damals entstandenen dekora-tiven Blendrosen gleichen überdimensionalen Fächern, da vom Speichenrad ihrer vierzehn Arkaden nur zehn Teile zu sehen sind und die übrigen von den Dächern der drei Konchen verdeckt werden.85 Am Westbau von St. Quirinus in Neuß, nach 1209 entstanden, tragen sowohl der Süd- wie auch der Nordgiebel eine achtteilige Blendfensterrose, deren Arkaden je eine Vierpassöffnung in Kreisblende einschließen. Am Ostgiebel über der Apsis befindet sich dagegen eine Lochplatten-Fensterrose.86 Eine große achtteilige Radblende ist Teil des aufwendig gestalteten Nordquerhausgiebels der Gro-ßen Marienkirche in Lippstadt Abb. 39/40), die etwa zeitgleich mit der Klosterkirche Marienfeld be-gonnen und um 1222 bis zum Querhaus fertiggestellt war. Die Blendrose ist einschließlich der sie umgebenden drei Vierpässe87 und einem steigenden Rundbogenfries halbplastisch gestaltet. Als Be-sonderheit tritt in 82 KOBLER, 1982, Sp. 130. 83 Siehe Abbildung auf S. 31. 84 DEHIO Rheinland, S.367. FUßBROICH 1985. KUBACH/VERBEEK 1976, S. 572–579. 85 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 1, S. 575, Abb. 964. Ostendorf. 86 KUBACH/VERBEEK 1976, S. 827–836. DEHIO Rheinland, S. 500. 87 Das Motiv der Lippstädter Giebel-Vierpässe zeigt sich auch an der Gedenknische in Marienfeld. 53 Abb. 42: Billerbeck, Johanneskirche. Die achtteilige vollplastisch gearbeitete Radblende über dem Nordportal der 1234 geweihten Kirche. Foto: Andreas Sassen 2005. Lippstadt Bauplastik auf, denn die Zwickel der Blendarkaden sind mit grotesken Köpfen besetzt. Sie sind apotropäisch88 zu verstehen und bedeuten mit der heiligmäßigen Zahl der achtteiligen Arkade eine symbolische Abwehr böser Mächte aus Richtung der Nacht. Dagegen bietet der Giebel der Süd-seite eine geschlossene aber aufwendig gestaltete halbplastische Blendarchitektur. Der Abschluss der beiden Querhausgiebel in reicher Ausgestaltung erfolgte bis zur Weihe der Kirche, die ebenso wie in Marienfeld noch im Jahr 1222, in Anwesenheit Bischof Bernhards zur Lippe, stattfand. Süd- und Nordseite der Stadtkirche in Lippstadt bilden architektonische Gegenstücke zur Westfassade der Klos-terkirche Marienfeld.89 Sie offerieren die möglicherweise konkurrierende Auffassung der Baumeister von zwei unterschiedlichen, aber zeitgleich arbeitenden Kirchenbauhütten. Die um 1234 geweihte St. Johanneskirche in Billerbeck,90 gilt als bedeutendstes Beispiel der spät-romanischen Hallenbauten im Münsterland. Über dem Pultdach der nördlichen Portalarchitektur ist eine zweistöckige Giebelfassade aufgesetzt, der den Aufbau wie ein Querschiff aus der Langhausseite heraustreten lässt. Im Giebel steht eine achtteilige Radblende (Abb. 42), die jener in Lippstadt ähnelt, jedoch mit vollplastisch ausgebildeten Speichensäulen das Giebeldreieck vollständig ausfüllt. Die Art ihrer Einbindung in die Fassade durch einen Überfangbogen mit zwei schlanken seitlichen Dienstsäu-len erinnert an die zu gleicher Zeit entstandenen Rosen der Zisterzienserkirchen Otterberg und Eus-serthal,91 wobei mit dem darunter befindlichen Fächerfenster Anregungen aus dem Rheinland nicht zu übersehen sind. Dagegen ist das höchst dekorative Säulenportal mit seinem Giebelsturz92 in Westfalen verbreitet und ein Musterbeispiel des örtlichen, damals weit entwickelten Baumberger Sandstein-handwerks.93 88 =Unheil abwehrend, in der romanischen Kunst den plastischen Tier- und Dämonendarstellungen beigemessen. 89 DEHIO Westfalen, S. 301. 90 DEHIO Westfalen, S. 50. Auf dem Türsturz der Ostwand das wahrscheinliche Weihejahr 1234. 91 Otterberg/Pfalz, Kirche 1190–1249 erbaut, Eusserthal/Pfalz 1220–1262 in Anlehnung an Otterberg erbaut. 92 Der Giebelsturz wiederholt sich an der Stiftskirche Vreden, der Türsturz an der Kirche Wiebrechtshausen. 93 DEHIO Westfalen, S. 52. 54 Abb. 43: Löwen/Brabant, St. Jacob. Die Lochplatten-Rose des 12. Jhs. weist ein durchdachtes System aus drei Kreisen zwölf verschieden großer Öffnungen auf. Abb. aus: Kubach und Verbeek 1978. Die Steinmetze im Gebiet des Grünsandsteins am Hellweg schufen gegen Mitte des 13. Jahrhunderts eine Blendrose für den südlichen Giebel des Turms in Erwitte.94 Wie weit solche Bauformen weitergetragen wurden, zeigt die Rose der Westfassade der Stiftskirche in Bücken an der Weser. Sie stammt aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts und könnte vor der Restaurierung im 19. Jahrhundert so ähnlich ausgesehen haben.95 Nicht nur das steinbearbeitende Handwerk schuf Radblendfenster für Kirchenbauten, sondern auch das Metall verarbeitende Gewerbe. Das zeigt sich am Nordquerhaus der Petrikirche in Soest, wo um 1200/10 die Säulchen samt Basen und Kapitellen des achtteiligen Radfensters als Eisenkern gegossen und mit Kupferblech ummantelt wurden. Auch hier wieder eine symbolische Achtzahl zur Seite der Nacht ausgerichtet, wobei zur besonderen Gewichtung ihrer himmlischen Bedeutung das Kupfer sogar ehemals vergoldet war.96 Eine gleiche handwerkliche Arbeit ist auch bei der Blend-Fensterrose am Westturm der gegenüberliegenden St. Patrokli-Kirche aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts zu vermuten. Wahrscheinlich blieben diese Arbeiten auf Soest beschränkt, denn am Verlauf des Hellwegs finden sich keine weiteren Metallarbeiten dieser Art mehr. Die achtteilige Blendrose im Untergeschoss des Westturms am Dom zu Paderborn97 aus dem 13. Jahrhundert zeigt ähnlich wie in Lippstadt zur symbolischen Abwehr Dämonenköpfe an den Nasen des Achtpasses. 94 DEHIO Westfalen, S. 157. KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 95 KOBLER 1982. 96 KOBLER 1982. Dehio Westfalen, S. 528. 97 DEHIO Westfalen, S. 442. KOBLER 1982. 55 Abb. 44: Limburg, Dom um 1230. Schnittzeichnung der inneren Westseite. Im Mittelschiff unten das Dreipassportal, darüber eine Blendarkade mit drei Okuli und oben als Abschluss die große achtteilige Plattenrose. Abb. aus: Lübke 1894. Im Gegensatz zu den bisher genannten Blendfenstern, die eher dekorativen Zwecken dienten, ver-wendete man zur Raumbelichtung Kreisfenster mit Lochplattenmaßwerk, da nur sie vorerst für eine Verglasung brauchbar waren. Ältere Musterbeispiele finden sich links von Rhein und Maas, wie Reste vom Ende des 12. Jahrhunderts am Mittelturm des spätstaufischen Westbaus der Pfarrkirche St. Jakob in Löwen/Brabant zeigen (Abb. 43). Dort rahmen zwei Zwillingsblenden (Otterberg) das große rund-bogige Portal, das in drei Rücksprüngen drei Säulenpaare mit Kelchknospenkapitellen und Bogen-rundstäben zeigt.98 Direkt über dem Stufenportal, steht ein mit vier Metern Durchmesser sehr großes Rundfenster, von zwei Rundstäben gerahmt und von Steinplatten mit kreisförmigen Durchbrechungen gefüllt. Diese bilden eine Rose aus drei konzentrischen Kreisen verschieden großer Okuli um eine kreisförmige Mitte. Alle Öffnungen zeigen Falze zum Glasverschluss.99 Die Fensterrose in St. Jakob erhellte den zum Kirchenschiff offenen Turmraum. Der relativ geringe Lichtdurchlass erzeugte im Inneren eine eher mystische Stimmung, die im Westen vieler Kirchen häufig anzutreffen ist. Aufgrund der geringen Helligkeit ist zu vermuten, dass zu dieser Zeit kaum Fensterrosen auf der Ostseite der Kirchen ausgeführt wurden. Der Baumeister des Limburger Doms100 realisierte in der Zeit von 1213–1243 zwischen den beiden Westtürmen ein Rosenfenster von sieben Metern (Abb. 17 und 44),101 das zu dieser Zeit selbst in Deutschland schon altertümlich wirkt. Bei dem auf der Höhe des Lahnfelsens zu erwartenden ernor-men Winddruckes blieb er mit dem Einbau eines stabilen Plattenmaßwerks auf der Seite, die die größ-te Sicherheit garantierte. Die relativ einfache Gestaltung zeigt einen geschlossenen Kreis von acht Okuli, die ein mittleres größeres Auge umgeben. Darunter setzte er vier Blendbogen102 die wiederum von vier kleinen Rundfenstern durchbrochen sind. 98 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, Abb. 1138, Rekonstruktion Lemaire. 99 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, S. 683. 100 BELSER, Hessen 1962, S. 178. 101 KUBACH/VERBEEK 1976, Bd. 2, S. 663–671. 102 LÜBKE Bd. I, 1884, S. 563, Abb. 484. 56 Abb. 45: Kloster Marienfeld. Rekonstruktion der 5,50 m großen Westrose aus Plattenmaßwerk und vorgestellter Speichenarkade. Zeichnung Andreas Sassen 2018. So wie in Limburg ist auch die Westrose der Klosterkirche von Marienfeld in die Reihe der frühen Kreisfenster einzuordnen (Abb.45). Der handwerkliche Stand der staufischen Romanik war das Loch-plattenmaßwerk, um die Verglasung eines Kreisfensters möglich zu machen. Nach Art der Zisterzien-ser beließ es der Baumeister jedoch bei keiner Kopie älterer Vorbilder, sondern führte statt der bisher üblichen Okuli acht radial angelegte Lanzettfenster um ein mittleres Kreisfenster aus. Die dadurch gesteigerte Lichtdurchlässigkeit war ein Fortschritt in der Maßwerktechnik mit gewissem Anklang zur Gotik. Um die einfache Rose zu vervollständigen und ihr großflächiges Erscheinungsbild aufzulösen, stellte er vor das Plattenmaßwerk sowohl auf der Außen-, als auch der Innenseite eine offene achtteili-ge Speichenradarkade. In ihr setzte er das dekorative romanische Bauelement der en-délit-Säule ein,103 deren Anwesenheit die Vollständigkeit und Originalität der Marienfelder Westrose ausmachte. Sie korrespondierten sowohl mit den Säulen des darunter gelegenen Stufenportals, als auch mit den zahl-reichen Säulen der Blendbögen im Giebel, womit ein einheitliches Bild der Westfassade geschaffen wurde. In dieser Kombination blieb die 1222 zur Kirchenweihe fertiggestellte Fensterrose die einzige ihrer Art in Westfalen. In zeitlicher Folge zur Marienfelder Rose konzipierte man die noch größeren Kreisfenster für das 1225/30 vollendete Westquerhaus des St. Paulus-Doms zu Münster104, wobei das zur Südseite zeigen-de Fenster eine gewisse Reminiszenz zu Marienfeld aufweist. Auch hier war man von den Rundöff-nungen abgegangen, hatte aber statt der acht Marienfelder Lanzettfenster zwölf Öffnungen in Hufei-senform ausgeführt. Durch ihre Rundform nutzen sie die Lichtdurchlässigkeit der Plattenmaßwerkflä-che noch besser aus. Das davorgesetzte Arkadenrund ist jedoch zu einem Zwölfpass ohne Säulen re-duziert worden, denn die Bogennasen enden nicht auf Kapitellen wie in Marienfeld, sondern laufen auf Konsolen aus. Demgemäß ist in Münster auch keine Radblende mehr vor das Plattenmaßwerk gestellt worden. Die dafür notwendigen zwölf Säulen wären mit dem Achtpass der inneren Kreisfläche geometrisch nicht synchron verlaufen. 103 Die en-délit-Säulen treten an den beiden Dreifenstergruppen in den Fronten des Querhauses wieder auf. 104 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 130. 57 Abb. 46: Münster, Dom St. Paul. Eine westfälische Sonderleistung ist die Blendrose im Südgiebel mit den Köpfen von Paulus und Johannes d.T. Abb. aus: Die deutschen Dome 1927. Ein anderes, eher konservativ wirkendes Dekorationsmuster weist dagegen das Blendfenster am Südgiebel des Doms in Münster auf (Abb. 46). Die konstruktive Lösung der architektonischen Form bildet ein seltenes Derivat unter den romanischen Kreisfenstern und dürfte wohl auch im Zusammen-hang mit der Marienfelder Rose bzw. der Lippstädter Blendrose gesehen werden. Vom relativ großen mittleren Steinring gehen strahlenförmig sechsmal jeweils drei gebündelte kurze Säulen mit Basen und Knollenkapitellen aus und tragen eine aus Archivolten gebildete sechsteilige Rundbogenarkade. Deren zurückliegende Felder werden von unterschiedlich gestalteten Kreisöffnungen durchbrochen. Mit Drei-, Vier und Fünfpässen, sowie einer Lochscheibe und einem Bogenmaßwerk ist der gesamte da-mals übliche Maßwerk-Formenkanon vorhanden. Einzigartig an diesem Blendbogenfenster ist auch die erhaltene Bauplastik, die auf die Patrone der Kirche verweist.105 Der mittlere Steinring, die Nabe des Fensterrades umgibt das mächtige Haupt des hl. Paulus, in der Arkade darunter ruht der kleinere Kopf Johannes des Täufers auf einer konsolartigen Schüssel. Beide Männer, durch Aureole als Heilige des Neuen Testaments ausgezeichnet, waren durch das Schwert umgekommen. Die symbolischen neutestamentarischen Tierfiguren Löwe und Lamm liegen sich im Rosenfeld gegenüber. Die Johannes-/Paulusrose am Dom zu Münster bleibt mit der darunter liegenden Hufeisenfensterrose ein einmaliges romanisches Gesamtwerk, denn ihr Prinzip ist an weiteren Kirchen nicht mehr zu fin-den. Im Zusammenhang mit der Marienfelder Fensterrose könnte man sie als Einzelleistungen der schrittweisen Entwicklung zur gotischen Fensterrose ansehen. In den später gebauten großen Kreis-fenstern der Dome zu Münster und Minden (Abb. 35) entstanden filigrane, lichtdurchlässige Maßwer-ke, die zeigen, dass an ihrer Entwicklung fleißig weitergearbeitet wurde. Eine Verbindung Münsters zum Kloster Marienfeld und zur Architektur seiner Kirche zeigt sich damit auch an den besagten Fens-terrosen, womit die Zahl der Übertragung diverser architektonischer Motive von der Zisterzienserkir-che zum westfälischen Dom weiter steigt. 105 DEHIO Westfalen, S. 358. 58 Abb. 47: Kloster Otterberg/Pfalz. Die Westrose erhielt um 1250 ihr seltenes Maßwerk im Übergangsstil. Foto: Simultankirche Otterberg. Die mit der Südrose am Dom zu Münster vergleichbare Westrose der Zisterzienserkirche Otterberg in der Pfalz (Abb. 47) wurde, wie das prachtvolle Rundbogenportal darunter, spätromanisch ange-legt.106 Die Vollendung der Westwand mit Teilen des nördlichen Seitenschiffs und der Einwölbung des Mittelschiffs erfolgte zwischen 1210 und 1249. Da die Fertigstellung der Kirche noch bis zur Weihe 1254 dauerte, könnte die Ausführung des Rosenmaßwerks erst in dieser Zeit erfolgt sein. Nach Dehio gehört sie zu dem ästhetisch Wertvollsten, was die oberrheinische Spätromanik geleistet hat. 107 Ihr Meister hat in ihrer Gesetzmäßigkeit und äußeren Harmonie die Schönheit des Kosmos dargestellt. Der Kreis – als die absolute Form – und die Passfolge 4:8:16 stellen nach mittelalterlicher Ansicht die Gesetze dar, nach der die Welt entstand. Gelegentliche Vorbildfunktionen bleiben nicht aus: Am Außenbau der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandenen Stiftskirche Fröndenberg fällt an der reich gegliederten Ostwand des Chores eine Blendrose mit geschlossener Maßwerkfüllung auf. Ihre Konstruktion ähnelt wiederum dem gemalten Kreisfenster in Dortmund-Brechten. Die dortige Kirche war noch in der Erbauungszeit ausgemalt worden und weist sozusagen den Entwurf eines hochentwickelten filigranen Fenstermaß-werks frühgotischer Art auf, wie es bis dahin nur an den Kathedralen Frankreichs zu sehen war. Der Vergleich der nach 1200 entstandenen Fensterrosen erweckt den Eindruck, dass damals regel-recht ein Wettbewerb um die besten Lösungen zu dieser architektonischen Neuerung stattfand. Die im niedersächsischen Frauenkloster Mariensee von Marienfelder Baumeistern errichtete frühgotische 106 BELSER, Rheinland-Pfalz, S. 156. 107 DEHIO Die Pfalz und das Saarland 59 Abb. 48: Mariensee/Niedersachsen, Zisterzienserinnenkirche. Die Rosenseite der frühgotischen Backsteinkirche, 1207 von einem Marienfelder Werkmeister begonnen. Zeichnung: Andreas Sassen, 2015. Backsteinkirche erhielt um 1230 auf beiden Seiten des Mittelschiffjochs jeweils eine Dreier-Gruppe von Fensterrosen (Abb. 48). Unübersehbar werden hier schon französische Einflüsse wirksam, denn die aus Deister-Sandstein gefertigten Maßwerke verweisen mit vier und sechs Kreisen um einen Mit-telpunkt in die frühe Gotik. Doch bis zum gotischen Kathedral-Rosenfenster musste auch in Frank-reich ein langer Weg beschritten werden. Voraussetzung zu dieser Entwicklung waren sichere wirt-schaftliche Verhältnisse zum Kirchenbau in relativ kleinen Landgemeinden. In der Umgebung von Beauvais, in den anmutigen Tälern der Authonne, des Thérain, der Bréche, in den üppigen Laubwal-dungen dieser Flussgebiete stehen oft dicht beieinander jene denkwürdigen kleinen Land- und Abtei-kirchen, die zu interessanten Musterbeispielen wurden.108 Die französischen Steinmetze an Aisne und Marne, hatten damals, begünstigt durch einen gut zu bearbeitenden Kalkstein, schon früh mit Proben der phantastischen Radfenster begonnen, die um 1220 an Notre-Dame von Paris, Reims oder Chartres verwirklicht wurden.109 Zu dieser Zeit gab es von Deutschland her rege Verbindungen nach Frankreich durch Mönche des Zisterzienserordens, die an vielen Orten Zeugen des Architekturübergangs zur Go-tik wurden. Beim Bau der architektonisch und archäologisch höchst wertvollen Kirchen hatte man schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Verwendung des Kreisfensters mit Verglasung aufgenommen und vornehmlich über dem Hauptportal der Kirchenwestseite realisiert. Am Beispiel verschiedener Dorfkirchen lässt sich die Weiterentwicklung der einfachen Passteilung verfolgen, die vom Lochplattenmaßwerk bis zum filigranen Radfenster mit komplizierter zwölfteiliger Arkadenkon-struktion geht. 108 MÄKELT 1906, Vorwort. 109 LEROUX-DHUYS, die Zisterzienser, S. 100. Das Studium wurde 1237 [nachträglich] vom Generalkapitel ge-stattet, 1245 wurde mit Erlaubnis des Papstes das Bernhardskolleg in Paris gegründet. Die Ausbildung in Paris war bis zum Marienfelder Abt Sibert (1376) möglich. Aufgrund des Schismas 1378–1417 ging man nach Prag. 60 Abb. 49: Glaignes/Oise Abb. 50: Courmelles bei Soissons, Frankreich. Die Westseite der Pfarrkirche des 12. Jhs. in Glaignes mit Passrose und Passfenster im Portalfeld, die in Courmelles weiterentwickelt und verfeinert wird. Umzeichnung nach Mäkelt 1906. So übernehmen die Steinmetze an der Dorfkirche von Glaignes110 an der Oise (Abb. 49) die einfa-che Passteilung von Noirlac mit flacher Rahmung der Fensterfläche, wenden sich jedoch einer reichen Profilierung der Kreisleibung zu, die mit dem übergiebelten Stufenportal korrespondiert. Die noch aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche zu Courmelles111 an der Aisne weist dagegen eine Fensterrose mit profilierter Achtpassteilung auf, die zum Außenring hin mit kleineren Rundöff-nungen durchbrochen ist (Abb. 50). Damit war ein Schritt zur nächsten Stufe, dem Negativmaßwerk, getan. Unter Einbeziehung der starken Profilierung des kreisförmigen Fenstergewändes erreicht sie einen Durchmesser von über 4,5 m. Ein zwölfteiliges Rosenfenster von 4,6 m Durchmesser findet sich an der Westseite der Kirche zu Mézy-Moulins112 an der Aisne, ein Bau aus einem Guss vom Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Dop-pelarkaden werden durch aufgelegte kurze Säulen getragen, deren Basen auf einer Kreislinie enden. Die Nabe ist als Zwölfpassfenster gestaltet. Möglicherweise ist die Rose von Mézy-Moulins ein Vor-läufer der Steinmetzarbeiten des Dorfes Vorges bei Laon (Abb. 51), die künstlerisch und handwerklich entsprechend fortgeschritten waren. 113 110 MÄKELT 1906, TAFEL 53–55 111 MÄKELT 1906, TAFEL 8,9. 112 MÄKELT 1906, TAFEL 56–60. 113 MÄKELT 1906, TAFEL 16–21. 61 Abb 51: Vorges/Frankreich, Pfarrkirche. Zwölfteilige Fensterrose als verglastes Rad, rechts im Detail die auf das Maßwerk aufgelegten Säulen. Umzeichnung nach Mäkelt 1906. Dort hatte man an den Stirnwänden und den Westseiten über den Seitenschiffsdächern der kurz vor 1200 errichteten Kreuzarme zunächst einfache, profilierte Kreisfenster eingebaut. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts vollendete man die Kirche an der Westseite mit dem Einbau einer 6 m großen, zwölf-teiligen Speichenrose – ein bewundernswertes Baukunstwerk. Die Arkaden zwischen den Speichen sind als Doppelbogen ausgeführt. Die Speichen sind zur Aufnahme der Verglasung flach ausgeführt und haben aufgelegte Säulen mit Kapitellen und Basen. Sie laufen konzentrisch zur relativ großen Nabe und bilden dort einen Bogen als Gegenarkade. Die Nabe ist wiederum als Zwölfpassfenster ge-staltet mit einem Durchmesser von 2,70 m. Etwa um 1230 entstand an der stattlichen Dorfkirche Notre-Dame zu Lesges114 bei Braisne eine 4 m große, achtteilige Rose, ebenfalls mit einem Radmaßwerk, das vermutlich aufgrund seiner filigra-nen Beschaffenheit in der Neuzeit vermauert werden musste. Das Maßwerk besteht aus acht Arkaden mit Kleeblattbogen, die auf der Gegenseite durchbrochen sind. Die kurzen Säulen mit Kapitell und Basis laufen auf dem äußeren Kreis der Nabe aus, die von einem durchbrochenen Vierpass ausgefüllt ist. Die genannten Beispiele aus der französischen Provinz bilden mit ihren Fensterrosen-Maßwerken stets auch die Rahmung für die Verglasung. Die Beherrschung des Winddrucks auf die großen freien Flächen der Kreisfenster führte zur notwendigen Konstruktion von Steinmaßwerken, die noch in der Romanik zu Beginn des 13. Jahrhunderts zunehmend filigran ausgearbeitet wurden. Bemerkenswer-terweise kannte die Romanik dagegen bei den herkömmlichen Fensterbahnen der Kirchenschiffe keine Maßwerke. Auch die Frühgotik bediente sich langer, schlanker Lanzettfenster, deren Verglasungen ohne Maßwerk mit Eisenstegen stabilisiert wurden. Selbst an den frühen gotischen Kathedralen Frank-reichs sind Maßwerkfenster selten und finden erst in Reims Eingang in die Baukunst. Hier fällt auf, dass das steinerne Maßwerk an sich zu allererst zur Schließung von Kreisfenstern ausgeführt wurde. Erst mit Vergrößerung und Verbreiterung der spitzbogigen Fenster entstanden große Flächen, die 114 MÄKELT 1906, TAFEL 4–6. 62 durch steinerne Pfeiler in Bahnen von 60–90 cm eingeteilt wurden, um die darüber liegende Maß-werkkrone zu tragen. Damit zeigt sich, dass etwa seit Mitte des 13. Jahrhunderts das in Frankreich entwickelte und dort bereits zur Unterteilung der Lichte von Fensterrosen verwendete Maßwerk ins deutsche Sprachgebiet übernommen wurde, um großflächig und lichtstark verglasen zu können. Man verwendete entweder in Frankreich bereits ausgebildete Teilungssysteme oder baute bald mehr, bald weniger unabhängig von französischen Vorbildern aus Maßwerkteilen zusammengefügte Figurationen in die Fensterrosen ein.115 Abb. 52: Dortmund-Brechten, Pfarrkirche. 1961 entdeckte man die in der 2. Hälfte des 13. Jhs. gemalte frühgotische Fensterrose. 115 KOBLER 1982, Lieferung 85f, Sp. 135. 63 Zur ikonologischen Bedeutung der Westrose In den Kirchen, wo eine romanische Fensterrose realisiert wurde, bildete sie zumeist in der Westwand den mystischen Abschluss des Sakralbaus, womit wie in Marienfeld ein deutlicher Gegensatz zur lichtdurchfluteten Ostseite geschaffen wurde. Nach außen hin schuf man mit dem achtteiligen Aufbau der Rose einen symbolischen Gegensatz zur Seite der Nacht, dem im folgenden Absatz genauer nach-gegangen werden soll In der staufischen Spätzeit verbreitete sich in Deutschland die von Westen herkommende Symbolik des Lichtes. Einen großen Einfluss hatte der Abt Sugar (1080–1151), der den Bau der Klosterkirche von Saint Denis in Auftrag gab, die als erster Sakralbau der Gotik gilt und dazu Schriften zur Archi-tekturtheorie und zur Lichtmetaphysik verfasste.116 Gott ist Licht wurde durch ihn zur Leitidee. Mit der der Mystik nahen Symbolik sollte das Bauwerk selbst zum Abbild des Himmels werden. Abt Sugar war jedoch nicht der Entdecker christlicher Symbolik, denn die gelangte schon vor ihm aus den frühen Stätten des Christentums in Syrien nach Westen und fand Eingang in den frühen Kirchenbau. Nach Abt Sugars Schriften ging schon bald eine Reihe von Interpretationen auf eine in der Kirche entstan-dene Allegorese117 zurück, die im Nachhinein Bedeutungen von bestimmten Dingen im biblischen Sinn erklären sollten. Dabei wird das Thema Symbolik heute allgemein in Kirchenbeschreibungen kaum oder nur bruchstückhaft berührt, bzw. spürt man die Abneigung der Autoren, auf dieses Kapitel mittelalterlicher Baukultur einzugehen. Möglicherweise verwehrt eine säkulare Einstellung den Blick auf die einstmals tiefe Frömmigkeit, unter deren Einfluss die sakralen Bauten entstanden oder später erklärt wurden. Zwar wird eine symbolisch-mystische Thematik dem französischen Kathedralbau gern zuerkannt, doch eine regionale ländliche Kirche kann durchaus eine ebenso tiefgehende Bewertung aufweisen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist neben den technischen Neuerungen im Kirchenbau auch Rezeption und Tradierung vom tieferen religiösen Sinn der Architektur aus Frankreich nach Deutschland gelangt. Daran ist ersichtlich, dass Verknüpfungen jeglicher Art im Mittelalter dichter und ausgiebiger waren, als gemeinhin angenommen wird. Es ist also nicht ungewöhnlich, an einem mittelalterlichen Sakralbau wie der Klosterkirche Marienfelds auch eine tiefgehende Symbolik aus Architektur und Licht vorzufinden. Der Altarraum als das Allerheiligste der Kirche, dessen Betreten dem Laien ursprünglich verwehrt war, wurde entsprechend urchristlichem Verständnis nach Osten ausgerichtet, dem Aufgang der Son-ne, der Quelle des Lichts entgegen. Der Osten steht für die Richtung des Paradieses und auch jene, in der die Wiederkunft Christi zu erwarten ist (2. Parusie).118 So wurde die aufgehende Sonne als die Vergegenwärtigung Christi gedeutet. Der Altar ist Stätte des Messopfers, symbolisch aber auch Grab-stätte Christi und gleichzeitig der Ort seiner Auferstehung. In diese von Bernhard von Clairvaux ge-förderte mystische Glaubenswelt ist auch die Gestaltung der Marienfelder Abteikirche, insbesondere ihr Mönchschor, einzuordnen. In dem nach Osten flachen Abschuss des Chorraums, der im Zisterzienserbau aus Kostengründen von Bernhard empfohlen wurde, entwickelte sich von Frankreich herkommend die Gruppierung von drei Fensterbahnen nebeneinander. Die Weiterentwicklung dieser Idee führte im Rheinland und gleichzeitig auch in Marienfeld zur hochentwickelten Dreifenstergruppe, dessen Typ noch an den Fas-saden des Querhauses vorzufinden ist. Um die im Orden anzutreffende zisterziensische Dreiheit für den Chorraum vollständig zu machen, könnte ursprünglich auch an der Chorostwand der Klosterkirche eine Dreifenstergruppe vorhanden gewesen sein. Allein an der Ostfassade erfüllte sie mit weiteren drei kleineren Fenstern darunter und einer Blendbogengestaltung im Giebel ein weiteres Muster der zister-ziensischen Dreiheit. Die Drei steht, wenn man sie als heilige Zahl ansieht, für die Trinität, die Dreiei-nigkeit oder die Dreifaltigkeit Gottes (Gottvater, Sohn und Heiliger Geist). Aus dieser Sicht öffnet Marienfeld dem Betrachter seine ikonologische Seite, wodurch die Klosterkirche zu einem histori-schen Dokument wird, das eine Vorstellung über die Glaubenswelt zur Zeit ihrer Entstehung vermit-telt. 116 Sugar von Saint Denis,* 1080 in Saint-Denis oder Argenteuil, gestorben 13. Januar 1151 in Saint-Denis. 117 Allegorese, (griechisch-lateinisch) Interpretation von Texten, nachträgliche Suche nach einem hintergründigen Sinn. 118 Parusie, griech. die erwartete Wiederkunft Christi zum Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts. 64 Gegenüber einer angenommenen lichtstarken Dreifenstergruppe auf der Kirchenostseite findet sich in Marienfeld die achtteilige Fensterrose an der Westwand. An St. Marien in Lippstadt befindet sie sich an der Nordfassade, doch nicht allein weil die Westseite der Kirche vom Turm verstellt ist. Wes-ten wie Norden werden in der Symbolik den Seiten der Nacht gleichgestellt, so dass auch an der Nord-fassade Marienfelds einst eine achtteilige Rose angebracht war. So wie dem Unheil, das aus dem Dunklen kam, oft ein Engelfries protektiv gegenübergestellt wurde, schützte mit dem Aufkommen der Fensterrosen die Zahl Acht in Form des Speichenrades den Sakralbau. In Lippstadt und Paderborn hat man die heilige Zahl durch abschreckende groteske Köpfe bereichert, oder wie am Dom zu Münster durch die symbolische Anwesenheit der Kirchenpatrone Paulus und Johannes des Täufers in Form ihrer abgeschlagenen Köpfe. Die Zahl Acht wurde als Addition der sieben Schöpfungstage und der Auferstehung Christi als Neuschöpfung des Menschen verstanden, mit denen Gott in die Weltformung eingegriffen hat.119 Der Kreis des Rundfensters steht als Symbol für den Himmel, der sich den Menschen öffnet und gleichzei-tig ein Zeichen des Neuen und Ewigen Bundes ist. Die im Westen, dem Reich der Dämonen, unterge-hende, scheinbar besiegte Sonne durchleuchtet das Fenster mit der Hoffnung einer Auferstehung des Lichtes im Osten. Diese Vorstellung wird ergänzt vom Grundriss der Kirche, deren Achse von Westen zum Chorhaupt nach Osten der aufgehenden Sonne entgegengeht. Im Schnittpunkt der Vierung ent-steht durch die Achse des Querhauses das christologische Zeichen des Kreuzes, das über allem steht. Marienfeld, Westfassade. Doppelkapitell von einem Blendbogen mit sichtbaren Löchern zur Verbleiung der eingestellten Säulen. Foto: Andreas Sassen 2017. 119 BERGER 1999, Architekturikonologie, S. 223. 65 Abb. 53: Mainz, Dom, Säulenportal um 1100. Abb. aus: Die deutschen Dome 1927. Zur Entwicklung des romanischen Portals Im Gegensatz zu den noch vorhandenen Architekturteilen der Westrose und den Blendbögen am Gie-bel der einstigen Westfassade von Marienfeld, gibt es keine verlässliche Nachricht mehr über die Form und Ausführung der dort einst vorhandenen Portalanlage. Dadurch bleibt eine Rekonstruktion des Westportals in jedem Fall hypothetisch. Bei der Einschätzung des nicht unerheblichen handwerklichen Aufwandes, der zur Schaffung von Westrose und der Blendbogenarchitektur im Giebel führte, dürfte auch das Westportal entsprechend seiner Aufgabe als Hauptzugang zur Klosterkirche aufwendig aus-gestattet gewesen sein. Dies kam auch seinen vielfältigen Aufgaben gleich: als Zugangspforte hoch-rangiger kirchlicher und adliger Würdenträger bei der festlichen Weihe der Klosterkirche im Novem-ber 1222, als Haupteingang in den Kirchenraum für alle Männer des Klosters, als zukünftige Ge-richtsstätte für die Menschen des klostereigenen Landes und seiner symbolischen Bedeutung als ein Tor zum himmlischen Jerusalem. Man darf davon ausgehen, dass es sich beim Westeingang um ein Stufenportal gehandelt hat, das angesichts der Verwendung von eingestellten schlanken Säulen am Giebel und im Speichenrad der Fensterrose ebenfalls mit Säulen verziert war. Erfahrungsgemäß erreichte man dadurch bei einer Fas-sade ein ausgeglichenes architektonisches Gesamtbild. Es stellt sich die Aufgabe, eine Grundlage zu finden, auf welcher stilistischen Entwicklungsstufe das von den Verfassern hypothetisierte Portal von Marienfeld einzuordnen ist. Wie viele andere architektonische Einzellösungen sind auch die Anfänge des Stufenportals im nordwestlichen Frankreich zu suchen, wo ein gewisser Wohlstand der Bürger selbst in den kleinen Städten eine Reihe hochentwickelter Sakralbauten hervorbrachte. Der in der Region vorkommende gut zu bearbeitende Kalkstein animierte die Steinmetze zu hervorragenden architektonischen Leistungen. Nach den Veröffentlichungen der französischen Bauforscher und Archäologen GONSE, ENLART UND LEFÈVRE-PONTALIS um 1900 machte der deutsche Autor MÄKELT eine begrenzte Bestandsaufnahme im Gebiet der alten Diözese Soissons nördlich von Paris. 66 Abb. 54: Schleswig, Petriportal von 1180. Foto: Andreas Sassen 1985. In Bezug auf das sakrale Portal rechnet er eine sich entwickelnde Baukultur120 noch dem Ende des 11. Jahrhundert zu: Die Portalöffnung ist rechteckig und mit monolithem Sturz abgeschlossen, der oft nach der Mitte zu verbrei-tert ist (Jouaignes). Darüber ein halbkreisförmiger Entlastungsbogen, zuweilen mit Wulst oder mehreren Zahn-schnittreihen verziert. Das Bogenfeld ist durch eine monolithe Platte oder geschichtete Steine verschlossen und nie skulptiert. In St. Brandy fehlt der Sturz und das Bogenfeld ist durch eine Platte geschlossen. Bei einigen Portalen ruht der profilierte Entlastungsbogen auf Säulchen. Auch ein später allgemein verwendetes Motiv wur-de in dieser Zeit erfunden: das Portal springt etwas vor die Fassade vor und ist mit einem Steingiebel bekrönt (Rhuis).121 Verfolgt man die Verbreitung im westlichen Deutschland, vornehmlich am Rhein, so scheinen die von Mäkelt beschriebenen Portalformen schon früh in die dortige Romanik aufgenommen worden zu sein. Es findet sich um 1100 das Ostportal des Mainzer Doms (Abb. 53), ein Stufenportal mit einge-stellten Säulen, dessen ausgewogene Formen das Grundprinzip aller folgenden Portalanlagen vorweg-nimmt und sich 100 Jahre kaum prinzipielle Veränderungen ergeben. So werden beim Petriportal am Südquerhaus vom Dom in Schleswig (Abb. 54) noch 1180 eine enge Stilverwandtschaft und ein fast gleicher Aufbau zu Mainz deutlich. Im Weserraum mit seinen gut erhaltenen Zeugen der Romanik, war Kloster Lippoldsberg eines der nördlichsten Vorposten des Mainzer Bistums. Die Kirche aus dem 12. Jahrhundert gehört durch die reife Ausbildung der romanischen Stilformen und durch ihren weit-reichenden kunstgeschichtlichen Einfluss zu den wichtigsten Bauwerken im heutigen Hessen. Das Westportal ihres Südturms, ein einfaches Stufenportal niedersächsischer Art, ist bündig in die Fassade eingebaut und hat in einer dreistufigen einfachen Rundbogenrahmung ein von senkrechtem Mittelbal-ken unterteiltes monolithisches Tympanon. Ein gleichartiges Tympanon findet sich am Nordportal der ebenfalls um 1150 in rotem Sandstein erbauten Zisterzienserkirche Amelungsborn am Nordrand des Sollings (Abb. 55). Auch hier sind keine Begleitsäulen eingestellt, doch die Portalarchitektur ist auf-wendiger und vor die Nordwand des Langhauses gezogen worden. 120 Im weiteren Sinn meint Kultur auch die im Unterschied zur Natur vom Menschen geschaffenen Welt. 121 MÄKELT 1906, S. 103. 67 Abb. 55: Kloster Amelungsborn/Niedersachsen. Das Stufenportal am Langhaus der Zisterzienserkirche entstand um 1150. Foto: Andreas Sassen 2018. Zur Gruppe niedersächsischer Portallösungen gehört noch das Westpor |